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Für meine Kinder
Antje, Felix und Sarah

und für Alexander

Wolfgang J. Linker

Kommunikative
Kompetenz:
Weniger ist mehr

Die Mikromuster der
Impuls-Kommunikation

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Lektorat: Susanne von Ahn, Hasloh

Umschlaggestaltung: Martin Zech, Bremen | www.martinzech.de

Coverfoto: Volker Moehrke/ zefa / Corbis

Illustrationen: Kim Fischer, Dollerup

©2013 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Das E-Book basiert auf dem 2009 erschienenen Buchtitel "Kommunikative Kompetenz" von Wolfgang J. Linker, ©2009 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

ISBN Buchausgabe: 978-3-89749-913-3

ISBN epub: 978-3-86200-909-1

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Inhaltsverzeichnis

  1  Für den eiligen Leser

  2  Über das Kommunizieren – oder: Wie funktioniert Impuls-Kommunikation?

2.1    Eine Geschichte vorab: Willkommen, Mr. Chance!

2.2    Impuls-Kommunikation: Kommunikation ist Wirkung, nicht Absicht

2.3    Zum Mikrolernen von Mikromustern

2.4    Über das Lernen: Von der ABC-Methode, vom Autofahren, Nähen, Zeichnen und anderen Fertigkeiten

2.5    Über das Handwerk: Stephen King, Stanley Kubrick, Alfred Hitchcock und der Werkzeugkasten der Impuls-Kommuniation

  3  Das Hand- und Mundwerkzeug – Teil 1: Das magische Quartett der Mikromuster

3.1    Der Blickkontakt image

3.1.1    Können Blicke töten?

3.1.2    Wenn der Blickkontakt schadet: Effizienz, Effektivität und Flexibilität von Mikromustern

3.2    Die Stimmmuster image

3.2.1    Glaubhafte und zugängliche Stimme

3.2.2    Die Wirkung der Stimme

3.2.3    Wie lassen sich Stimmmuster trainieren?

3.3    Die Pause image

3.3.1    Bedeutung und Arten von Gesprächspausen

3.3.2    Wirkung und Training von Pausen

3.4    Das Meistermuster: Die Atemkontrolle image

  4  Kommunikation im Modell

4.1    Sagen wir es durch die K-Röhre

4.1.1    Von Daten, Informationen und Exformationen

4.1.2    Eine Bedienungsanleitung für die K-Röhre: Watzlawicks Axiome

4.2    Wirkung: Der Eindruck vom Ausdruck

4.2.1    Absicht und Wirkung im Vier-Ohren-Modell

4.2.2    Wie unterschiedlich verbale und nonverbale Signale wirken

4.3    Kommunikative Erlaubnis

4.3.1    Erlaubnis und Aufmerksamkeit

4.3.2    Die fünf Erlaubnisrahmen

  5  Das Hand- und Mundwerkzeug – Teil 2: Die Faselindikatoren

5.1    Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich gehört habe, was ich sage?

5.2    Das Sprachpuzzle

5.3    Die Faselindikatoren

5.3.1    Was für Schummelteile gibt es?

5.3.2    Übertreibende Generalisierungen image

5.3.3    Ein unbestimmtes Was image

5.3.4    Ein unbestimmtes Wie image

5.3.5    Objektivierende Projektionen image

5.3.6    Unterschlagene Begründungen image

5.3.7    Unterstellte Zusammenhänge image

5.3.8    Versteckte Autoren image

5.3.9    Erstarrte Prozesse image

5.4    Wie Sie Faselindikatoren richtig anwenden oder vermeiden

5.4.1    Konstruktives Kritisieren image

5.4.2    Bewerbung auf eine Stellenanzeige

5.4.3    Vorbereiten von Vorträgen und schriftlichen Arbeiten

  6  Von Macht, Einfluss und Manipulation

6.1    Interpretations- oder Beeinflussungsmethode?

6.2    Einfluss heißt nicht Macht

6.3    Außen- und Innenwirkung: Was beeinflusst Menschen?

6.4    Aber ist das nicht Manipulation?

6.5    Die Magier der Struktur

  7  Das Hand- und Mundwerkzeug – Teil 3: Die glorreichen Sieben der Gestik

7.1    Die erstaunliche Wirkung von Gesten

7.1.1    Die Hauptfokuspunkte

7.1.2    Gesten sind weit bedeutender als Mimik

7.1.3    Die Vorteile von Gesten im Gespräch

7.1.4    Glaubhafte und zugängliche Gesten

7.2    Rahmenbedingungen bei Gesprächen: Die 90°-Anordnung image

7.3    Die wichtigsten Mikromuster der Gestik

7.3.1    Die Vertrauensgeste image

7.3.2    Die Beziehungsgeste image

7.3.3    Die Verpflichtungsgeste image

7.3.4    Die eingefrorene Geste image

7.3.5    Der intelligente Ausdruck image

7.3.6    Die Kopfhaltung image

  8  Kommunikative Kompetenz – oder: Die Mühen des Lernens

8.1    Das Fünf-Stufen-Modell der Kompetenz

8.2    Hauptaspekte kommunikativer Kompetenz

8.2.1    Kommunikative Fähigkeiten im Einsatz

8.2.2    Die kommunikativen Momente der Wahrheit

8.3    Der Geist ist willig: Hindernisse beim Lernen

  9  Das Hand- und Mundwerkzeug – Teil 4: Die Aufmerksamkeit beeinflussen

9.1    Wahrnehmungskontexte schaffen und gestalten

9.1.1    Die Körperhaltung image

9.1.2    Das Visualisieren von Gesprächsinhalten image

9.1.3    Gestisches und verbales Markieren image

9.1.4    Die Auge-Hand-Koordination image

9.1.5    Taktisches Berühren image

9.1.6    Indirektes Beobachten image

9.2    Wahrnehmungskontexte bereinigen

9.2.1    Sach- und Beziehungsebene aufräumen image

9.2.2    Inhalte trennen image

9.2.3    Inhalte entfernen image

9.3    Wahrnehmungskontexte ergänzen

9.3.1    Bekanntheit und Ruf realer Medien nutzen image

9.3.2    Bekanntheit und Ruf virtueller Medien nutzen: Phantommedien einsetzen image

9.4    Aufmerksamkeit signalisieren

9.4.1    Verbales Zuhören image

9.4.2    Nonverbales Zuhören image

10  Das Hand- und Mundwerkzeug – Teil 5: Hand- und mundwerkliche Meisterschaft

10.1  Erlaubniskontrolle mit Hilfe der Atmung

10.2  Erlaubniskontrollen und ihre Konsequenzen image

10.3  Der Erste-Hilfe-Kasten image

11  Handwerkliche Grundaufgaben

11.1  Die sieben kommunikativen Hauptrollen

11.1.1    Der Hellseher

11.1.2    Der Schmeichler

11.1.3    Der Nebelwerfer

11.1.4    Der Taucher

11.1.5    Der Dozent

11.1.6    Der Initiator

11.1.7    Der Magier

11.2  Ensemblearbeit

11.3  Auf Wiedersehen, Mr. Chance!

12  Handwerkliche Spitzenleistungen

12.1  Verkäufer, Astrologen und Politiker – oder: Die tiefen Brunnen

12.2  Milton H. Erickson – oder: Der purpurrote Magier

12.3  Emil Steinberger – oder: Der Melitta-Mann

12.4  Otto Rehagel – oder: Nicht nur der Ball muss rund sein

12.5  Wolf Hagen – oder: Der Phantomsündenbock

13  Zum Abschluss – oder: Alle Beispiele hinken

13.1  Inhalt und Form

13.2  Klarheit und Präzision

      Anhang

Übersicht der Mikromuster

Verzeichnis der Abbildungen

Verzeichnis der Tabellen

Verzeichnis der Boxen

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Über den Autor

EINLEITUNG

1Für den eiligen Leser

»Das Buch, liebe Leserin, lieber Leser, das du in der Hand hältst, ist ein sehr breites, sehr hohes und sehr dickes Buch. ›Ach‹, höre ich dich nun schon klagen, welch sehr breites, sehr hohes und sehr dickes Buch ich da in der Hand halte! Nie werde ich mich in ihm zurechtfinden! Und falls ich es versuchte, wie viel Zeit würde ich darauf verwenden müssen!

Halt! Leben und Lesen müssen einander nicht ausschließen. Schon gar nicht bei einem übersichtlich gegliederten Buch. Und dieses Buch ist übersichtlich gegliedert …«

Robert Gernhardt, Vorwort zu »Welt im Spiegel«1

Treffender als Robert Gernhardt lässt sich kaum ausdrücken, was ich Ihnen in dieser Einführung mit auf den Weg geben möchte. Mir bleibt daher nur die Aufgabe, Sie kurz über Ziele, Inhalt und Aufbau dieses Buches aufzuklären.

Ziele dieses Buches

Sie wollen (noch) erfolgreicher kommunizieren. Deshalb besteht mein Hauptziel darin, Ihnen verständlich, detailliert und vor allem direkt umsetzbar zu zeigen, was Sie zu diesem Zweck wann und wie tun sollten.

Ziel Nummer eins ist das einfache und nachhaltige Verbessern Ihrer kommunikativen Fertigkeiten für Alltag und Beruf.

Solche Vorschläge gibt es wie Sandkörner am Meer. Um zu begründen, warum die hier empfohlenen besonders wirksam sind, mache ich Sie mit einer Reihe wichtiger Besonderheiten des Kommunizierens vertraut.

Darum ist Ziel Nummer zwei, Ihnen wichtiges Hintergrundwissen zu vermitteln, damit Sie später zielsicher entscheiden können, warum was in welcher Situation zu tun oder zu lassen ist.

Im Vergleich zu diesen Zielen fällt das dritte aus dem Rahmen – obwohl es mindestens ebenso wichtig ist. Einerseits stellte ich als Unternehmer, Vereinspräsident, Trainer und Hochschullehrer stets fest: Selbst sonst eher unlustige Studenten, Mitarbeiter, Vereins- oder Verbandsmitglieder lockt man mit dem Thema Kommunikation hinter dem Ofen hervor. So gut wie kein Gebiet stößt auf breiteres Interesse; deshalb die Sandberge an Vorschlägen dazu in Büchern, Vorträgen und Seminaren. Andererseits gibt es jedoch kaum ein Gebiet, auf dem man so wenig von den praktischen Empfehlungen umsetzt, die Literatur oder Seminare geben. Im Beruf, bei Sport und Hobby – überall eignet man sich gezielt neue Fertigkeiten an. Kaum geht es aber an ein Verändern unserer kommunikativen Gewohnheiten, sinkt die Bereitschaft auf null. Die traurige Wahrheit ist – und ich nehme mich da nicht aus: Der Geist will zwar zunächst, dann aber schwächelt das Fleisch nicht nur, meist verweigert es sogar komplett den Dienst! Unser hehres Ziel Nummer eins könnten wir somit eigentlich in den Wind schreiben. Damit dies jedoch nicht passiert, gibt es Ziel Nummer drei:

Ziel Nummer drei: Ich zeige Ihnen einen besonders einfachen und trotzdem wirksamen Weg zum Verändern Ihres kommunikativen Verhaltens. Es geht mir also auch um das Begründen und Beschreiben einer funktionierenden Lernstrategie.

»Weniger ist mehr« – das gilt in zweierlei Hinsicht: Beim Erlernen erreichen Sie mehr bei sich, beim Anwenden mehr bei anderen. Das Besondere: Sie benutzen unbewusst bereits die meisten hier erläuterten kommunikativen Mikromuster, müssen Sie nur bewusst optimal einsetzen. Das lässt sich wie beiläufig erreichen. Beim Anwenden lernen Sie bereits. Das spart Zeit und Mühe.

Natürlich weiß ich nicht, wonach Ihnen persönlich mehr der Sinn steht – nach Hintergrundwissen oder praktischem Tun. Deshalb erkennen Sie bereits im Inhaltsverzeichnis, worum es jeweils geht. Darum einige Hinweise zu Inhalt und Gebrauch dieses Buches:

Zum Aufbau dieses Buches

•   Dieses Buch bietet abwechselnd Grundlagen und Praxis – so geht es schneller ans Umsetzen und Sie erfahren sofort die Gründe für das »Warum genau so?«. Wie Paul Ekman – der führende Forscher auf dem Gebiet der Mimik – sagt: »Fähigkeiten ohne Wissen genügen nicht.«2

•   Den Kern bilden 34 kleine, aber hochwirksame kommunikative Muster sowie fünf kleine Musterketten. Geht es um das Anwenden dieser Mini-Tätigkeiten, sehen Sie das im Inhaltsverzeichnis und in den Kapitelüberschriften. Alle Kapitel mit anwendbaren Techniken haben ein Icon in der Überschrift, das auf die jeweils behandelten Muster hinweist. Für den laufenden Text eignen sich diese Abbildungen nicht. Dort verwende ich entsprechende Kurzbezeichnungen:

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steht für 11 verbale Muster (also für Ihre verwendeten Worte), durch MV abgekürzt, z.B. [MV07].

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weist auf 3 paraverbale oder stimmliche Muster hin, durch MP abgekürzt, z. B. [MP 03].

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kündigt 17 koverbale Muster an, also Ihre Gestik und Körperhaltung, durch MK abgekürzt, z.B. [MK17].

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kennzeichnet 2 Beobachtungsmuster (schließlich ist Kommunikation keine Einbahnstraße), durch MB abgekürzt, z.B. [MB01].

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markiert ein Atemmuster (das Meistermuster), durch MA abgekürzt, z.B. [MA01].

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deutet auf 5 Makromuster hin, die sich aus mehreren dieser Einzelmuster zusammensetzen, durch MM abgekürzt, z. B. [MM04].

•   Je mehr Sie bereits zum Thema Kommunikation wissen, umso eher können Sie zwischen den Kapiteln springen. Um das Springen und spätere Wiederauffinden zu erleichtern, haben die Kapitel eine Zusatzkennung, die obigen Icons.

•   Auf jeden Fall können Sie sich mit den vorgestellten Kommunikationstechniken beschäftigen, ohne sich vorher die Grundlagen anzusehen, können also direkt Ziel eins ansteuern. (Im eigenen Interesse sollten Sie die Theorie und damit Ziel zwei aber nachholen.) Zur Lerntechnik (Ziel drei) finden Sie in fast allen Kapiteln etwas.

•   Die im Text eingestreuten Boxen enthalten ergänzende und vertiefende Informationen. Haben Sie gerade nur »Machen« im Sinn, können Sie auch diese überspringen.

•   So wie Sie es aus guten Kochbüchern kennen, enthält auch dieses Buch im Anhang ein umfangreiches Sachregister, jeweils ein Verzeichnis der Tabellen und Boxen sowie eine Zusammenfassung aller behandelten Muster. Zur besseren Übersicht finden Sie alle erörterten Bereiche und Muster als Mind-Map am Ende dieser Einführung.

Wer möglichst schnell zur Tat schreiten will, pickt sich die Kapitel heraus, in denen das gewünschte Symbol gefolgt von einer Zahl vorkommt – z.B. image –, und befasst sich erst später mit den Grundlagen.

Für wen ist dieses Buch?

Der Inhalt dieses Buches ist einerseits für alte »Kommunikationshasen« gedacht – denen ich manchen vielleicht lieb gewonnenen, bei näherer Betrachtung aber störenden »Weisheitszahn« ziehen möchte. Und denen ich zeige, wie man schon vorhandene Erfahrungen noch besser einsetzt. Andererseits wenden sich meine Erläuterungen aber auch an junge »Kommunikationsfüchse« – denen ich sinnlose und mühevolle Umwege in der Zukunft ersparen will. Besonders aber richtet es sich an diejenigen, die schnell und einfach erfolgreicher kommunizieren und deshalb das eigene Verhalten wirksam verändern wollen.

Was zeichnet dieses Buch noch aus?

•   Das Wichtigste: Die meisten hier erläuterten Techniken können Sie sofort und ohne Vorbereitung und Risiken einsetzen und ausprobieren. Denn Sie erfahren nicht nur, was genau zu tun ist, sondern auch die Wirkungsvoraussetzungen.

•   Daraus leitet sich ein wesentlicher Unterschied zu so gut wie allen Büchern zum Thema »nonverbale Kommunikation« ab: Hier geht es nicht in erster Linie um das Interpretieren nonverbaler Verhaltensweisen anderer; wir beschäftigen uns vor allem mit dem Einsetzen von Mustern zum Steigern Ihres kommunikativen Erfolges. Ich zeige und begründe, warum es viel einfacher und erheblich nützlicher ist, nonverbal »sprechen« zu lernen. Es geht also um das praktische Beantworten der Frage: »Mit welchem Ausdruck erziele ich welchen Eindruck?«

•   Die hier beschriebenen Mikromuster wirken als Impulse, die Sie anderen geben, mit denen Sie kommunizieren. Daher sprechen wir auch von Impuls-Kommunikation.

Der kommunikative Werkzeugkasten

In ihrer Kommunikation handeln Menschen ähnlich wie in ihrem Haushalt: Im Laufe der Jahre schaffen sie sich für die alltäglichen Reparaturen die unterschiedlichsten Werkzeuge an. Allerdings weiß kaum jemand, was sein kommunikativer Werkzeugkasten enthält. Denn unser Hand- und Mundwerkzeug des Kommunizierens – die hier behandelten Mikromuster – setzen wir weitgehend unbewusst ein. Wir können sie, kennen sie aber nicht. Deshalb ist dieses Buch auch eine Art Do-it-yourself-Anleitung. Es basiert auf nahezu 10000 kleinen »Reparaturberichten« von weit über 300 Personen, die bewusste Werkzeugeinsätze schildern – gelungene und weniger gelungene. Dazu einige Anmerkungen:

•   Ich hoffe, die Zahl von insgesamt 39 kleinen und größeren Kommunikationsmustern beeindruckt Sie. Aber lassen Sie sich keinesfalls von ihr einschüchtern oder gar entmutigen. Belastet es Sie, dass Sie Ihre Kombizange lange nicht in der Hand hatten? Bereitet Ihnen Ihr Kochbuch ein schlechtes Gewissen, weil Sie noch nie das Rezept für Labskaus ausprobierten? Sicher nicht. Sie reparieren das, was anfällt, und kochen das, was schmeckt. Und so sollten Sie auch mit den Werkzeugen und Rezepten dieses Buches umgehen.

•   Deshalb erleichtern Gruppierungen eine sinnvolle Auswahl. Erscheint »das mächtige Dutzend« (vgl. Seite 52) zu umfangreich, kann man sich zunächst auf »das magische Quartett« beschränken, die vier wirkungsvollsten nonverbalen Muster. Menschen, denen nur Texte wichtig sind, genügen vielleicht die acht »Faselindikatoren« zum kunstvollen Zerpflücken oder Formulieren verbaler Botschaften. Es ist wie im Leben: Einer legt Wert auf eine Profi-Werkzeugkiste; einem anderen reicht eine Keksdose mit Hammer, Kombizange und ein paar Schraubenziehern.

•   Außerdem können Sie mit jedem Mikromuster sofort loslegen, müssen also die übrigen Muster dieses Buches weder kennen noch können. Das gilt auch für die Kapitel mit Erläuterungen und Begründungen. Wie viele Werkzeuge halten Sie in der Hand, wenn Sie zu Hause etwas reparieren? Fast immer nur eins.

Alte und neue Methoden

In diesem Buch geht es um Kommunikationstechniken – und zwar um neue, alte und uralte. Dieser Hinweis ist wichtig, da viele Leser nur an neuen Methoden interessiert sind. Man übersieht dabei jedoch häufig den Unterschied zwischen »alt« und »veraltet« im Sinn von (nur) betagt oder (schon) überholt. Da das Versprechen »neu!« oft zur Enttäuschung führt, beantworte ich in BOX 1 kurz die Frage »Alt oder veraltet?«.

image  BOX 1: ALT ODER VERALTET?

Was halten Sie von einem Menschen, der Ihnen erzählt, er fahre kein Auto, weil es rufschädigend sei, sich mit Hilfe der Steinzeittechnik »Rad« fortzubewegen? Sie erklären ihn für verrückt. Verkündet aber jemand, unsere Kommunikationstechnik sei veraltet, denn soeben sei etwas völlig Neues erschienen, findet er sofort begeisterte Anhänger. Ein Grund liegt in Folgendem: Beim Rad wissen oder vermuten wir sofort, warum es in vielen Fällen keine bessere Alternative gibt. Beim Kommunizieren wissen wir dagegen fast nie, worauf die Wirkung beruht. Wir glauben daher den Versprechungen und erhoffen Besseres – und damit geht viel Nützliches als veraltet »den Bach hinunter«. In diesem Buch stoßen Sie auf eine Vielzahl »alter« Techniken. Das Vier-Ohren-Modell von Friedemann Schulz von Thun stammt aus dem Jahr 19813, die dreiteilige Ich-Botschaft von Thomas Gordon von 1977 und das auf Carl Rogers zurückgehende aktive Zuhören sogar aus den 50er-Jahren des letzen Jahrhunderts. Gerade deshalb ist der Unterschied zwischen alt und veraltet wichtig.

Vor einigen Jahren berichtete mir ein als Trainer erfolgreich arbeitender Bekannter, er habe inzwischen das Gordon-Führungstraining aufgegeben: »Gordon entwickelt nichts Neues.« Dieser Satz illustriert das erwähnte Problem: Man trennt nicht zwischen alt und veraltet, weil der Markt nach neuen Lösungen ruft. Unabhängig davon, ob eine Kommunikationstechnik funktioniert oder nicht: Sie kommt als »zu alt« auf den Müll, ohne dass man geprüft hätte, ob sie veraltet ist. Nun bestätigt aber jeder, der nur ein wenig vom Gehirn versteht: Die vor 25 oder 50 Jahren vorhandenen Wirk-Prinzipien gelten noch immer. Denn die Arbeitsweise unserer neuronalen Maschinerie veränderte sich während dieser Zeit nicht. Was damals gut war und funktionierte, klappt auch heute. Und dass Carl Rogers’ uraltes aktives Zuhören und Gordons alte dreiteilige Ich-Botschaft noch prächtig funktionieren, sieht und hört man sofort: an den verbalen und nonverbalen Reaktionen des Gesprächspartners.

Hinter dem plakativen Titel »Impuls-Kommunikation« verbirgt sich daher nicht die nächste, bald überholte »Kommunikationsmode«. Unter diesem Begriff befassen wir uns detailliert mit den Ursachen unserer kommunikativen Wirkung. Deshalb überrascht sicher nicht: Das Ersetzen angeblich veralteter Methoden durch vermeintlich neue ist oft überflüssig. Wie wir noch sehen werden, beruhen fehlende oder zu geringe Erfolge fast nie auf der eingesetzten Methode, also auf dem angewendeten »Was«. In der Mehrzahl der Fälle basieren sie auf kleinen handwerklichen Anwendungsfehlern, also auf einem unpassenden »Wie«. Wenn Sie aber wissen, wie man diese Fehler abstellt, besitzen Sie zugleich die Kenntnis, um die Wirkung Ihrer alten oder veralteten Techniken deutlich zu verbessern. Die Ex-und-Hopp-Mentalität bei der Suche nach neuen Lösungen erübrigt sich. So gehen übrigens die Naturwissenschaften vor: Da sie sich mit den wirksamen Details von Prozessen beschäftigen, können sie diese schrittweise verbessern.

Ihr Wissen und Ihr Können brauchen Sie nicht über Bord zu werfen. Ganz im Gegenteil: Sie lernen, diesen Erfahrungsschatz wirksamer zu nutzen.

Vielleicht machen Ihnen diese Hinweise Mut und Lust, sich die persönlichen Rosinen-Kapitel herauszupicken, um sofort aktiv zu werden. Das würde mich freuen; andererseits lege ich Ihnen eindringlich ans Herz: Lesen Sie bitte auf jeden Fall den folgenden Teil 2. Er behandelt grundlegende und zum Verständnis wichtige Fragen. Außerdem sollte ein Buch über Kommunikation nicht nur kurz und bündig über dieses Thema informieren, sondern auch die ohnehin begrenzten Möglichkeiten nutzen, um mit Ihnen darüber zu kommunizieren.

Wie wichtig das sein kann, zeigt die aktuelle globale Finanz- und Wirtschaftskrise: Während ich diese Zeilen im Herbst 2008 schreibe, spielen die Finanzmärkte verrückt. Und zahllose Besitzer von Wertpapieren sehen keiner rosigen Zukunft entgegen. Ich habe daher die mir noch zur Verfügung stehende knappe Zeit genutzt, um zumindest an einigen Stellen kurz zu erläutern: Mit der hier beschriebenen kommunikativen Intelligenz hätten vorsichtige Anleger das Risiko spekulativer Anlagen drastisch verringern können. Unter dem Stichwort »Finanzkrise« im Index finden Sie meine entsprechenden Hinweise.

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Abbildung 1: Die Mikromuster-Praxisteile

HINTERGRUND

2Über das Kommunizieren – oder: Wie funktioniert Impuls-Kommunikation?

  2.1Eine Geschichte vorab: Willkommen, Mr. Chance!

»›Er hat ja gar nichts an!‹, rief zuletzt das ganze Volk. Und das kroch in den Kaiser, denn ihm schien, sie hätten Recht; aber er dachte: Jetzt muss ich während der Prozession durchhalten. Und dann hielt er sich noch stolzer …«

Hans Christian Andersen: »Des Kaisers neue Kleider«1

Was halten Sie von jemandem, der es in nur vier Tagen vom einfachen Gärtner auf eine der einflussreichsten Positionen im amerikanischen Wirtschaftsleben schafft? Der in dieser kurzen Zeit die Öffentlichkeit überzeugt, er sei natürlich, friedfertig, ausgeglichen, furchtlos, sachlich, selbstsicher, kraftvoll, mutig, zurückhaltend, intellektuell und ehrlich. Eine solche Person ist Mr. Chance oder – wie andere ihn nennen – Chauncey Gärtner. Er dient uns im Folgenden zum Illustrieren wichtiger Erkenntnisse. Denn Hand aufs Herz: Jeden von uns interessiert brennend, wie Mr. Chance das erreichte.

Die beeindruckenden Eigenschaften Chauncey Gärtners entnahm ich dem Buch Willkommen, Mr. Chance, das auch Grundlage des gleichnamigen Films aus dem Jahr 1979 ist. Buch und Drehbuch stammen aus der Feder des 1933 in Polen geborenen Jerzy Kosinski. Und das Hauptthema beider Werke sind des Kaisers neue Kleider. Peter Sellers spielt den Gärtner Mr. Chance, der von Kindheit an in völliger Abgeschiedenheit auf dem Grundstück eines Millionärs in Washington lebt. Seine einzige Aufgabe ist das Pflegen eines von hohen Mauern umgebenen Gartens. Der Grund für diese Isolation: Chance ist geistig völlig zurückgeblieben und kann weder lesen noch schreiben. Neben der Gartenarbeit und kargen Wortwechseln mit dem Hausherrn und dem farbigen Dienstmädchen Louise lebt er nur vor und mit dem Fernseher. Auch das hinterlässt Spuren. Chance ist ein »Vidiot« – eine Wortschöpfung Kosinskis, die gerade heute hochaktuell ist.2 Alles zusammen ergibt eine Intelligenzmischung, die Louise drastisch beschreibt: »Der hat nur Grütze im Kopf bis an die Ohren. Der ist so dumm wie ein toter Esel, wie Bohnenstroh. So was von einem Vollidiot.«

Bedenken wir die oben aufgezählten Eigenschaften von Mr. Chance und seine Zukunftsaussichten, dann erscheint sein in vier Tagen erworbener Ruf ein Wunder. Aber das ist er nicht. Nur die enorme Beschränktheit von Chance macht dieses »Wunder« möglich. Sie verhindert Verhaltensweisen, die seine Wirkung beeinträchtigen. Denn für Chance gilt der Satz von Wilhelm Buch: »Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, das man lässt.« Allerdings möchte niemand von uns auf diese verbalen und nonverbalen »Bosheiten« verzichten. Denn auf ihnen beruht etwas, auf das wir uns sehr viel einbilden: unsere Intelligenz. Chance gibt daher einen ungetrübten Blick auf die Wirkung des kommunikativen »Wie«. Da Chance – im wahrsten Sinn des Wortes – nur höchst beschränkt zu einem sinnvollen und beeindruckenden »Was« fähig ist, beruht seine außerordentliche Wirkung weitestgehend auf dem »Wie«. Und das zeigt: Die Form, also das Wie, ist eine Hauptursache unserer kommunikativen Erfolge.

Die Wirkung von Mr. Chance basiert auf genau beschreibbaren und damit auch lernbaren Verhaltensweisen – auf verbalen und nonverbalen Mikromustern. Mit diesen Mustern beschäftigen wir uns hier. Aber nicht, damit wie bei Chance der äußere Anschein komplett trügt, sondern damit er genau dem entspricht, was tatsächlich ist.

Sehen wir uns kurz die vermeintliche Wandlung des einfältigen Gärtners Mr. Chance zum Wirtschaftsguru Chauncey Gärtner an: Als sein Hausherr stirbt, muss er sein kleines schützendes Reich verlassen. Er packt einen Koffer, nimmt seinen Schirm und betritt zögernd die reale Welt von Washington D.C. Zum Schutz nimmt er das wichtigste Hilfsmittel seines bisherigen Lebens mit: die Fernbedienung seines Fernsehgerätes. Sie schaltete bislang alles weg, was ihn in seiner Welt störte. Also versucht er, auch reale Störungen dieser Welt wegzuzappen – natürlich vergebens. Chance hat Glück im Unglück. Ein Auto fährt ihn an, in dem Eve sitzt (gespielt von Shirley MacLaine). Sie ist die Ehefrau von Benjamin Turnbull Rand, einem alten steinreichen Industriellen mit enormem Einfluss in Politik und Öffentlichkeit. Rand zieht im Hintergrund auch die Fäden der amerikanischen Präsidentschaftswahlen und ist deshalb geschätzter Berater aller amtierenden Präsidenten. Wie das Schicksal es will: Eve nimmt Chance mit nach Hause, damit der Hausarzt ihres todkranken Mannes sich um die Verletzung kümmert. Ein Missverständnis reiht sich an das andere. Und nach vier Tagen glaubt alle Welt, es mit Chauncey Gärtner zu tun zu haben, einem weisen, tiefgründigen und philosophischen Wirtschaftsguru. Denn hinter all seinen Äußerungen vermutet man tiefen Sinn und weitreichende Bedeutung. Kurz: Mr. Chance webt von früh bis spät ohne jede Absicht an des Kaisers geradezu prächtigen neuen Kleidern – ohne dass jemand ruft: »Aber er hat ja gar nichts an!« Lediglich zwei Personen bemerken seine »Nacktheit«: das Dienstmädchen Louise und der Hausarzt Dr. Robert Allenby. Als Louise den Gärtner in einer Prominenten-Talkshow erkennt, versteht sie die Welt nicht mehr und erläutert ihrer Familie, welchen Vollidioten man gerade interviewt. Für sie ist klar: Das ist eine Verschwörung der Weißen. Im Gegensatz zu Louise, für deren Wissen sich niemand interessiert, stellt Dr. Allenby eine Gefahr dar. Denn der Hausarzt entdeckt aufgrund eigener Recherchen: Chance ist die Einfalt in Person. Doch das behält er für sich. Und so wird aus Mr. Chance am Schluss von Buch und Film der Vorsitzende einer wichtigen Vereinigung, die im Hintergrund die Geschicke der Vereinigten Staaten lenkt.

Für Filmkritiker ist Willkommen, Mr. Chance eine herausragende, bissige Satire über die Vordergründigkeit und Dummheit in Politik und Wirtschaft. Das ist sie ohne Zweifel. Für uns ist dieser Film aber mehr. Er zeigt die Rolle der Medien in unserer Gesellschaft. Und – was uns besonders interessiert – beantwortet damit auch die Frage: Warum erkennt niemand die Einfalt von Chance? Das Verhalten seiner Umwelt ist die eine Seite der Medaille, seine unbewusste kommunikative Kompetenz ist die andere. Auch wir formulieren täglich triviale Sätze (ein wichtiges Thema dieses Buches) – aber niemand hält uns deswegen für tiefgründig und bietet uns den Vorsitz mächtiger Vereinigungen an. Der Grund:

Unsere im Vergleich zu Mr. Chance zahllosen Fertigkeiten sind an sich weder gut noch schlecht – wir haben sie oder haben sie nicht. Erst wenn wir vor einer Aufgabe stehen, entscheidet es sich, welches Verhalten von Vorteil ist. Wir entscheiden das nämlich nicht: Unbewusst setzen wir meist unser gesamtes Können ein. Und das ist häufig auch von Nachteil.

Einen Hinweis auf die Quelle der außergewöhnlichen Wirkung von Chance gibt die letzte Einstellung des Films: Auf der Beerdigung seines Gönners Rand sondert er sich von den Trauerfeierlichkeiten ab, schlendert durch einen winterlichen Park, verlässt gedankenverloren festen Boden – und geht weiter auf der Oberfläche eines kleinen Sees! (Die Geschichte kennt bislang nur einen berühmten Menschen, der über Wasser ging.) Mitten auf dem Wasser bückt er sich, taucht ruhig seinen Schirm bis zum Griff ein, scheint dies als völlig natürlich zu empfinden und wandert langsam weiter. Für Chance gilt nur das Hier und Jetzt – ohne Furcht, ohne Sorgen. Im Gegensatz zu uns tut er deshalb ohne Zögern stets alles, was er im Augenblick für richtig hält – sogar das für andere scheinbar Unmögliche. Dies vermittelt ihnen das Gefühl, Chance sei stets vollkommen für sie da. Being there – da sein – lautet auch der Originaltitel von Film und Buch. Diese überaus seltene Kunst, einfach da zu sein, ist die Grundlage seiner unglaublichen Wirkung. Und sicher erkannte das der Hausarzt, die einzige Person, die Chance durchschaut und trotzdem schützt. Vielleicht nannte Jerzy Kosinski auch deshalb seine Hauptfigur Chance: Denn der englische Begriff »chance« verweist nicht nur auf den Zufall, der im gesamten Leben von Mr. Chance eine Hauptrolle spielt. Er spielt auch auf dessen Gabe an, anderen Menschen die außergewöhnliche Chance zu bieten, zu sich selbst zu finden. »Life is a state of mind« – das Leben ist ein Geisteszustand. Diesen Satz liest man im Film nicht nur auf dem Grabmal von Benjamin Turnbull Rand; er soll auch auf dem Grabstein von Peter Sellers stehen.

  2.2Impuls-Kommunikation: Kommunikation ist Wirkung, nicht Absicht

»Warum manche Menschen Führer und andere Anhänger werden, warum einige achtunggebietend auftreten und andere sich ängstlich ducken, hat wenig zu tun mit Kenntnissen und Fähigkeiten, sondern vielmehr mit körperlichen Eigenschaften und der Art und Weise, wie jemand bestimmte emotionale Reaktionen in anderen auslöst.«

Antonio Damasio3

Sicher ahnen Sie nach den Ausführungen zu Mr. Chance, warum dieses Buch von »Impuls-Kommunikation« handelt: Chance vermittelt kaum Inhalte, er gibt seinen Gesprächspartnern Anstöße, Impulse. Und diese lösen Denkprozesse und Reaktionen aus, die nichts mit dem zu tun haben, was Chance meint. Denn Chance denkt so gut wie nie; er reagiert völlig automatisch. Vielleicht wenden Sie nun ein, im Gegensatz zu Mr. Chance dächten Sie sich viel bei dem, was Sie sagen und tun. Davon gehe ich aus, sonst hätte ich dieses Buch nicht geschrieben. Beim Kommunizieren geht es jedoch nicht allein um das von uns geopferte Gehirnschmalz. Es spielt auch eine Rolle, ob und wie unsere Gesprächspartner davon Gebrauch machen. Dazu sagt die Gehirnforschung: Menschen picken sich weitestgehend unbewusst einzelne »Bedeutungsrosinen« aus der auf sie einströmenden Datenflut und ergänzen den erforderlichen Rest anhand ihrer Erfahrungen. Das belegen zahlreiche Forschungsergebnisse, von denen ich zwei Beispiele anführe – ein verbales und ein nonverbales:

Verbale Impulse

Robert B. Caldini berichtet über eine Untersuchung, in der es um ein Verhalten geht, das uns wohl alle schon nervte4: Wir stehen in einer Warteschlange, da kommt jemand von hinten und drängelt sich vor. In diesem Experiment prüfte man, wie verschiedene Begründungen des Dränglers wirken. Das interessante Ergebnis: Menschen reagieren vor allem auf das Wörtchen »weil« in einer Begründung – selbst wenn darauf kein triftiger Grund folgt. So ließen 93 Prozent der Testpersonen eine Frau am Kopierer vor, die sagte »Entschuldigung, ich habe fünf Seiten. Können Sie mich bitte vorlassen, weil ich Kopien machen muss?« – obwohl alle aus dem gleichen Grund dort standen. Fragte sie ohne eine Begründung mit »weil«, waren nur 60 Prozent dazu bereit; gab sie eine plausible Begründung an (»weil ich es eilig habe«), waren es 94 Prozent. Der verbale Impuls »weil« genügt den meisten Menschen als Indiz, dass danach etwas Wichtiges kommt.

Nonverbale Impulse

Unser nonverbales Beispiel betrifft die Frage »Wie erkennen wir Gesichter?«. Früher glaubte man, Gesichter merkten wir uns als Ganzes. Scherzhaft war deshalb die Rede von der »Großmutter-Zelle«, in der das Gehirn einzelne Gesichter speichere. So eine Großmutter-Zelle hat man jedoch bislang nicht gefunden; die Informationen sind im Gehirn verteilt. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass wir uns nur an einzelnen markanten Eigenschaften eines Gesichtes orientieren – also eine »Merkmals-Stichprobe« ziehen – und daraus mit Hilfe unserer Erinnerungen den Rest konstruieren. Hirnforscher aus Tübingen fanden nun bei Affen heraus: Wir scheinen uns aufgrund unserer Erfahrungen ein »Durchschnittsgesicht« zu kreieren. Dieses dient zum Bewerten einzelner Abweichungen bei Gesichtern, die uns begegnen. Und anhand dieser Abweichungen »erkennen« wir ein bekanntes Gesicht.5

Unabhängig davon, ob wir einen kurzen Blick oder eine höchst komplexe Information aus Texten und Bildern senden: Der Empfänger dieser Botschaft wählt stets einzelne Impulse aus und konstruiert daraus das aus seiner Sicht benötigte Ganze. Das ist für uns von großem Vorteil, denn:

Unsere Kommunikationswirkung lässt sich bereits entscheidend verbessern, konzentrieren wir uns ganz auf diejenigen Impulse, die andere beim Konstruieren ihrer Sicht der Welt bevorzugen.

Bislang verwendete ich den Begriff Impuls eher illustrativ. Biologen und Psychologen verstehen darunter jedoch einen Anstoß oder Anreiz des zentralen Nervensystems, dessen Wirkung kurzzeitig ist, vom normalen Wirkungsniveau abweicht und plötzliche Handlungen auslöst. Diese innerlich ausgelösten (internalen) Reaktionen können sich – wie beim impulsiven Handeln – sogar einer Kontrolle des Bewusstseins entziehen. Wir reagieren spontan, intuitiv.

Äußere und innere Impulse

Impuls-Kommunikation bedeutet daher: Mit Hilfe bewusst eingesetzter äußerer Impulse versuchen wir, bei anderen unbewusste innere Impulse auszulösen, zu verändern oder zu verhindern, um den Kommunikationsprozess zielorientiert zu lenken. Damit dies geschieht, müssen die externalen Impulse zwei Voraussetzungen erfüllen:

1.  Ihre Wirkung weicht genügend stark vom normalen Wirkungsniveau ab, um überhaupt etwas auszulösen. (Diese Bedingung erfüllen alle hier behandelten Mikromuster.)

2.  Diese Wirkung ist jedoch so kurzzeitig und schwach, dass ein Gesprächspartner sie nicht bewusst registriert. (Diese Bedingung lässt sich nicht immer erfüllen, gilt aber für die meisten Mikromuster.)

Impuls-Kommunikation unter Manipulationsverdacht

Bei diesen Zielen und Voraussetzungen drängt sich wahrscheinlich sofort ein Verdacht auf: Impuls-Kommunikation diene zum heimlichen Manipulieren von Menschen, also zum Weben perfekt täuschender Kaiser-Kleider. Genau das Gegenteil ist unser Ziel:

Impuls-Kommunikation soll unseren Botschaften die notwendige Aufmerksamkeit verschaffen und ermöglichen, dass man sie unverfälscht wahrnimmt und mit der erforderlichen Sorgfalt interpretiert und beurteilt. Dazu muss sie störende Reaktionen der Gesprächspartner verhindern oder verringern sowie unterstützende Reaktionen auslösen oder verstärken.

Jedes Werkzeug lässt sich bekanntlich so oder so einsetzen: Mit einem Hammer kann man Nägel oder Köpfe einschlagen. Dasselbe gilt für die Mikromuster der Impuls-Kommunikation.

Inhalts- und Prozesssteuerung

Impuls-Kommunikation beschäftigt sich weniger mit den Inhalten eines Gesprächs – mit dem Was. Vielmehr geht es um die Form des Kommunizierens – um das Wie. Diese häufig angesprochene Trennung zwischen Was und Wie beschreibt für uns nicht nur die beiden Seiten der Medaille »Information«, Inhalt und Form. Aus ihr leiten sich auch zwei grundsätzliche Kommunikationsstrategien ab: Inhalts- und Prozesssteuerung.

•   Verfolge ich eine Inhaltssteuerung, kommuniziere ich mit meinem Gegenüber durch das Senden von Fakten: Ich übermittle z.B. Informationen auf die Frage »Was ist ein Reprunsator?«, schildere seine Eigenschaften oder erteile Anweisungen, was genau wie mit ihm zu tun ist. Ich beschreibe Sachverhalte. Die klassischen Vorlesungen an unseren Hochschulen sind Inhaltsvermittlung pur (sogar, wenn es um Prozesse geht.) Bei einer Inhaltssteuerung gehen wir davon aus, dass der Empfänger etwas nicht weiß oder nicht kann, und wir versuchen, diese Wissenslücken mit Hilfe geeigneter Informationen direkt zu schließen. Ist das geschehen, ist unser Ziel erreicht.

•   Auch die Prozesssteuerung übermittelt Inhalte – sonst wüsste niemand, um was es geht. Auch sie setzt voraus, dass jemand etwas nicht weiß oder nicht kann – sonst wäre der übermittelte Inhalt überflüssig. Das Schließen dieser Wissenslücken ist jedoch nur ein erster Schritt. Er soll die Voraussetzung dafür schaffen, dass sich der Empfänger andere nicht gewusste oder gekonnte Sachverhalte anschließend selbst erarbeitet. Man vertraut darauf, dass dessen übriges Wissen und Können für diesen angestoßenen Prozess ausreicht.

Um es auf den Punkt zu bringen: Die Inhaltssteuerung geht davon aus, unser Gesprächspartner sei in bestimmter Hinsicht dumm. Die Prozesssteuerung nimmt an, er brauche eigentlich nur etwas Hilfe, also Impulse, um allein zu Rande zu kommen. Für diese Strategie gibt es ein berühmtes Vorbild. Der griechische Philosoph Sokrates war bekannt für das Stellen von Fragen, die es anderen ermöglichten, den Lösungsweg allein zu finden (vgl. BOX 2). Der Erfolg von Kommunikation zeigt sich stets in deren Wirkung beim Empfänger, nicht in der Absicht des Senders.

image  BOX 2: UNBEKANNT, UNBEWUSST, BEKANNT UND BEWUSST

Die Prozesssteuerung geht ein Problem an, das die Praxis trotz weitreichender Konsequenzen oft vergisst: die Unterschiede zwischen unbekannten, unbewussten, bekannten und bewussten Fakten und Fähigkeiten6. Etwas ist mir unbekannt, wenn ich nichts davon weiß. Darum ist mir zwar alles bekannt, was ich weiß. Genau in diesem Moment ist mir davon allerdings nur sehr wenig bewusst, kann also auch nicht in meine Überlegungen einfließen. Von diesem verschwindend kleinen Teil abgesehen ist mir daher mein gesamtes Wissen nie bewusst. Außerdem verfüge ich über etwas, was mir weder bekannt noch bewusst ist: meine zahllosen unbewusst genutzten Fähigkeiten, z.B. zum Regeln von Körpertemperatur oder Blutdruck. Von diesen interessieren uns hier jedoch nur diejenigen, die wir in Alltag und Beruf nutzen: unsere unbewussten kommunikativen Fähigkeiten.

Prozesssteuerung umfasst daher zwei Aufgaben: Sie hilft Menschen so beim Schließen ihrer Wissens- und Fähigkeitslücken, dass sie selbst auf vorhandenes und bekanntes, derzeit aber unbewusstes Wissen zugreifen können. Prozesssteuerung erleichtert das Wiederfinden nützlicher, bislang aber übersehener Kenntnisse. Oder sie hilft, sich derzeit unbekannte Eigenschaften bewusst zu machen, um diese gezielt nutzen zu können. Prozesssteuerung erleichtert das Entdecken nützlicher, bislang aber unbekannter Eigenschaften. Aufgrund der Fragetechnik des Sokrates spricht man von der sokratischen Methode. Sokrates selbst bezeichnete dieses Vorgehen als »Mäeutik« – Hebammenkunst: Wie eine Hebamme (das war der Beruf seiner Mutter) hilft der Lehrer mit geschickten Fragen und Hinweisen, das bereits vorhandene Wissen eines Schülers ans Tageslicht zu fördern. Neben zahlreichen großen Vorteilen, auf die ich an anderen Stellen eingehe, besitzt die Prozesssteuerung auch gravierende Nachteile: Im Vergleich zur Inhaltsvermittlung erfordert sie mehr Wissen, mehr Können und vor allem mehr Zeit. Gerade wegen des letzten Punktes bevorzugen die meisten Menschen das Ruck-Zuck-Verfahren per Inhaltsvermittlung.

Vor vielen Jahren erlebte ich am eigenen Leib, wie nervtötend lange eine Prozesssteuerung dauern kann und wie sie funktioniert. Nach meiner Bewerbung auf eine Professorenstelle zeigte die Einladung zu einer Probevorlesung: Die erste Hürde war genommen. Ein Hochschullehrer gab mir den Rat, an Fachhochschulen lege man großen Wert auf das verständliche Vermitteln des Wissens. Zu meiner großen Freude stellte ich schnell fest: Mein Privatarchiv enthielt ausreichend Stoff für einen Vortrag zum vorgegebenen Thema »Szenario-Technik«. Mit diesem Planungsansatz will man das langfristige Verhalten komplexer Wirtschaftssysteme vorhersagen, obwohl keine verlässlichen Zahlen vorliegen. So war der Inhalt nach wenigen Tagen abgehakt – aber Knüller zum verständlichen Vermitteln waren mir nicht eingefallen. Nun weiß ich, die Chance, von der Muse geküsst zu werden, ist bei mir weitaus größer, wenn ich nicht über einem Problem brüte. Also betrieb ich Prozesssteuerung: Ohne groß dabei zu überlegen, blätterte ich Tag für Tag in meinen Büchern, Fachzeitschriften und Stichworten. Die Wochen verstrichen, die Zeit wurde knapp – von einer knüllerartigen Idee keine Spur. So langsam machte ich mir Sorgen, setzte aber mein Blättern und Überfliegen fort. Und tatsächlich, rund eine Woche vor meinem Termin schoss mir ein Gedanke durch den Kopf – mit dem ich allerdings nichts anfangen konnte: »Tante Colonia«. Die meisten Menschen hätten kurz nachgedacht, den Kopf geschüttelt und das unterbrochene Suchen fortgesetzt. Da ich aber meinem Unbewussten vertraue, begab ich mich auf die Suche nach Tante Colonia. Heute wäre das Problem in wenigen Sekunden gelöst: Google liefert sieben Quellenhinweise. Damals gab es das Internet noch nicht. So begann ich nach einiger Zeit, Autoren und Verlage zu verfluchen, die Bücher ohne Stichwortverzeichnis herausbringen. Die Quellen gingen mir langsam aus, ich begann in Büchern zu suchen, die kaum etwas mit der Szenario-Technik zu tun haben konnten, und stieß deshalb auf meine Urlaubslektüre Gödel, Escher, Bach – ein endloses Geflochtenes Band von Douglas R. Hofstadter. Dieses Buch besaß sogar einen Index – und in dem wurde ich endlich fündig: Nachdem ich Seite 337 aufgeschlagen und einige Zeilen gelesen hatte, fühlte ich mich wie Archimedes, als er in der Badewanne sein berühmtes »Heureka« ausrief. Auch Tante Colonia ist ein komplexes System, wie die Szenario-Technik es schildert: Es handelt sich um einen Ameisenhaufen. In Gödel, Escher, Bach diskutieren Achilles, eine Schildkröte, ein Krebs und ein Ameisenbär über die Besonderheiten komplexer Systeme. Und der Ameisenbär zeigt an Tante Colonia, wie diese Systeme funktionieren, wie man ihr Verhalten vorhersagt und sie beeinflusst. So baute ich meinen Vortrag auf Tante Colonia auf. Noch heute erinnere ich mich an die Gesichter der Zuhörer, als ich mit den Worten begann: »Ich erlaube mir, den Untertitel meines Vortrags zu ändern. Er lautet nun: Woher kann man wissen, wie sich Tante Colonia verhält?« Aber immer noch rätsele ich, wer oder was mir den Anstoß gab, meine vorhandenen, gut versteckten, nicht bewussten und eigentlich sogar wieder unbekannten Kenntnisse wiederzufinden.

  2.3Zum Mikrolernen von Mikromustern

»Mit am meisten ärgern mich Gespräche mit Menschen, die Vorträge darüber halten, wie ich mich verhalten soll. Die meisten von uns wissen recht gut, wie wir uns verhalten sollten. Das Problem ist die Umsetzung, nicht Unwissenheit … Wir brauchen Tricks, um unsere Ziele zu erreichen, aber zuerst müssen wir die Tatsache akzeptieren, dass wir nur Tiere sind, die simplere Tricks brauchen, keine Predigten.«

Nassim Nicholas Taleb7

Mikromuster – die »Moleküle der Kommunikation«

Unter einem Molekül versteht man in der Chemie die kleinste Anordnung von Atomen zum Bilden einer bestimmten stofflichen Einheit wie Wasser, Gold oder Eisen. Zerlegt man z.B. ein Wassermolekül in seine Atome, zerfällt der Stoff und man erhält zwei Wasserstoffatome und ein Sauerstoffatom (deshalb die chemische Bezeichnung H2O). Auch beim Kommunizieren entstehen durch das Verbinden winziger Elemente solche Einheiten: Allgemein nennt man sie Informationen. Aus Empfängersicht spricht man auch von Eindruck; aus Sendersicht sprechen wir von einem verbalen oder nonverbalen Ausdruck. Und die kleinsten kommunikativen Wirkungseinheiten mit einem bestimmten Eindruck bei anderen nennen wir Mikromuster. Kommunikative Mikromuster sind daher so etwas wie die »Moleküle der Kommunikation«.