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Inhaltsverzeichnis
Prolog
Teil 1: Warum wir so nicht weitermachen können
Was ist los mit uns? Die verkopfte Gesellschaft
Wo kommen wir her? Das System Mensch
Wie begegnen wir unserer Intuition? Die Kraft des Unterbewusstseins
Und wenn ich scheitere? Die wertvollen Lehren des Fehlermachens
Teil 2: Endlich neue Wege gehen
Die neun »Power Roots« für mehr Zufriedenheit und Erfolg
Machen Sie sich frei! Die Macht der Selbstverantwortung
Vertrauen Sie Ihrem Körper! Die Rückkehr zum Urgefühl
Bewegen Sie sich wild! Die Magie des perfekt-unperfekten Trainings
Bleiben Sie neugierig! Das Geheimnis ständiger Veränderung
Entdecken Sie Ihren Rhythmus! Das Wechselspiel zwischen Belastung und Erholung
Essen Sie sauber! Die Grundlagen der gesunden Ernährung
Umgeben Sie sich mit Natur! Der Wohlfühlfaktor im Unterbewusstsein
Leben Sie Lösungen! Die Wucht der Attitüde
Machen Sie andere glücklich! Die Bedeutung der sozialen Integrität
Epilog
Anhang
Checken Sie Ihre natürliche Power!
Ihr Kick-off-Monat für mehr natürliche Power
Danksagung
Über den Autor
Impressum

»Die Natur hat immer recht.«

Reinhold Messner

Teil 1:
Warum wir so nicht weitermachen können

Prolog

Jetzt kommt es nur auf mich an. Wenn ich uns hier nicht raushole, dann tut es niemand. Geräuschlos packt mich jemand am Oberarm, zerrt mich hoch und schleppt mich in einen Raum, der genauso feucht und kalt ist wie der, in dem ich bereits stundenlang auf Knien ausharren musste. Mein Körper schmerzt, ich habe Durst und wenig Hoffnung. Immer wieder haben sie mich mit verbundenen Augen einen Turm aus kaputten Backsteinen bauen lassen. Immer wieder musste ich Sand mit einem kleinen Löffel von einem Eimer in einen anderen schaufeln. Wirkungsvolle Methoden, wenn es darum geht, den Willen eines Menschen zu brechen. Dass der Rebellenführer mit mir reden möchte, ist so etwas wie der letzte Strohhalm. Wieder muss ich knien. »Seid Ihr als Journalisten hier?« »Ja, unsere Aufgabe ist es, neutral über die Lage zu berichten.« »Seid Ihr in irgendwelche kämpferischen Tätigkeiten verwickelt?« »Nein, wir sind Journalisten.« »LÜG MICH NICHT AN!« »Ich lüge nicht. Das ist die Wahrheit.« »UND WAS IST DAS HIER?« Für einen kurzen Moment lüftet einer der Rebellen unsanft meine viel zu fest zugezogene Augenbinde. Der Rebellenführer hält mir ein Foto unter die Nase, auf dem ich in voller Kampfmontur zu sehen bin. Mit Maschinengewehr. Und in diesem Moment weiß ich: Das war’s. Ich versuche noch verzweifelt zu erklären, erzähle von der Übung zur Wirkung von Schusswaffen vor einigen Tagen und dass wir diese Fotos nur aus einer Laune heraus … Aber aus dieser Situation gibt es für mich keinen Ausweg mehr. Ich komme nicht mal dazu, mit dem Rebellenführer über unsere Freilassung zu verhandeln.

Ich habe diese Geschichte vor einigen Jahren erlebt. Im Grunde war es ein Spiel. Aber das war so echt, dass der Gedanke daran mir noch heute die Kehle zuschnürt. Ich besuchte einen Lehrgang im Ausbildungszentrum der Vereinten Nationen, der Journalisten auf den Einsatz in Kriegs- und Krisengebieten vorbereiten sollte. Ich konnte mir das damals gut vorstellen: da hinzugehen, wo sonst keiner hingeht. Wahrheiten aufzusammeln, die sonst versickern. Ich war jung, fühlte mich stark und bereit, die Welt zu erobern.

Und dann diese verdammte Geiselnahme. Die anderen Journalisten und ich wurden schon seit Tagen immer wieder in unheimlich real wirkende Situationen gebracht: illegale Checkpoints, plötzliche Schusswechsel, schwer verwundete Zivilisten, Häuserkampf in verlassenen Dörfern. Da schon machte die Rollenspielerkompanie der Vereinten Nationen einen unglaublich guten Job und sorgte dafür, dass wir irgendwann wirklich das Gefühl hatten, mittendrin zu sein. Die Geiselnahme aber sollte zur echten Grenzerfahrung werden.

Ich bin heute froh, dass ich sie bis zum Ende durchgezogen habe. Einige meiner Kollegen stiegen über ein vereinbartes Codewort vorzeitig aus dem Spiel aus. Ich kann das gut verstehen. Aber mich hätte es um eine Schlüsselerfahrung gebracht: Nach Auflösung der Geiselsituation saßen wir mit unseren Ausbildern zusammen und sahen uns die Videos an, die von jedem Einzelnen beim Verhör mit dem Rebellenführer gedreht worden waren (ja, wir wurden alle mit dem gleichen Trick fertiggemacht und jeder von uns dachte, nur er dürfe verhandeln). Mein Video war das erste, das gezeigt wurde. Mich selbst dort in diesem kleinen Kellerraum zu sehen, am Boden kauernd, triefnass geschwitzt, zitternd, unfähig, nur noch den kleinsten Impuls zur Änderung meiner Situation aussenden zu können – das hat mein Leben umgekrempelt. Alle anderen Teilnehmer des Lehrgangs baten anschließend darum, ihr Video nicht sehen zu müssen. Ich bin dankbar dafür, dass ich es durfte. Denn ich erkannte für mich, dass es nicht reicht, ein Mann wie ein Schrank zu sein, um aufrecht durch heikle Situationen gehen zu können. Ich fasste den Entschluss, ein Mann wie ein Baum zu werden. Kraftvoll. Belastbar. Mit starken Wurzeln.

Was braucht es, um die Balance zu halten, wenn es darauf ankommt? Und würde ich nicht auch im Alltag leistungsfähiger und zufriedener werden, wenn ich Antworten auf diese Frage finde?

Ich setzte nach dieser Erfahrung nie einen Fuß in eine Krisenregion. Ich machte mich auf die Suche nach dem Geheimnis eines gesunden, ausgeglichenen und erfolgreichen Lebens. Zunächst als Journalist, später als Trainer und Coach. Ich begab mich im Urwald Brasiliens auf die Spuren von Naturvölkern, rannte mit dem Wunderläufer Haile Gebrselassie durch die Entoto Mountains in Äthiopien und mit Sporttherapeuten durch Paderborn. Ich sprach mit unzähligen Experten und Professoren, analysierte Studien, korrigierte ständig meinen Kurs, hörte Topmanagern und Verkäuferinnen zu, lernte von Kindern – vor allem aber begegnete ich immer mehr mir selbst.

Ich bin heute nicht am Ende meiner Suche. Dafür bin ich Gott sei Dank viel zu neugierig. Trotzdem bin ich überzeugt davon, bereits zur wichtigsten Erkenntnis durchgedrungen zu sein: Wir brauchen keine ultimative Gebrauchsanleitung, um gesund, glücklich und erfolgreich leben zu können. Das Geheimnis liegt in uns selbst, in unserer ureigenen Natur. Wenn ich in Vorträgen, Seminaren, in diesem Buch von meinen Erfahrungen berichte, dann nicht, weil ich erleuchtet wurde oder beeindrucken möchte. Dafür hat sich das »Spielen Sie nie den Helden!« des Ausbildungsleiters bei den Vereinten Nationen viel zu sehr eingebrannt. Mein Anliegen ist es, Sie zum Nachdenken über sich selbst zu bringen, Sie zu inspirieren, Ihnen die nötigen Impulse zu liefern, damit Sie Ihre ganz persönliche Lösung kreieren können. Es geht in diesem Buch einzig und allein um SIE.

Was ICH Ihnen gebe, sind die Zeit, die Leidenschaft und das Herzblut, die ich in meine Suche gesteckt habe, die Essenz all der Fragen und Antworten, die mir unterwegs begegnet sind. Daraus entspringen die neun Wurzeln unserer natürlichen Power, die ich in Teil 2 ausführlich beschreibe und die mir selbst sowie vielen Menschen, mit denen ich arbeite, immer wieder vor Augen führen, was wirklich wichtig ist. Kraft aus diesen Wurzeln ziehen und wachsen müssen Sie selbst. Das ist der Deal.

Wenn Sie diesen Deal eingehen, stehen die Chancen sehr gut, dass auch Sie Ihrem Leben neue, positive Energie geben, dass Sie Gesundheit, Glück und Erfolg für sich selbst ganz neu definieren, dass es Ihnen endlich besser gelingt, mit den Herausforderungen unserer Zeit umzugehen. Auf allen Ebenen – ob im Job, in der Freizeit, Ihrem Privatleben oder der Liebe, ob als Führungskraft, Angestellter, Selbstständiger oder Student. Denn unsere natürliche Power kennt keine Kategorien. Nicht Körper und Geist. Nicht Work und Life. Sie wirkt ganzheitlich.

Aber bevor wir ans Eingemachte gehen: Warum möchten Sie etwas ändern? Haben Sie eine ähnliche Schlüsselerfahrung gemacht wie ich bei der Simulation der Geiselnahme? Haben Sie einen Moment erlebt, der Ihnen vor Augen geführt hat, dass es so nicht weiter geht? Oder haben Sie, wie die meisten Menschen, mit denen ich darüber spreche, eher so eine latente Ahnung, dass irgendetwas nicht stimmt? Ein Bauchgefühl, dass Sie sich immer mehr selbst verlieren. Eine unbestimmte Sehnsucht nach Mehr. Was auch immer dieses Mehr ist.

Vielleicht stimmen Sie dem Experimentalphysiker Georg Christoph Lichtenberg zu, der vor rund 250 Jahren feststellte: »Ich kann nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber so viel kann ich sagen: Es muss anders werden, wenn es besser werden soll.«

Lassen Sie uns mit dieser Frage beginnen: Was zur Hölle ist eigentlich los mit uns?

PS: Ich verwende in diesem Buch in der Regel die männliche Form – nicht, weil ich Sie als weibliche Leserinnen nicht ansprechen möchte (im Gegenteil!), sondern weil es aus meiner Sicht einen besseren Lesefluss ermöglicht. Bitte sehen Sie mir diese Entscheidung nach – und fühlen Sie sich jederzeit persönlich angesprochen und gewürdigt.

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Was ist los mit uns?
Die verkopfte Gesellschaft

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(Foto: Arne Müller)

Gehören Sie auch zu dem Drittel der Deutschen, das laut einer Untersuchung des Robert-Koch-Instituts innerhalb der letzten zwölf Monate mindestens einmal unter einer psychischen Störung gelitten hat? Das können depressive Symptome gewesen sein, starke Stimmungsschwankungen oder ein Burnout, Unannehmlichkeiten auf emotionaler oder kognitiver Ebene, die Sie willentlich nicht mehr steuern konnten. Kennen Sie diese Probleme? Wenn nicht, atmen Sie tief durch – und wappnen Sie sich weiter dagegen. Denn »mentale« Dysbalancen (wie es medizinisch so schön heißt) werden in den kommenden Jahren ein noch größeres Thema werden, als sie es ohnehin schon sind.

Ich will Ihnen erklären, warum ich dabei das Wort »mental« in Anführungszeichen setze: weil ich überzeugt davon bin, dass Körper, Geist und auch Seele sich nicht so einfach trennen lassen. Es ist kein Zufall, dass die wachsende psychische Schieflage der Nation einhergeht mit immer eklatanteren physischen Gebrechen: Übergewicht, Diabetes, Rückenprobleme, Bluthochdruck, die ganze Phalanx der Zivilisationskrankheiten. Auch dass wir trotz wachsendem Lebensstandard von Generation zu Generation nicht glücklicher werden, ja sogar verstärkt nach Sinnhaftigkeit und Halt suchen, lässt sich nicht losgelöst von gesundheitlichen Entwicklungen betrachten.

Die gelernte Kategorisierung – in Körper, Geist und Seele – aufzugeben, kann einer der Schlüssel sein, um das eigene System besser zu verstehen und näher an das Ich zu rücken. Fest steht: Dieses, unser eigenes System, gerät immer häufiger und immer stärker ins Stottern. Wir leben in einer schönen neuen Welt, die zweifelsohne unglaubliche Möglichkeiten und viele Annehmlichkeiten mit sich bringt, in der wir trotz allem aber zusehends unsere Balance verlieren und abzustürzen drohen. Wie ein Propellerflugzeug, bei dem immer wieder ein Triebwerk hakt.

Genau genommen hinkt dieser Vergleich allerdings genau so wie der Mensch durch die moderne Welt. Denn natürlich sind wir keine Maschinen. Sonst wären wir ja längst auf Hightech in Perfektion gepimpt und würden jedem Angriff eiskalt trotzen. Aber auch das System Mensch, so individuell seine Ausprägungen sein mögen, basiert auf einigen wenigen Grundfunktionen. Und die müssen wir betrachten, wenn wir erfahren wollen, warum es nicht mehr so rund läuft. Das Thema Evolution spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Bevor wir aber darauf schauen, was die biologische Entwicklung mit unserem Status quo zu tun hat, möchte ich mit Ihnen einen Blick auf die beiden wahrscheinlich paradoxesten Phänomene unserer Zeit werfen: den Drang zur Perfektion und die zahllosen Möglichkeiten, die uns geboten werden.

Absolutely amazing – ein Leben in Perfektion

Was für ein großartiger Tag. Oder? Jetzt mal unabhängig vom Wetter, vom Stress, von den Kollegen, der langen To-do-Liste und all den Negativschlagzeilen. Ist dieser Tag nicht schon allein deswegen wunderbar, weil er da ist? Waren Sie heute schon dankbar, dass Sie wieder einen neuen Tag erleben dürfen, dass Sie eine neue Chance bekommen haben, ihr eigenes Leben und das anderer reicher zu machen? Sind Sie heute Morgen aufgestanden mit dem Gedanken, das Glück dieses Tages zu umarmen? Ja, verdammt noch mal, diese Fragen sind berechtigt. Und wichtig. Immer wieder. Sie erinnern uns daran, zu leben. Aber ganz ehrlich: Sie überfordern uns auch immer mehr.

Auf dem Weg zu einem Termin ging ich neulich durch das Hamburger Schanzenviertel. Wie nahezu alle Menschen um mich herum war ich in Eile, als mir im Schaufenster einer dieser Zeitgeistboutiquen ein Schild auffiel: »Make today absolutely amazing!« stand darauf in großen Buchstaben. Ich erwischte mich dabei, wie ich im ersten Moment innerlich nickte und seufzte. Bis mir klar wurde, dass wir bei Appellen wie diesem alle im ersten Moment reflexartig nicken und seufzen. Weil wir ahnen, dass irgendetwas zurzeit schiefläuft, dass wir etwas ändern müssen. Aber auch, weil Glück und Sinnhaftigkeit so trendy sind.

Wir schaffen es doch kaum noch, unsere innere Sehnsucht und die Erwartungen an ein gutes Leben zu vereinen. Wir hängen uns tatsächlich freiwillig Schilder in unsere Wohnungen oder Büros, die den Druck, der oder die Alleinverantwortliche für ein rundum gelungenes Leben zu sein, auf perfide Art und Weise ins Unermessliche steigern. Absolutely amazing! Jeden Tag! Als wäre es heute nicht schon schwer genug, überhaupt halbwegs unbeschadet durchzukommen.

»Make today absolutely amazing!« ist so etwas wie die perfektionsgetriebene Mutation des »Carpe diem«. Wir spüren, dass irgendwo dahinter viel Wahrheit steckt, aber die Zuspitzung, die lähmt uns. Wir wollen, ja. Aber wir können nicht. Wir haben immer größere Probleme damit, unsere Vorstellungen von Glück, Erfolg, Gesundheit, Fitness und Gemeinsamkeit im Alltag umzusetzen.

Perfektionsdenken blockiert unsere innere Power. Der US-Psychologe Barry Schwartz leitete den Höhepunkt eines Vortrags über das Glück einmal so ein: »Ich will Ihnen verraten, was das Geheimnis ist. Hören Sie gut zu, denn nur deswegen sind Sie ja alle hier …«, um nach einer andächtigen Pause lächelnd fortzufahren: »Niedrige Erwartungen.« Ich weiß, das fühlt sich merkwürdig an. Da wir doch gelernt haben, uns immer hohe Ziele zu stecken, groß zu denken und alles erreichen zu können, wenn wir es nur richtig wollen. Aber diese Strategie des »Höher, schneller, weiter« auf allen Ebenen des Lebens stößt an ihre Grenzen. Es ist tatsächlich an der Zeit, die Erwartungen herunterzuschrauben. Das bedeutet nicht, sie aufzugeben und antriebslos zu werden. Es bedeutet, den Kern dessen freizulegen, was wirklich wichtig ist.

Alles kann, nichts muss – so viele Möglichkeiten

Als würde die skurrile Mischung aus dem Wunsch und Zwang, unser Leben ständig zu optimieren, nicht schon genug Überforderungspotenzial bergen, steht uns heute auch noch die ganze Welt offen. Millionen von Möglichkeiten. Wir müssen uns nur entscheiden. Genau das ist aber unser Problem: Wie entscheide ich mich richtig? Und wenn ich eine Entscheidung getroffen habe, hätte es nicht vielleicht doch noch eine bessere gegeben? Sie kennen das vom Einkaufen: In einem großen Supermarkt die Kasse zu wählen, an der Sie am schnellsten an der Reihe sind, ist eine große Herausforderung. Und am Ende stehen Sie immer falsch. Im Kiosk um die Ecke, der nur eine Kasse hat, ist das psychologisch entspannter. Da grummeln Sie höchstens, weil es zu lange dauert, nicht weil Sie sich selbst vorwerfen, falsch entschieden zu haben.

Vielleicht kennen Sie auch das Gefühl, in einem Restaurant eine vermeintlich schlechte Wahl getroffen zu haben – und neidisch auf das viel leckerer aussehende Gericht Ihres Gegenübers zu schielen. Zu den eigenen Entscheidungen zu stehen, weil man sie im entsprechenden Moment nach bestem Wissen und Gewissen getroffen hat, auch wenn es rückblickend eventuell noch bessere Möglichkeiten gegeben hätte, das ist gar nicht so einfach.

Und weil wir bei dem ganzen Entscheiden-Müssen und den unzähligen Möglichkeiten langsam den Überblick verlieren, suchen wir Orientierung. Das ist gut. Nur verlassen wir uns dabei meist vollkommen auf andere – deren Ratschläge dann doch wieder nur den üblichen Kriterien unterliegen: Optimierung auf allen Ebenen, wenig Aufwand, schnelle Ergebnisse. Und das ist schlecht.

In den Gesundheits- und Fitnessredaktionen der deutschen Medienwelt gibt es zum Beispiel eine Art ungeschriebenes Gesetz, wie eine Coverzeile zum »Verkäufer« wird: Mache ein Wirkversprechen, das ein tiefes Bedürfnis trifft (Figur und Problemzonen gehen immer), packe eine (in möglichst naher Zukunft liegende) Zeitangabe dazu und formuliere das Ganze möglichst provokativ. So entstehen Zeilen wie »Das 8-Minuten-Workout«, »Schlank im Schlaf« oder »Weg mit der Wampe – JETZT!«. Befolgen Sie als Blattmacher diese Regeln des Fitness-Coverzeilen-Roulettes, stehen die Chancen gut, dass die Leute Ihr Heft kaufen. Weil sie glauben, dass die Welt von ihnen verlangt, in kürzester Zeit und mit wenig Aufwand maximale Fitness zu erreichen.

Ich weiß, wovon ich rede. Ich bin seit zehn Jahren Teil dieser Medienwelt. Ich habe als Redakteur und Sportchef einer der größten deutschen Fitness- und Lifestylezeitschriften unzählige Male erlebt, wie nüchterne, solide Geschichten als Sensationen verkauft wurden, wie manchmal (und in den letzten Jahren immer öfter) sogar erst eine Coverzeile da war und die dazugehörige Geschichte mehr oder weniger herbeifantasiert wurde. Dass Leser oft enttäuscht sind, wenn sich die Sensation vom Cover als zigfach durchgekauter Standardtipp entpuppt, ist einkalkuliert. Laut Marktforschungen sind die meisten Leser im Gesundheits- und Fitnesssegment »Gelegenheitskäufer« – bis sie das nächste Mal zuschlagen, ist der Hunger nach Versprechen längst wieder größer als der Frust der Produktenttäuschung. Das meiste von dem, was uns tagtäglich als Trend oder Lebensgefühl um die Ohren gehauen wird, ist »Verkaufe«. Das gilt für alle lebenshilferelevanten Bereiche.

Um wirklich etwas zu ändern, um für uns selbst voranzukommen, und zwar nachhaltig, müssen wir ans Eingemachte. Wir müssen hinterfragen. Alles. Wir müssen das Gefühl für das wiederfinden, was uns wirklich zufrieden macht (das ist meist etwas anderes als das, was uns vermeintlich zufrieden zu machen hat) und damit automatisch auch neuen Erfolg in unser Leben einziehen lässt. Wir müssen das Gefühl für unsere natürliche Power wiederfinden.

Je mehr Möglichkeiten das Leben uns bietet, desto weniger werden wir über den Verstand zu einer guten Entscheidung kommen. Unser Arbeitsspeicher ist mit der Vielzahl der Optionen und ihrer möglichen Konsequenzen nämlich schlichtweg überfordert. Und es gibt leider auch nicht alle zwei Jahre ein neues Modell, das mit einer satten Speichererweiterung die Leistung des Vorgängers pulverisiert. Je mehr Möglichkeiten wir haben, desto wichtiger wird die Intuition.