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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Kapitel 1: Start with why
Einführung
Was ist Design Thinking?
Entwicklungsgeschichte: Wie ist Design Thinking entstanden?
Design Thinking als Teil der Unternehmenskultur: Was Sie brauchen, um Design Thinking erfolgreich anzuwenden
Was bringt Design Thinking konkret?
Muster der Problemlösung: So funktioniert Design Thinking
Herausforderungen für Design Thinking als Prozess
Grenzen von Design Thinking
Vier Erfolgsfaktoren für Innovation
Vorgehensmodell: Die Phasen im Design-Thinking-Prozess
Kapitel 2: Design Thinking im Einsatz – ein Balanceakt
Einführung
Bevor Sie starten: Die zwölf Gebote des Design Thinking
Die vier Phasen im Überblick
Einkaufsliste/ Checkliste
Die Phasen in der Praxis
Kapitel 3: Design Thinking im Einsatz
Einführung
Mit Design Thinking auf Erfolgskurs
Jeder ist kreativ
Das richtige Team
Werte und Denkansätze – der Mensch im Mittelpunkt
Schwarmintelligenz
Die richtigen Informationen finden
Ideen präsentieren
Die richtige Umgebung schaffen
Regeln im Design Thinking
Kapitel 4: Design Thinking als Mindset
Einführung
Hinterfragen Sie Ihre eigenen Annahmen
Seien Sie authentisch
Informationen visuell kommunizieren
Empathische Mitarbeit
Die besten Geschichten erzählen Prototypen
Kapitel 5: Design Thinking in Prozessen
Einführung
Definition Prozessmanagement
Probleme und Herausforderungen im klassischen Prozessmanagement
Prozessmodelle im Design Thinking
Menschen in Projekten und Prozessen: Herausforderungen in Unternehmen neu begegnen
Design Thinking im Prozessmanagement: Ziele, Abläufe, häufige Fehler, Kosten
Kapitel 6: Wie Sie Design Thinking in Ihr Unternehmen einführen
Innovation ist Kultursache
Fünf Mythen über Innovation
Die »4×4 Design Thinking®«-Methode
Anhang
Literaturverzeichnis
Über die Autorin
Anmerkungen
Impressum
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Kapitel 1:
Start with why

Design Thinking – das ist doch wieder so eine Hype-Methode zur Ideenfindung, richtig? Die müssen jetzt alle Unternehmen einführen, die besonders modern und innovativ sein wollen.

Wenn Sie dieses Kapitel gelesen haben, werden Sie wissen, dass weder das eine noch das andere zutrifft. Sie werden erfahren haben, was Design Thinking genau ist – eine einzigartige Problemlösungsstrategie – und was es nicht ist – eine Wunderwaffe; was es in Unternehmen bewirken kann – dass Menschen besser zusammenarbeiten – und was nicht – dass Ideen sich wie von selbst umsetzen; welche Erfolgsfaktoren für die Einführung gelten und warum es so wichtig ist, phasenweise vorzugehen und sich gleichzeitig immer wieder von diesen Phasen zu lösen.

Herzlich willkommen im Abenteuer Design Thinking! Es wird Ihr Unternehmen auf den Kopf stellen!

Einführung

Als das iPhone im Juli 2008 die Welt revolutionierte, gab es in etwa 800 Apps. Acht Jahre später waren es bereits über 2.000.000. Einige dieser Anwendungen sind der Grund für neue Unternehmensgründungen. Der Großteil dieser Apps wurde nicht direkt von Apple entwickelt und schon gar nicht in Auftrag gegeben. Ich bin mir sicher, dass Steve Jobs bei der Entwicklung des iPhones nicht zu seinem Design-Team etwas sagte wie: »Natürlich sollten die Menschen mit diesem neuen Telefon telefonieren und Mails schreiben können. Aber vergesst nicht, dass die Menschen nach deprimierenden Meetings oder in Phasen der Langeweile Spiele spielen wollen, die süchtig machen.«

Die Macht einer wirklich originellen Idee wie die des iPhones ist, dass es ein Anstoß für eine Menge an weiteren Innovationen von anderen Menschen ist, die sich wiederum durch die neuen Möglichkeiten inspirieren lassen. Wie die Entwicklung von unzähligen neuen Apps kann dieser Prozess in alle möglichen Richtungen gehen – manchmal sogar in Richtungen, die der ursprüngliche Entwickler gar nicht im Sinn hatte. So konnte auch Gutenberg im 15. Jahrhundert, als er die Druckerei erfand, die protestantische Reformation nicht voraussehen, die er mit seiner Erfindung weniger als hundert Jahre später befeuerte. Oder dass er im Grunde damit die Basis für Unternehmen wie Amazon legen würde. Wie konnte er das auch?

Kreativität betrifft immer eine Vielzahl von Arbeiten verschiedenster Menschen, die einander meist persönlich gar nicht kennen. Der Anteil der eigenen schöpferischen Arbeit ist immer nur ein Ausschnitt eines großen kulturellen Austauschs. Wenn wir in Teams kreativ miteinander arbeiten, ist die Dynamik der Kreativität offensichtlich. Menschen, die typischerweise alleine arbeiten – etwa Schriftsteller, Künstler, Komponisten oder Naturwissenschaftler – werden alle durch die Arbeit anderer beeinflusst, sowohl positiv als auch negativ. Manches Mal kommen diese Inspirationen von Menschen aus dem gleichen Gebiet, viel öfter aber sogar von Menschen aus vollkommen anderen Bereichen.

Um Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen und Probleme auf eine neue, andere Art zu lösen, ist es unerlässlich, die eigenen Grenzen zu verlassen und über die verschiedenen Bereiche, Kulturen und Zeiten hinauszudenken. Die Dynamik, die dabei entsteht, hat eine tiefe Auswirkung auf alle Unternehmen – und vor allem auf die Menschen, die nach neuen Ideen und Lösungen suchen. Ideen ­füttern sich immer ein Stück weit selbst und gehen dann doch oft in ganz unterschiedliche Richtungen.

Vorwort

Es ist erschreckend, wie oft eine an sich gute Geschäftsstrategie – deren Zweck es ist, Maßnahmen in Richtung eines gewünschten Ergebnisses zu lenken – zu genau dem Gegenteil führt: Stillstand und Verwirrung. Strategie sollte Klarheit in ein Unternehmen bringen – sie sollte den Menschen dort als Wegweiser dienen. Die Werkzeuge, die die Führungskräfte dafür traditionellerweise nutzen, reichen jedoch über Strategie-Tabellen und PowerPoint-Kommunikation meist nicht hinaus. Und diese Werkzeuge sind völlig unzureichend für diese wesentlichen Aufgaben! Wenn Sie sich auf Kommunikation allein verlassen wollen, müssen Sie ein äußerst gewiefter Geschichtenerzähler sein. Das ist aber auch keine einfache Aufgabe, und in Wahrheit gibt es nicht viele solcher Geschichtenerzähler da draußen. Das Problem dabei ist, dass sich Worte sehr unterschiedlich interpretieren lassen, denn Worte bedeuten verschiedene Dinge für verschiedene Menschen, vor allem, wenn diese in verschiedenen Teilen des Unternehmens sitzen. Das Ergebnis: Das aufrichtige Bemühen, eine gute Strategie, die alle ansteckt, in einem komplexen Unternehmen einzuführen, bleibt oft in einem abstrakten, undefinierten Bild stecken.

Die Menschen müssen ein ganzheitliches Verständnis bekommen – ein Bild in ihren Köpfen, warum sie eine bestimmte Strategie gewählt haben und was sie damit zu erreichen versuchen. Um eine solche Strategie zu entwickeln, ist Design Thinking das Mittel der Wahl – es stellt greifbare und reale Ergebnisse sicher.

Damit Sie genau das erzielen, müssen Sie die Strategie in einer Weise beschreiben, die keinen Platz für Interpretationen offenlässt. Prototypen wie ein Szenario können Menschen helfen, Situationen zunächst emotional zu erleben. Die Strategie soll dann genau dieses Ziel erreichen. Es ist eine Sache, wenn ein Unternehmen ein neues Produkt, das es so vielleicht noch nie auf dem Markt gab, mit Worten beschreibt. Aber es ist eine ganz andere Sache, wenn das Unternehmen ein Video erstellt oder einen Prototyp generiert, den Menschen anfassen können. Beide Wege haben dasselbe Ziel, aber vollkommen unterschiedliche Ergebnisse. Wie Sie Ergebnisse erreichen, die anderen Menschen zutiefst nützen und sie überzeugen und gleichzeitig Ihr Unternehmen innovativ und erfolgreich machen, das lesen Sie in diesem Buch.

Ingrid Gerstbach

Was ist Design Thinking?

In kleinen Arbeitsgruppen diskutieren Menschen heftig und recherchieren zu allen möglichen Fragestellungen: Wie kann ein Nutzer erfassen, wie oft er bereits eine spezielle Seite in einem Buch studiert hat? Wie müsste ein neuer Ansatz aussehen, um Verweise in Publikationen zu vereinfachen? Würde es einen größeren Anreiz geben, die Hausaufgaben schnell zu erledigen, wenn die Schüler via Onlinefunktion sehen könnten, wer von den Freunden bereits daran sitzt und über den Stoff diskutiert? Sätze wie »Das geht doch gar nicht!« oder »So ein Unsinn!« wird man in diesen Gruppen nicht hören. Denn eine der Grundregeln von Design Thinking lautet: keine voreilige Kritik – alles ist möglich!

Design Thinker übertragen in einem mehrstufigen Prozess herkömmliche Lösungen auf andere Bereiche oder Themen. Sie ermitteln präzise das Bedürfnis eines Anwenders oder beobachten ein Problem genau, lösen es aus seiner momentanen Gestalt bzw. seinem Umfeld, sehen noch genauer hin, verwerfen eigene Ansichten und Vorurteile und nähern sich so dem Endziel in kleinen Schritten. Das ist in einer Welt wie der unseren – in der viele komplexe Modelle und schwer fassbare Probleme existieren, deren Lösungen niemals alle Betroffenen zufriedenstellen können – ein hilfreicher Ansatz. Scheinbar unüberwindbare Probleme wie den Klimawandel oder die Armut zu lösen, aber auch neuartige Produkte für immer anspruchsvollere Kunden zu generieren, braucht genau solche Ansätze: erfinderisches Denken mit dem Fokus auf radikalem Kundennutzen bzw. Bedürfniserfüllung. Nicht zuletzt sichern sich Unternehmen dadurch den notwendigen Wettbewerbsvorsprung.

Iterative Prozesse, wie sie dem Design Thinking zugrunde liegen, verbinden also Ergebnisoffenheit mit Lösungsfindung. Die Kreativität der vielen daran beteiligten Menschen erreicht bei Weitem mehr als die eines einzelnen Genies. Anders als andere Methoden bindet Design Thinking den Nutzer direkt in den Entstehungsprozess mit ein und stellt ihn mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt des Geschehens.

Das Ziel von Design Thinking lässt sich kurz und prägnant in einem Satz zusammenfassen: Für den Anwender oder den Kunden Nutzen schaffen und dadurch das Unternehmen in die Poleposition bringen.

Aber Achtung: Design Thinking ist nicht das Wundermittel, mit dem Sie jegliche Probleme auf einen Schlag loswerden können! Es garantiert keine Innovationen – auch wenn ich fest davon überzeugt bin, dass Sie mit Design Thinking wesentlich höhere Chancen haben, nutzerorientierte Lösungen zu finden, als mit sonst einer Methode, die ich kenne. Design Thinking wird Ihnen aber definitiv helfen, Prozesse effizienter und Unternehmen damit innovativer und wettbewerbsfähiger zu machen.

Was Design Thinking übrigens nicht ist

Tom Kelley, einer der Gründungsväter des Design Thinking, erzählt gerne immer wieder, wie Menschen reagieren, wenn er sagt, er sei Designer: Meistens seien sie hocherfreut und fragten ihn dann sofort, wie ihm die Einrichtung ihres Hauses oder ihr Outfit gefalle. Seine Antwort sei dann stets dieselbe: »Das ist nicht die Aufgabe eines Designers, wie ich ihn definiere.«

Designer im Sinne des Design Thinking haben wenig mit dem zu tun, was sich die Menschen unter einem Modedesigner, Grafiker oder Innenarchitekten vorstellen. Alle Designer, ob Design Thinker oder Innenarchitekt, haben natürlich eines gemeinsam: ein kreatives Grundverständnis. Aber alles andere unterscheidet sich deutlich. Design Thinker suchen nach schwierigen und komplexen Herausforderungen. Diese bearbeiten sie dann mit einer speziellen Methode, die es ihnen ermöglicht, schnell Lösungen zu finden, die sonst niemand zuvor gefunden hat.

Design ist mehr als Ästhetik. Und es gibt noch viele weitere, verschiedene Wege zur Problemlösung als die analytischen Methoden, die wir in den meisten Disziplinen lernen. Diese Idee ist einer der Erfolgsfaktoren für Design Thinking.

An der amerikanischen d.school werden Analytiker zu kreativen Denkern ausgebildet. Je vielfältiger die Hintergründe der verschiedenen Menschen, die zusammentreffen, sind, desto besser. Das Geheimnis liegt darin, ein Problem nicht in seiner Tiefe, sondern in seiner Breite zu verstehen.

Design Thinking als Denkrichtung ist absolut notwendig, wenn Unternehmen Innovationen auf den Markt bringen wollen. Design Thinking wird vielleicht nicht die Welt revolutionieren – aber es hat einen großen Einfluss auf die Menschen, die davon berührt worden sind und in denen es weiterlebt. Dinge müssen nicht neu erschaffen werden, es geht um die Umwandlung, um eine andere Perspektive.

Auf seine spezielle Weise ist Design Thinking ein radikaler Umbruch des Denkens: Die Idee dahinter ist, dass Kreativität fast ganz nach Belieben dank eines Prozesses abgerufen werden kann.

Design Thinking gilt als eine wissenschaftliche Methode. Das widerspricht dem, was die meisten Menschen glauben: Mit dem Begriff der Kreativität setzen sie einen göttlichen Gedanken oder einen Kuss der Muse gleich, der nur auserwählten Personen vorbehalten ist und nicht wiederholt werden, geschweige denn willentlich hervorgerufen werden kann.

Entwicklungsgeschichte: Wie ist Design Thinking entstanden?

Gründervater des Design-Thinking-Ansatzes, wie er momentan in Unternehmen angewendet wird, ist der US-Amerikaner David Kelley – ein außergewöhnlicher Typ, den Sie auf der Straße wohl kaum als Designer erkennen würden: Er läuft gerne in Flanellhemd und ausgewaschenen Jeans herum. Ein typischer American Guy.

David Kelley ist ausgebildeter Elektroingenieur und arbeitete zunächst als Entwickler bei Boeing. Dort designte er das, was er als den Meilenstein in der Geschichte der Luftfahrt bezeichnete: das Besetztzeichen der Toiletten in der Boeing 747. Er zog weiter nach Ohio, wo ihm eines Tages jemand von Bob McKim erzählte, der an der Stanford University experimentelle Psychologie im Design anwandte. Das machte David Kelley neugierig und er ging nach Stanford – wo er in Bob tatsächlich einen Mentor und guten Freund fand und seinen zweiten Universitätsabschluss in Produktdesign machte.

1978 gründete David Kelley schließlich gemeinsam mit einigen Freunden aus Stanford in Palo Alto eine Designagentur – diese Agentur entwickelte übrigens Anfang der 1980er-Jahre die berühmte Computer-Maus, die die Apple-Grafikschnittstelle steuert.

1991 fusionierte die Designagentur mit zwei anderen Unternehmen: dem von Bill Moggridge, der den ersten Laptop-Computer entworfen hatte, und dem von Mike Nuttall, der als Spezialist in der visuellen Gestaltung von Technologie-Produkten galt. Alle zusammen gründeten das Unternehmen Ideo.

Ideo hat sein Hauptquartier nach wie vor in einer Seitenstraße in Palo Alto. Es wirkt von außen wie eine unscheinbare Montessori-Schule. Innen finden Sie Unmengen an Papierblöcken, überall kleben Haftzettel, es gibt eine Ballmaschine, ein Xylofon und einen Vintage-VW-Bus, auf dessen Dach sich Liegestühle befinden. Dort ruhen sich die Mitarbeiter aus oder treffen sich mit den anderen zum Austausch.

Die Verspieltheit des Ortes ist natürlich ganz bewusst gestaltet. Der Ursprung liegt in Kelleys Überzeugung, dass alle Menschen von Natur aus kreativ sind – bis sie in Kontakt mit dem Bildungssystem kommen. Das Ziel von Ideo ist es, die Welt zu verändern – nicht mehr und nicht weniger. Das gelingt seiner Meinung nach schneller, wenn sich die Business-Welt ebenfalls ändert.

Bemerkenswert an Ideo ist, dass es sein eigenes Geschäftsmodell ständig neu erfindet. Bestanden die ersten Aufträge darin, technische Produkte für die Unternehmen des Silicon Valley zu gestalten, ging es Ideo später darum, Erfahrungen zu gestalten. Heute hat es sich David Kelley zur Aufgabe gemacht, die Hürden aus dem Weg zu räumen, die Design-Lösungen innerhalb von Unternehmen verhindern.

Aber es lief nicht immer alles glatt – Kelley hatte durchaus Probleme, seine Methode auch zu verkaufen. Die Unternehmen erkannten nicht sofort die Vorteile, die diese Methode ihnen bot.

Im Jahr 2003 hatte Kelley dann in einem Gespräch mit Ideos jetzigem CEO Tim Brown die entscheidende Idee: Sie nannten die Methode Design Thinking – das gleiche System, dieselben Prinzipien, die sie vorher in der Gestaltung von Objekten angewendet hatten, wendeten sie nun auf Erfahrungen an. Denn genau wie beim Design steht auch bei Erfahrungen immer der Nutzen für den Menschen im Fokus, und genau wie beim Design werden in den Unternehmen neben der Kundenerfahrung auch Organisationsstrukturen und Kulturen neu gestaltet. Ideo hat es durch die Anwendung der Design-Thinking-Methode geschafft, seit 1978 mehr als 1000 Patente einzureichen, und gewann seit 1991 346 Design-Auszeichnungen – mehr als jedes andere Unternehmen zuvor.

Die Erfindung der Design-Thinking-Phasen

Erst Mitte der 1980er-Jahre kam David Kelley auf die Idee, den Design-Thinking-Prozess in verschiedene Phasen zu gliedern. Zunächst ging es ihm darum, ein Verständnis für das Problem zu entwickeln. Beobachtung ist darin ein Kernelement, denn erst in der Beobachtung lernen wir zu verstehen, was tatsächlich vor sich geht. Darauf folgte das Brainstorming und das Prototyping – jeweils als eigener Schritt.

Die Klienten waren zunächst unzufrieden damit und meinten, Kelley würde herumalbern. In Unternehmen ist Zeit ein sehr wertvolles Gut, und deswegen solle er lieber gleich mit der Brainstorming-Phase starten. Kelley aber erkannte, dass es genau die vorherigen Phasen sind, in denen die großen Ideen entstehen und die so wichtig sind, um die richtigen Lösungen für das eigentliche Problem zu finden.

Der Design-Thinking-Prozess ist immer derselbe, egal, ob Sie einen neuen Musik-Service entwickeln wollen oder das Kundenerlebnis im Bankenbereich revolutionieren möchten. Der Schritt des Verstehens und Beobachtens ist deswegen so wichtig, weil Sie dabei genau erkennen, wo das Problem liegt, für das Sie eine Lösung suchen.

Dazu ein Beispiel aus unserer eigenen Praxis: Ein Hotel, das schon seit Generationen existiert und dem das Wohl der Gäste wirklich am Herzen liegt, kämpfte damit, dass die Gäste die Lobby und den Empfangsbereich zu meiden schienen. Bevor ich auf den Plan gerufen wurde, hatte das Hotel mithilfe diverser Innenarchitekten die Räumlichkeiten neu dekoriert und sogar die Möbel nach Feng-Shui-Richtlinien umgestellt. Im Rahmen der Beobachtungsphase entdeckte ich allerdings, dass es nicht die Gestaltung der Räume war, die die Leute abschreckte. Die Menschen suchten vielmehr die Nähe anderer Menschen – und die Lobby war ja immer leer. Beim Brainstorming kam dann die Idee auf, dass die Gäste ein Zuhause auf Zeit suchten. Das Ergebnis: In der Lobby wurde eine riesige Wandkarte der Umgebung aufgehängt. Hier konnten die Gäste ihre Lieblingsorte markieren. Das führte Neulinge in die Umgebung ein und sorgte zugleich für Neuentdeckungen bei Stammgästen. Die Karte machte die Gäste neugierig, diese hielten sich davor auf, markierten ihre Lieblingsorte, kamen miteinander ins Gespräch. Ein Jahr nachdem die Wandkarte aufgehängt worden war, hatte das Hotel 16,8 Prozent mehr Gäste.

Design Thinking als Teil der Unternehmenskultur: Was Sie brauchen, um Design Thinking erfolgreich anzuwenden

Seitdem ich mich mit Design Thinking bzw. dem Design von Unternehmen beschäftige, hatte ich es mit ganz unterschiedlichen Unternehmen und Herausforderungen zu tun. In diesen nunmehr fast zehn Jahren habe ich eine Menge verschiedener Projekte geleitet und mehr als 1000 Führungskräfte ausgebildet, sowohl in kleinen Unternehmen als auch in großen, multinationalen Konzernen, im privaten wie im öffentlichen Bereich.

Dabei zeigte sich:

• Design Thinking hilft Unternehmen bei der Transformation, schärft die Strategie und macht Teams fit für unterschiedliche Herausforderungen des Arbeitsalltags.

• Design Thinking macht Menschen kreativ, ohne dass sie dabei die notwendige Professionalität aus den Augen verlieren, und stärkt dadurch die Konkurrenzfähigkeit eines Unternehmens.

• Mehr und bessere Ideen in kürzerer Zeit zu generieren – indem mehr Menschen involviert werden, sodass die richtigen Dinge zur richtigen Zeit passieren –, das kann mit Design Thinking erreicht werden.

So unterschiedlich all die Unternehmen auf den ersten Blick sein mögen, die ich in den letzten Jahren betreut habe, so verbinden sie doch im Hinblick auf die Anforderungen an Design Thinking einige Aussagen:

– »Wir sind nicht anders genug. Wir schaffen es einfach nicht, innovativ zu sein.«

– »Wir stecken zu viel Zeit und Geld in Initiativen, die nicht funktionieren. Anscheinend interessiert all das unsere Kunden nicht.«

– »Wir schwimmen seit Jahren in derselben Suppe und irgendwie ändert sich so gar nichts. Wir brauchen einen neuen Anstoß.«

– »Der Markt, in dem wir agieren, ist schon lange gesättigt. Es ist sehr schwer, hier Wachstumsmöglichkeiten zu finden.«

– »Wie können wir Design Thinking in unsere risikoscheue, von Informationen und Daten abhängige Firma bringen?«

– »Wie können wir unsere Ängste überwinden und mehr experimentieren – dabei auch mal falschliegen – und stetig lernen in diesem Markt?«

Wenn Ihnen irgendeine dieser Aussagen bekannt vorkommt, dann werden Sie in diesem Kapitel sicherlich hilfreiche Gedanken und Methoden finden.

So entwickeln Sie eine Erfahrung, die den Bedarf Ihrer Kunden einzigartig erfüllt

Der Kaffeemarkt ist heiß umkämpft. Mit seinen bunten Kaffeekapseln und dazugehörigen Maschinen hat Nespresso dennoch einen Megatrend ausgelöst. In 270 sogenannten Boutiquen in 50 Ländern weltweit werden die Kapseln bereits vertrieben: Luxus für die Massen, George-Clooney-Feeling im Büro. Dabei war der Beginn alles andere als einfach und wahrlich kein innovativer Meilenstein!

Tatsächlich hätte das Desinteresse der Nestlé-Verantwortlichen anfangs auch nicht größer sein können. Zu Beginn wurde die Erfindung des Ingenieurs Eric Favre sogar noch belächelt! Ein System, das Wasserdampf mit Druck durch kleine Kaffeekapseln presst – keine Chance auf dem Markt, so hieß es. Zeitweise verboten seine Führungskräfte dem Ingenieur sogar, an dem Gerät weiterzuarbeiten. Favre hielt jedoch an seiner Idee fest und wurde 1986 vom Firmenchef schließlich beauftragt, das neu gegründete Unternehmen Nespresso zu managen. Von 2005 bis 2006 wuchs der Umsatz um 42 Prozent und betrug 2010 schon 3,2 Milliarden Schweizer Franken bei einem Verkauf von 4,8 Milliarden Kaffeekapseln1. Weltweit werden pro Minute ca. 12.300 Nespresso-Kapseln verbraucht.

Was steckt hinter dem Nespresso-Phänomen? Was ist passiert, dass Nestlé über Jahre hinweg einen solchen Markterfolg verzeichnen konnte? Kaffee ist das beliebteste Getränk weltweit. Im Jahr werden mehr als 400 Billionen Kaffee-Getränke konsumiert, Tendenz steigend2. Dank der Globalisierung gibt es auch einen Trend zu immer mehr und neuen Kaffeesorten. Der Besitz einer Espresso-Bar in den eigenen vier Wänden, um dort den perfekten Kaffee zu genießen, steht auf der Wunschliste vieler Menschen ganz oben.

Hier setzt Nespresso an – und verschafft seinen Kunden eine ganz besondere Erfahrung. Sie beginnt bereits beim Betreten einer sogenannten Nespresso-Boutique. Jeder, der sich für Design und für Kaffee interessiert, hat dort seine wahre Freude: Die bunten Kaffeekapseln sind perfekt in Szene gesetzt und neben Hightech-Maschinen als Teil eines einzigartigen Brühsystems wunderbar präsentiert. Ein sogenannter Coffee Ambassador unterstützt die Kunden bei der Auswahl ihres Kaffees, indem er sie den Kaffee so lange probieren lässt, bis sie ihre perfekte Mischung gefunden haben. Der Kauf einer Nespresso-Maschine ist der Startschuss für ein tägliches Kaffee-Ritual und eine Mitgliedschaft im Nespresso-Club. Mitglieder bekommen Zugang zu besonderen Angeboten und einem Kundenservice, der ihre Bestellungen gerne telefonisch oder in einer Boutique entgegennimmt. Auch der Umweltproblematik hat sich Nespresso angenommen und versucht, mit einem Kapsel-Recycling-Programm keine allzu großen ökologischen Fußabdrücke zu hinterlassen. Unter dem Strich: Nespresso bietet vom ersten Moment an eine außergewöhnliche Kundenerfahrung – vom ersten Besuch in der Boutique bis hin zur exklusiven Mitgliedschaft, bei der der Kunde und sein Bedarf im Vordergrund stehen.

Nespresso stellt sich damit in eine Reihe mit Erfolgsunternehmen wie Apple, Nike, Procter & Gamble, IKEA, Nintendo und vielen anderen. Wenn Sie all diese Unternehmen miteinander vergleichen, werden Sie drei Gemeinsamkeiten entdecken:

1. Diese Unternehmen haben ein ganzheitliches Verständnis vom Konsumenten und seinen wahren Bedürfnissen gewonnen.

2. Sie bieten eine Erfahrung, die den Bedarf der Kunden einzigartig erfüllt.

3. Ihre Strategie fokussiert sich darauf, die langfristige Vision zu erreichen.

Das alles sind Faktoren, die die Konkurrenten im Wettbewerb weit abhängen und einen sehr großen Vorsprung ermöglichen. Eine klare Strategie und ein dementsprechender Umsetzungsplan machen letztendlich den entscheidenden Unterschied aus. Unternehmen brauchen dazu nicht einmal besonders kreativ oder innovativ zu agieren.

Es geht einzig darum, den Fokus auf den Kunden und seinen Bedarf zu richten und dies zu einem unverrückbaren Baustein Ihrer Unternehmenskultur zu machen.

Die drei oben genannten Faktoren sollten als eine Einheit auftreten, um besonders effektiv zu sein. Es reicht nicht, wenn Sie zwar eine einzigartige Erfahrung anbieten, die aber dann doch nicht den Bedarf des Kunden erfüllt. Genauso wenig hilft es, sich zwar von der Konkurrenz abzugrenzen, aber die Strategie nicht konsequent zu verfolgen – selbst wenn Sie den Kunden in den Fokus stellen.

Unternehmen können diese drei Faktoren als eine Art Rahmen betrachten, der sie dabei unterstützt, ein tieferes Verständnis für den Bedarf des Kunden zu entwickeln, eine Erfahrung für den Nutzer zu schaffen, die für ihn von Bedeutung ist, und eine einfache Strategie zu erarbeiten, die mit klaren Umsetzungsschritten die Vision anvisiert und erreichbar macht.

In meiner Beratungsarbeit habe ich bereits mit großen Konzernen sowie mit kleinen Unternehmen durch das Zusammenspiel dieser drei Faktoren nicht nur Wachstum erreichen können, sondern auch langfristig zu einer neuen Innovationskultur beigetragen.

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Empathie

Design Thinking beginnt und endet immer mit dem Menschen im Fokus. Es geht darum, wirklich zu verstehen, was der tatsächliche Bedarf Ihres Stakeholders ist, und den Menschen in seiner Ganzheit zu betrachten.

Dieses Verständnis trägt dazu bei, das »Missing link« zu finden zwischen dem, was der Nutzer wirklich braucht/ will, und dem, was gerade angeboten werden kann. Diese Lücke bietet eine Möglichkeit, für Menschen etwas zu entwickeln, das ihnen das Leben vereinfacht oder verschönt.

Marktforschung und quantitative Forschungen greifen dabei zu kurz. Diese Methoden eignen sich, wenn Sie gewisse Faktoren wie die Demografie oder die Gewohnheiten einer speziellen Stichprobe abfragen wollen, aber Sie werden dadurch niemals Empathie bzw. ein echtes Verständnis für die Bedürfnisse anderer aufbauen können.

Marktforschungsergebnisse werden Ihnen nicht verraten, welcher Motivation Ihre Kunden folgen, was diese tatsächlich brauchen. Wenn Sie Ihren Nutzer wirklich verstehen wollen, werden Sie nicht umhin kommen, ihn ganzheitlich zu betrachten und nicht nur das anzusehen, was er momentan konsumiert.

Wenn Sie den Betrachtungsradius ausweiten, anstatt ihn enger zu ziehen, werden Ihnen sofort neue Möglichkeiten und Wege begegnen, an die Sie anderenfalls kaum gedacht hätten.

Empathie ermöglicht Ihnen, die Rolle des Menschen im jeweiligen System zu betrachten und nicht nur den Konsumenten oder den Mitarbeiter in ihm zu sehen. Das wiederum erschafft ein neues Potenzial, Wertvolles für alle Stakeholder zu schaffen, die in diesem System agieren.

Dieser erste Faktor wird Ihr Repertoire um ein Vielfaches erweitern und vor allem neue Möglichkeiten sichtbar machen: In meiner Beratungstätigkeit erlebe ich immer wieder, wie die Menschen entdecken, dass sie das Problem vielleicht nicht richtig definiert haben oder dass sie wesentliche Teile übersehen haben. Deshalb hilft dieser Prozess auch enorm, das ganze Team zu mobilisieren und zu inspirieren. Er gibt den Menschen wieder einen Sinn für ihre Arbeit.

Das Konzept bzw. die bahnbrechende Idee

Um überhaupt neue Konzepte zu entwickeln, die das Potenzial haben können, den Markt zu revolutionieren, müssen Sie sich zunächst erlauben, neue Ideen zu denken – auch jene Ideen, die vielleicht außerhalb der Grenzen des bislang Gedachten liegen. Wenn Sie sich aus Ihrer Komfortzone begeben und bekannte bzw. einfache Ideen ausklammern, werden Sie einer neuen Dimension an Möglichkeiten begegnen. Erst wenn Sie den Fokus auf den Bedarf lenken, den Sie erfüllen wollen, werden die momentanen Lücken sichtbar. Erlauben Sie sich, in neuen Bahnen zu denken, die Dinge mehrdimensional zu betrachten und größere, waghalsigere Ideen zu haben.

Nehmen Sie sich die Zeit, und überlegen Sie gemeinsam im Team, wie Sie die Prozesse vereinfachen oder aufsetzen können, sodass das Unternehmen am meisten Wert daraus erhält, bevor Sie teuer in die nächstbeste Sache investieren, in der Hoffnung, dass Sie daraus den erhofften Nutzen ziehen können. Sie bekommen durch Design Thinking eine Vision, die neue Möglichkeiten aufzeigt und die den eigentlichen Wert eines Unternehmens um ein Vielfaches steigert.

Die Strategie, die die Vision erfüllt

Wenn Sie in Ihrem Unternehmen mit den Prinzipien des Design Thinking arbeiten, werden Sie neben optimierten Prozessen und effektiven Lösungen zugleich Ihre Strategie schärfen. Viele Unternehmen kommen mit dem Problem zu mir, dass sie zwar wissen, dass sie etwas ändern müssen, und auch Ideen haben, was das sein könnte – aber ihnen fehlt einfach der Blick dafür, wie das Ganze nun mit dem Unternehmen zusammenpassen könnte. Deswegen ist die Strategie eines Unternehmens und vor allem seine Vision, die hinter allem steht, so wichtig für den zukünftigen Erfolg des Unternehmens.

In diesem Schritt werden Sie die neue Vision in eine neue Strategie überführen können, indem Sie definieren, wie die Lösung die Stakeholder tatsächlich unterstützen wird. Es hilft nichts, wenn Sie noch so gute Ideen haben, solange Sie es nicht schaffen, diese guten Ideen in eine Strategie umzuwandeln.

In unserem Unternehmen definieren wir eine erfolgreiche Strategie als eine einzigartige Kombination verschiedener Unternehmensprozesse und -aktivitäten in einem System.

Haben Sie einmal die Strategie definiert, bekommen Sie einen klaren Fokus auf das, was Sie wirklich brauchen, damit diese Strategie auch aufgeht und Ihrer Vision dient.

Was bringt Design Thinking konkret?

Das industrielle Zeitalter bietet uns viele verschiedene Möglichkeiten, unter anderem, qualitativ hochwertige Produkte zu einem akzeptablen Preis anzubieten. Das hat zu dem geführt, was Horst Rittel3 »Wicked Problems«, auf Deutsch »vertrackte Probleme«, genannt hat: Probleme, die sozialer oder kultureller Natur sind und entweder unvollständige oder widersprüchliche Erkenntnisse liefern, zahlreiche Menschen und Meinungen betreffen, eine große wirtschaftliche Belastung darstellen oder mit anderen Problemen verflochten sind – etwa Armut, Bildungsproblematiken oder Fehlernährung. Diese Probleme sind in der Regel an die politischen Entscheidungsträger ausgelagert, betreffen aber alle von uns.

Die Welt ist voller vertrackter Probleme, aber auch die Unternehmen haben – infolge der Globalisierung – mit neuen Herausforderungen zu kämpfen. Die meisten kennen diese Liste bereits aus eigener, leidiger Erfahrung: schwierige Kunden, neue Märkte, Stakeholder mit verschiedenen Ansichten und Meinungen, regulatorische Bedingungen, Preiskämpfe, Konkurrenz, die wenig zu verlieren und viel zu gewinnen hat, etc.

Das Unternehmen Neutron und die Stanford-Universität befragten im Jahr 2008 die 1500 größten Unternehmen in den USA nach ihren wichtigsten Herausforderungen. Natürlich standen auf der Liste ganz oben die üblichen Verdächtigen, wie beispielsweise Wachstum. Aber überraschenderweise zeigte sich, dass auch Fragen, wie die Kundenzufriedenheit mit der Strategie in Einklang zu bringen ist oder wie Nachhaltigkeit sichergestellt werden kann, vorkamen4:

1. Langfristige Ziele und kurzfristige Nachfragen ausbalancieren

2. Renditen von innovativen Konzepten vorhersagen

3. Bei immer schneller sich ändernden Bedingungen Innovationen hervorbringen

4. Weltklasse-Talente für die Zukunft gewinnen

5. Wirtschaftlichkeit und soziale Verantwortung kombinieren

6. Margen in einem standardisierten Markt halten

7. Multiplikatoreffekte durch die Zusammenarbeit über Silos hinweg erreichen

8. Noch nicht geltend gemachte, aber profitable Märkte identifizieren

9. Antworten auf die Herausforderung der Öko-Nachhaltigkeit finden

10. Strategie auf die Kundenerfahrung ausrichten

Grund für die neuen Herausforderungen, mit denen Unternehmen mehr und mehr zu kämpfen haben, ist sicherlich, dass Kunden sich emanzipiert haben und mehr Service für selbstverständlich halten. Die Transparenz, die durch das Internet geschaffen wurde, ermöglicht eine neue Präsenz, schafft aber andererseits auch Konkurrenz jenseits der Ländergrenzen.

Die Welt der Unternehmen ändert sich, und entsprechend müssen Unternehmen ihre Einstellung grundlegend ändern. Innovationen ohne Emotionen sind uninteressant, Produkte, die nicht ästhetisch sind, sind langweilig, und ein Unternehmen ohne ethisches Mindset ist untragbar. Kunden bestimmen die Produkte maßgeblich mit, Jobs sind inzwischen Statements und Ausdruck eines Lebensgefühls, die Konkurrenz kann nur noch schwer kontrolliert werden, weniger Features sind besser als mehr, Design bestimmt das Produkt, zu viel Werbung vergrault die Kunden, Demografie spielt keine Rolle mehr, Bedeutung zählt mehr als Geld, Empathie schlägt Logik. Die Herausforderung für Unternehmen liegt nun darin, schnell genug in diesem Wandel zu agieren. Das Managementmodell, das uns bis hierher gebracht hat, endet auch an dieser Stelle. Um erfolgreich zu sein, braucht es ein neues Modell.

Design Thinking hat in meinen Augen das Zeug dazu, Managementmethoden wie Six Sigma vom Thron zu stoßen. Nicht nur im Marketing und in der Entwicklung, sondern auch in den Prozessen und in der Unternehmenskultur bringt Design Thinking neue Ansätze und ändert die Regeln. Design bewegt Innovationen, Innovationen kreieren Marken, Marken schaffen Loyalität, und Loyalität wiederum bringt den Profit. Sie sehen: Wenn Sie erfolgreich sein wollen, müssen Sie in Design investieren – nicht in Technologien.

Muster der Problemlösung: So funktioniert Design Thinking

Die Herausforderungen, denen Designer bei ihrer kreativen Arbeit gegenüberstehen, ähneln sehr stark denjenigen anderer Unternehmen: Beide müssen Wege finden, komplexe Probleme auf möglichst einfache und effiziente Weise zu lösen. Designer haben damit viel Erfahrung, und deshalb eignet sich ihre Methode – das Design Thinking – auch für andere Unternehmen.

Wie lösen Menschen Probleme?

Um die komplexen und manchmal rätselhaften Bereiche der verschiedenen Design-Thinking-Praktiken zu verstehen, ist es wichtig, diese Methode als Reaktion auf einen besonderen Bedarf zu verstehen: Das Herz von Design Thinking ist grundsätzlich – und unabhängig von den verschiedenen Arten der Argumentation (ob analytisch oder kreativ) – ein besonderes Denkmuster, das Menschen bei der Problemlösung anwenden.

Sehen wir uns aber zunächst an, wie Menschen generell Probleme lösen. Roozenburg stellte 1995 bereits eine einfache Formel dazu auf:

WAS (Sache/ Produkt/ Service) + WIE (Prinzip/ Lösung) führt zu einem ERGEBNIS (Nutzen)

Wenn wir ein Ergebnis durch Deduktion erreichen, also durch Schlussfolgerungen vom Allgemeinen auf das Spezielle, kennen wir bereits im Vorfeld das »Was« (die »Sache« in einer bestimmen Situation, auf die wir uns konzentrieren) und wir wissen, »wie« damit gearbeitet wird. Das ermöglicht uns, Ergebnisse mit einer großen Wahrscheinlichkeit vorherzusagen. Wenn wir zum Beispiel wissen, dass es Sterne am Himmel gibt (»Was«) und wir eine grundlegende Ahnung von den Naturgesetzen haben, die ihre Bewegungen bestimmen (»Wie«), können wir den genauen Standpunkt eines Sternes an einem bestimmten Punkt in der Zeit vorhersagen.

WAS + WIE führt zu ???

Bei der Induktion (Schlussfolgerung vom Speziellen auf das Allgemeine) kennen wir wiederum das »Was« der Situation (Sterne) und kommen durch Beobachtungen zu einem bestimmten Ergebnis (Positionsänderungen über den Himmel). In diesem Fall kennen wir also das Ergebnis nicht, aber das »Was« (die Sterne) und das »Wie« (durch Beobachtung). Wenn wir ein Ergebnis bekommen wollen, müssen wir beobachten. Das ermöglicht die Bestätigung einer Hypothese. Dieser Vorgang ist an und für sich schon ein kreativer Akt.

WAS + ??? führt zu einem ERGEBNIS

Im Grunde genommen werden so Hypothesen gebildet – und in kritischen Experimenten widerlegt. Diese Tests werden durch Deduktion angetrieben. Das induktive Denken ermöglicht uns Entdeckungen, während das deduktive Denken die »Rechtfertigungen« dafür liefert. Diese beiden Formen des analytischen Denkens unterstützen Menschen dabei, verschiedene Phänomene in der Welt vorherzusagen und erklären zu können.

Nur: Wie sieht das Ganze aus, wenn wir vor allem Nutzen und Wert für andere Menschen entwickeln wollen – wie es in den meisten produktiven Disziplinen der Fall ist? Dann ändert sich die Gleichung auf subtile Weise: Das Ende ist jetzt nicht mehr eine Tatsache, sondern wird durch das Erreichen eines bestimmten Wertes ersetzt.

WAS (Sache) + WIE (Lösung) führt zu WERT (Nutzen)

Die grundlegende Argumentation bei dieser Art des produktiven Denkens ist also die Abduktion – ein Vorgang, in dessen Rahmen die erklärende Hypothese erst gebildet wird.

Abduktion wird oft dann verwendet, wenn es darum geht, konventionelle Probleme zu lösen. Dabei ist uns sowohl der Wert bekannt, den wir erzielen müssen, als auch das »Wie«, die »Arbeitsweise«, die dazu beiträgt, diesen Wert tatsächlich zu erzielen. Das »Was« (ein Objekt, eine Dienstleistung, ein System) fehlt uns allerdings zur Definition des Problems und auch des möglichen Lösungsraumes, innerhalb dessen eine Antwort gesucht wird.

??? + WIE führt zu einem WERT

Und genau das ist es, was Designer und Ingenieure machen – sie entwickeln ein Design aufgrund eines bekannten Arbeitsprinzips innerhalb eines festgelegten Szenarios. Diese Form wird auch »geschlossene« Problemlösung genannt und ist das, was Unternehmen in vielen Bereichen tagtäglich tun (siehe Dorst, 2006).

Die andere Form der Abduktion ist aber komplexer, weil wir nur das Ergebnis kennen, das wir erreichen wollen. Diese »offene« Form der Argumentation ist enger mit dem konzeptionellen Design verbunden.

??? + ??? führt zu WERT (Nutzen)

Das bedeutet, dass die Herausforderung bei der zweiten Form der Abduktion vor allem darin liegt, das »Was« zu entwickeln, obwohl wir nicht wissen, wie das »Wie« aussehen kann.

Rückwärts denken: Vom »Wie« zum »Was«

Es gibt viele Möglichkeiten, auf diese Herausforderung zu reagieren, das »Was« und das »Wie« zu entwickeln. Zum Beispiel können wir versuchen, diese beiden Variablen willkürlich zu erraten, bis wir ein passendes Paar gefunden haben, das zu dem angestrebten Wert führt.

Aber viel besser und effizienter ist es, wenn wir eine bewusste Strategie anwenden, um damit die komplexe Herausforderung zu meistern, das »Was« und das »Wie« zu finden. Diese Strategie ist ein sogenannter Rahmen.

Das Wort »Rahmen« wird oft in der Design-Literatur verwendet und steht für eine bestimmte Art, Standpunkte zu entwickeln, von denen aus man das Problem betrachtet (Schön 1983).

Obwohl Rahmen häufig anhand einer einfachen Metapher umschrieben werden, sind sie vielmehr sehr komplexe Anweisungen, zu denen sowohl die spezifische Wahrnehmung einer Problemsituation gehört als auch die (implizite) Annahme bestimmter Konzepte, um die Situation zu beschreiben – ein Arbeitsprinzip, das die Lösung untermauert, aber auch die Schlüsselthese: Wenn wir das Problem von diesem Gesichtspunkt aus angehen und die Arbeitsweise, die mit dieser Sichtweise verbunden ist, anpassen, dann werden wir den erwünschten Wert erreichen.

Eine Sache zu entwickeln (einen Gegenstand, einen Service oder ein System) und die passende Arbeitsweise dafür zu finden (das »Wie«), sind die zentralen Herausforderungen für Design-Thinking-Experten. Der logische Weg, sich dieser komplexen Problemsituation zu nähern, ist es, rückwärts zu arbeiten: Dazu starten wir bei der einzigen bekannten Variablen in der Gleichung, dem »Wert«. Diese Vorgehensweise ist eigentlich eine Form der Induktion – wir argumentieren weg von den Konsequenzen. Sobald ein glaubwürdiger, vielversprechender oder zumindest möglicherweise interessanter Rahmen vorgeschlagen wird (das »Wie«), können wir mit der Gestaltung der Sache, des »Was«, beginnen und alle Fragezeichen in der Gleichung beseitigen. Nur vollständige Thesen können dem Test unterzogen werden, ob sie denn auch in der Realität funktionieren. Der nächste Schritt ist wieder eine Argumentation nach vorne, mithilfe der Deduktion, um zu sehen, ob das »Was« kombiniert mit dem »Wie« tatsächlich den erwünschten Wert erreicht. Bis dahin müssen wir so lange testen und ausprobieren, bis die Gleichung aufgeht.

Die verschiedenen Arten, wie Menschen Probleme lösen, sind sich also sehr ähnlich. Während in der Analyse vor allem auf Deduktion und Induktion gesetzt wird, liegt bei der Problemlösung der Fokus auf der Abduktion, also dem Vorgang, in dessen Rahmen wir zu einer Erkenntnis gelangen. Wie Sie sehen, sind die Unterschiede nicht eindeutig.

Design Thinking ist eine Mischung aus verschiedenen Arten des Denkens: Genauso wie Sie dazu Problemlösungskompetenz brauchen, ist das analytische Denken notwendig, um zu überprüfen, ob die vorgeschlagene Lösung überhaupt funktionieren wird.

Herausforderungen für Design Thinking als Prozess

Herbert Simon brachte 1969 bereits den Ball ins Rollen, indem er Design als einen Vorgang des Denkens beschrieb. Richard Buchanan nahm diesen Ansatz 1992 auf und setzte ihn in seinem wichtigsten Artikel, »Wicked Problems in Design Thinking«, um: Design sollte ab jetzt dazu eingesetzt werden, außerordentlich komplexe und schwierige Herausforderungen zu lösen.

Doch wie kann Design Thinking tatsächlich in dieser komplexen Welt Nutzen bringen? Im Einsatz für neue Produkte, neue Nutzererfahrungen oder für neue Strategien?

Design Thinking kann ein Unternehmen meiner Erfahrung nach am besten dabei unterstützen, sich so aufzustellen, dass es bereit für Innovationen ist.

Die neue Herausforderung

Die Einführung eines neuen Produkts, das den anderen Produkten eines Unternehmens ähnelt, wird in der Regel als positiv gesehen, da es neue Einnahmen produziert. Aber dieses neue Produkt bringt in den seltensten Fällen eine neue, sinnvolle Änderung im Unternehmen – denn die Art und Weise, wie Menschen zusammenarbeiten, ändert sich dadurch nicht.

Natürlich ist die Einführung von etwas Neuem immer besorgniserregend: Das Produkt könnte am Markt scheitern. Das wäre nicht nur peinlich, sondern vor allem auch teuer. Es könnte zur Konkurrenz der bereits vorhandenen Produkte werden – das erzeugt ebenfalls Angst. Designer lassen sich aber von diesen Bedenken nicht blockieren. Ihre Aufgabe ist es, Neues zu erschaffen und die weitere Wirkung anderen zu überlassen – etwa den Leuten in Marketing und Sales.

Je komplexer und weniger greifbar dieses neue Produkt ist, desto nötiger wird eine Änderung im Denken innerhalb des Unternehmens. Denn die Wellen-Effekte zu ignorieren, die automatisch bei neuen Produkten einsetzen, rächt sich schnell. Betrachten Sie folgendes Beispiel: Vor ein paar Jahren noch war es vollkommen normal, in eine Bank zu gehen und dort seine finanziellen Dinge zu regeln. Nun wurden aber innovative Wege gesucht, um unter 30-Jährige dazu zu bewegen, sich mehr mit Bankprodukten anzufreunden. Der Standardansatz wäre, ein spezielles Produkt auf herkömmliche Weise zu entwerfen und zu vermarkten. Aber das funktioniert nicht. Viel wichtiger wäre es, eine neue Art der Kundenerfahrung zu fokussieren und breiter auf die Aufklärung der Menschen über langfristige Finanzplanung zu setzen. Nun hat sich aber auch im Laufe der Zeit die gesamte Kommunikation verändert, und anstatt Kurse anzubieten, die im besten Fall noch online stattfinden, müssen mehrere Kanäle bespielt werden. Dieser Ansatz stört aber den Status quo und die vorhandenen Prozesse des Unternehmens, denn es erfordert nicht nur neue Produkte, sondern ein gänzlich neues Denken. Jeder Aspekt des Unternehmens muss für den neuen Service – der dazu bestimmt ist, den Teilnehmern zu helfen, dass sie sich entwickeln und ihre Bedürfnisse stillen – neu gestaltet werden.

Wenn es um sehr komplexe Artefakte wie die Entwicklung eines selbstfahrenden Fahrzeugs geht, müssen die Automobilhersteller mit Technologieanbietern, Regulierungsbehörden, Stadt und Dienstleistungsunternehmen auf neue Weise zusammenarbeiten – mit ganz neuen Verhaltensweisen. Wie können die Versicherer das Risiko analysieren? Wie können Daten von selbstfahrenden Autos gesammelt werden, ohne dabei die Privatsphäre der Fahrzeughalter zu verletzen? Natürlich schüchtern solche Gedanken in dieser Größenordnung ein! Kein Wunder, dass viele wirklich innovative Strategien und Systeme am Ende irgendwo in einem Regal landen.

Entwicklung von Interventionen

Intervention wuchs organisch aus dem iterativen Prototyping und gab dem Design-Thinking-Prozess die Möglichkeit, die Reaktionen der Kunden auf ein neues Artefakt besser zu verstehen und vorherzusagen. Der traditionelle Ansatz würde eine neue Produktbeschreibung auf Basis von Marktforschung bringen. Danach arbeiten die Produktentwickler hart daran, ein großartiges Design zu schaffen, damit das Unternehmen das neue Produkt am Markt launchen kann. Design Thinking geht aber weiter und zwingt das Unternehmen dazu, den Nutzer zu verstehen, indem tiefer gegraben und nicht nur ein kurzer Blick auf die statistischen Auswertungen geworfen wird. Anders wird es nicht möglich sein, die Reaktion der Nutzer vorherzusagen. Mit einem sehr geringen Aufwand wird ein Prototyp erstellt, um möglichst frühzeitig Feedback zu bekommen. Das Produkt wird durch die Wiederholung des Prozesses in kurzen Zyklen stetig verbessert, bis der Nutzer wirklich überzeugt und begeistert ist.

Prototyping ist ein Schlüsselelement im gesamten Design-Thinking-Prozess und ein sehr effektiver Weg, um die finanziellen und organisatorischen Auswirkungen auf eine neue Entwicklung im Auge behalten zu können. Aus Angst vor dem Unbekannten werden oft neue und vielversprechende Ideen im Keim erstickt. Dank des Prototyping kann das Team aber mehr Vertrauen aufbauen. Das ist wichtiger als das Design an sich.

Wollen Unternehmen mit Design Thinking arbeiten, werden oft Bedenken geäußert wie:

– »Das adressiert doch nicht das eigentliche Problem!«

– »Diese Art, Probleme zu lösen, kann doch nicht Ihr Ernst sein!«

– »Das ist nicht das, was unsere Marktforschung sagt!«