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Michael T. Wurster · Stefan Hagen (Hrsg.)

Die Karriereschmiede

Karrieren sind kein Zufall – sie werden gemacht

Wissenschaftlicher Beirat:

Prof. Dr. Werner Ziegler

Prof. Dr. Hanns Hub

Prof. Dr. Jörg Knoblauch

Prof. Dr. Cyrus Achouri

Prof. Dr. Michael Hohlstein

Prof. Jörg Mildenberger

Illustrationen von Werner »Tiki« Küstenmacher mit freundlicher Genehmigung von www.simplify.de

Inhalt

Vorwort »Karrieren sind kein Zufall – sie werden gemacht«

Zum Aufbau dieses Buches

Teil 1 Der Einstieg

1. Kapitel »Chancen-Intelligenz«

Von Hermann Scherer

1. BLAUPAUSE »Das Zielfoto meiner Karriere«

2. Kapitel »Engagement«

Von Karl-Otto Kaiser

2. BLAUPAUSE »Studium ist nicht gleich Studium«

3. Kapitel »Das Studium«

Von Prof. Dr. Werner Ziegler

3. BLAUPAUSE »Das Stipendium«

4. Kapitel »Persönlichkeit«

Von Astrid Hellwig

4. BLAUPAUSE »Das Erfolgsbuch«

5. Kapitel »Vernetztes Denken«

Von Prof. Dr. Hanns Hub und Michael T. Wurster

5. BLAUPAUSE »Zehn wirksame Lerntipps«

6. Kapitel »Networking«

Von Michael T. Wurster

6. BLAUPAUSE »Die Präsentation«

7. Kapitel »Mut«

Von Stefan Hagen

7. BLAUPAUSE »Checkliste für das Auslandssemester«

8. Kapitel »Kreativität«

Von Claudia Flor

8. BLAUPAUSE »Die Abschlussarbeit«

9. Kapitel »Ego-Branding«

Von Prof. Dr. Cyrus Achouri

9. BLAUPAUSE »Die Bewerbung«

10. Kapitel »Rhetorik – für Bewerber«

Von Siegfried Lachmann

10. BLAUPAUSE »Die Top 10 der Fragen von Personalern«

11. Kapitel »Business-Knigge«

Von Bernd Fladerer

11. BLAUPAUSE »Tipps für das Assessment-Center«

Teil 2 Der Aufstieg

12. Kapitel »Small Talk«

Von Georg Sommer

12. BLAUPAUSE »Der Mentor«

13. Kapitel »Zeitmanagement«

Von Prof. Dr. Lothar Seiwert, CSP

13. BLAUPAUSE »Wirksames Projektmanagement«

14. Kapitel »Performance«

Von Prof. Dr. Jörg Knoblauch

14. BLAUPAUSE »Das Mitarbeitergespräch«

15. Kapitel »Büroeffizienz«

Von Jürgen Kurz

15. BLAUPAUSE »Wichtige Kennzahlen im Unternehmen«

16. Kapitel »E-Kaizen«

Von Matthias Alber

16. BLAUPAUSE »Es gibt für fast alles eine App«

17. Kapitel »Werte«

Von Thomas Wild

17. BLAUPAUSE »Back to the roots: Der ehrbare Kaufmann«

18. Kapitel »Kundenorientierung«

Von Jürgen Frey

18. BLAUPAUSE »Den inneren Schweinehund motivieren«

19. Kapitel »Wirksam führen««

Von Jürgen Hilse

19. BLAUPAUSE »Das Entscheiden«

20. Kapitel »Verhandlungen«

Von Thomas Wurster

20. BLAUPAUSE »Macht und Politik in Unternehmen«

21. Kapitel »Moderation«

Von Gunter Steidinger

21. BLAUPAUSE »Killerphrasen«

22. Kapitel »Medientraining«

Von Raimund Brichta

22. BLAUPAUSE »Ergonomie am Arbeitsplatz«

23. Kapitel »Gesundheitsmanagement«

Von Jürgen Schuster

23. BLAUPAUSE »Die Stufen der akademischen Karriere«

Teil 3 Kamingespräche

Wolfgang Clement:
Erfolg und Herausforderungen

Dr. Dominique von Matt:
Ein neues Zeitalter der Kreativität

Johannes Schultz:
BMW im »Dienste Ihrer Majestät«

Marcus Smola:
»Undercoverboss« im Best Western Hotel

Joachim Herrmann:
Erfolg stellt sich ein, wenn wir mehr tun als die anderen

Prof. Dr. Claus Hipp:
»Dafür stehe ich mit meinem Namen«

Ursula Rosengart:
Hinter den Kulissen des Wirtschaftsverlags GABAL

Christoph Dahl:
Über Stipendien, Netzwerk und politisches Gespür

Wolfgang Grupp:
Der Familienunternehmer mit Stil – ein Plädoyer für Anstand

Schlusswort

Anhang

Blaupausenredaktion

Danksagung

Literatur und Quellen

Leserstimmen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Informationen sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Lektorat: Christiane Martin, Köln | www.wortfuchs.de
Umschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.de

©2015 GABAL Verlag GmbH, Offenbach
Das E-Book basiert auf dem 2013 erschienenen Buchtitel „Die Karriere-Schmiede“ von Michael T. Wurster und Stefan Hagen, ©2013 GABAL Verlag GmbH, Offenbach.

ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-480-3
ISBN epub: 978-3-86200-975-6

Copyright © 2013 by GABAL Verlag GmbH, Offenbach
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise,
nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

www.die-karriereschmiede.de
designed by Carina Hein, Eschau

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VORWORT

»Karrieren sind kein Zufall – sie werden gemacht«

Wie bekomme ich meinen Traumjob?

Wie entsteht Erfolg?

Welche Fähigkeiten benötige ich?

Und wie schmiede ich meine Karriere?

Vermutlich jeder setzt sich mit Fragen wie diesen auseinander. Aber haben Sie dabei schon einmal an die Möglichkeit gedacht, einfach die erfolgreichsten Unternehmer, Manager und Consultants um Ratschläge zu bitten? Haben Sie schon einmal führende Experten befragt und mit ihnen darüber gesprochen, welche Faktoren den Erfolg wirklich bestimmen? Nun, wir haben genau das getan.

Das Ergebnis unserer zahlreichen Gespräche und Kooperationen halten Sie jetzt in den Händen. Dieses Buch ersetzt ein ganzes Regal voller Bücher. Es begleitet Sie von nun an über Ihre gesamte Karrierelaufbahn hinweg. Es ist mehr als nur ein Sammelband, es ist ein Buch für Generationen: Egal ob Sie Abiturient, Student, Trainee, Manager, Berater oder bereits erfahrener Unternehmer sind. Dieses Buch ist Ihr neues Standardwerk. Es beinhaltet alles. Alles was Sie schon immer über Karriere wissen wollten.

Die Faktoren, die den beruflichen Erfolg ermöglichen, sind dabei zahlreich. Manche Faktoren sind in der Tat unverzichtbar, andere wiederum sind variabel und können von Karriere zu Karriere unterschiedlich sein. Für dieses Buch haben wir gemeinsam mit unserem wissenschaftlichen Beirat die 23 aus unserer Sicht wichtigsten Erfolgsfaktoren ausgewählt. Jedem Erfolgsfaktor ist ein eigenständiges Kapitel gewidmet. Dabei geht es um Themen wie zum Beispiel das Studium, die eigene Persönlichkeit, Networking, Mut, Führung und zahlreiche weitere Aspekte, die Ihren Erfolg maßgeblich beeinflussen. Die 23 vorliegenden Kapitel werden das Rüstzeug für Ihren Erfolg bilden. Dabei sind diese nicht willkürlich angeordnet. Sie folgen einer inneren Logik und erzählen eine Geschichte. Eine Geschichte, in der Sie sich vielleicht selbst wiederfinden werden. Ergänzt wird diese Geschichte immer wieder gezielt durch »Blaupausen«, die von unserer Redaktion verfasst wurden. Absolut kompakt auf den Punkt gebracht liefern unsere Redakteure Ihnen hier Insidertipps, Checklisten, Tools, tiefer gehende Literaturempfehlungen und jede Menge wertvolle Ratschläge.

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Die Herausgeber Stefan Hagen und Michael T. Wurster (Foto: Bianca Hahn)

Eine weitere Besonderheit, mit der wir zugleich ein ganz neues Buchgenre begründen, ist die Vernetzung der Autoren, wie es sie bislang noch nie in Sammelbänden dieses Ausmaßes gab. Die Kapitel greifen wie Zahnräder ineinander und tragen so zu einem besseren Gesamtverständnis bei. Sie werden begreifen, warum Ihre eigene Persönlichkeit Ihren Führungsstil beeinflusst. Sie werden verstehen, inwiefern Sie mit Mut Ihr Netzwerk um ein Vielfaches ausdehnen können, und Sie werden noch viele, viele weitere Verbindungen erkennen. Verbindungen, von denen Sie vielleicht noch nie etwas geahnt haben. Verbindungen, von denen Sie in 40 Jahren fest behaupten werden: Das war der Grundstein meines Erfolges.

Ergänzend dazu haben wir eine ganze Reihe an Kamingesprächen mit inspirierenden Menschen aus Wirtschaft und Politik geführt. Diese Gespräche haben unsere Arbeit an diesem Buch immer wieder aufs Neue geprägt, weshalb wir uns dafür entschieden haben, einen Großteil dieser Kamingespräche in diesem Buch mit zu veröffentlichen.

Nehmen Sie Ihre Zukunft jetzt in die Hand! Ihre Karrierelaufbahn hat soeben begonnen. Wir werden Sie ab sofort begleiten und sind immer für Sie da.

Michael T. Wurster und Stefan Hagen

 

Zum Aufbau dieses Buches

imageKapitel

Die einzelnen Kapitel sind das Herz des Buches. Führende Experten haben hier die Essenz ihres Wissens gebündelt. Sie werden schnell merken, dass jeder Autor dabei seinen ganz eigenen Stil hat. Von stark wissenschaftlich geprägt bis hin zu absolut plakativ. Falls ein Stil Ihnen mal nicht so recht zusagen sollte, blättern Sie einfach auf die letzte Seite des Kapitels. In der »Blackbox« haben wir Herausgeber die Hauptaussagen des Kapitels für Sie noch einmal auf den Punkt gebracht.

imageBlaupausen

Zur Ergänzung der Kapitel hat unsere Redaktion redaktionelle Beiträge verfasst. Diese beinhalten Ratschläge, Checklisten oder sogar Tools, welche direkt Ihrem aktuellen Level angepasst sind. Hier geht es dann um Themen wie Stipendien, Bewerbungen, Kennzahlen, Apps oder einfach Tipps für das Projektmanagement.

imageKamingespräche

Wollten Sie schon immer einmal mit Persönlichkeiten wie zum Beispiel Wolfgang Clement, Prof. Dr. Claus Hipp oder Wolfgang Grupp sprechen? Wollten Sie herausfinden, welche Weisheiten diese Menschen erfolgreich gemacht haben und wie diese Menschen über Erfolg denken? Dieses Buch gibt Ihnen die Chance, von prägenden Persönlichkeiten zu lernen …

imageDownloads

An zahlreichen Stellen erhalten Sie Hinweise zu wertvollem Bonusmaterial, das direkt auf der Homepage zum Buch (www.die-karriereschmiede.de/ks/downloads) oder den entsprechenden Internetseiten der Autoren kostenlos für Sie zum Download bereitsteht.

TEIL 1

DER EINSTIEG

Sie stehen am Anfang Ihrer Karrierelaufbahn? Sie überlegen sich, welche Universität oder Hochschule zu Ihnen passt? Oder vielleicht haben Sie bereits einen Traumarbeitgeber im Kopf und benötigen Ratschläge, wie Ihnen der direkte Einstieg gelingt?

Hier sind Sie genau richtig! Ihre persönlichen Karriereberater haben da mal was für Sie vorbereitet. Willkommen in der Karriereschmiede!

1. KAPITEL

»Chancen-Intelligenz«

VON HERMANN SCHERER1

Wie viele Chancen werden uns vom Leben zugeteilt? Bekommt jeder gleich viele? Gibt es Pechvögel und Glückskinder? Oder ist es vielmehr so, dass man bereit sein muss, sich bietende Chancen auch zu sehen? Wie weit Sie es in Ihrem Leben bringen werden, wird immer davon abhängig sein, ob Sie es lernen, Chancen zu erkennen und zu nutzen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Sie den richtigen Studienplatz suchen, im Management arbeiten oder als Unternehmer durchstarten. Der Anfang Ihres Erfolges ist der Chancen-Blick – um den wird es in diesem Kapitel gehen.

150 Athleten wippen in ihren Laufschuhen, lockern die Nackenmuskulatur und die Oberschenkel, atmen durch, konzentrieren sich. Kameras surren, Fotoapparate klicken. Gleich geht es los! Gleich startet einer der härtesten Wettkämpfe weltweit. Wir sind in Sydney, das Ziel ist Melbourne. Dazwischen liegen 544 Meilen, 875 Kilometer, das Rennen heißt Ultramarathon 1983. Getrunken und gegessen wird unterwegs. Pausen gibt’s nur für ein paar Stunden Schlaf und zur Massage der steinharten Muskeln.

Doch wer ist das, wer stört hier das Bild? Wer hat sich denn da zu den Sportlern verirrt? Will dieser ältere Herr etwa mitlaufen? Der sieht aus wie ein Bauer! Overall und Arbeitsstiefel.

Was für ein Witzbold! Kann man einen fünftägigen Laufwettbewerb in Gummistiefeln laufen? Natürlich nicht. Kann man mit 61 Jahren innerhalb einer Woche 875 Kilometer lang laufen? Das kann kaum ein 20-Jähriger, also ganz klar: nein. Kann ein Landwirt ernsthaft gegen trainierte Top-Athleten antreten? No way.

Also muss es sich um einen Scherz handeln. So ist das. Wer nicht innerhalb der Norm funktioniert, wird belächelt, keiner nimmt ihn ernst. Aber Cliff Young ist das egal. Ohne zu zögern und offenbar ohne sich der Skurrilität seines Auftritts bewusst zu sein, geht er selbstsicher zur Organisatorenriege und holt sich seine Startnummer. Denn er ist nicht hierhergekommen, um zuzusehen. Cliff will in seinem Alter, in seinem Aufzug tatsächlich mitlaufen.

»Sie sind verrückt. Sie werden bei diesem Rennen niemals bis zum Ende durchhalten!« »Aber sicher doch werde ich das.« Cliff lächelt freundlich – und den Reportern, den Veranstaltern, den Zuschauern bleibt vor Entsetzen der Mund offen stehen.

Startschuss. Die 20- und 30-Jährigen preschen los. Cliff bleibt von Anfang an scheinbar hoffnungslos zurück. »Das ist aber auch kein Wunder! Habt ihr gesehen, was der Kerl für einen ulkigen Schritt draufhat?« »Yeah, das sieht ja aus, als würden ihm ständig seine Gummi-Beine davonrutschen!«

Die belustigten Zaungäste des Superrennens haben gerade einer Weltpremiere beigewohnt. Jene merkwürdige Art sich fortzubewegen, die so viel Heiterkeit auslöst, ist der Cliff-Young-Shuffle. Er wird über Jahrzehnte hinweg die Läufer-Szene beschäftigen, er wird zahllose Nachahmer finden, er wird – wie Cliff Young selbst – zur Legende werden. Denn Cliff läuft mit diesem Schritt wie ein Uhrwerk. »Wir haben 2000 Schafe zuhause, auf 2000 Morgen Land«, erzählt er den Reportern. »Um die Tiere zusammenzutreiben, brauche ich manchmal zwei oder drei Tage.«

Cliff meint das wörtlich. Wann immer ein Sturm aufkommt, setzt er sich in Bewegung. Ohne Unterlass, Tag und Nacht. Dass so etwas nicht geht, hat ihm einfach keiner gesagt. Genauso wenig scheint sich Cliff bewusst zu sein, dass die Läufer des Sydney-Melbourne-Ultramarathons sich dringend nachts von ihren Strapazen erholen müssen. 18 Stunden Schritt für Schritt auf hartem Asphalt, in Staubluft oder Regen – da müssen mindestens sechs Stunden Schlaf einfach sein.

Nicht für Cliff. Er hat draußen auf dem Land keinen Schlaf gebraucht, wenn es um seine geliebten Schafe ging. Warum soll er sich jetzt beim Rennen ausruhen? Donnerhall, Blitzkanonade und tosender Nachtsturm – er stellt sich einfach bildlich vor, dass er beim Rennen nicht gegen Läufer läuft, sondern seine im Unwetter verirrten, verängstigten Schafe zusammentreibt. Und er kann auf seine Technik vertrauen: Der Cliff-Young-Shuffle, so stellt sich später heraus, ist eine enorm schonende Art voranzukommen. Cliff kann es sich leisten zurückzufallen, schließlich holt er immer wieder auf, während die andern pausieren. Bis er an der Spitze steht.

Melbourne, fünf Tage, 15 Stunden, vier Minuten nach dem Startschuss: Cliff Young gewinnt. Dass er 10 000 Dollar Siegesprämie erhält, ist unbedeutend angesichts der Tatsache, dass er weit über den Sport hinaus zu einer Ikone wird. Cliff Young – das ist der Mann, der das Unmögliche geschafft hat.

Der Chancen-Blick

Um als Läufer erfolgreich zu sein, können Sie einfach auch mehr trainieren und Ihre Laufleistung Jahr für Jahr um 5 Prozent steigern. Auch das kann Sie im Laufe der Jahre enorm erfolgreich machen. Schafe jagen und Gummistiefel anziehen ist bestimmt kein Erfolgsrezept. Und ich empfehle Ihnen nicht, Ihre Firma besser zu führen, indem Sie in Hausschuhen zum Meeting gehen und dort Trillerpfeifen blasen. Auch wenn solche magischen Momente wie der in Melbourne 1983 so faszinierend wie unerklärlich für alle Außenstehenden sind: Es geht nicht darum, einfach nur verrücktzuspielen, einfach nur anders zu sein als alle anderen.

Wer versucht anders zu sein als alle anderen, orientiert sich doch genauso wie all die Mitläufer am Mainstream – nur eben andersherum. Anders zu sein kann eine Alleinstellung verleihen, Aufmerksamkeit generieren, und wenn man es geschickt anstellt, die Grundlage für reichlich Erfolg sein. Keine Frage.

Aber mir geht es hier um etwas anderes: nicht um Erfolg durch lineare Steigerung und nicht um Erfolg durch eine Anti-Gewöhnlichkeits-Strategie. Beides ist gut und richtig, und zu beidem wurden schon genug Bücher geschrieben, auch von mir selbst. Ich meine hier eine andere Spezies: Glückskinder. Wie Cliff Young. Die machen nicht mehr vom Gleichen und die machen nicht alles anders. Denen ist es nämlich völlig egal, wie man das so macht, was Usus ist, wie es geht, wie es gelehrt wird, wie es zu funktionieren hat.

Wer sich wie ich fragt, wie es sein kann, dass manchen Menschen ein Durchbruch gelingt, wo alle anderen nur eine unüberwindbare Mauer sehen, muss näher hinschauen, in die Leute hineinschauen, um zu verstehen, WARUM sie tun, was noch keiner vor ihnen getan hat.

Wieso schert es sie keinen Deut, was die anderen denken? Wie die anderen sie belächeln und vielleicht sogar auslachen, nur weil sie sich nicht an die unausgesprochenen Regeln halten? Solche Menschen sind offensichtlich vor allem eines: fokussiert. Sie leben in diesen magischen Momenten radikal aus dem Inneren heraus. Handeln vollkommen klar nach ihrer inneren Überzeugung und sind völlig frei von äußeren sozialen Zwängen und inneren Bremsen.

Und sie machen sich frei von ihrer eigenen Geschichte, von der Geschichte aller. Hab ich noch nie gemacht? Kein Problem. Hat noch nie irgendjemand gemacht? Okay, na und?

Durch diesen unbeirrbaren Fokus haben diese besonderen Menschen einen naiven kindlich-einfachen Blick für die Lücke in der Mauer, anstatt auf die pure Masse der Steine zu starren. Tests belegen, dass bei einer schier unausweichlichen Kollision diejenigen Autofahrer die höchsten Überlebenschancen haben, die sich gerade nicht auf ein plötzlich entgegenkommendes Fahrzeug konzentrieren, sondern auf die rettende Lücke.

Glückskinder haben diese Fähigkeit entweder in die Wiege gelegt bekommen oder erlernt, auf jeden Fall aber perfektioniert: Sie sind durch und durch lösungsorientiert, weit über die Grenzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung hinaus, weil sie sich nur für die Lösung und für sonst gar nichts interessieren.

»Never change a running system« – wenn sich wirklich alle an diese Binsenweisheit der IT-Welt gehalten hätten, dann wäre der PC gar nicht erst erfunden worden. Der Marktgigant IBM glaubte nämlich lange Jahre nur an den Computer als aufwendige Firmenlösung. Ein preiswerter Heimrechner für den Massengebrauch – so etwas war doch allenfalls die lächerliche Idee einiger Spinner. Apple, ein verschrobenes Start-up mit einem bunten angebissenen Apfel als Markenzeichen, erntete zwar ab 1977 erste kommerzielle Erfolge mit solch einem seltsamen Produkt. Doch davon ließ sich die Chefetage des marktbeherrschenden Giganten noch lange nicht irritieren. Es brauchte schon eine kleine Verschwörung, um 1980 im IBM-Forschungslabor in Boca Raton an der legendären Bürokratie des IT-Riesen vorbei den Personal Computer zu entwickeln. 1981 wurde der IBM 5150 PC vorgestellt. Gerade mal auf 250 000 Exemplare bezifferten die Vertriebsfachleute den möglichen Absatz. Es wurde ein Siegeszug – wider alle Prognosen.

Die Zukunft ist eben niemals die lineare Fortsetzung von Vergangenheit und Gegenwart. Trotzdem: Wir alle lieben doch die Linearität! Ich ja auch. Sie funktioniert einfach. Nicht umsonst sorgen wir dafür, dass unser Lebenslauf glatt und perfekt aussieht beim Bewerbungsgespräch, alle Veränderungen im Leben sollen im Nachhinein so aussehen, als wenn sie ursprünglich geplant gewesen wären. Das Leben läuft zwar nicht so – und jeder weiß es –, aber der Hang zur Linearität ist in uns so mächtig, dass wir sie lieber konstruieren als auf sie zu verzichten. Die Chancen im Leben kommen aber nicht aus dem Linearen! Mehr vom Gleichen ergibt einfach nur mehr vom Gleichen.

Natürlich brauchen wir die Gewohnheit, die stillschweigenden Verabredungen, die Zwänge und Bindungen unserer Geschichte und unserer Gemeinschaft. Keine Frage. Denn wenn es nur noch Durchbrüche gäbe, nur noch nichtlineare Sprünge, dann hätten wir nichts als Chaos. Aber bisweilen müssen wir die Linearität zerstören. Wir sind so. Ein paar Mal im Leben genügt, aber ab und zu brauchen wir einen Durchbruch, sonst schmeckt das Leben fad.

Der Moment des Durchbruchs, der totalen Verwirrung, des dekonstruierten Musters, ist der Moment der totalen Freiheit. Das sind vielleicht die einzigen Momente, die wirklich lebenswert sind. Das soll nicht heißen, dass Sie alles auf den Kopf stellen sollen um des Aufden-Kopf-Stellens wegen! Aber ab und zu ein kleines Chaos, um neue Kraft zu schöpfen, um alle Akkus wieder aufzuladen, um noch mal etwas von vorne zu beginnen … Ist es nicht unsere Pflicht, die lineare Lebenskette vielleicht zehnmal im Leben zu durchbrechen?

Drei-Wege-Katalysatoren

Mitte der 1990er-Jahre arbeitete ich mit und für die Management Design Group in Kalifornien. Die Gruppe veranstaltete Seminare für Manager mit durchschnittlich 20 Teilnehmern, die sich insgesamt für zehn Tage trafen, verteilt auf vier Termine, beispielsweise in Frankreich, England, Schweden oder den USA. Der Seminarpreis lag damals bei über 80 000 Dollar pro Person. Zuzüglich Reisekosten.

Ich fragte neugierig, welches Ziel mit den Seminaren verfolgt werden sollte. Die Antwort darauf war kurz und knapp: Wir wollen den Verwirrungsgrad unserer Teilnehmer erhöhen.

Ich entgegnete, dass ich das schon für 79 000 Dollar schaffen würde, war aber voller Anerkennung für dieses Ziel. Denn eines ist goldrichtig: Verwirrung fördert Durchbrüche. Um diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen, lohnt es sich, nacheinander drei Wege in Gedanken zu bereisen.

Der erste Weg ist der Weg der Mittelmäßigen. Der geht so: Eine mittelmäßige Schokolade kommt eines Tages an das Ende Ihres Produktlebenszyklus. Das heißt nichts anderes, als dass die Absatzzahlen nicht mehr so toll sind und der wirtschaftliche Exitus droht. Darum beginnt der Hersteller gerade noch rechtzeitig, das Produkt zu verbessern. In der Fachsprache nennt man das dann Relaunch. Die Schokolade wird noch zarter. Die Verpackung wird auf modern getrimmt. Die Bruchstellen lassen sich noch leichter brechen. Die Nussstückchen sind einen Tick gröber, weil die Marktforschung das nahegelegt hat. Die geliftete, mit Botox unterspritzte und neu eingekleidete Schokolade ist nach ihrem Anti-Aging-Programm dann wieder genau da, wo sie vorher war: im Mittelmaß.

Aber immerhin: Sie hält sich. Auch Menschen agieren so, im Beruf nennt man das Karriereplanung. In der Karriere strebt man nach Verbesserung, auch wenn man selbst keine bringt. Bei Unternehmen verändert man das Portfolio, bei Fußballmannschaften trainiert man fleißig und kauft im Rahmen der Möglichkeiten im Sommer einen neuen Spieler. Man unterzieht alles einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess und bleibt am Ball.

Wenn Sie sich einen Menschen, eine Marke, ein Unternehmen von oben betrachtet vorstellen, sehen Sie einen Zeitstrahl, die Jahre des Lebens, die vergangenen und vielleicht auch die hoffentlich noch vor einem liegenden. Und Sie sehen: den Fortschritt, die jährliche Verbesserung, die Veränderung, den »Zuwachs«.

Nun, wenn wir in den letzten Jahren immer schön kontinuierlich jedes Jahr fünf Prozent Wachstum hatten, dann liegt es nahe, auch für das kommende Jahr die fünf Prozent zu planen, oder? Nein, noch besser: Sie lesen gerade eine gutes Buch, sind motiviert eine Steigerung von sechs, sieben oder gar acht Prozent einzuplanen. Gratuliere!

Ganz egal ob es dabei um Ihre Umsätze, Marktanteile oder persönlichen Fähigkeiten oder Ihr Lebensgefühl geht. Das ist eine ganz typische Entwicklung. Jedes Jahr geht es wieder einen Schritt voran. Mensch, Marke oder Unternehmen wächst und gedeiht. Es ist ein gutes Businessmodell, positiv und seriös. Business as usual. Daran ist nichts Schlechtes – im Gegenteil – viele wären froh, wenn die persönliche oder unternehmerische Entwicklung so wäre. Es ist nur  – langweilig!

Der zweite Weg ist der ambitionierte Weg. Dabei geht es darum, mit der Verbesserung des Produkts, der Performance, des Lebens schon zu beginnen, bevor es bereits wieder bergab geht. Am liebsten möchte man schon am Höhepunkt der Entwicklung eingreifen und alles so verbessern, dass ein Kurvenabfall ausgeschlossen ist.

Statt die Schokolade zarter zu machen, wird sie mit einer Zartcreme gefüllt, statt Botox gibt’s Sport oder das Skalpell und für die Karriere besucht man frühzeitig eine dieser zahlreichen Managerlounges und Netzwerktreffen, in denen man sich (un)gezwungen, (un)beschwert, (un)gestört unterhalten und anbiedern kann. Unternehmer machen das, was in der Fachsprache Benchmarking heißt.

Angenommen, Sie würden sich in einem Wettrennen so perfekt am Führenden orientieren, dass Sie es ihm gleichtun könnten und alle anderen im Feld überholten. Auf welchem Platz wären Sie dann, wenn Sie schließlich den Zweitplatzierten überholt hätten? Eben: Zweiter. Und dann? Können Sie auf diese Weise Erster werden?

Man kupfert also heute ab, was die erfolgreichsten vorgestern als »Best Practice« initiiert haben, um gestern an der Spitze zu stehen. Damit schafft man es dann morgen vielleicht an die zweite, dritte oder vierte Position, denn der Marktführer ist ja mittlerweile schon wieder Lichtjahre weiter. Aber immerhin! Zweiter, Dritter oder Vierter ist so lange nicht Letzter, solange es Fünfte, Sechste und Siebte gibt, die es nicht einmal schaffen, die gestrigen Erfolgsstrategien zu kopieren, nicht das Schlechteste. Das Problem ist: Gekauft wird trotzdem beim Ersten.

Das ist nicht nur das Prinzip im Business, sondern auch beim Wettkampf der Spermien um die Eizelle, bei der Eheschließung oder beim Präsidentschaftswahlkampf. Wem der ambitionierte Weg zu aufregend ist, der wählt gar statt »Best Practice« die allgemein anerkannte »Good Practice« – nur um ja keine Verwirrung zu stiften! Mit anderen Worten: Der macht, was man halt macht. Und bekommt, was man halt bekommt: durchschnittliche Erlöse, durchschnittliche Anerkennung, durchschnittliche Aufmerksamkeit. Ein Glückskind wird man so allerdings nicht.

Der dritte Weg ist der unglaubliche Weg – der Weg des Durchbruchs. Er erfordert unwahrscheinlichen Mut. Und totale Verwirrung. Denn diesen Weg zu beschreiten, bedeutet, völlig irrational eine radikale Veränderung zu versuchen, während der Gipfel des Erfolgs aus den Entscheidungen der Vergangenheit noch gar nicht erreicht wurde. Mitten auf dem Erfolgspfad schlägt sich ein solcher Durchbrecher in die Büsche und versucht das Unmögliche. Dazu braucht es mehr als rationale Entscheidungskraft. Dazu braucht es den Mut, mit der eigenen Geschichte zu brechen.

In meiner Arbeit mit der Management Design Group trafen wir Helena. Sie war eine junge, engagierte Trainerin aus Schweden, die den Kurs »Kommunikation und Menschenführung« und den »HIP High Impact Presentation Workshop« anbot. Wie bei vielen Trainern scheiterte es bei Helena weniger an der Dienstleistungsqualität als am Verkauf der Dienstleistung. Der auf 16 Teilnehmer limitierte, dreitägige Wochenendkurs wurde von ihr – wie von den meisten Trainern – zweimal jährlich angeboten. Zwei durchgeführte Veranstaltungen mit je 16 Teilnehmern brachten bei gut 2000 Euro Kursgebühr über 64 000 Euro in Helenas Kasse. Damit befand sich Helena zusammen mit ihren anderen Aktivitäten schon im engagierten Segment der jährlich zelebrierten Umsatz-Ranking-Liste der über 4000 Trainer.

Und Helena war ambitioniert. Sie hatte den Wunsch, ihre Umsätze mit dem HIP-Programm zu steigern. Also fragten wir sie, welche Ziele sie denn mit der Beratung erreichen möchte. Helena wünschte sich statt bisher zwei gleich vier, am liebsten fünf der HIP-Kurse anzubieten! Immerhin eine Umsatzsteigerung von 100 bis 150 Prozent. Ein ehrgeiziges Ziel! Ein ehrgeiziges Ziel?

Mit fünf angebotenen Kursen pro Jahr wäre sie im Feld der Anbieter in der Spitzengruppe gelandet. Zumindest in diesem Segment hätte sie sich damit einen guten Platz in der jährlichen Umsatzstatistik gesichert. Ein guter Plan. Völlig klar und rational, realistisch – und doch ehrgeizig. Ehrgeizig?

Wir schürten die Verwirrung. Wir provozierten Helena: »Das ist doch kein Ziel!« Eine Umsatzsteigerung von 150 Prozent ist kein Ziel – was dann? Helena war verwirrt. Nach einer Reihe von Provokationen kam unsere entscheidende Frage an Helena: »Wie viele Kurse hätten Sie denn am liebsten pro Jahr laufen?«

Helena erwiderte trotzig: »Nun, es ist ein Wochenendkurs, jeweils von Donnerstag bis Samstag, es gibt 52 Wochenenden im Jahr. Wenn wir Weihnachten und Ostern abziehen, dann bleiben 50 Wochenenden frei, das wären 50 Kurse an 50 Wochenenden. Ist das ein Ziel?«

»Ja, das hat noch keiner geschafft. Das ist ein Ziel.«

Ein Jahr später führte Helena tatsächlich 50 ausverkaufte HIP-Kurse pro Jahr in Schweden durch und katapultierte sich mit großem Vorsprung auf Platz 1 der weltweiten Umsatzstatistik mit einem neuen Umsatzweltrekord.

Das tut man nicht!

Rosa Louise Parks tat etwas, was man nicht tut: Sie weigerte sich, aufzustehen, als ein Weißer ihren Sitzplatz im Bus für sich beanspruchte. Und das wirkte wie der berühmte Schlag des Schmetterlingsflügels am Amazonas, der das weltweite Wetter ändern kann: Rosa Parks änderte die Geschichte. Ihre eigene Geschichte, die von Martin Luther King, die von Barack Obama und die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika.

Der Busfahrer rief damals am 1. Dezember 1955 in Montgomery, Alabama, die Polizei und Rosa Parks wurde verhaftet. Sie wurde wegen Störung der öffentlichen Ruhe verurteilt und musste 14 Dollar Strafe zahlen. Das rief Martin Luther King auf den Plan, zu diesem Zeitpunkt ein relativ unbekannter Baptistenprediger. Er organisierte mit seiner Montgomery Improvement Association den Montgomery Bus Boycott. Über ein Jahr lang protestierte die schwarze Bevölkerung von Montgomery gegen die Rassentrennung und weigerte sich, Bus zu fahren. Eine Lawine der Zustimmung und Unterstützung brandete über die Stadt hinweg. Am Ende waren die Behörden gezwungen, die Rassentrennung innerhalb von Bussen und Zügen aufzugeben. Diese Aktion war der Durchbruch für Martin Luther King und die Bürgerrechtsbewegung.

Die Bruchlinie, die damals in den 1950ern in Alabama begann, verläuft quer durch ein halbes Jahrhundert bis zum 20. Januar 2009, dem Tag der Amtseinführung des 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten in Washington. Rosa Parks starb 2005. Sie hat den Sieg des ersten Afroamerikaners im Präsidentschaftswahlkampf ihres Landes leider nicht mehr erlebt.

Die Geschichte ist immer eine Geschichte der Brüche. Haben Sie in den 1980ern an den Fall der Berliner Mauer geglaubt? Hielten Sie es damals für wahrscheinlich, dass die KPdSU aus dem Kreml vertrieben wird, ohne einen Atomkrieg anzuzetteln? Hätten Sie damals je vermutet, dass das Apartheidsystem in Südafrika ohne jedes Blutvergießen fällt? All diese Wenden im Lauf der Geschichte rund um das Jahr 1990 haben tiefe Spuren im Alltag der Menschen hinterlassen. Waren sie wahrscheinlich?

Unmöglich schienen sie, keiner hat damals daran geglaubt. Nachträglich lassen sich von einem ganzen Heer von Wissenschaftlern, Beobachtern und Autoren schlüssige Ursachen dafür finden. Aber wer hat vor den entscheidenden Ereignissen erkannt, an welchem Punkt die Menschen eine einzigartige historische Chance auf dem Silbertablett serviert bekommen? Nicht einmal die Akteure selbst.

Das ganze Leben ist ein Marathon und manchmal entscheidet sich einer, ein Cliff Young zu sein. Und dann werden wir alle abgehängt und bleiben mit offenem Mund zurück.

»Das hätte ich auch gekonnt«, sagt ein Betrachter des Bildes. »Aber erst nachdem du es bei mir gesehen hast!«, sagt Picasso.

Wir alle werden von den Glückskindern auf vielen Strecken abgehängt, weil unser Denken denkt, was wir immer denken, und vor allem das, was wir denken, was die anderen denken, was wir denken sollten. Sie wissen schon, was ich meine … Ständig sind wir versucht, uns allzu strikt an unsere Erfahrungen zu halten, wenn wir Neues planen. Erfahrungen, die Resultat unserer Prägung, unserer Ausbildung sind. Erfahrungen, die wir von Eltern, Vorgesetzten und Vorbildern übernommen haben. Wir denken in den meisten Situationen, was schon von anderen gedacht wurde. Wir vertrauen auf Informationen, die längst auf dem Markt sind. Wir lesen Zeitungen, die andere geschrieben haben, mit Inhalten, die andere durchdacht haben – und die vielleicht längst überholt sind. Wir schauen TV-Komödien an, die ein müder Abklatsch von Welterfolgen sind. Wir hängen uns Bilder an die Wand, die vor 100 Jahren vielleicht mal Provokation waren.

Wir sind nicht geübt im Regelbruch, dafür sorgt schon unser Bildungssystem. Eine Szene aus meiner, aus Ihrer Jugend: Sie sitzen in der Schule, der Lehrer stellt Ihnen eine Frage. Auf eine Frage gibt es in der Regel eine richtige Antwort und unzählig viele falsche Antworten. Sie lassen die Frage auf sich wirken. Ihr Gehirn gibt Ihnen die Meldung, dass Sie die Antwort nicht wissen. Der Lehrer ruft Sie auf. Ihr Adrenalinspiegel steigt. Sie können nur schweigen. Kalter Schweiß an den Händen, dicker Kloß im Hals und rot und heiß brennen die Wangen. Wer hat die richtige Antwort? Der Lehrer, immer der Lehrer. Was lernen wir daraus? Der Lehrer ist eine Institution. Nun sind wir konditioniert. Wir wissen, dass Institutionen immer recht haben.

Nicht dass wir uns falsch verstehen: Organisationen, Traditionen, langjährige Erfahrungen sind ein geistiges Korsett. Und ein Korsett stützt. Es dient dazu, den Alltag zu meistern. Wer sich jeden Morgen überlegt, welche Joggingschuhe er anzieht, welche Strecke er wie lange in welchem Tempo wohl läuft, der wird nie losrennen. Wer ohne langes Nachdenken einem Laufritual folgt, das er von anderen übernommen hat, der schafft das spielend. Vor der Herausforderung Ultramarathon lohnt es sich aber offenbar durchaus, den Autopiloten zu deaktivieren und Kurs und Gangwahl selbst in die Hand zu nehmen.

»Das kannst du nicht, das darfst du nicht, das ist nichts für dich!« Ein Kind hört bis zu seiner Volljährigkeit vermutlich über 100 000-mal diese Gebote. Wenn es später mal ein erfülltes Leben haben will, hört es irgendwann mal weg.

Erst vor Kurzem habe ich ein weiteres Studium mit Master Business Administration Executive abgeschlossen. So ganz ohne Frustrationen gelang mir das allerdings nicht. Zwar ist der MBA recht praxisorientiert aufgebaut. Doch in Planspielen schnitten ich oder mein Team häufig als Gruppenschlechteste ab. Konnte das wahr sein?

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber in den Planspielen ging es um Unternehmenssituationen, die ich vielfach schon erlebt und mit großem Erfolg gemeistert hatte. Schließlich entdeckte ich jedoch den Schlüssel meines akademischen Problems: Die Universitäten und Hochschulen zielen mit ihren praktischen Übungen darauf ab, Regeln zu vermitteln. Außergewöhnliche Blickwinkel oder Schlupflöcher zu finden, ist im Lehrplan nicht vorgesehen. Als Unternehmer hatte ich jedoch immer mit dem blanken Gegenteil meine Erfolge gefeiert: Ich hab die Dinge so gemacht, wie sie funktionieren, nicht so, wie sie in den Regeln vorgeschrieben waren. Wie man es tut, ist dann uninteressant, wenn Sie genau wissen, wie Sie es tun wollen.

Die Welt steht plötzlich kopf

München, 1910: ein mächtiger Eichenschreibtisch, ein kräftiger Stuhl mit dickem Polster, dunkler Dielenboden. Die Türe knirscht, ein Mann mit schwerer Jacke betritt den Raum. Steifer Kragen, üppige Samtkrawatte. Die Hände ragen aus schneeweißen Leinenärmeln mit edlen Manschettenknöpfen, sie umfassen einen Malkasten, dessen Rost sich mit matten grünen, roten, blauen Klecksen mischt.

Tack, tack. Plötzlich bleiben die schwarzen Lederschuhe wie angewurzelt stehen. Gebannt starrt das Augenpaar des Mannes auf das Schauspiel, das sich dort hinten in der Ecke abspielt. Stunde der Dämmerung, durch das Fenster fließt rauschendes Gold. Es sammelt sich – pulsierend, wirbelnd, vibrierend, in allen Farben schillernd – auf einem Stück Leinwand. Zu sehen ist: nichts. Jedenfalls nichts Herkömmliches, nichts Gegenständliches. Stadt, Land, Fluss – alles fehlt und doch ist plötzlich viel mehr als die ewige Staffage aller Malerei vorhanden. Das Bild brennt, es strahlt, es glüht. Später wird der Maler, es ist Wassily Kandinsky, über diesen magischen Moment seines Lebens, ja der Kunstgeschichte, schreiben: »Ich wusste jetzt genau, dass der Gegenstand meinen Bildern schadet.«

Des Rätsels Lösung war ganz einfach. Kandinsky hatte irgendwann ein Gemälde an die Wand gestellt. Als er es an jenem Abend plötzlich neu entdeckte, stand es, stand seine Welt buchstäblich kopf. Alles Herkömmliche war getilgt, der Maler sah reine Form, reine Farbe. Die abstrakte Malerei war erfunden – weil ein Genie im wahrsten Sinn des Wortes etwas ver-rückt hatte.

Wer Durchbrüche erlebt, bricht mit der Sicherheit. Dazu braucht es Wahnsinn – und deswegen fehlt uns dafür so oft der Mut. Wir limitieren unsere Möglichkeiten, wir unterschätzen unsere geistige Potenz. Denken ist so kreativ, so explosiv, so anarchisch wie die Energie des Lichts, die Kandinskys Leinwand durchglühte. Doch meistens denken wir nicht, wir haben bloß Gedanken. Aus Angst vor der eruptiven Gewalt, die in unserem Kopf toben könnte, wagen wir es nur, dort Bilder, Worte, Meinungen zu verschieben, die wir von anderen ausgeliehen haben.

Auch Kandinsky hatte zunächst so gehandelt. Er ließ sich ausbilden an der Münchner Akademie der bildenden Künste und arbeitete bei Franz von Stuck. Dieser Malerfürst prägte mit seinem Hang zu Mythen und zur lasziven Erotik die Kunst der Jahrhundertwende.

Kandinsky folgte ihm. Auch wenn ihm Stucks Ideale fremd blieben, gewann er unter seiner Anleitung solide handwerkliche Grundlagen. Später wurde der Russe zu einem Vorkämpfer des Jugendstils. Doch dieser war damals bereits Mode. Kandinsky zählte sich zur Avantgarde, doch neben ihm marschierten viele. Schon bald scherte er aber aus dem Gleichschritt aus und irritierte selbst künstlerische Freunde mit stilisierten Anklängen an die Volkskunst seiner Heimat.

Auch im persönlichen Umgang zeigte er nun immer mehr Eigensinn und Unangepasstheit, was mitunter zu heftigen Auseinandersetzungen führte. Kandinskys Wahnsinn war also Programm. Wäre er seinen Weg aus der Tradition hin zur unverwechselbaren Individualität nicht konsequent gegangen – wir hätten seinen Namen längst vergessen.

Ein eiskalter Blick, ein scharfer Schnitt

Ich habe gelernt: Manchmal muss ich wie Kandinsky meine bekannten Bilder auf den Kopf stellen. Wir müssen ab und zu die Perspektive wechseln. Dazu braucht es Entschlossenheit.

»Manchmal musst du das Glück schon zwingen«, singt Udo Lindenberg. Wobei es das »Manchmal« in sich hat: Es kommt auf den genau richtigen Augenblick an. Die Widerstände gegen das Neue sind fast immer übermächtig. Aber im magischen Moment genügt dann doch ein kleiner Stoß, um sie fast widerstandslos in sich zusammenfallen zu lassen. Wie traumgesteuert handeln Glückskinder ohne jede Irritation und mit aller Kraft exakt dann, wenn es zu handeln gilt.

Gordion in Kleinasien, 334 vor Christus. Hunderte Brustpanzer glänzen in der Sonne, ein Wald von Lanzen ragt in den stahlblauen Himmel, kein freier Platz mehr auf dem Tempelberg an diesem Tag. Schwerter klirren, Pferde schnauben, ein Raunen geht durch die gewaltige Menge. Plötzlich erscheint der junge Feldherr. Mit straffem Schritt geht er auf das Mysterium dieser Stadt zu. Die Priester breiten es in scheinbarer Demut, aber mit listigem Lächeln vor dem Eindringling aus. Mit 30 000 Mann ist er in die einstige Hauptstadt des Phrygier-Reiches einmarschiert, ein stolzes, ein gewaltiges Heer. Doch wie viele Herrscher und Herrschsüchtige haben sie hier schon kommen und wieder gehen sehen!

Assyrer, Lyder, Meder – alles Streitmächte, vor denen einst die Welt erzitterte. Sie alle hatte der Perserkönig Dareios unterworfen und noch zahllose andere Völkerschaften. Und jenen Gewaltigen wollte nun ein dreister Grieche herausfordern? Seit wann waren denn die Götter auf der Seite der Heißsporne! Hundertschaften von Weisen und Mächtigen hatten sich bereits daran versucht, den magischen Knoten der Stadt zu lösen, das stolzeste Rätsel des Weltkreises. Die Götter lockten, so besagte es ein Orakel, mit hohem Gewinn: Es ging um den Besitz des Perserreiches. Aber am Ende standen immer Verzweiflung, Wut, Ratlosigkeit – alles war vergebens.

Deswegen war es wie in Stein gemeißelt: Auch der blutjunge Makedonierkönig würde jener Schmach nicht entgehen. Gedemütigt würden er und die Seinen übers Meer nach Hause fahren, empfangen von ihren bitterlich weinenden Weibern. Denn die Welt war nun einmal undurchdringlich in sich verschlungen wie ein Knoten. Wehe dem, der vermessen genug war, dies zu bezweifeln! Stille.

Jetzt greift Alexander entschlossen zum Schwert – und schlägt den Gordischen Knoten entzwei. Das Orakel behält recht: Er besiegt das Perserreich, doch das genügt ihm nicht, er stürmt weiter bis Indien, erst am Rande des Weltkreises erfährt er seine Grenze.

Die Folgen jenes genialen Siegeszugs lassen sich bis heute in vielen Ländern besichtigen. Die Szene am Tempelberg ist jedoch eine Legende, die niemand belegen kann – genau wie die Erfindung der abstrakten Malerei durch Kandinsky. Doch Legenden sagen mehr über die historische Wahrheit aus als manches Monument.

Feldherrn leben in enger Tuchfühlung mit dem Glück. Schließlich kann das Kriegsglück sich in jeder Sekunde wenden und sie Land, Leute und Leben kosten. Die Lehre von Gordion lautet: Aggression kann tödlich sein, aber sie ist auch – recht verstanden – Bedingung des Glücks. Denken genügt nicht. Gemacht werden muss es!

Jedes scheinbar unlösbare Problem sieht aus wie ein durch und durch in sich selbst verschlungener Knoten. Ohne Willenskraft, ohne Entscheidungsstärke und Instinkt ist dieses Knäuel nie zu durchschlagen. Jeder könnte es tun, doch nur einer hat die nötige Zielstrebigkeit.

Nur einer macht es dennoch und als Erster. Bevor eine völlig neuartige Erfolgsstory beginnt, braucht es offensichtlich einen Gewaltakt, um sich von tausend guten, aber verwirrenden Ratschlägen, von allzu exakten Berechnungen und gewiss auch dem ein oder anderen Selbstzweifel zu trennen.

»Der hat so viel Glück, dass es wehtut« – kaum einer, der diesen Spruch zitiert, ahnt, wie sehr er recht hat.

Für das Glück sind schmerzhafte Schnitte nötig. Glück hat nur, wer sich – ohne zu zögern, ohne Kompromisse – von all dem lähmenden Ballast um ihn herum und in ihm selbst trennt. Alexanders Blick war eiskalt, als er zum entscheidenden Schlag ausholte. Er sah sein Heer der 30 000 nicht mehr, er hatte das Lächeln der Priester ausgeblendet, nicht einmal die gleißende Sonne über sich nahm er wahr. Da waren nur der Knoten und er – und das Schwert. Zack. Das Glück kommt wie ein Fallbeil.

Über den Autor

Hermann Scherer,
Speaker, Business Expert

Über 2000 Vorträge vor rund einer halben Millionen Menschen, 30  Bücher in 15  Sprachen, viele Presseveröffentlichungen, Dutzende Hochschulvorlesungen, erfolgreiche Firmengründungen, eine anhaltende Beratertätigkeit und immer neue Ziele – das ist Hermann Scherer. Er lebt in Zürich und ist in der Welt zu Hause, wo er mit seinen mitreißenden Auftritten Säle füllt. Der Autor, Wissenschaftler und Businessphilosoph »zählt zu den Besten seines Faches« (Süddeutsche Zeitung).

www.hermannscherer.de

BLACKBOX

Die Herausgeber fassen zusammen …

Wie weit Sie es im Leben bringen, hängt davon ab, ob Sie die Chancen nutzen, die Ihnen das Leben gibt.

Die Zukunft ist niemals die lineare Fortsetzung von Vergangenheit und Gegenwart. Chancen entstehen dort, wo man den Blick weg vom linearen Alltag richtet. Mehr vom Gleichen wird immer mehr vom Gleichen ergeben.

Wer große Durchbrüche sucht, braucht den Mut, seine eigene Geschichte zu brechen.

Wir müssen ab und zu die Perspektive wechseln.

Denken reicht nicht aus. Es muss gemacht werden!

Glück hat nur, wer sich – ohne zu zögern, ohne Kompromisse – von all dem lähmenden Ballast um ihn herum und in ihm selbst trennt.

 

1. BLAUPAUSE

»Das Zielfoto meiner Karriere«

VON MICHAEL T. WURSTER

Was wäre, wenn Ihnen heute eine gute Fee erscheint, die Ihnen sagt: »Egal was auch immer Sie beruflich erreichen möchten, egal wie Ihre Träume aussehen, ich kann Ihnen diese erfüllen, erzählen Sie mir einfach davon.«

Was würden Sie antworten?

Schreiben Sie jetzt alles auf!

Sie schwanken zwischen verschiedenen Wegen? Dann halten Sie alle fest! Wenn Ihnen der Platz unten nicht reicht, nehmen Sie sich einfach ein Blatt Papier und machen da weiter.

Sie behaupten, Sie sind nicht kreativ und sind sich selbst eher unsicher? Dann holen Sie einen kreativen Sparringspartner ins Boot (vgl. Scherer 2009)!

1 Bei diesem Kapitel handelt es sich um einen Auszug aus dem Buch »Glückskinder« von Hermann Scherer, erschienen 2011 im Campus Verlag, Frankfurt / M. und New York.