gabal-E-book.jpg
Inhaltsverzeichnis
Aus dem Nähkästchen: Meine eigene Frustfabrik
I. Selbstorganisation
1. Produktivität: Spaß pro Zeiteinheit steigern
2. Nur keine Hektik: Das Geheimnis der richtigen Taktung
3. Aufgaben: Stellen Sie sich!
4. Organisation: Überblick gewinnen, Grundsteine legen
5. Disziplin: Den eigenen Schweinehund vom Hof jagen
6. Tagesgeschäft: Jeden Tag ein wenig strukturierter
II. Mitarbeiterführung
7. Erwartungen: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
8. Zusammenarbeit: Zwischen Gängelei und Vertrauen
9. Persönlichkeiten: Verschiedene Typen, verschiedene Bedürfnisse
10. Situativ führen: »Jetzt aber mal …«
11. Delegieren: Sichern, vertrauen, loslassen
12. Kontrolle: Genau hinsehen und dabei gut aussehen
13. Mitarbeitergespräche: Augenhöhe erzeugen
14. Gehalt und Bonus: Mehr Geld, mehr Motivation?
15. Mitarbeiterbindung: Fesseln, nicht festhalten
16. Konflikte: Es krachen lassen?
III. Unternehmensstruktur
17. Wachstumsphasen: Wenn Babys laufen lernen
18. Grundlagen der Organisation: Routine statt Drama
19. Bürokratie: Organisierte Inkompetenz
20. Routinen: Old School oder Good School?
21. Organigramm: Klare Verhältnisse statt heimliche Hackordnung
22. Optimierung von Prozessen: Standards setzen
23. Kontrollsysteme: Wer alles kontrolliert, kontrolliert nichts
IV. Mitarbeitergewinnung
24. Stellenprofile: Steinzeit oder Strategie?
25. Soft Skills: Mehr als Anzeigenpoesie!
26. Stellenanzeigen: Die Richtigen anlocken
27. Bewerbungsgespräch: Gute Atmosphäre, bessere Erkenntnisse
28. Zusage: Nicht das Team entscheidet, sondern Sie!
29. Einarbeitung: Sicherheit geben, Zufriedenheit erhöhen
30. Beförderung: Höher, schneller, weiter?
31. Trennung: Richtig Schluss machen
V. Selbstentwicklung
32. Mentale Modelle: Scheuklappen ablegen
33. Gewohnheiten: Erfolgsbremsen lösen
34. Blinder Fleck: Sehen, was das Umfeld längst weiß
35. Loslassen: Mit lockerem Zügel kommt man weiter
36. Scheingefechte: Ursachen statt Symptome bekämpfen
37. Systemische Sicht: Den Spiegel wieder zusammensetzen
Ausblick: Wie Sie sich zuverlässig nur noch ein Mal ärgern!
Anhang
Lesestoff
Über den Autor
Impressum

Aus dem Nähkästchen: Meine eigene Frustfabrik

Unternehmer und Chefs sind merkwürdige Menschen. Arbeiten sich tagein, tagaus an ihrer Firma ab – mit dem Ergebnis permanenter Unzufriedenheit. Es beginnt bereits am Sonntag gegen 15:00 Uhr. Dann poppen die ersten Gedanken hoch, wer sich morgen wieder krankmeldet. Dazu muss man wissen, wie Chefs das sehen: Jede Krankmeldung ist eine persönliche Kriegserklärung und wird nur noch durch die Nichtteilnahme an der vom Chef organisierten Weihnachtsfeier getoppt. Mir selber ging es lange Jahre genauso. Ich war das, was man allgemein als erfolgreichen Unternehmer bezeichnet. Aber ich habe mich den ganzen Tag geärgert, gerne auch schon vor dem ersten »Guten Morgen«, zum Beispiel über unsere Firmenfahrzeuge auf dem Parkplatz, die schon zu lange keine Waschanlage mehr gesehen hatten.

Dabei hätte ich eigentlich gut drauf sein können: Das Unternehmen, das ein Studienfreund und ich gleich nach dem BWL-Examen gegründet hatten, wuchs stetig und schrieb gute Zahlen. Wir hatten als Kleinstunternehmer für Gebäudemanagement angefangen. Wenige Jahre später beschäftigten wir über 100 Mitarbeiter vom Hausmeister bis zum Bauingenieur und betrieben Büros in Hamburg, Berlin und Kiel. Doch mit der Zahl der Mitarbeiter und Baustellen schienen auch Ärger und Hektik stetig zu wachsen. Woran lag das? Ein kluger Mann soll mal gesagt haben: »Wenn du Menschen führen willst, hole sie dort ab, wo sie stehen, nicht, wo sie sein sollten.« Das war mein Problem. Ich wollte immer, dass meine Mitarbeiter schon besser wären, als sie tatsächlich waren. Meine Erwartungshaltung war ein nicht versiegen wollender Quell an Ärger und Frustration, nichts anderes als eine sehr produktive, rund um die Uhr geöffnete Frustfabrik. Damit stellt sich eine Frage: Wie führe ich mein Unternehmen oder meine Abteilung so, dass ein Erfolgsprojekt daraus wird – und keine Frustfabrik?

Zu meiner Frustfabrik gehörte auch, dass ich meist in Hektik war, unermüdlich damit beschäftigt, Brände zu löschen. Eine Zeit lang gefiel ich mir in der Rolle des Machers, der »den Laden am Laufen hält«. Schließlich war ich einer der Chefs und damit per definitionem derjenige, der abends das Licht ausmacht, während alle anderen längst in der Kneipe sitzen, beim Fußballtraining sind oder sich um ihre Familie kümmern. Dachte ich jedenfalls. Um mich auch darüber irgendwann zu ärgern, vor allem weil mir aufging, dass viele der Brände, die ich so stolz löschte, durch bessere Organisation gar nicht erst entstanden wären. War es wirklich nötig, Unsummen für einen Kurierdienst auszugeben, weil Baustellen regelmäßig auf den letzten Drücker mit Material versorgt werden mussten und wir daher ein »rollendes Lager« erfunden hatten? War es tatsächlich Anlass für Macherstolz, wenn ich interimsweise auch noch die Aufgaben eines Bauleiters übernahm, der überraschend gekündigt hatte? Schließlich hatte ich im Kündigungsgespräch zu hören bekommen, wenn ich alles besser wüsste, sollte ich mal selber machen … Ein großer Teil meines Ärgers ging dafür drauf, mich immer wieder über dieselben Dinge aufzuregen. Es musste doch möglich sein, ein Unternehmen so zu organisieren, dass es nicht ständig an denselben Ecken knirschte und hakte.

Mein Ziel war klar: Ändern statt ärgern! Ich grübelte, las Bücher, diskutierte mit Experten, besuchte kluge Seminare. Doch es gab eher zu viele schlaue Tipps als zu wenige. Die eigentliche Schwierigkeit war: Was ist wirklich wichtig und praktikabel? Die Erkenntnisse, die es mir schließlich möglich gemacht haben, meine Art der (Unternehmens-)Führung zu ändern, stelle ich in diesem Buch vor. Es liefert Werkzeuge und konkrete Maßnahmen, die schnell wirken, um das Tagesgeschäft eines Unternehmens funktionsfähig zu gestalten. Denn erst wenn das Tagesgeschäft funktioniert, können Sie Ihr Aufgabenfeld grundlegend weiterentwickeln. Ob Sie eine Abteilung leiten oder ein Unternehmen: Schließen Sie Ihre Frustfabrik und werfen Sie den Schlüssel weg!

PS: Ich bin ein ungeduldiger Mensch. Sie auch? Deswegen habe ich die Dinge hier so knapp wie möglich auf den Punkt gebracht. Also: keine seitenlangen Ausführungen, sondern knackige und sofort umsetzbare Tipps. Sie können bei jedem Kapitel einsteigen, eben dort, wo es dringend ist.

foto_01.jpg
titelei.jpg
auftakt_01.jpg

I. Selbstorganisation

Mein Gegenüber, der Leiter eines mittelständischen Unternehmens, wird energisch: »Selbstorganisation!? Für mich? Nein, das klappt schon. Wichtiger ist, dass meine Mitarbeiter endlich effizienter arbeiten.« Dieser Meinung sind erstaunlich viele meiner Kunden. Ob Inhaber, Geschäftsführer, Teamleiter – viele Führungskräfte möchten, dass ihr Arbeitsalltag rundläuft und ihnen mehr Freiraum für die wirklich wichtigen Aufgaben bleibt. Wenn Sie ebenfalls davon überzeugt sind, dass vor allem die anderen den Sand ins Getriebe schütten, überspringen Sie dieses Kapitel einfach. Sie können ja jederzeit zurückblättern …

Meine Mitarbeiter sahen Organisationsprobleme ein wenig anders. In ihren Augen war ich als Chef durchaus mitverantwortlich, wenn es im Arbeitsalltag knirschte. Zum Beispiel wurde mein Urlaub jahrelang gefürchtet. Nicht etwa, weil ohne mich alles zusammengebrochen wäre, sondern aus dem simplen Grund, weil ich im Urlaub Zeit zum Lesen hatte. Nach zwei Wochen war ich mit vielen neuen Ideen wieder zurück und wirbelte eine Menge Staub auf. Bis der sich gelegt hatte, glich die Abteilung einem Marathonläufer, dem der Trainer bei Kilometer 39 einen langen Sprint verordnet und der zwischen Empörung, Resignation und Pflichtgefühl schwankt. Schnell holte uns alle der Alltag wieder ein, aber bis dahin war der Frustpegel bei einer Reihe von Leuten kräftig gestiegen, mein eigener eingeschlossen.

Ein Unternehmen ist immer auch ein Spiegel des Unternehmers. Stellen Sie sich vor, der umtriebige Richard Branson von Virgin und der Leiter Ihrer Hausbank würden irgendwann die Chefsessel tauschen. Es hat Gründe, wenn Sie sich das lieber nicht vorstellen möchten! Ein aufgeräumtes Unternehmen braucht einen aufgeräumten Chef: Je klarer und organisierter Sie selbst sind, desto klarer wird auch Ihre Organisation sein. Und das wiederum wird dazu führen, dass Sie immer seltener Anlass haben, sich zu ärgern.

1. Produktivität: Spaß pro Zeiteinheit steigern

Kleines Gedankenspiel: Würden Sie in einer größeren Runde zugeben, dass Sie momentan keinen Stress haben? Dass Sie Ihren Alltag konzentriert, aber entspannt bewältigen? Die meisten Menschen und fast alle Chefs erzählen lieber, wie viel sie zu tun haben und wie hart ihr Job ist. Permanent in Eile zu sein ist noch immer so etwas wie ein Statussymbol. Auf mysteriöse Weise hat sich die Idee verbreitet, zwischen Produktivität und Geschwindigkeit bestünde ein kausaler Zusammenhang. Doch »Gehirne beschleunigen nicht«, wie Andy Grove, Mitgründer von Intel einmal sagte (zit. n. Ridderstråle/ Nordström, S. 189). Produktivität bemisst sich nach dem Ergebnis, nicht nach der Mühe, die für das Ergebnis aufgewendet wurde.

Hase und Igel oder Entscheidend ist, was hinten rauskommt

Wahrscheinlich kennen Sie die Geschichte vom Hasen und dem Igel. Der Hase macht sich über die krummen Beine des Igels lustig. Daraufhin fordert ihn der Igel zu einem Wettlauf heraus. Der Hase willigt siegesgewiss ein. Doch der schlaue Igel hat seine Frau am anderen Ende des Ackers platziert. Der Hase rast los, aber auf der Zielgeraden reckt ihm Frau Igel keck die Schnauze entgegen und ruft: »Ich bin schon da!« Das will der Hase nicht auf sich sitzen lassen und rast wieder zurück. Dort wartet schon Herr Igel auf ihn: »Ich bin schon da!« Das Spiel wiederholt sich.

Die Geschichte endet bekanntermaßen tragisch: Der eilige Hase rast so oft hin und her, bis er tot zusammenbricht. Offenbar fragt er sich zwischendurch nicht ein einziges Mal, ob all sein Gerenne sinnvoll ist und wie es sein kann, dass der sonst so langsame Igel ihn überholt. Es ist wie im Alltag vieler Unternehmen: Zum Innehalten und Nachdenken bleibt scheinbar keine Zeit! Die Moral von der Geschicht’: Köpfchen schlägt Beine.

Ich gebe zu: Mir war der Hase immer ein bisschen sympathischer als der listige Igel. Das mag damit zusammenhängen, dass der Hase einer typisch menschlichen Krisenstrategie folgt: Wenn wir unter Druck geraten, machen wir mehr vom Selben – eine Strategie, die der Psychologe und Managementvordenker Peter Kruse schon vor Jahren kritisierte (vgl. Bußmann 2015, S. 10). Wenn die Kommunikation im Unternehmen trotz zahlreicher Meetings nicht klappt, wenn sich Pannen und Missverständnisse häufen, reagieren wir mit …? Genau: mit noch mehr Meetings, um alle ins Boot zu holen! Dort sitzen dann noch mehr Teilnehmer, die noch genervter sind, sodass noch mehr Kommunikationspannen entstehen. Oder: Wir stellen fest, dass es zu viele Schnittstellen gibt. Also suchen wir eine Assistentin, der wir vertrauen können und die die Aufgaben in unserem Sinne regeln soll, und schaffen damit eine weitere Schnittstelle. Wenn der Igel permanent vor uns in der Ackerfurche hockt, rennen wir eben noch schneller, im schlimmsten Fall bis zur totalen Erschöpfung.

Warnung: Wenn eilige Sofortmaßnahmen ergriffen werden, besteht die Gefahr, dass die Lösung zum Problem wird.

Die Technik beherrschen – oder von ihr beherrscht werden?

Oft hoffen wir auf die Technik, wenn wir beim täglich Machbaren an Grenzen geraten. Vielleicht gibt’s ja ’ne App, mit der sich etwas Sand aus dem Getriebe schaufeln lässt, etwa für Aufgabenübersichten oder Terminkoordination. Nichts gegen Apps, aber cleverer wäre es eigentlich, den Sand gar nicht erst ins Getriebe rieseln zu lassen. Inzwischen hege ich ein tiefes Misstrauen gegen vermeintlich »geniale« technische Zusatzlösungen, die installiert, aktualisiert, im Unternehmen vermittelt und koordiniert werden wollen. Auch die Kommunikation per E-Mail war einst mit der Hoffnung verbunden, dass nun alles schneller, einfacher und effizienter würde.

Inzwischen überwuchern Mails unseren Alltag und drohen jeden klaren Gedanken zu ersticken. Forscher der University of British Columbia wiesen beispielsweise nach, dass das permanente Checken von E-Mails Stress verursacht und unzufrieden macht. Dazu forderten sie Versuchspersonen auf, ihr E-Mail-Verhalten streng zu steuern: In der ersten Woche waren alle E-Mail-Benachrichtigungen zu deaktivieren und die Mails wurden nur dreimal am Tag gecheckt. In der zweiten Versuchswoche ploppten die E-Mail-Benachrichtigungen jederzeit hoch und die Probanden sollten ihre Mails so oft wie möglich checken. Jeden Nachmittag beantworteten die Versuchspersonen eine Kurzumfrage zu ihrem Wohlbefinden.

Kiffer sind effizienter als E-Mail-Junkies

Forscher am Londoner King’s College ließen zwei Gruppen bei der Arbeit gegeneinander antreten. Die eine rauchte dabei Hasch, die andere wurde durch E-Mails immer wieder unterbrochen. Die Kiffer erzielten bessere Ergebnisse (vgl. Lehky 2011, S. 48).

Sie ahnen es: Die »Ständig-Checker« waren gestresster, unkonzentrierter und unglücklicher als die »Dreimal-am-Tag-Checker«. Mehr geschafft haben sie unterm Strich sicher nicht, sie waren nur erschöpfter. Die Psychologen erklären das damit, dass wir nur begrenzte geistige Ressourcen zur Verfügung haben. Häufige Unterbrechungen machen müde. Und je müder wir sind, desto leichter lassen wir uns vertrackterweise unterbrechen (vgl. Kushlev/ Dunn 2015). Produktivität setzt daher den klugen Umgang mit den eigenen geistigen Ressourcen voraus. Wer zehn Stunden am Stück ohne Unterbrechung durch den Tag hetzt, kann seinen Arbeitsergebnissen am Ende des Tages wahrscheinlich ähnlich vertrauen wie ein alkoholisierter Autofahrer seinen Fahrkünsten.

foto_03.jpg

Verstehen Sie mich nicht falsch: An dieser Stelle folgt kein Plädoyer fürs Arbeiten auf Dope, sondern fürs Denken statt Klicken: Ich möchte meinen Tag effizient strukturieren und mich nicht von einem technischen System antreiben lassen, das mir Produktivität nur vorgaukelt, während ich in Wahrheit auf der Stelle trete.

In kleinen Schritten das Unmögliche möglich machen

Je strukturierter ich als Chef bin, desto effizienter können meine Mitarbeiter arbeiten. Sie können sich darauf einstellen, wann ich erreichbar bin. Sie können sich darauf verlassen, zugesagtes Feedback zu bekommen. Sie wissen, wann welche Meetings stattfinden und was sie dort zur Sprache bringen können. Überhaupt: Meetings, einer der Lieblingsaufreger im Job. Die allerwenigsten Sitzungen beginnen pünktlich und nicht selten ist der Chef daran nicht ganz unschuldig. Natürlich warten alle anderen höflich, wenn der Boss mal wieder »ein wichtiges Telefonat zu Ende führen musste«. Passiert das öfter, lernen die Mitarbeiter: Der Pünktliche ist hier der Dumme. »15:00 Uhr Teammeeting« bedeutet in Wirklichkeit »irgendwann zwischen 15:00 Uhr und 15:07 Uhr«. Und damit werden Sie in Zukunft als Chef in jedem Meeting ein paar Minuten vertrödeln, bis alle eingetroffen sind. »Was sind schon drei oder vier Minuten?«, fragen Sie sich möglicherweise. Das lässt sich leicht ausrechnen.

Vier Minuten pro Stunde oder Der Mist, den Kleinvieh macht

Nehmen wir an, Sie sparen pro Viertelstunde Ihres Arbeitstages eine Minute Zeit ein. Das sind …

… vier Minuten pro Stunde,

… 30 bis 35 Minuten pro Tag,

… 2,5 Stunden pro Woche,

… 10 Stunden pro Monat.

Mit anderen Worten: Wenn Sie klug mit Ihrer Zeit umgehen, kommen Sie am Freitag vielleicht wirklich mal »früher raus«. Oder Sie können sich sogar einen ganzen Tag im Monat freigeben und einfach ins Blaue fahren.

foto_04.jpg

Dasselbe gilt natürlich auch für Ihre Mitarbeiter: Eine laxe Meetingkultur – für deren Duldung oder Abschaffung niemand anderer verantwortlich ist als Sie als Unternehmer(in) oder Chef(in) – addiert sich bei acht Teilnehmern jedes Mal auf mindestens eine halbe verschwendete Arbeitsstunde. Wenn Sie im Unternehmen jeden Tag irgendein Meeting haben, macht das bei 50 Arbeitswochen 125 Stunden pro Jahr oder (bei angenommenen durchschnittlichen Kosten von 40 Euro pro Stunde) ganze 5000 Euro. Und dabei sind größere Zeitfresser wie Meetings auf Abruf oder Spontanmeetings (»Wir treffen uns alle in zehn Minuten in meinem Büro!«) noch gar nicht berücksichtigt. Wenn Sie am Jahresende ein Bündel 50-Euro-Scheine aus dem Fenster werfen sollten, wären Sie zu Recht empört. Ich rate Ihnen daher, ausgesprochen geizig mit Ihrer Zeit zu sein. Das heißt allerdings nicht »schneller arbeiten«, sondern »klüger arbeiten« – work smarter, not harder. Wie das funktioniert, ist Kernthema dieses Buches. So viel schon jetzt: Erinnern Sie sich an den Hasen und den Igel – es kommt auf die Denke an, nicht auf Schnelligkeit!

3 Tipps für Ihre persönliche Produktivität

1. Betrachten Sie Eile nicht als Gütesiegel.

Wenn Sie sich abhetzen müssen, läuft etwas falsch. Überdenken Sie Ihre Arbeitsweise, statt reflexhaft einen Zahn zuzulegen. Mögliche Sofortmaßnahmen: E-Mails nur noch zu festen Zeiten checken, Meetings ohne Rücksicht auf Verspätete mit dem Gongschlag beginnen. Nach drei Wochen hat sich das im Unternehmen herumgesprochen.

2. Zählen Sie Erbsen.

Machen Sie das vermeintlich Unmögliche – mehr Zeit und Freiraum für wirklich Wichtiges – in kleinen Schritten möglich. Nehmen Sie die vielen kleinen Zeitfresser im Alltag ins Visier und verbannen Sie sie aus Ihrem Leben. Mehr dazu im Kapitel 4.

3. Entwickeln Sie ein System, das Ihnen Spaß macht.

Nur wenn Ihre Selbstorganisation zu Ihnen passt, werden Sie sie auch durchhalten und Ihre Produktivität dauerhaft steigern. Anregungen für gutes Selbstmanagement bekommen Sie in den folgenden Kapiteln.

Videotipp

Peter Kruse: »Acht Regeln für den totalen Stillstand im Unternehmen«

Der Vortrag spießt den Alltagswahnsinn in vielen Unternehmen ironisch auf und macht deutlich, welche Denkfehler zu blindem Aktionismus führen. Kostprobe: »Die Veränderungsgeschwindigkeit auf der Beschlussebene sollte stets größer sein als auf der Umsetzungsebene. Machen Sie maximale Beschlussdynamik bei minimaler Umsetzungsdynamik!« (Regel 8) (www.youtube.com/watch?v=Ug83sF_3_Ec)

2. Nur keine Hektik: Das Geheimnis der richtigen Taktung

Heimlich stolz auf den Stress?

Früher war mein Bild von einem guten Chef glasklar: viel beschäftigt, gestresst und unentbehrlich. Eine Mitarbeiterin sagte nach dem Urlaub immer zu mir: »Gut, dass du wieder da bist. Endlich kommt wieder Ordnung ins Unternehmen.« Das fand ich super! Und damit war ich komplett auf dem Holzweg. Denn der Chef ist die letzte Person im Unternehmen, die gestresst sein darf. Wenn der Chef gestresst ist, liegt es selten an der eigenen Genialität und Unentbehrlichkeit, sondern meistens am mangelnden Delegationsvermögen und an schlechten Strukturen.

Warum ist Hektik so schlecht?

Wenn ein Chef keine Zeit hat …

… passieren Fehler – weil die Mitarbeiter den Chef nicht fragen können; der hat ja nie Zeit oder ist ständig gereizt und schlechter Laune – die Folge: Sand im Getriebe und (noch) mehr Stress,

… sinkt die Motivation aller, denn dauerhafter Stress macht keinen Spaß – die Folge: Dienst nach Vorschrift und mehr Stress (zumindest für Sie),

… werden Entscheidungen nicht genug durchdacht; ständig muss der Kurs korrigiert werden – die Folge: mehr Hektik und mehr Stress.

Hand aufs Herz:

Tragen Sie den Stress vor sich her wie eine Tapferkeitsmedaille? Wenn ja: Führen Sie den richtigen Kampf?

Was hektische Chefs und Stauverursacher gemeinsam haben

Ein Stau entsteht, wenn Fahrzeuge in einer Kolonne abbremsen müssen. Die Fahrer vorne geben immer wieder Gas und bremsen ab. Dabei tritt jeder ein bisschen stärker auf die Bremse als der Fahrer vor ihm. So entsteht ein Ziehharmonika-Effekt, bis das erste Auto zum Stillstand kommt: ein Stau, scheinbar aus dem Nichts. Wenn Sie mittendrin sind, fragen Sie sich genervt, was hier wieder los ist. Die Fahrer dagegen, die den Stau verursachen, weil sie hektisch bremsen und wieder beschleunigen, erleben die Folgen ihres kurzsichtigen Handelns nicht. Der Stau beginnt ja erst hinter ihnen, während sie selbst schon weiter sind. Der Stauverursacher bekommt kein unmittelbares Feedback und stellt sein Verhalten daher nicht infrage.

Ganz ähnlich ist es mit dem hektischen und gestressten Chef. Der denkt: »Seht her – geht doch! Man muss nur ein bisschen Druck machen.« Doch hinter ihm, bei den Mitarbeitern, herrscht hektisches Chaos, und etliche Dinge kommen zum Erliegen. Einer vornean genügt, um alle anderen aus dem Takt zu bringen. Das bekommt der Verursacher aber gar nicht mit! Als Interimsgeschäftsführer hatte ich einmal einen solchen Stauverursacher als Auftraggeber. Ehe ich michs versah, hatte ich innerhalb von vier Wochen die Kontrolle über meinen Terminkalender komplett verloren und vergaß oder verschleppte Termine, weil »von oben« ständig Hektik verbreitet wurde. Das zeigt, wie besonnen Chefs ins Getriebe ihres Unternehmens eingreifen sollten!

Das Geheimnis der Taktung

Das Geheimnis, warum Lean-Management-Unternehmen so produktiv und erfolgreich sind, ist die Taktung – eine Taktung, in der Prozesse und Aufgaben durchdacht aufeinander abgestimmt sind. Statt eines hektischen Hin und Hers, bei dem einer permanent 120 Prozent gibt und alle anderen nur 80 Prozent, weil sie abwarten, was der Hektiker da vorne gerade wieder anzettelt.

Ein Beispiel für perfekte Taktung:

Aldi hat lange komplett auf Sonderangebote verzichtet, um so eine gleichmäßige Nachfrage (Taktung) sicherzustellen. Erst der Wettbewerbsdruck anderer Discounter erzwang die Aufgabe dieser Erfolgsstrategie. Verzichten Sie auf Aktionen, die die Nachfrage stark schwanken lassen, oder auf Spontanprojekte, die alle aus dem Tritt bringen, aber wenig einbringen.

Die geringste Hektik in einem Produktionsunternehmen entsteht, wenn ich die Höhe der produzierten Menge genau auf die Höhe der verkauften Menge abstimme. Es wird eine Pumpe gekauft; erst jetzt beginnt die Produktion dieser Pumpe – genau nach Bedarf. Es entsteht keine Wartezeit, die Produktionsabläufe sind genau abgestimmt und teure Lagerhaltung wird überflüssig. Perfekt!

• Klingt unlogisch?

• Funktioniert in der Realität nicht?

• Ihr Produkt ist dafür zu komplex?

Da muss ich Sie enttäuschen. Sogar Autos werden nach diesem Prinzip gebaut. Nachdem Porsche fast insolvent war, stellte man dort in den Neunzigern die Produktion entsprechend um. So wurde Porsche zu einem der profitabelsten Autobauer der Welt. Auch wenn Sie eine hundertprozentige Taktung nicht erreichen: Es kommt wieder auf die Denke an. Je konsequenter Sie das Prinzip umsetzen, umso profitabler arbeiten Sie. Sie können sicher sein, dass beim o.g. Autobauer keiner rumrennt und die Mitarbeiter lautstark und hektisch auffordert, schneller zu arbeiten. In vielen Unternehmen dagegen regiert das permanente Chaos, überall sind Feuer zu löschen, und abends wischen sich die tapferen Chefs stolz den Schweiß von der Stirne, weil sie den ganzen Tag wieder heldenhaft Brände gelöscht haben. Dabei wäre es viel klüger, alles zu tun, damit erst gar kein Brand entsteht. Im Arbeitsprozess ist Taktung die beste Brandvorsorge.

Anregung:

Wenn es im Tagesgeschäft überall brennt, verbessern Sie den Brandschutz, nicht die Feuerwehr.

Hindernisse auf dem Weg zu einer guten Taktung lauern nicht im Arbeitsprozess selbst, sondern im eigenen Kopf. Mein Aha-Erlebnis war ein Lean-Management-Seminar bei einem großen Autobauer. Im Laufe des Tages wurden die Teilnehmer, allesamt Geschäftsführer oder hochrangige Führungskräfte, dazu verdonnert, im Raum nebenan eine Packstraße nach dem »Pull-Prinzip« aufzubauen. Pull-Prinzip bedeutet: Schritt 2 erfolgt erst, wenn Schritt 1 abgeschlossen ist; Schritt 3, wenn Schritt 2 das erfordert, usw. Ein hellsichtiger Seminarleiter platzierte mich im vorderen Bereich der Packstraße: Ich musste einen Karton falten – aber erst wenn das Pull-Signal kam (in dem Fall wurde in der Packstraße ein roter Punkt sichtbar). Ich scheiterte kläglich, faltete Kartons wie ein Weltmeister und kam mir ungeheuer produktiv vor. Nur brachte mein Kartonstapel alle hinter mir in Bedrängnis, was bald auch die Mitstreiter vor mir irritierte und aus dem Takt brachte. Das wurde erst besser, als der Seminarleiter mir buchstäblich die Arme festhielt, bis ich loslegen durfte! Nie habe ich in zwei Seminarstunden mehr gelernt: Wenn man es richtig anstellt, kann man die Dinge ruhiger angehen und gleichzeitig mehr schaffen!

3 Tipps für mehr Ruhe im System

1. Keine Ad-hoc-Organisation!

Wenn es sich nicht um einen Notfall handelt, warten Sie mit Ihren guten Ideen bis zur nächsten turnusmäßigen Sitzung. Vielleicht haben sie sich bis dahin schon wieder erledigt. Mehr Informationen hierzu auch unter »Routine statt Drama« (Kap. 18).

2. Hören Sie dem Gras nicht beim Wachsen zu!

Versuchen Sie, nicht jedes Problem schon vor Ihren Mitarbeitern entdecken zu wollen. Wie heißt es so schön: Man muss als Chef den Mitarbeitern auch mal die Chance geben, ungestört zu arbeiten.

3. Sie bestimmen über Ihre Organisation – nicht Ihre Kunden!

Der Kunde ist König, ich weiß. Dennoch: Durch grenzenlose Flexibilität glänzen zu wollen führt meist innerhalb kurzer Zeit zu grenzenlosem Chaos. Und davon haben weder Sie noch Ihre Kunden etwas.

3. Aufgaben: Stellen Sie sich!

In den Köpfen mancher viel beschäftigter Menschen geht es zu wie in einer Polit-Talkshow am Sonntagabend. Nur dass sich hier nicht Gäste permanent ins Wort fallen, sondern dass es störende Gedanken sind, die sich in die eigentliche Arbeit einmischen. Nehmen wir an, Sie sitzen an einem wichtigen Angebot für einen potenziellen Großkunden. Plötzlich schießt Ihnen durch den Kopf, dass Sie ja noch den Leasingvertrag für den neuen Dienstwagen abzeichnen müssen. Haben Sie eigentlich daran gedacht, die Buchhaltung über die Vertragsänderung zu informieren? Zwei Minuten später kommt Ihnen in den Sinn, dass Sie auf keinen Fall Ihren Hochzeitstag nächste Woche vergessen dürfen. Während Sie diesen beunruhigenden Gedanken beiseiteschieben, wird Ihnen bewusst, dass Ihre Assistentin ab übermorgen Urlaub hat und Sie vorher noch einiges mit ihr besprechen müssen. Ach ja, und wo zum Teufel waren Sie jetzt bei Ihrem Angebot?

Der Zeigarnik-Effekt

Wenn Sie das kennen, wissen Sie auch, dass man in diesem Zustand nervöser Unruhe nicht wirklich effektiv arbeitet. Trotzdem ist es schwer, den Gedankenstrom zu stoppen, insbesondere wenn eine Fülle von Aufgaben uns in Trab hält. Häufig spuken unerledigte Dinge dann hartnäckig im Kopf herum und lassen sich schwer bändigen. Für dieses Phänomen gibt es einen wissenschaftlichen Begriff: Psychologen sprechen vom Zeigarnik-Effekt, benannt nach der sowjetischen Gestaltpsychologin Bluma Zeigarnik. Sie fand in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts heraus, dass Unerledigtes uns länger im Kopf herumgeht als Abgeschlossenes. Was erledigt ist, legen wir offenbar auch mental ad acta. Was wir dagegen noch erledigen wollen, macht immer wieder auf sich aufmerksam und schießt uns durch den Kopf. Das ist durchaus sinnvoll, weil dadurch die Gefahr sinkt, dass wir etwas vergessen. Allerdings wird es extrem lästig, wenn wir permanent von eigentlich anstehenden Aufgaben abgelenkt werden.

Vom Glück der Konzentration – eine Zen-Geschichte

Eine bekannte und in vielen Varianten existierende Zen-Geschichte erzählt Folgendes: Zu einem Zen-Meister kommt ein Schüler und fragt, warum er so zufrieden und glücklich sei. Der Meister antwortet: »Wenn ich stehe, dann stehe ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich sitze, dann sitze ich, und wenn ich esse, dann esse ich.« Der Schüler ist verblüfft: »Das tue ich auch. Auch ich stehe und gehe und esse. Aber was machst du noch?« Der Meister antwortet wieder: »Wenn ich stehe, dann stehe ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich sitze, dann sitze ich, und wenn ich esse, dann esse ich.« – »Bitte treibe keine Scherze mit mir«, bittet der Schüler. »All das mache ich auch!« »Nein«, antwortet der Meister. »Wenn du isst, denkst du bereits ans Aufstehen. Wenn du stehst, bist du in Gedanken schon beim Gehen. Und wenn du gehst, siehst du dich schon am Ziel.«

Den Kopf frei bekommen