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Kishor Sridhar

Frauen reden, Männer machen?

Wie wir aus der Klischeefalle ausbrechen und besser zusammenarbeiten

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-796-5

Lektorat: Claudia Franz, Augsburg | info@text-it.org

Copyright © 2017 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Das E-Book basiert auf dem 2017 erschienenen Buchtitel “Frauen reden, Männaer machen?” von Kishor Sridhar, ©2017 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

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Inhaltsverzeichnis

I. Wie unterschiedlich sind wir wirklich?

Wie alles begann

Für wen das Buch ist

Sind Sie mutig genug?

»Kennste den …?«: Vorsicht vor der Klischeefalle

Ein paar sinnvolle Regeln, um nicht in die Klischeefalle zu tappen

Was Geschlechterausprägungen beeinflusst

Evolution: Der Urmensch steckt immer noch in uns

Biologische Einflüsse – oder haben Frauen kleinere Gehirne?

Die Männergrippe gibt es wirklich!

Gesellschaftliche Einflüsse und die Geißel der Genderdebatte

Verdeckte Diskriminierungen, über die kaum gesprochen wird

II. Unsere liebenswerten Besonderheiten

Wieso reden wir eigentlich miteinander?

Aneinander vorbeigeredet: Die feminine Beziehungssprache und die maskuline Berichtssprache

Wie wir miteinander reden

Reden Frauen mehr als Männer?

Alles logisch? Wie wir Zusammenhänge erkennen

Viel gehört und nichts verstanden: Wie wir lernen

Regeln sind nicht gleich Regeln

Was ist fair?

Wenn Frauen Verhaltensregeln brechen

Und welcher Typ sind Sie?

III. Die Tücken der alltäglichen Zusammenarbeit

Unterschiedliche Ziele im Alltag

Ratschläge und Meinungen einholen

Mit Janus-Fragen maskuline Geister von unsinnigen Ideen abbringen

Problem oder Lösung?

Teamkonstellationen: Wie passen wir uns an?

Selbst Männer brauchen manchmal jemanden, der ihnen zuhört

Die natürliche Art, alle einzubinden

Meetings: Die kleine Arena der großen Egos

Ein paar Tipps, um Meetings erfolgreicher zu gestalten

Die Gefahr der Ich-Formulierung

Die Qual der Wahl: Zu viele oder zu wenige Optionen?

Techniken für maskuline Diskussionsrunden

Wieso nicht einfach mal darüber reden, wie man sich fühlt?

Lassen Sie den anderen sich selbst überzeugen

IV. Der schwierige Umgang miteinander

Männer sind die besseren Selbstdarsteller

Wie wir kritisieren

Wenn Frauen und Männer aggressiv auf Kritik reagieren

Wieso sich Frauen öfters entschuldigen

Mit konstruktiven Entschuldigungen mehr erreichen

Ein Plädoyer für mehr Komplimente am Arbeitsplatz

Vermeiden Sie Karrierekiller

Statussymbole sollten nicht unterschätzt werden

Die persönliche Assistentin

Nicht zu viel aus dem Nähkästchen plaudern

Nicht zuarbeiten, sondern mitarbeiten

Die Scheu vor dem Delegieren ablegen

Geben Sie die Gesprächsführung nicht leichtfertig aus der Hand

Selbstvermarktung: Die Admirals-Methode

V. Chefin – Chef

Führung bedeutet, Erwartungen bis zu einem gewissen Grad zu erfüllen

Gute Führung heißt, die Erwartungen beider Seiten zu verstehen

Was Männer von weiblichen Chefs erwarten

Was Frauen von weiblichen Chefs erwarten

Das Dilemma weiblicher Führungskräfte

Was Frauen von männlichen Vorgesetzten erwarten

Was Männer von männlichen Vorgesetzen erwarten

Es gibt nicht den einen perfekten Führungsstil

Das Dilemma männlicher Führungskräfte

Schmerzpunkte und Sehnsüchte im Mitarbeitergespräch identifizieren

Wenn die Chefin zum Gespräch bittet

Wenn der Chef zum Gespräch bittet

VI. Verkaufen und Verhandeln

Walzer oder Tango: Der Rhythmus des Verkaufsgesprächs

Der Sprint in die falsche Richtung: Wenn Männer nicht an Frauen verkaufen können

Zwei Schritte seitwärts statt drei nach vorne: Wieso Männer nicht von Frauen kaufen

Der perfekte Tanz: Was Frauen und was Männer zum Kauf bewegt

Maskuline Verkaufstechniken, die NICHT (mehr) funktionieren

Wieso das Spiegeln riskant ist

Wieso eine häufige Namensnennung kontraproduktiv ist

Die Königsdisziplin: Verkaufen an Paare

Wieso Frauen bei Verhandlungen einen Vorteil haben

Ein paar wichtige Worte zum Schluss

Anhang

Test: Wie feminin oder maskulin sind Sie?

Literaturverzeichnis

Dank

Der Autor

Dieses Buch ist meiner Großmutter, Erika Behnke, gewidmet. Als Kriegswitwe zog sie zwei Kinder in widrigsten Umständen groß und war ihnen eine liebevolle Mutter und ersetzte zugleich den Vater.

Ihrer Weisheit und Güte habe ich so viel zu verdanken.

I. Wie unterschiedlich sind wir wirklich?

Wie alles begann

Vor einigen Jahren hielt ich einen Vortrag bei einer Tagung in Nürnberg. Es ging um die Stärkung der abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit in Unternehmen. Im Anschluss sprach mich der Geschäftsführer eines größeren deutschen Maschinenbauers an: »Sie können mir bestimmt einen Tipp geben. Ein Coach hat unsere Führungskräfte nach Farben eingeteilt. Die Gelben übernehmen mehr die Initiative, die Roten sind dominanter und so weiter. Jetzt sagt der Coach, dass wir mehr blaue Typen im Vertriebsteam brauchen. Was halten Sie davon? Hat er recht?« Ich antwortete spontan aus dem Bauch heraus: »Will er Ihre Teams nur nach Farben optimieren oder auch nach Geschlechtern?« Der nette Herr schaute ein wenig irritiert. Er war nicht sicher, ob ich es tatsächlich ernst gemeint hatte oder ob das nur ein Spaß war. Nachdem er erkannt hatte, dass das tatsächlich mein Ernst war, erwiderte er zögerlich: »So habe ich das noch gar nicht gesehen. Aber das geht nicht. Das wäre politisch nicht korrekt.« Damit sprach er etwas an, worüber ich mir bis dahin nie Gedanken gemacht hatte. Einerseits gilt es als völlig politisch korrekt, Teams nach psychologischen Farben zusammenzusetzen. Andererseits ist das Reden über Eigenschaften von Geschlechtern ein Minenfeld, in das man sich lieber nicht hineinbegeben sollte. Woher kommt das? Gibt es wirklich so große Unterschiede im Verhalten zwischen den Geschlechtern oder sind sie nur gesellschaftlich auferlegt? Und falls tatsächlich Unterschiede bestehen, welche sind das? Sind sie ein Hindernis oder bringen sie sogar Vorteile, wenn wir sie richtig nutzen?

Jetzt, wo ich darüber nachdachte, wurde mir plötzlich klar: Ich hatte seit Jahren ganz gezielt Frauen oder Männer bei Projekten und bei der Kundengewinnung eingesetzt. Instinktiv hatte ich abgeschätzt, ob zwei Männer oder eine Frau und ein Mann besser beim Kunden ankommen würden. Dabei wollte ich keine Vorurteile bedienen. Mir ging es lediglich darum, die besten Gesprächsvoraussetzungen zu schaffen. Manchmal hatte ich bewusst die Gesprächsführung an mich gezogen. Dann gab es wieder Gelegenheiten, bei denen ich einer Mitarbeiterin auf dem Weg zum Kunden erklärt hatte: »Heute vertauschen wir die Rollen. Es ist klüger, wenn du die Chefin bist!« Tatsächlich konnte der Kunde einfach besser mit ihr reden und war begeistert. Ich selbst hätte den Auftrag wahrscheinlich nicht bekommen. Aber lag das wirklich an geschlechtlichen Unterschieden oder einfach an Sympathiefaktoren?

Klischees helfen hier nicht weiter!

Mir dämmerte aber, dass die Unterschiede im Verhalten zwischen den Geschlechtern in Unternehmen und in unserer Arbeitswelt eine sehr große Rolle spielen. Dennoch wurde dieses Thema bislang kaum aus einem pragmatischen Blickwinkel heraus beleuchtet. Deshalb vertröstete ich den netten Herrn, der mich nach dem Vortrag angesprochen hatte. Ich versprach ihm, ihm zu einem späteren Zeitpunkt eine fundierte Antwort zu geben. Damit begann eine sehr spannende Reise, in deren Verlauf ich meine eigenen Klischees zum Thema typisch Frau und typisch Mann schon früh über Bord werfen durfte. Schnell wurde mir bewusst: Schwarz-Weiß-Denken hilft hier genauso wenig weiter, wie alles nur in Farben zu unterteilen.

Fortan versuchte ich in unzähligen Unternehmensworkshops und Beratungsprojekten, die Dynamik zwischen Frauen und Männern besser zu verstehen. Ich konnte einige große Unternehmen dafür gewinnen, Studien in diesem Bereich zu unterstützen. Dank der tatkräftigen Mitarbeit meiner Studenten konnten wir Tausende von Seiten Grundlagenforschung sichten und bewerten. Zudem hatten wir die Möglichkeit, unsere Annahmen anhand eigener Forschungsprojekte zu validieren. So entstand aus einer vagen Ahnung ein immer klareres Bild mit vielen Erkenntnissen für den Arbeitsalltag. Manches, was wir vermutet hatten, wurde bestätigt, anderes widerlegt. Außerdem gab es viele Erkenntnisse, die uns alle überrascht haben. Die Ergebnisse dieser langen Reise habe ich in diesem Buch zusammengefasst. Der nette Herr, der mich vor sechs Jahren angesprochen hatte, erhält hiermit seine konkrete Antwort – wenn auch etwas später als gedacht!

Für wen das Buch ist

Eins vorweg: In diesem Buch geht es nicht um typisch Frau oder typisch Mann. So platt ist die Wirklichkeit nicht. Tatsächlich gibt es maskuline Verhaltensweisen, die deutlich häufiger bei Männern zu finden sind. Und dennoch: Diese maskulinen Eigenschaften treten auch bei vielen Frauen zutage. Genauso werden wir feminine Verhaltensweisen, die bei Frauen überwiegen, bei so manchem Mann entdecken. Deswegen ist dieses Buch etwas für Sie, wenn:

Sie bereit sind, Gewohntes zu hinterfragen und neue Aspekte an sich selbst und ihren Mitmenschen zu entdecken,

Sie es im Berufsleben mit Frauen oder Männern zu tun haben und die Zusammenarbeit erheblich verbessern wollen,

Sie besser mit Ihrer Chefin oder Ihrem Chef zusammenarbeiten wollen,

Sie selbst Chefin oder Chef sind und Ihre Mitarbeiter erfolgreicher führen wollen,

Sie auf Dogmen und Klischees über Frauen und Männer pfeifen, aber gleichzeitig keine Angst davor haben, den einen oder anderen Stereotyp auch mal bestätigt zu finden.

Sind Sie mutig genug?

Wir alle tragen feminine und maskuline Aspekte in uns.

Ich gehe nicht davon aus, dass alle Frauen oder alle Männer gleich ticken. Dennoch verwende ich in diesem Buch gelegentlich die Begriffe Frau und Mann. Ich tue das ganz gezielt, wenn es wirklich sinnvoll ist. Manchmal mache ich es auch, um einfach nur die Lesefreundlichkeit zu erhöhen. In jedem Fall weise ich immer konkret darauf hin. Tatsächlich geht es in diesem Buch aber um die Entdeckung femininer und maskuliner Psychologie. Egal, ob wir biologisch Mann oder Frau sind: Wir alle tragen feminine und maskuline Aspekte in uns – allerdings mit unterschiedlicher Ausprägung. Wenn Sie den Mut haben, beide Seiten an sich zu entdecken, dann ist dieses Buch etwas für Sie. Dazu gehört auch, dass Sie immer beide Sichtweisen betrachten sollten. Lesen Sie also unbedingt die Empfehlungen für Frau und Mann oder für feminine und maskuline Typen. Es kann gut sein, dass Sie hier und da herausfinden, dass Sie eine bisher unbekannte Denkweise in sich tragen.

»Kennste den …?«: Vorsicht vor der Klischeefalle

Wenn man sich mit dem Thema Frauen und Männer beschäftigt, kann man schnell in die Klischeefalle tappen. Manche spielen auch bewusst damit. So besteht das gesamte Repertoire eines in Deutschland sehr bekannten Comedians daraus, diese Klischees zu bedienen. Doch auch wenn man sich ernsthaft mit den Unterschieden zwischen Frauen und Männern auseinandersetzt, besteht die Gefahr, dass man in Klischees abdriftet.

Klischees sind nichts anderes als Vorurteile, und die sollten in einer modernen Gesellschaft eigentlich keinen Platz haben. Dennoch neigt jeder Mensch zur Verallgemeinerung. Häufig übertragen wir gewisse Verhaltensweisen einzelner Vertreter einer Gruppe auf alle. Wie vieles, was wir in diesem Buch behandeln werden, hat auch diese Stereotypisierung ihre Ursprünge in der Evolution: Zu Vorzeiten waren Verallgemeinerungen sinnvoll. Dadurch konnten unsere Urahnen in gefährlichen Situationen schneller Urteile fällen und zugleich Energie sparen, die das Gehirn sonst bei längeren Denkprozessen benötigt. Das waren entscheidende Überlebensvorteile in einer feindlichen Umwelt. Nehmen wir einmal an, ein primitiver Urmensch hat gesehen, wie sein Artgenosse von einem Schlangenbiss dahingerafft wurde. Dann war er gut beraten, in Zukunft alle Schlangen zu meiden. Das war wesentlich einfacher, als jede einzelne Schlange neu zu klassifizieren und auf ihre Gefährlichkeit hin zu untersuchen. Alle Schlangen sind gefährlich! Dieses Klischee war zwar blöd, aber sinnvoll. Heute sind die Verallgemeinerungen weiterhin blöd, aber leider auch nicht mehr sinnvoll. Wenn ich Leute kennenlerne und sie erfahren, dass mein Vater aus Indien kommt, fragen sie häufig: »Sie kochen bestimmt ayurvedisch und machen Yoga, oder?« Nein, tue ich nicht! Nicht alle Inder, geschweige denn alle Halbinder, kochen wie wild und sitzen verknotet in der Ecke. Es sind auch nicht alle Russen bei der Mafia und nicht alle Deutschen trinken Bier und mögen Helene Fischer. Eins liegt jedoch auf der Hand: Jemanden, auf den die beiden letzten Dinge zutreffen, werden Sie eher in Deutschland finden als in Indien!

Ein kleines Experiment …

Machen wir mal ein kleines Experiment. Stellen Sie sich bitte drei Studenten vor:

1. einen Physikstudenten,

2. eine Lehramtsstudentin,

3. einen Philosophiestudenten.

Na, welche Bilder haben sich bei Ihnen innerhalb weniger Sekunden im Kopf geformt? Ist das fair? Entspricht das einem aufgeklärten, analytischen und reflektierenden Selbstverständnis? Wohl kaum! Wir sind überladen mit Stereotypen. Allerdings merken wir es meist gar nicht. Vorurteile haben schließlich immer nur die anderen.

Wir sind überladen mit Stereotypen und merken es gar nicht.

Was bedeuten die Stereotypen in der Zusammenarbeit von Frauen und Männern? Klischees haben einen gewissen Wahrheitsgehalt. Das gilt aber natürlich nur in Grenzen. Als Beispiel können wir uns das Klischee ansehen, dass Männer Autos und Fußball toll finden. Anhand zahlreicher Studien kann man belegen, dass das auf deutlich mehr Männer als auf Frauen zutrifft. Gleichzeitig werden Sie genügend Männer finden, die sich überhaupt nicht um Autos kümmern und die Fußball total langweilig finden. Ähnlich ist es mit dem Klischee, dass sich Frauen für Mode interessieren. Nicht jede Frau liebt automatisch Mode. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit höher, Modebegeisterte in einer Frauengruppe zu finden als in einem Männerclub.

Die Bandbreite ist viel größer als nur typisch Mann und typisch Frau

Natürlich gibt es »typische« Frauen und »typische« Männer. Dazwischen sind jedoch viele Schattierungen zu finden. In unseren Studien haben wir es deswegen recht schnell aufgegeben, zwischen Geschlechtern zu unterscheiden. Vielmehr haben wir zwischen femininen und maskulinen Verhaltensweisen differenziert.

Hier hilft folgendes Bild: Stellen Sie sich eine Skala vor. Ganz links haben wir den testosterontriefenden Prototyp der Männlichkeit. Auf der anderen Seite der Skala haben wir das Superweibchen schlechthin. Wobei es hier weniger um Muskelmasse oder das Aussehen geht als vielmehr um psychologische Denkmuster, Verhaltensweisen und die Art zu kommunizieren. Damit haben wir die zwei extremen Pole des geschlechterspezifischen Verhaltens. Dazwischen gibt es allerdings noch eine ganze Bandbreite an Abstufungen.

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Ich habe viele Frauen kennengelernt, die mit Frauenliteratur nichts anfangen konnten, weil sie einfach nicht so sehr auf der femininen Skala ausgeprägt sind. Sie haben in manchen Bereichen maskuline Tendenzen. Damit ist nicht wieder das nächste Klischee gemeint. Hier geht es nicht um das sogenannte Kampfweib. Frauen mit maskulinen Verhaltensausprägungen können komplett weiblich erscheinen, als wären sie einem Modemagazin entsprungen. Dennoch ist ihre Verhaltenspsychologie eher männlich. Etwas Ähnliches kann man auch bei Männern beobachten. Sehr viele Männer befinden sich durchaus nicht am anderen Extrem der Skala. Ich selbst bezeichne mich zum Beispiel als femininen Mann, weil bei mir weibliche Verhaltens-, Kommunikations- und Denkstrukturen stark ausgeprägt sind. Das beeinflusst aber weder meine sexuelle Orientierung noch wirke ich nach außen hin feminin.

Niemand ist durchgängig feminin oder maskulin.

Niemand ist durchgängig feminin oder maskulin. Eine in der Argumentation und Denkweise eher maskuline Frau kann zum Beispiel in anderen Aspekten durchaus feminin sein. Deshalb steht in diesem Buch nicht allein die Zusammenarbeit von Frauen und Männern im Mittelpunkt. Es geht auch darum, die femininen und die maskulinen psychologischen Ausprägungen in Menschen und ihre Auswirkungen zu erkunden. Klingt verwirrend? Ist es aber gar nicht! Im Gegenteil: Es ist eine überaus spannende Entdeckungsreise.

Ein paar sinnvolle Regeln, um nicht in die Klischeefalle zu tappen

Damit diese Entdeckungsreise gelingt und wir nicht in die Klischeefalle tappen, sollten wir unbedingt ein paar Regeln einhalten. Unsere Gesellschaft würde übrigens gut daran tun, diese Regeln in allen Lebenslagen im Umgang mit Menschen zu beherzigen:

1.Nicht pauschalisieren

Verhaltensweisen einzelner Individuen sagen nichts über die ganze Gruppe aus. Wir sollten immer die Bandbreite der Wahrscheinlichkeit sehen. Egal, ob Mann oder Frau: Wenn Sie sich im Laufe des Buchs in einer Beschreibung nicht wiederfinden, dann heißt das einfach, dass Sie nicht dem typischen Verhalten entsprechen. Es geht also keineswegs darum, wieso Frauen so sind und Männer so. Die Frage ist, weshalb Frauen eher zu einer Verhaltensweise neigen und Männer eher zu einer anderen.

2.Nicht herabsetzen

Der eingangs erwähnte Comedian zeichnet sich dadurch aus, dass er Witze auf Kosten des anderen Geschlechts macht. Dass es auch anders geht, hat der feinsinnige Komiker Loriot gezeigt. Loriot konnte sehr wohl über die Unterschiede lachen, jedoch immer wohlwollend. Lassen Sie uns also übereinander reden und gemeinsam lachen, ohne die Verhaltensweisen anderer ins Lächerliche zu ziehen oder sie herabzusetzen.

3.Nicht tabuisieren oder dogmatisieren

Tabuisierung hilft nicht, wenn man gegen Klischees vorgehen will. Sie schadet sogar. Meinungsfreiheit bedeutet, dass wir offen über Unterschiede reden können. Wenn jemand vermutet, dass Menschen mit einem bestimmten Bildungshintergrund gewisse Meinungen an den Tag legen oder dass bei Menschen mit einem bestimmten Migrationshintergrund gewisse Verhaltensweisen dominieren, muss er dies äußern können. Die Person mundtot zu machen, indem man sie beim kleinsten Hinweis auf Unterschiede als Rassist, Sexist oder Elitärist abstempelt, wird ihre Vorstellungen nicht ändern. Auch sollte man sich selbst von Dogmen befreien. Gerade, wenn man Gerechtigkeit anstrebt, wird man schnell dogmatisch. Doch das macht eine offene Diskussion unmöglich. Klischees lassen sich nur auflösen, indem man miteinander redet. Entscheidend ist, zu zeigen, dass es vielleicht Auffälligkeiten gibt, diese aber lediglich eine Ausprägung sind und noch lange nicht verallgemeinert werden können.

4.Verbindendes sehen

Das Andersartige sorgt für Verunsicherung. Dennoch sollten wir es nicht als etwas Trennendes betrachten. Wenn wir in der Andersartigkeit eine Stärke sehen, kann daraus Verbindendes erwachsen. Gute Teams bestehen nicht aus Personen, die die gleichen Stärken haben. Vielmehr vereinen sie Menschen mit den unterschiedlichsten Stärken. Wer in Stereotypen denkt, sucht das Trennende. In diesem Buch geht es mir jedoch darum, das zu erkennen, was uns verbindet.

Ich denke, das sind Regeln, die uns in allen Diskussionen weiterhelfen würden. Schauen wir uns nun an, welche Ursachen die Unterschiede im Verhalten von Frauen und Männern haben.

Was Geschlechterausprägungen beeinflusst

Im Alltag fallen uns oft unterschiedliche Verhaltensweisen von Frauen und Männern auf. Aber woher kommen diese Unterschiede?

Welche Ursachen haben die Unterschiede im Verhalten von Frauen und Männern?

Grundsätzlich spielen drei Aspekte eine entscheidende Rolle:

das Erbe unserer Evolution,

biologische Unterschiede,

die gesellschaftliche Prägung.

Die Forschung beleuchtet diese drei Aspekte aus verschiedenen Blickwinkeln. Daraus sind regelrechte Grabenkämpfe entstanden. Die einen glauben, dass die gesellschaftliche Prägung entscheidend ist. Die anderen denken, dass evolutionäre und biologische Einflüsse maßgeblich für die Unterschiede im Verhalten von Frauen und Männern sind. Oftmals herrscht eine tiefe Kluft zwischen ihnen. Meiner Meinung nach hat dies weniger wissenschaftliche als vielmehr weltanschauliche Gründe. Ich persönlich bin der Überzeugung, dass sich alle drei Aspekte auf das heutige Verhalten von Frauen und Männern auswirken. Aber entscheiden Sie einfach selbst!

Evolution: Der Urmensch steckt immer noch in uns

Wir sind das Ergebnis eines jahrmillionenlangen Entwicklungsprozesses. Viele Verhaltensweisen, die in unseren Augen typisch weiblich oder typisch männlich sind, haben sich durch die Evolution herausgebildet. Sie haben uns geholfen, den Selektionsprozess der Natur zu überleben. Verhaltensweisen und Eigenschaften, die sich als evolutionär vorteilhaft erwiesen haben, mussten wir irgendwann nicht immer wieder neu erlernen. Sie verfestigten sich in unserem Körper und in unserem Gehirn.

In vielen Verhaltensweisen ähneln wir den Menschenaffen.

In vielen Verhaltensweisen ähneln wir unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen. Bei den Gorillas steht der Silberrücken ganz oben in der Hierarchie der Horde. Er hat das Sagen und das Vorrecht bei den Weibchen. Natürlich fordern heranwachsende Männchen den Silberrücken ständig heraus. So will es die Evolution. Nur, wenn die jungen Männchen irgendwann seine Position einnehmen, können sie ihre Gene möglichst oft weitergeben. Es ist das Gesetz des Stärkeren. Die Affenmännchen üben von klein auf spielerisch den großen Kampf. Sie raufen deutlich mehr miteinander und sind wilder als ihre Spielkameradinnen. Daran hat sich bei uns Menschen bis heute nicht viel geändert. Das können erschöpfte Eltern nach einem Kindergeburtstag sicherlich bestätigen.

Selbst in einem vermeintlich zivilisiert-erwachsenen Umfeld spielt der Silberrücken in unserer Gesellschaft nach wie vor eine wichtige Rolle: Der Unterschied vom Primaten zum Imponiergehabe und den Machtspielchen im Büro ist nicht allzu groß. Dieses Verhalten ist das Erbe unseres evolutionären Erfolgs. Allerdings kollidiert es mit unseren zivilisatorischen Regeln – zum Glück, möchte man sagen!

Nach wie vor bestimmt das Erbe unserer Evolution in vielen Bereichen unbewusst unser Verhalten. Allerdings wird dies manchmal leichtfertig als Entschuldigung für menschliches Fehlverhalten missbraucht. So heißt es, dass Männer häufiger fremdgehen würden als Frauen. Dies sei ihr evolutionäres Erbe. Schließlich haben sich über Jahrmillionen jene Männchen durchgesetzt, die ihre Gene an möglichst viele Weibchen weitergereicht haben. Fremdgehen und Vielweiberei war also von Vorteil. »Siehe da!«, ruft so mancher ertappter notorischer Fremdgeher. »Ich kann nicht anders! Es ist das Erbe meiner Evolution, das mich antreibt!« Eine billige Ausrede! Schließlich sind wir ja keine Tiere. Die Sprache hat sich zum Beispiel evolutionstechnisch gesehen relativ spät entwickelt. Vorher konnte man sich nur körperlich durchsetzen. Noch heute meinen manche Menschen, einen Konflikt lösen zu können, indem sie jemanden gediegen eins auf die Nase geben. Niemand würde auf die Idee kommen, dies mit der Evolution zu rechtfertigen. Wer sich so verhält, der zeigt allenfalls, dass er immer noch ein Affe ist. Mehr nicht. Die Evolution erklärt einiges. Sie entschuldigt aber gar nichts!

Ich bin tatsächlich Leuten begegnet, die behaupteten, dass Frauen für gewisse Berufe evolutionsbedingt nicht geeignet wären. Sie haben nicht verstanden, dass wir Menschen uns über die Evolution hinaus weiterentwickelt haben. Natürlich prägt das Erbe unserer Evolution bis heute in einem gewissen Maß unsere Stärken, Schwächen und Verhaltensweisen. Zivilisation ist aber die Freiheit, uns nicht von diesem Erbe versklaven zu lassen.

Biologische Einflüsse – oder haben Frauen kleinere Gehirne?

Frauen und Männer haben nun mal unterschiedliche Körper. Die unterschiedlichen Hormone oder die Ausrichtung des weiblichen Körpers auf mögliche Schwangerschaften prägen auch unser geschlechterspezifisches Verhalten. Aber wie weit geht dieser biologische Einfluss tatsächlich? Manches ist wissenschaftlich erwiesen. Andere Theorien stehen eher auf wackeligen Beinen oder sind einfach blanker Unsinn. Beispielsweise haben Frauen im Schnitt kleinere Gehirne als Männer. Das ist ein nachgewiesener Fakt und ein beliebter Schenkelklopfer an Stammtischen. Die Behauptung, dass Frauen deshalb weniger schlau sind als Männer, sollte aber auch an genau diesen Stammtischen bleiben. Das ist völliger Quatsch. Wissenschaftliche Studien belegen, dass die Gehirngröße nichts über die Intelligenz eines Menschen aussagt. Albert Einstein hatte ein eher kleines Gehirn. So wirklich dumm war er deswegen allerdings nicht. Statistisch gesehen sind Frauen einfach nicht so groß wie Männer. Daher ist auch das Gehirn meist kleiner, genauso wie die Hände und die Füße – mehr nicht.

Die Art der Vernetzung unserer Hirnareale prägt unsere Stärken

Bedeutender als die Beschaffenheit des Gehirns ist wahrscheinlich die Vernetzung. Dabei geht es um die Frage: Welche Verknüpfungen sind im Gehirn besonders ausgeprägt und können deswegen besser genutzt werden? Die Medizinerin Ragini Verma von der University of Pennsylvania in den USA hat mit ihrem Team fast 2000 Personen aller Altersgruppen diversen Tests zur mentalen Leistungsfähigkeit unterzogen. Anschließend wurden die Gehirne der Testpersonen in einem Kernspintomographen untersucht. So wollten die Mediziner die Verdrahtungen zwischen den Hirnarealen nachweisen. Das Ergebnis? Die sogenannten Connectome sind bei Männern und Frauen unterschiedlich ausgeprägt. Frauen weisen deutlich stärkere Verbindungen zwischen der linken und der rechten Hirnhälfte auf. Dies verschafft ihnen wohl zwei Vorteile: Einerseits können sie die vielfältigen Informationen aus unterschiedlichen Quellen besser zusammenführen. Andererseits können sie die entsprechenden Rückschlüsse schneller ziehen. Das ist möglich, weil Frauen das logische Denken der linken mit der intuitiven Kraft der rechten Hirnhälfte verknüpfen.

Männliche Gehirne dagegen weisen eine stärkere Verbindung zwischen den hinteren und den vorderen Hirnarealen auf. Das ermöglicht eine bessere Rundumerfassung der Umgebung und eine schnellere Umsetzung dieser Informationen in Handlungen. Ebenso zeichnen sich männliche Gehirne durch eine deutlich stärkere Verknüpfung zwischen jenen Hirnregionen aus, die für motorische Tätigkeiten und das räumliche Denken zuständig sind. Das ist ein großer Vorteil bei Aufgaben, bei denen es auf die Hand-Augen-Koordination und das räumliche Denken ankommt. Hier sind beispielsweise das Anordnen von Objekten im Raum, das Werfen von Bällen oder das Einschlagen von Nägeln mit dem Hammer zu nennen.

Hier sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen besonders auffällig!

Ein weiterer, sehr auffälliger Unterschied zwischen Männern und Frauen ist die Verteilung der grauen Hirnmasse. Sie gibt äußerst aufschlussreiche Hinweise über die Ausprägung der jeweiligen Hirnregionen. Beispielsweise ist bei Frauen der Hippocampus, der eine wichtige Rolle für das Erinnerungsvermögen spielt, wesentlich ausgeprägter. Zudem sind die Nervenzellen im Hippocampus bei Frauen deutlich besser vernetzt als bei Männern. Das gilt auch für die Gehirnregion, die für die Kommunikationsfähigkeit verantwortlich ist. Des Weiteren konnte Ragini Verma nachweisen, dass die Verknüpfung zwischen Erinnerungsvermögen und sozialer Wahrnehmung bei Frauen auffällig stark ist. Dies kann ein Grund dafür sein, dass sie die Gefühle ihrer Mitmenschen tendenziell besser verstehen. Dadurch sind Frauen empathischer und agieren souveräner in sozialen Angelegenheiten. Eine weitere, sehr wichtige Frage konnten Verma und ihr Team jedoch nicht klären: Ist die Verknüpfung biologischen Ursprungs und quasi angeboren oder wird sie gesellschaftlich geprägt? Oder, was wahrscheinlicher ist, spielen beide Einflüsse eine Rolle? Und wenn ja, in welcher Intensität?

Wir sollten nicht jeder Studie glauben

Bekannt ist, dass unsere Hormone großen Einfluss auf die Vernetzung zwischen den Hirnarealen und die daraus resultierende Ausprägung von femininen und maskulinen Verhaltensweisen haben. Die Sache ist ziemlich komplex: Bereits im Mutterleib bekommt der Fötus in regelmäßigen Abständen Testosteronduschen. Diese wirken sich nicht nur auf die Geschlechtsausbildung aus, sondern auch auf die Entwicklung der Gehirnverdrahtungen. Das ist durch unzählige, wissenschaftliche Studien belegt. Die Seriosität dieser Studien schützt jedoch nicht davor, dass sie für obskure, unseriöse Schlussfolgerungen missbraucht werden.

Hierzu gehört zum Beispiel die These, dass das Längenverhältnis von Zeige- und Ringfinger etwas über die Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen eines Menschen aussagt. Wissenschaftlich belegt ist, dass bei vielen Männern der Ringfinger länger ist als der Zeigefinger. So beträgt das Längenverhältnis von Zeigefinger zu Ringfinger bei Männern im Schnitt 0,96. Bei Frauen liegt es bei nahezu 1,0, da bei ihnen der Ring- und der Zeigefinger meist gleich lang sind. Zudem hat der Wissenschaftler John T. Mannings in einer Studie aus dem Jahr 1999 nachgewiesen, dass die Höhe des Testosterons im Mutterleib die Fingerlänge bestimmt: Je geringer das Zeige-Ringfinger-Verhältnis, umso mehr Testosteron hat man als Fötus abbekommen. Durch andere seriöse Studien ist wiederum belegt, dass ein hoher Testosteronspiegel im Mutterleib typisch männliche Verhaltensweisen fördert. Bis hierhin war ja alles in Ordnung.

Doch dann wurde eine Serie neuer Studien von anderen Wissenschaftlern mit immer obskureren Erkenntnissen veröffentlicht. Sie verknüpften einfach die eine mit der anderen Erkenntnis. Anschließend meinten sie, durch das Fingerverhältnis die Wahrscheinlichkeit für bestimme Verhaltensweisen prognostizieren zu können. So »bewiesen« britische Wissenschaftler in einer Studie mit gerade mal 49 Börsenmaklern Folgendes: Jene Makler, bei denen der Ringfinger länger war als der Zeigefinger, erwirtschafteten fünfmal höhere Gewinne, weil sie angeblich eine höhere Risikobereitschaft hatten. Eine tolle Schlagzeile für die Boulevard-Blätter. Und so ging es eifrig weiter. Mark Brosnan von der University Bath in England vermaß die Finger von 74 Jungen und Mädchen im Alter von sieben Jahren und verglich dazu ihre Leistungen in Rechnen und Sprache. Demnach waren Jungen mit besonders langen Ringfingern im Verhältnis zum Zeigefinger deutlich besser im Rechnen.

Und so schossen immer weitere Studien aus dem Boden, die immer wildere Hypothesen aufstellten. Zum Beispiel sei ein männliches Fingerverhältnis angeblich ein Beleg dafür, dass:

man schneller laufen könne,

man seltener an Essstörungen erkranken würde,

man eine höhere logische Denkfähigkeit hätte,

die Sprachentwicklung bei Mädchen positiver verlaufen würde,

Frauen besser fechten und Männer besser Fußball spielen könnten,

man den Ehering seltener am Finger tragen würde.*

Die Hypothesen wurden immer wilder!

Wenn das alles stimmen würde, sollten Personaler auf das Bewerbungsfoto im Lebenslauf verzichten und lieber nur noch auf einen Handabdruck bestehen. Im Jahr 2009 reichte es Martin Voracek von der Fakultät für Psychologie an der Universität Wien. Er untersuchte über 400 Studien, die es inzwischen zu diesem Thema gab. Unabhängig von Voracek machte sich ferner der Schweizer Psychologe Stefan Troche auf Spurensuche. Auch er analysierte sämtliche bis dato veröffentlichte Untersuchungen. Beide fanden in nahezu allen Studien erhebliche methodische Fehler. Mal waren die Fallzahlen zu klein. Mal wurde willkürlich an der rechten oder der linken Hand gemessen. Man hatte einfach die Hand ausgewählt, an der die Finger so lang waren, wie es für die Studie gerade passend war. Zudem war die Definition der untersuchten Verhaltensweisen nicht klar. Häufig schien sie eher willkürlich. Leider schafften es die Gegenstudien von Martin Voracek und Stefan Troche nicht in die Schlagzeilen. Ihre Erkenntnisse waren einfach nicht interessant genug für die Boulevard-Blätter.

Das Fazit? Die Ringfinger-Zeigefinger-Theorie klingt nett. Allerdings eignet sie sich, genauso wie das Handlesen, allenfalls für lustige Partyspiele. Für mehr reicht es aber nicht. Dieses Beispiel zeigt, dass wir nicht jeder »neuesten« Erkenntnis blindlings Glauben schenken sollten. Deswegen haben wir die Studien, die in diesem Buch zitiert werden, genau überprüft. Zudem haben wir auch auf eine saubere Arbeit bei unseren eigenen Studien geachtet.

Unsere Psyche wird bereits durch die Hormone im Mutterleib geprägt

Männer sind sozusagen Autisten.

Zu den seriösen Studien gehören meines Erachtens die Untersuchungen des renommierten Psychologen Simon Baron-Cohen vom Autismusforschungszentrum der Universität in Cambridge. Er hat die Einflüsse des Testosterons im Mutterleib auf die späteren Charaktereigenschaften und Talente und somit auf angeblich typisch männliche oder typisch weibliche Verhaltensweisen untersucht. Übrigens, wem der Name Baron-Cohen bekannt vorkommt: Er ist der Cousin von Sascha Baron-Cohen, der uns mit Kinoklamauk wie Borat, Ali G. und Brüno beglückt hat. Das heißt jedoch nicht, dass die Studien von Simon Baron-Cohen ebenso Klamauk sind. Ganz im Gegenteil: Er gilt als einer der bedeutendsten Autismusforscher. Seine Studien sind von renommierten Kollegen verifiziert und bestätigt worden. Es lohnt sich also, dass wir uns ein wenig näher mit seiner Arbeit beschäftigen. Weltweit in der Forscherszene bekannt wurde Baron-Cohen durch seine bahnbrechende Autismusforschung, der sogenannten extreme male brain theory. Demnach stünde Autismus im Zusammenhang mit einem erheblichen Überschuss an Testosteron im Mutterleib. Der Testosteronüberschuss würde zu extrem männlichen Gehirnausprägungen führen. Das heißt: Männer sind sozusagen Autisten, wenn auch in abgeschwächter Form. Das würde so manche Beziehungskrise erklären und viele Frauen würden beim Gedanken an das Kommunikationsverhalten ihrer Männer wahrscheinlich zustimmen.

Für seine Forschungsarbeit führte Baron-Cohen gemeinsam mit Medizinerkollegen eine Langzeituntersuchung des Testosteronspiegels im Mutterleib bei 300 Schwangeren durch. Anschließend beobachtete er die Entwicklung der Kinder über einen Zeitraum von acht Jahren. Dabei stellte Baron-Cohen fest: Kinder, die viel Testosteron im Mutterleib abbekommen haben, verfügten über einen geringer ausgeprägten Wortschatz und suchten weniger Blickkontakt. Im Alter von vier Jahren waren diese Kinder weniger sozial entwickelt. Andererseits waren sie begabter darin, Muster oder Systeme zu erkennen und selbst zu entwickeln.*

Der Zusammenhang zwischen dem Testosterongehalt, dem Geschlecht und den menschlichen Verhaltensweisen wurde in vielen weiteren Studien bestätigt. So scheinen zum Beispiel Dominanzverhalten, Aggressionspotenzial, Rechenfähigkeiten, Sprachentwicklung, Kommunikationsfähigkeit, Empathie, Sozialkompetenz, vernetztes Denken und vieles mehr durch die Intensität der verschiedenen Testosteronschübe geprägt zu sein.

Welche Rolle spielt das Testosteron?

Weitgehend ungeklärt ist jedoch, in welchem Entwicklungsstadium im Mutterleib bestimmte psychische Fähigkeiten des Embryos herausgebildet werden. Auch über den Einfluss der biologischen Prägung nach der Geburt gibt es bisher keine gesicherten Erkenntnisse. Zudem sind die Abhängigkeiten der Talente und Fähigkeiten zueinander nicht eingehend erforscht. Ferner herrscht keine Klarheit darüber, wie groß der gesellschaftliche Einfluss ist. So kann ein Kind mit einem Testosteronüberschuss, das in einer Familie mit ausgeprägten sozialen Fähigkeiten aufwächst, insgesamt eine größere Sozialkompetenz entwickeln als gleichaltrige Spielkameraden. Allerdings wäre die Sozialkompetenz vielleicht noch wesentlich höher, wenn das Kind im Mutterleib deutlich weniger Testosteron mitbekommen hätte. Darüber hinaus entwickelt sich die Testosteronbildung im menschlichen Körper nach der Geburt völlig unterschiedlich. Das lässt sich am Sexualtrieb, am Haarwuchs und an den sekundären Geschlechtsmerkmalen beobachten.

Testosteron ist also kein An-Aus-Schalter. Wir können nicht sagen: »Unser Baby hatte 20 Prozent mehr Testosteron in der vierten Woche. Der Junge sollte lieber nicht auf ein sprachliches, sondern besser auf ein naturwissenschaftliches Gymnasium gehen!« Und auch die folgende Aussage ist nicht haltbar: »Unsere Tochter hat im Mutterleib zu wenig Testosteron abbekommen, das Mädchen wird nur für soziale Berufe taugen!« Allerdings ist es auch unsinnig, die Auswirkungen von Testosteron gänzlich wegzudiskutieren.

image Die Männergrippe gibt es wirklich!

Eine spannende Information für die Anhänger biologischer Erklärungsversuche: Die Männergrippe ist kein Mythos. Es gibt sie wirklich! Wenn man den Wissenschaftlern der Royal Holloway University of London Glauben schenkt, wurden Männer jahrzehntelang zu Unrecht als wehleidig abgestempelt. Die Wissenschaftler behaupten, dass viele Krankheitserreger mit Männern besonders gemein umgehen würden. Dies läge daran, dass Männer Krankheitserreger hauptsächlich über Atemwege, Fäkalien oder Geschlechtsverkehr weitergeben könnten. Frauen hingegen hätten noch weitere Verbreitungsmöglichkeiten, und zwar über die Geburt oder das Stillen. Evolutionär betrachtet, lohnt es sich für Viren und Bakterien, in weiblichen Körpern nicht ganz so aggressiv vorzugehen. Was heute nämlich ein harmloser Schnupfen oder eine Grippe ist, konnte in Urzeiten durchaus auch mal tödlich enden. Eine längere Überlebenszeit der Frau war für Viren also von großem Vorteil. Ob bei der Geburt oder beim Stillen: Nur so konnten sie sich von der Mutter auf das Kind übertragen. Das vermuten zumindest die Wissenschaftler der Royal Holloway University of London.

Aber wie kann ein Krankheitserreger das Geschlecht identifizieren? Und wieso verschont er dann alle Frauen und nicht nur Schwangere, Stillende oder Gebärfähige? Diese Fragen wurden von den Wissenschaftlern nicht beantwortet. Eventuell hat die Männergrippe ja auch eine ganz andere Ursache? Vielleicht liegt sie einfach darin, dass Männer Aufmerksamkeit brauchen und eine Krankheit einer der wenigen gesellschaftlich legitimierten Momente ist, in dem sie auch mal Schwäche zeigen können? Ich weiß, Menschen, die alles mit gesellschaftlichem Verhalten begründen wollen, können richtige Spielverderber sein. Also, belassen wir es dabei: Viren mögen Männer nicht. Das klingt besser!

Interessant ist jedoch, dass eine wichtige Tatsache oft übersehen wird: Die Höhe des Testosteronspiegels im Mutterleib sorgt zwar dafür, dass die typisch maskulinen und typisch femininen Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen unterschiedlich stark ausgeprägt werden. Allerdings sind die Testosteronwerte nicht bei allen Mädchen identisch, genauso wenig ist das bei Jungen der Fall. Konkret heißt das: Mädchen, die einer starken Testosterondosis im Mutterleib ausgesetzt waren, müssten eher männliche Eigenschaften ausbilden. Sie wären damit vom Verhalten her maskuline Frauen. Männer wiederum, die im Mutterleib weniger Testosteron abbekommen haben, würden mehr weibliche Verhaltensweisen in sich tragen. Was das Verhalten angeht, wären sie also feminine Männer. Dies ist ein sehr spannender Ansatz, den wir in unseren Beobachtungen weiter aufgriffen haben. Hieraus entsprang die Überlegung, dass wir weniger auf das optisch wahrnehmbare Geschlecht, sondern eher auf feminine und maskuline Verhaltensweisen achten sollten. Das haben unseren Studien dann auch immer wieder bestätigt.

Gesellschaftliche Einflüsse und die Geißel der Genderdebatte

Wir sind konservativer als gedacht!

Nicht alle können sich mit dem biologischen Ansatz anfreunden. Kritiker warnen davor, dass die Begründung von geschlechterspezifischen Verhaltensausprägungen Sexismus legitimieren würden. Ein solcher Missbrauch ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn ein Unternehmer sagt: »Wir brauchen einen Programmierer. Stell mal einen Inder ein, die können alle programmieren!« Oder wenn er meint: »Wir brauchen einen guten Designer. Stell mal einen Franzosen ein, die können das alle.« Dann würden wir ihn zu Recht für einen ziemlichen Schafskopf halten. Aber genau so wird bis heute in vielen Unternehmen gedacht und gehandelt. Wenn man Vertriebsmitarbeiter braucht, dann greift man auf Männer zurück: »Frauen können ja nicht gut verkaufen.« Und wenn der Kundenservice gestärkt werden soll, sagt man: »Da brauchen wir Frauen, die können einfach besser mit Menschen.« Die letzten beiden Zitate habe ich mir übrigens nicht ausgedacht. Sie stammen aus den Managementetagen zweier großer deutscher Unternehmen.

Gesellschaftliche Vorstellungen darüber, wie Frauen und Männer sein sollten, prägen bis heute die Erwartungshaltungen und damit auch das