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Stefanie Demann

Selbstcoaching für Führungskräfte

Standard oder Spitze? Selbstcoaching macht den Unterschied

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Für Tim, Kian, Tom und Jannis – alle auf ihre Art einzigartige Führungskräfte

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

978-3-95623-123-0

Lektorat: Dr. Sandra Krebs, GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Umschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.de

Umschlagfoto: © RFsole/Fotolia

Satz und Layout: Lohse Design, Heppenheim| www.lohse-design.de

Copyright © 2014 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise,

nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

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Inhalt

Vorwort

Einleitung: Übermensch Führungskraft

1 Die eigene Führungskraft mit Selbstcoaching entwickeln

1.1 Was bringt Ihnen Selbstcoaching?

1.2 Wie steht es um Ihre Führungskraft?

1.3 Wo wollen Sie mit Ihrer Führungskraft hin?

1.4 Welche Veränderungen kommen auf Sie zu?

2 Berufliche und private Führungsanforderungen koordinieren

2.1 Von Work-Life-Balance zu Work-Life-Blending

2.2 Komplexität und Multitasking managen

2.3 Fehler und Veränderungen aushalten

2.4 Ihr Potenzial zielsicher einsetzen

3 Mit vielfältigen Stakeholdern kooperieren

3.1 Innere und äußere Akteure unter einen Hut bringen

3.2 Was tun, wenn sich Positionen und Rollen ändern?

3.3 Beziehungen quer durch Kulturen und Generationen

3.4 Modell Feelgood: Müssen Führungskräfte Softies werden?

4 Kontinuierlich überzeugend kommunizieren

4.1 Die Führungskraft als Vorbild

4.2 So setzen Sie Kommunikation als Führungsinstrument richtig ein

4.3 Mit Selbstdarstellung den Marktwert steigern

4.4 Hervorragen und einen Unterschied machen

Ausblick: Abschied von der Führungskraft?

Literaturverzeichnis

Die Autorin

Danke!

Vorwort

„Selbstcoaching? Klingt anstrengend …“ So lautete die Reaktion einer Stirn runzelnden Branchenkennerin auf meine Buchidee. Message: „Das wird nichts.“ Das war 2008. Inzwischen ist dieses Buch bereits mein drittes über Selbstcoaching. Und die beiden ersten finden nach wie vor großen Anklang. Offenbar sind meine Leser nicht der Meinung, dass Selbstcoaching anstrengend klingt – oder was meinen Sie? Vielleicht fürchten Sie sich auch einfach nicht davor, ins Schwitzen zu kommen. Wenn Sie Führungskraft sind oder werden wollen, haben Sie vermutlich die Erfahrung gemacht, dass Anstrengung auch sehr bereichernd sein kann. Das Gute an Selbstcoaching ist, dass Sie selbst bestimmen, wofür und wie sehr Sie sich anstrengen wollen.

Erprobte und direkt umsetzbare Tipps

Dank meiner Tätigkeit an der Henley Business School halten Sie das aktuellste Fachwissen über Führung in den Händen. Vorwissen brauchen Sie für die Lektüre keines. Sie finden hier ausschließlich erprobte und direkt umsetzbare Tipps und Anregungen, die es Ihnen ersparen, zwei Wochen schweigend in einem Kloster zu verbringen oder den ganzen Tag mit komplizierten Checklisten herumzulaufen. Selbstcoaching ist alltagstauglich. Das ist mir als Mutter von drei Kindern, als Selbstständige und Unternehmerfrau wichtig. Als Führungskraft werden Sie nicht gerade herumlungern und überlegen, was Sie mit Ihrer Zeit anfangen sollen. Die Zeit und Energie, die Sie investieren, um Selbstcoacher zu werden, sind auf jeden Fall gut angelegt.

Selbstcoacher machen den Unterschied zwischen gewöhnlichen und außergewöhnlichen Führungspersönlichkeiten.

Viel Erfolg wünscht Ihnen Ihre

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Einleitung: Übermensch Führungskraft

Waren das nicht herrliche Zeiten, als sich noch durch einen beherzten Faustschlag entschied, wer künftig Führungskraft wurde? Früher, sehr viel früher, als Rangfolgen noch durch Krafteinsatz entschieden wurden. Als physische Überlegenheit von Vorteil war. Den Anführer bestimmte einfach das Faustrecht. So lange, bis die Führungskraft zu alt und zu klapprig wurde. Dann kam ein Jüngerer daher, zack, gab’s was auf die Rübe und es war geklärt, wer künftig die Ansagen machte. Die Gruppe folgte wie selbstverständlich demjenigen mit den härtesten Fäusten. Zugegeben, die meisten von Ihnen werden sich diese Zeiten wohl nicht zurück wünschen. Aber wie schön einfach war doch früher die Sache mit dem Führen, oder? Einer sagt, wo es langgeht und alle machen brav mit.

Die Eier legende Wollmilchsau

Erwartungen an die Führungskraft

Wie viel komplizierter ist das Thema Führung heute! Was wird nicht alles von einer Führungskraft erwartet:

Natürlich schadet auch einzigartiges Fachwissen nicht, strategisches Denken, unternehmerisches Handeln, die Fähigkeit widersprüchliche Anforderungen unter permanentem Zeitdruck in Ordnung zu bringen. Ganz zu schweigen davon, während all dieser Herausforderungen gesund und fit zu bleiben, ja: ein Privatleben und sogar Spaß zu haben! Eine Eier legende Wollmilchsau ist nichts dagegen!

Was Führung bedeutet

There is no contradiction betweenbehaving well and doing good business.

Professor John Board, der Dekan der Henley Business School in seiner Rede auf der Abschlussfeier im Oktober 2013

Eloquenz ja, Machtworte nein!

Führungskräften wird heute viel abverlangt. Menschenführung, was wir darunter verstehen, wie wir mit ihr umgehen und was sie idealerweise ausmacht, hat sich über viele Jahrzehnte entwickelt und wird sich künftig weiter verändern. Längst gilt es als überholt, wenn die Führungskraft den Patriarchen raushängen lässt oder gar autoritär auftritt. Eloquenz ja, Machtworte nein.

Empathie statt Druck

Druck funktioniert nur in einer Umgebung der Angst. Aber eine solche Unternehmenskultur kann sich heute kein Unternehmen mehr leisten. Nur: Müssen Führungskräfte deshalb gleich Softies mit ganz viel Gefühl werden? Wo doch jetzt Empathie das Schlüsselwort ist? Das ist die Fähigkeit, andere zu verstehen, überzeugend auf sie einzugehen und vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen. Kurz: Die Herzen anderer Menschen zu erreichen, sie mit einer Vision zu begeistern und mit Charisma zu Höchstleistungen zu motivieren. Darauf legen gut ausgebildete Mitarbeiter sehr viel mehr Wert als früher. Die begehrten Fachkräfte lassen sich nicht mehr allein mit guter Bezahlung, Benefits und Incentives locken. Sie schauen sich den War for Talents gemütlich von außen an und suchen sich in aller Ruhe den Platz, an dem sie ihre Arbeitskraft am liebsten einsetzen möchten.

Wie gehen Sie als Führungskraft damit um? Schließlich erfordert es der Markt, dass Sie die besten Mitarbeiter ergattern – und halten. Und das wird künftig offenbar ein hartes Brot. Was bedeutet für Sie Führung und welche Kraft steckt in Ihnen? Wie führen Sie jetzt und wie wollen Sie künftig führen? Wohin wollen Sie selbst und wohin sollen andere Ihnen folgen?

Selbstcoaching zum Entwirren

Ganzheitlich Führen

Wer sich mit Führung beschäftigt, kommt schnell vom Hundertsten ins Tausendste. Das Thema ist hoch komplex und lässt sich nicht sauber auslösen und weiterverarbeiten wie das Filet eines Fisches. Dieses Buch ist deshalb auch kein Fachbuch über Führung im Wandel der Zeit. Ich betrachte Führung nicht als isolierten Bereich, den man nur verstehen muss und dann klappt das schon mit den Mitarbeitern. Wenn Sie Führungskraft sind oder dabei sind, eine zu werden, dann wissen Sie: Eine Führungsposition wirkt sich auf Ihr ganzes Leben aus. Sie werden plötzlich mit Erwartungen, Anforderungen, Veränderungen und Fragen konfrontiert, die sich nicht durch Googeln oder kurzes Querlesen bei Wikipedia lösen lassen. Fragen, die niemand für Sie beantworten kann. Fragen, deren Antworten irgendwo in Ihnen schlummern – und die sich nicht so einfach wecken lassen.

Vielleicht haben Sie bereits ein Assessment hinter sich oder Sie durchlaufen eine ganze Prozedur von Führungschecks samt Seminaren zu Persönlichkeitsentwicklung, Konfliktmanagement, Selbst- und Zeitmanagement, Führung, mit oder ohne Einzelcoaching, Audits und Selbst-Präsentationen. In jedem Fall tritt früher oder später Verwirrung ein: Was soll das Ganze? Kann ich das überhaupt? Will ich das überhaupt? Warum ich? Bin ich der Richtige? Was kommt noch? Ist es mir das wert? Zum Entwirren hilft Selbstcoaching. Selbstcoacher wissen, wie sie die Dinge – sei es eine Entwicklung, ein Problem oder eine Situation – methodisch reflektieren und damit entwirren können.

Was istSelbstcoaching?

Was Coaching ist, wissen Sie vermutlich. Ein Coach unterstützt durch eine spezielle Art der Gesprächsführung den Coachee, also denjenigen, der mit einem Anliegen zum Coach geht, dabei, Antworten und Lösungsmöglichkeiten zu finden, Entscheidungen zu treffen und sie in die Tat umzusetzen. Das Besondere am Tandem Coach/Coachee ist, dass nicht der Coach sagt, wo es langgeht, sondern der Coachee. Denn er ist alleiniger Experte für sein Anliegen.

Der Coach bereitet dem Coachee den Weg

Der Coach hat eine viel wichtigere Funktion als nur zu lenken: Er entwirrt das Wegenetz und sorgt für klare Sicht. Anstatt dem Coachee Ratschläge zu geben, lässt er ihn selbst erkennen, was das Beste für ihn ist. Der Coach sorgt für Klarheit, der Coachee erkennt, entscheidet und handelt.

Wenn Sie Selbstcoaching betreiben, sind Sie Coach und Coachee in einem. Das geht. Ein gutes Coaching macht Sie ja auch nicht vom Coach abhängig, sondern dient dazu, Sie in die Lage zu versetzen, sich selbst weiterzubringen. Selbstcoaching und Coaching lassen sich natürlich auch miteinander verbinden.

Was Selbstcoaching leistet

Selbstcoaching versetzt Sie in die Lage,

Eine allgemeine Definition für Selbstcoaching gibt es nicht. Das Verständnis reicht von eng gefasst „eine Methode des Selbstmanagements“ bis zum universalen „die Kunst, sich selbst zu helfen“. In diesem Buch wird Selbstcoaching als Anleitung verstanden, den eigenen inneren Coach zu aktivieren mit dem Ziel, sich persönlich weiterzuentwickeln. Selbstcoaching kann nicht bloß eine Methode sein. Sonst würde es ausreichen, diese hier zu erläutern. Sie würden sie anwenden und fertig.

Sie entscheiden, was zu Ihnen passt

Selbstcoaching ist hoch idiosynkratisch: idios = eigen/selbst und syn-krasis = Mischung/Zusammenmengung. Das heißt, beim Selbstcoaching kommt es auf Sie selbst, auf Ihre Eigenheit und die Mischung der Selbstcoaching-Tools an. Es gibt nicht die eine Methode, um sich persönlich weiterzuentwickeln. Jeder Mensch ist verschieden (haben Sie gerade „Ich nicht!“ gedacht?) und jeder hat seine ganz persönlichen Baustellen. Deshalb benötigt auch jeder Mensch eine individuelle Betrachtung und Herangehensweise – und welche das ist, können nur Sie selbst entscheiden. Keine Angst, das ist nicht schwer. Sie werden bei der Lektüre dieses Buches merken, was Sie brauchen. Das ist der Grund, warum auch dieses Buch (nach Selbstcoaching: Die 86 besten Tools und 30 Minuten Selbstcoaching) viele verschiedene Möglichkeiten zur Anleitung vorstellt. Dabei werden einige Angebote Ihren Nerv treffen, andere werden Sie weniger tangieren oder Ihnen momentan egal sein. Im Verlauf Ihrer Entwicklung kann sich das ändern. Alle Selbstcoaching-Angebote in diesem Buch sind eingebettet in ausgewählte Themen und aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse vor dem Hintergrund der Führung. Denn so unterschiedlich Leser und Selbstcoacher sind: als Führungskräfte sind Sie alle ähnlichen Herausforderungen ausgesetzt.

Selbstcoaching ist ein idiosynkratisches System von Methoden, das jeder nutzen kann, um mithilfe seines inneren Coachs die eigene Persönlichkeit zu entwickeln.

Sich selbst und andere führen

Vermutlich hatten Sie auch schon einmal so einen Chef, von dem sich alle gewünscht haben, er möge einfach tot umfallen. Vielleicht war es einer von der Sorte, die mit sich selbst nicht klar kommt und ihre Unsicherheit mit übertriebener Kontrollwut kompensiert. Oder der jähzornige Typ, der meint, er müsste öfter mal ordentlich auf den Putz hauen. Eigentlich ein ganz armes Hemd. Oder der Profilneurotiker, der sich gern Erfolge ans Revers heftet, aber schnell jemand anderen ins Rampenlicht schubst, wenn es mal nicht so gut läuft. Der Verkrampfte, der seine Mitarbeiter klein hält, damit sie ihn nicht überholen. Der Laute, der sich gern reden hört, den es aber nicht interessiert, was seine Mitarbeiter zu sagen haben. Der Bürokrat, der jede neue Idee für Teufelszeug hält. Der Ängstliche, der Druck von oben direkt nach unten weiterreicht …

Was ist gute Führung?

Sie haben bestimmt auch noch eigene Beispiele beizusteuern. Was schlechte Führung ist, darin ist man sich schnell einig. Doch woher gute Führung kommt, diese Suche füllt immer noch Bücher, Fachzeitschriften, Diplom- und Doktorarbeiten. Ich persönlich glaube, dass gute Führung bei der Führungskraft beginnt. Wer mit sich selbst nicht klarkommt und nicht weiß, wohin er will, der kann andere zwar führen, aber im besten Falle nur ins Mittelmaß. „Nur wenige Führungskräfte sehen ein, dass sie letztlich nur eine Person führen müssen, nämlich sich selbst.“ Peter Drucker, der 2005 verstorbene US-amerikanische Pionier der Managementlehre, soll das gesagt haben. Zu diesen Führungskräften gehören Sie offenbar nicht, sonst würden Sie jetzt nicht dieses Buch in Ihren Händen halten.

Mit Selbstcoaching können Führungskräfte sich und ihre Mitarbeiter zu Höchstleistungen bringen. Sie liefern Ergebnisse, die über der Norm liegen und alle anderen im Mittelmaß hinter sich lassen. Sie geben ihr Bestes, ohne sich zu verausgaben.

Empirische Studien belegen inzwischen eindeutig, dass uns Führungsqualitäten nur zum Teil in die Wiege gelegt wurden. Vielmehr können sie erlernt werden.1 Die Autoren der Studie Born to lead? haben ermittelt, dass nur 24 Prozent der typischen Führungseigenschaften genetisch vererbt sind.2 Auf etwa 30 Prozent schätzen die Forscher um den US-amerikanischen Psychologie-Professor Richard D. Arvey das genetische Führungserbe.3 70 bis 75 Prozent Ihrer Persönlichkeit können Sie also so gestalten, wie Sie möchten. Eine gute Nachricht für Selbstcoacher!

1 Bono/Judge, S. 906

2 de Neve/Mikhaylov/Dawes/Christakis/Fowler, S. 45

3 Arvey/Rotundo/Johnson/Zhang/McGue, S. 1

1Die eigene Führungskraft mit Selbstcoaching entwickeln

Wie traurig wäre es, wenn wir erst am Ende unseres Lebens erkennen würden, was wir alles hätten bewirken können. Was alles möglich gewesen wäre. Wozu man fähig gewesen wäre, wenn man es doch nur gewusst hätte. Zu spät zu entdecken, was man eigentlich gewollt hatte, statt dem, was man tatsächlich getan hat – eine Tragödie.

Wohin wollen Sie und wie kommen Sie dorthin?

Zum Glück wird Ihnen dieses Schicksal erspart bleiben. Denn in diesem Kapitel erfahren Sie, wie Sie Selbstcoaching einsetzen, um das Beste für sich herauszuholen. Sie können sich anschließend besser einschätzen und wissen, wohin Sie selbst eigentlich wollen und wie Sie am besten dorthin kommen. Außerdem erfahren Sie mehr darüber, was Führungskräfte künftig auszeichnet und welche Veränderungen auf Sie warten.

1.1 Was bringt Ihnen Selbstcoaching?

Dass Sie als Selbstcoacher – wie Sie aus der Einleitung wissen – zwei Drittel Gestaltungsspielraum haben, heißt nicht, dass Selbstcoaching anstrengend ist. Als anstrengend werden Sie es nur dann empfinden, wenn Sie es eigentlich gar nicht wollen. Selbstcoaching ist kein Kurs, durch den Sie „durchmüssen“. Niemand zwingt Sie, dieses Buch von vorn bis hinten durchzulesen und alle Tipps zu beherzigen. Selbstcoaching passt sich perfekt an Ihre Bedürfnisse an. Wenn Sie etwas interessiert, lesen Sie es nach. Wollen Sie etwas ändern, gibt Ihnen Selbstcoaching einfache, sofort anwendbare Tipps, wie Sie es tun können.

Selbstreflexion

Selbstcoaching beginnt beim Selbst

Selbstcoaching regt zur Reflexion an. Zunächst über sich selbst und mit steigendem Erkenntnisgewinn auch über andere. Sie werden sich selbst und andere besser verstehen. Denn niemand tut etwas ohne Grund. Doch oft liegen diese Gründe im Dunkeln. Auch wenn Sie die Gründe der anderen weder nachvollziehen noch gutheißen noch ändern können: Selbstcoaching hilft Ihnen dabei, andere besser zu verstehen und sie leichter so annehmen zu können, wie sie sind.

Aber wäre es nicht zumindest bei sich selbst schön zu wissen, warum man bestimmte Entscheidungen getroffen hat? Chancen ausgelassen hat? Verhaltensweisen an den Tag legt? Gedanken und Gefühle bevorzugt? Warum man so ist, wie man ist? Und dann – das Selbstcoaching-Tüpfelchen auf dem i – merkt, dass es auch anders geht? Dass Sie sich vieles erleichtern können, wenn Sie nur wissen, was eigentlich los ist?

Ziele des Selbstcoachings

Das können Führungskräfte mit Selbstcoaching bewirken:

Selbstcoaching bleibt nie ohne Effekt. Auch wenn Sie Selbstcoaching nur für sich betreiben, werden die Menschen um Sie herum früher oder später merken, dass etwas anders ist. Dass Sie anders sind, anders auftreten, anders aussehen, anders sprechen, sich anders bewegen, ja, sogar, dass Sie anders denken und fühlen.

Chancen für die Führung

Sobald Sie sich verändern, verändert sich auch Ihr Umgang mit anderen. Und Ihr Selbstcoaching als Führungskraft wirkt sich auch auf Ihre Mitarbeiter aus – zum Glück! Ihre Mitarbeiter können sich glücklich schätzen, denn eine Führungskraft, die

Vier Grenzen des Selbstcoaching

Was denken die anderen?

Grenze Nummer 1: Die Angst sich lächerlich zu machen.

An dem Punkt, an dem andere merken, dass Sie Selbstcoaching betreiben, kommt bei Ihnen vielleicht ein wenig Unbehagen auf. „Dann gucken ja alle!“, denken Sie womöglich. Einige werden wahrscheinlich tatsächlich gucken und sich wundern. Ein paar sich lustig machen. Denn als Führungskraft haben Sie vermutlich nicht nur wohlwollende Gönner um sich herum. Einige Neider und Stühlesäger werden hinter vorgehaltener Hand über Sie lachen: „Jetzt macht der einen auf Gefühls-Öko hier! Das ist doch bloß wieder irgend so ein amerikanischer Quatsch, nach dem in drei Monaten kein Hahn mehr kräht! Hält der sich für was Besseres oder was?!“

Menschen, die sich entwickeln und auf einmal Dinge tun, die sie vorher nicht getan haben, oder Dinge unterlassen, für die sie vorher bekannt waren, fallen auf. Ich nenne das den gesunden Abrieb. Am Anfang ist es vielleicht unangenehm, aber wenn Sie durchhalten, werden Sie merken, dass es immer weniger reibt, so lange, bis es ganz glatt geht. Wenn Sie durchhalten, wundert sich auch irgendwann keiner mehr. Einige werden Sie möglicherweise sogar bewundern. Die zentralen Fragen hier lauten: Tue ich es für mich? Oder tue ich es, um anderen zu gefallen? Was ist mir wichtiger?

Mut gehört dazu

Die Sorge, sich lächerlich zu machen oder von anderen nicht mehr gemocht zu werden, ist eine starke Grenze des Selbstcoaching. Die Angst, etwas zu verändern und sich dabei zu blamieren, hindert uns oft daran, etwas zu versuchen. Hier endet Selbstcoaching. Es sei denn, Sie packen die Angst bei den Hörnern. Denn diese Grenze des Selbstcoaching ist eine selbst geschaffene Grenze. Sie existiert nicht wirklich. Sie ist nur da, solange Sie sie fürchten. Vielleicht kennen Sie die Installation mit dem Wasservorhang: Mitten über den Weg ergießt sich das Wasser aus einem künstlichen Wasserfall. Nur wer schnellen Schrittes weitergeht, erlebt, wie sich der Vorhang im letzten Moment teilt und man trockenen Fußes auf die andere Seite kommt. Wer zögert, wird nass. Genau wie beim Selbstcoaching genügt es nicht, anderen dabei zuzusehen, wie sie diese Erfahrungen machen. Sie müssen es selbst ausprobieren. Das erfordert Mut. Aber mit etwas Mumm lässt sich diese Grenze überwinden. Übrigens: Diejenigen, die über andere lachen, sind in der Regel diejenigen, die diesen Mut niemals aufbringen würden!

Grenze Nummer 2: die Angst vor Entdeckungen.

Eine andere Grenze des Selbstcoachings, die Sie ebenfalls überwinden können, ist die Sorge davor, Dinge zu entdecken, die Sie lieber im Dunkeln gelassen hätten. Jeder Mensch hat Geheimnisse und ich bin absolut nicht dafür, alles ans Licht zu zerren. Nichtsdestotrotz kann Selbstcoaching bewirken, dass Sie die Erkenntnis trifft: „Hier habe ich Mist gebaut.“ Oder: „Warum nur habe ich damals nicht erkannt, dass es das Richtige gewesen wäre?“ Oder: „So kann es nicht weitergehen! Ich muss etwas ändern!“ Nicht-wahr-haben-Wollen, Abwehr, Depression, Trauer – das alles können Reaktionen während eines Selbstcoachings sein. Schock darüber, dass man so blöd war. Wie furchtbar man über andere gedacht, sich ihnen gegenüber verhalten hat. Wie man mit anderen umgegangen ist. Verpasste Chancen. Wie blind man gewesen ist, wie naiv, wie unreif, wie (hier können Sie einsetzen, was Ihnen gerade durch den Kopf geht) … !

Den Finger in die Wunde legen

Wer etwas verändern möchte, hat vorher immer die Erkenntnis gehabt: Das ist noch nicht gut genug. Hier bin ich noch nicht gut genug. Ich will besser werden. Ich will etwas verbessern. Die Tatsache, dass in der Vergangenheit nicht alles in Butter war, dass man selbst unvollkommen ist und immer bleiben wird, erleichtert es Ihnen vielleicht, diese Grenze zu bezwingen. Selbstcoaching legt den Finger in die Wunde – aber nur, um sie zu heilen. Zuerst ist es unangenehm, vielleicht tut es sogar weh. Und auch hier gehören Mut und Veränderungswillen dazu, das auszuhalten. Es wird zunächst schlimmer, bevor es besser wird. Aber besser wird es!

Grenze Nummer 3: Aufschieberitis.

Ebenso mache ich es, wenn ich etwas essen muss, was ich überhaupt nicht ausstehen kann. Ich stelle den Teller vor mich und bilde mir ein, es sei etwas sehr Leckeres, schaue möglichst wenig hin, und ehe ich mich versehe, ist es aufgegessen. Morgens beim Aufstehen – auch etwas, was nicht angenehm ist – springe ich aus dem Bett, denke mir „du legst dich gleich wieder gemütlich rein“, laufe zum Fenster, mache die Verdunklung weg, schnüffle so lange an dem Spalt, bis ich ein bißchen frische Luft spüre, und bin hellwach. Das Bett wird so schnell wie möglich auseinandergelegt, dann ist die Verführung weg. Weißt Du, wie Mutter so etwas nennt? Eine Lebenskünstlerin. Findest du das Wort nicht auch witzig?

Das Tagebuch der Anne Frank, Eintrag vom 10. August 19431

Jetzt seufzen Sie vielleicht und denken sich: „Wie schafft jemand es nur, so diszipliniert zu sein?“ Man selbst kennt eher das Gegenteil: Aufschieberitis, der innere Schweinehund, Stress, Müdigkeit, zu viel Arbeit, keine Zeit, überhaupt – die Zeit, die viel zu schnell vergeht … Es gibt tausend Gründe, kein Selbstcoaching zu betreiben. Aber: Es ist nicht die Aufschieberitis, die uns davon abhält, etwas zu tun. Der Grund, warum wir etwas immer wieder vor uns herschieben, liegt woanders und ist – wie Selbstcoaching – hoch idiosynkratisch, also von Mensch zu Mensch verschieden und so individuell, dass man ihn nicht einfach einer Kategorie zuordnen kann. In diesem Buch bekommen Sie viele Anregungen, über Ihre Motive und Blockaden nachzudenken und herauszufinden, welche Dinge Sie mit Vorliebe tun und warum Sie andere lieber verschieben. Sehen Sie es nicht zu verbissen. Selbstcoaching ist keine Schweiß treibende Angelegenheit. Sie sind nicht gezwungen wie im Fitness-Studio montags, mittwochs und freitags hinzugehen. Niemand kontrolliert, ob Sie weitermachen oder nicht. Ach? Das ist ja das Problem?

Sparringspartner suchen

Wenn Sie gern Selbstcoaching betreiben wollen, sich aber genauso gern ablenken lassen, dann holen Sie sich doch einen Sparringspartner, mit dem Sie zusammen arbeiten. Vereinbaren Sie einen festen Termin. Bereiten Sie eine bestimmte Fragestellung vor, ein Thema, das Sie interessiert und an dem Sie etwas verändern möchten. Treffen Sie sich mit ihm. Einmal im Monat. Alle acht Wochen. Viermal im Jahr. Zweimal im Jahr. Ja, das geht. Die Aufschieberitis-Grenze können Sie knacken, indem Sie Selbstcoaching so betreiben, dass es Ihnen leichtfällt und Spaß macht. Sie spielen gern an Ihrem Smartphone rum? Dann nutzen Sie es fürs Selbstcoaching. Laden Sie sich eine Coaching-App runter. Wenn Sie einen Sparringspartner haben, tauschen Sie sich aus, schicken Sie Miniberichte, Bilder und Filme Ihrer Bemühungen und Erfolge. Führen Sie ein digitales Journal in Form eines Tagesbuchs. Wie macht Ihnen Lernen Spaß? Was tun Sie dabei am liebsten?

Verbinden Sie Selbstcoaching mit etwas Angenehmem

Es ist für Selbstcoaching nicht notwendig, mit Zettel und Stift am Schreibtisch sitzen. Wählen Sie Orte und Tätigkeiten aus, die Ihnen Spaß machen, und verbinden Sie sie mit Selbstcoaching. Reflektieren Sie Ihr Anliegen auf dem Laufband, im Auto oder bei der Gartenarbeit (nicht lachen, aber ich mache das … Unkrautzupfen ist doch viel spannender, wenn man dabei was zu denken hat, oder nicht?). Tippen Sie Einfälle in Ihr Handy, das Sie vermutlich immer dabei haben. Probieren Sie neue Verhaltensweisen an Orten und bei Begegnungen aus, die Ihnen Freude bereiten und bei denen Sie entspannt sind. Sie brauchen nicht alles sofort am Ernstfall Arbeitsplatz proben. Diese Grenze sprengen Sie am besten, indem Sie aus Ihrem Selbstcoaching den Druck rausnehmen. Gehen Sie es ruhig an und verbinden Sie es mit etwas Angenehmem.

Grenze Nummer 4: der tote Winkel. Das ist die einzige Grenze des Selbstcoachings, die wirklich schwer zu knacken ist. Hier geht es um den „toten Winkel“, die verborgenen Dinge, die jeder von uns hat. Sie machen einen Teil Ihrer Person aus und haben nicht nur Auswirkungen darauf, was für ein Mensch, sondern auch darauf, was für eine Führungskraft Sie sind. Wie Sie handeln, sich verhalten, wie Sie mit sich und anderen umgehen und vieles mehr, können Sie sich bewusst machen, es reflektieren und verändern. Aber es gibt immer einen Bereich, den Sie nicht mal so eben einsehen können. Als Autofahrer können Sie den toten Winkel überwinden, indem Sie über die Schulter durch die Fenster schauen. Als Lkw-Fahrer würde Ihnen selbst das nicht helfen.

Johari-Fenster

Den toten Winkel bei uns Menschen haben bereits 1959 die beiden US-amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham mit dem bekannten „Johari-Fenster“ verdeutlicht. Das Johari-Fenster zeigt die Spielräume einer Persönlichkeit, sich selbst zu reflektieren und zu verändern.

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Abb. 1: Johari-Fenster 2

Bereich: öffentliche Person (ÖP)

Der Bereich öffentliche Person ist das, was Sie anderen von sich zeigen. Selbstcoacher arbeiten daran, den öffentlichen Bereich ständig zu vergrößern (ohne dabei allzu privat zu werden). Je größer dieser Bereich ist, desto offener, umgänglicher, kommunikativer sind Sie und desto besser können Sie sich in andere hineinversetzen. In diesem öffentlichen Raum bewegen Sie sich bewusst und reflektierend. Sie nehmen wahr, wie Sie auf andere wirken, und lernen daraus, sodass Sie immer besser werden. Hier können Sie sich und andere selbst gut beobachten, vergleichen, testen, ausprobieren und verinnerlichen. Sie erhalten Feedback und können entscheiden, was Sie daraus machen.

Bereich: der blinde Fleck (BF)

Der blinde Fleck ist der Bereich, in dem Sie anderen zwar etwas von sich zeigen, aber selbst Scheuklappen aufhaben für das, was Sie tun und was es bedeutet. Das können Verlegenheitsgesten sein, die Sie selbst gar nicht wahrnehmen, Ihr Gegenüber aber sehr wohl. Oder Charaktereigenschaften: z. B. der Jähzornige, der sich selbst als durchsetzungsstark einschätzt, während andere ihn beängstigend finden. Der blinde Fleck ist dafür verantwortlich, dass andere längst erkannt haben, was mit einem los ist – nur man selbst nicht. Wenn sich dann jemand ein Herz fasst und einen beiseite nimmt („Wem willst du denn was vormachen? Ich sehe doch, was los ist.“), dann fällt die Fassade und einem gehen die Augen auf. Vorausgesetzt, es gibt in Ihrer Umgebung Menschen, die den Mut aufbringen, Sie anzusprechen. Vorausgesetzt, Sie beharren nicht weiter darauf, dass alles so ist, wie es sein soll.

Selbstcoacher verkleinern den blinden Fleck durch Feedback von außen. Wie wirke ich auf andere? Wodurch wird diese Wirkung hervorgerufen? Was will ich ändern? Wie mache ich das? Feedback wirkt wie das Drehen des Kopfes beim Autofahren: Plötzlich rücken Dinge in den Fokus, die vorher verborgen waren. Voraussetzungen dafür sind die eigene Offenheit und das Vertrauen zu den Menschen, die Ihnen konstruktiv Feedback geben können. Als Führungskraft ist Feedbackgeben eine wichtige Fähigkeit, die vor allem Mitarbeiter der jüngeren Generation von Ihnen erwarten. Als Selbstcoacher bringen Sie es in puncto Feedback zur Meisterschaft.

Bereich: mein Geheimnis (MG)

Im Gegensatz zum blinden Fleck kenne ich den Bereich mein Geheimnis. Nicht jedoch die anderen. Er ist wie ein privates Refugium, zu dem niemand außer mir selbst Zutritt hat.

Geheimnisse zu haben ist nichts Schlimmes und im Selbstcoaching geht es keinesfalls darum, sich völlig nackig zu machen. Das würde niemanden weiterbringen und mehr schaden als nützen. Einige der ganz privaten Dinge wie Erinnerungen und Erlebnisse, Werte und Ansichten gehören allein Ihnen, die braucht niemand zu kennen. Es gibt jedoch auch Geheimnisse, von denen wir glauben, sie hüten zu müssen, und deren Geheimhaltung uns mehr kostet als einbringt. Bestimmt haben Sie es auch schon erlebt, dass Ihnen eine Last von den Schultern genommen wurde, nachdem etwas offenbar wurde, was Sie lange krampfhaft versucht haben zu verheimlichen. Plötzlich stellt sich heraus, dass es auch anderen so geht. Dass das Geheimnis gar nicht so schlimm ist. Dass es okay ist. Ja, dass es Ihnen hilft, es nicht mehr verstecken zu müssen. Selbstsicherheit und Offenheit helfen dabei, sich von Blockaden zu befreien. Schwächen eingestehen zu können, stärkt Sie in den Augen anderer. So vergrößert sich Ihr öffentlicher Bereich und Ihr Standing verbessert sich. Niemand erwartet, dass eine Führungskraft perfekt ist, aber authentisch sollte sie sein.

Bereich: der Autopilot (AP)

Der Bereich Autopilot ist der einzige Bereich, den Sie allein mit Selbstcoaching vermutlich nicht durchdringen werden. Der Autopilot umfasst all die tiefenpsychologisch unbewussten Bestandteile Ihrer Persönlichkeit, die weder Ihnen selbst noch anderen offenbar sind. Um diesen Bereich des Unbewussten und seine Existenz wurde in der Psychologie viel gestritten. Nach der Hochphase der Psychoanalyse herrschte die Meinung vor, das Unbewusste gäbe es gar nicht. Der Mensch sei ein „Homo oeconomicus“, rational und abwägend und würde zum Beispiel Entscheidungen nach eingehender Analyse aller Vor- und Nachteile fällen. Inzwischen hat die Forschung belegt, dass der unbewusste Teil in uns viel mächtiger ist, als bisher angenommen, und dass wir viel häufiger aus dem Bauch heraus entscheiden, als rational abzuwägen. Um den Begriff „das Unbewusste“ zu vermeiden, spricht man heute bevorzugt vom Autopiloten im Gegensatz zum Piloten, der für bewusste Vorgänge steht. Im Bereich des Unbewussten herrschen Gesetzmäßigkeiten und Heuristiken vor, die uns mental steuern, ohne dass wir es mitbekommen. Ob sie sich umfassend ins Bewusstsein holen lassen, ist umstritten. Teile davon lassen sich jedoch immer dann beleuchten, wenn sie sich in Gedanken, Gefühlen oder Taten niederschlagen, die wir hinterfragen können.

Heuristiken

Heute geht die Wissenschaft davon aus, dass sogenannte Heuristiken unser Handeln bestimmen. Sie repräsentieren tief in unserem Unbewussten verankerte Regeln, mit denen Menschen seit Urzeiten alltägliche und herausfordernde Tätigkeiten abwickeln. Heuristiken sind offenbar zum Teil genetisch veranlagt. Sie werden von Generation zu Generation vererbt. Ein anderer Teil entwickelt sich durch Erziehung, Erfahrung und Beobachtung.

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1 Aus: Frank, Anne: Tagebuch. Fischer Verlag 1999, S. 133

2 Abgewandelt von Wikipedia, Stichwort „Johari-Fenster“ http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Johari.svg

3 Abwandelt aus: Demann, Stefanie: Selbstcoaching: Die 86 besten Tools, S. 56