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Claudia Schmitz

ERFOLGREICH AUSBILDEN IM DIGITALEN ZEITALTER

So finden und entwickeln Sie die Mitarbeiter der Zukunft

Das Handbuch für die Ausbildung 4.0

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Externe Links wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches geprüft.

© 2020 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Das E-Book basiert auf dem 2020 erschienenen Buchtitel »Erfolgreich ausbilden im digitalen Zeitalter« von Claudia Schmitz © 2020 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-96739-005-6

Lektorat: Susanne von Ahn, Hasloh

Copyright © 2020 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

www.gabal-verlag.de

Inhalt

Ein paar Worte vorweg

1Warum Ausbildung 4.0?

Einflüsse auf die duale Berufsausbildung

Begriffsdefinition: Ausbildung 4.0 und Industrie 4.0

Ausbildung als Dienstleistung: Vom Finden bis zur Übernahme

Checkliste: Vorüberlegungen zu Ausbildung 4.0

2Akteure in der Berufsausbildung 4.0

Auszubildende – »war früher alles besser?«

Neue Rollen und Aufgaben von Ausbildungsverantwortlichen und Ausbildungsbeauftragten

Ausbildungsleiter als Marke

Zuständige Stellen, Betriebsratsgremien und Initiativen

Berufsschullehrer – 50 Prozent der dualen Berufsausbildung

Eltern – ein wichtiger Einfluss

Checkliste: Entwicklung Ihrer eigenen Marke als Ausbilder bzw. Ausbildungsleiter

3Ausbildungsstrategie, -planung und -controlling

Ausbildungsstrategie

Wie viel ist die Ausbildung wert?

Planung: Vom Interessenten zur Fachkraft

Controlling in der Ausbildung – wozu?

Hilfreiche Planungs- und Controlling-Tools für Ausbildungsverantwortliche

Checkliste: Entwicklung Ihrer Ausbildungsstrategie, des Ausbildungsplans und geeigneter Kennzahlen

4Ausbildungsmarketing

Marketing – braucht es das?

Wer ist die Zielgruppe?

Stellenanzeigen heute

Candidate Experience – oder wie Sie eine Beziehung zu Ihrem Bewerber führen

Alte Werbungstools auf dem Prüfstand

Digital rekrutieren: Rund um die Karriere-Website

Social-Media-Marketing – was ist mit Snapchat, Instagram und TikTok?

Influencer-Marketing – was bringt es?

Gamification im Ausbildungsmarketing

Checkliste: Entwicklung einer Strategie für Ihr Ausbildungsmarketing

5Azubi-Auswahl

Bewerbungsprozess

Kriterien zur Auswahl – völlig klar?

Auswahlinstrumente – wann setze ich sie ein?

Anschreiben noch sinnvoll?

Videobewerbung – der Favorit der Zielgruppe?

Einstellungstage als Erlebnis

KI im Recruiting

Checkliste: Entwicklung Ihres Auswahlsystems

6Ausbildungsbetreuung

Bindungsprogramm: Vom Interesse bis zum ersten Tag

Ausbildungsabbrüche: Ursachen und einfache Lösungen

Berichtsheft – geht es nicht ein bisschen einfacher?

Beurteilen von Auszubildenden

»Schwierige« Fälle während der Ausbildungszeit

Offboarding: Karrierepfade für den Nachwuchs

Checkliste: Verbesserung Ihrer Ausbildungsbetreuung

7Ausbildungsinhalte und -methoden

Neue Lerninhalte in der Ausbildung 4.0

Vier-Stufen-Methode und Co. auf dem Prüfstand

Digitale Methoden zur Verbesserung der Ausbildungsqualität

Einsatz von Augmented und Virtual Reality in der Ausbildung

Agile Lernformate in der Ausbildung

Prüfungsvorbereitung

Auswahl und Einführung einer Lernplattform

Qualifizierung des Ausbildungspersonals

Checkliste: Anpassung Ihrer Ausbildungsinhalte und -methoden

8Ausbildung 4.1

Anhang

Glossar

Verwendete und weiterführende Literatur

Stichwortverzeichnis

Die Autorin

Ein paar Worte vorweg

Vier Punkt Null – was ist eigentlich gerade nicht 4.0? Nun auch noch die Ausbildung? Oder ist das doch nur wieder ein Marketing-Buzzword? Hier geht es nicht darum, einfach ein modernes Ausbildungsbuch zu schreiben, bei dem alles Altbekannte mit digitalen Tools aufgehübscht wird. Es geht vielmehr darum, die Ausbildung im Kontext von verschiedenen Einflüssen ganzheitlich zu betrachten und Ihnen Ideen für die einzelnen Bereiche mitzugeben – sowohl analog als auch digital.

Akademisierung, Digitalisierung, Fachkräftemangel, gesellschaftliche Entwicklungen, globale Krisen und eine Generation von Jugendlichen, die ein anderes Wertesystem mit sich bringt, sind aktuelle wie zukünftig zunehmende Herausforderungen in der dualen Berufsausbildung. Im beruflichen Alltag kommt es daher häufiger zu Konflikten zwischen den verschiedenen Generationen, die gelöst werden müssen. Durch diese Einflüsse müssen sich sowohl KMU als auch große, bis jetzt noch gut bekannte Unternehmen auf dem Markt aktiv um Nachwuchs bemühen. Die Inhalte der Ausbildung müssen unter dem Stichwort »Industrie 4.0« überprüft und methodisch angepasst werden. Aber auch Nicht-Industrieunternehmen sind diesen Einflüssen unterworfen und müssen sich neu aufstellen, wenn sie in Konkurrenz zu anderen stehen und Auszubildende im Home-Office digital lernen und arbeiten müssen.

Diese Themen sind schon länger spürbar, wurden aber von vielen Unternehmen vernachlässigt und nicht rechtzeitig angegangen. Das Ergebnis: Viele Unternehmen finden nicht mehr so einfach und schnell die passenden Auszubildenden und die Zahl der Ausbildungsabbrüche stagniert über die letzten Jahre auf hohem Niveau – bei 25,7 Prozent 2017, verteilt über alle Berufsbilder (BMBF, Berufsbildungsbericht 2019, S. 14).

Zusätzlich verändern sich in vielen Ausbildungsberufen die Anforderungen der Arbeitswelt: Industrie 4.0. und neue Anforderungen im Fachbereich sind Stichworte. Die Ausbildungsrahmenpläne und entsprechende schulische Curricula passen sich nur langsam an. Das lässt viele Ausbildungsverantwortliche mit offenen Fragen alleine, denn zusätzlicher, innerbetrieblicher Unterricht muss organisiert werden.

Die Corona-Krise hat die Auseinandersetzung mit digitalem Lernen und Lehren sowie neuen Konzepten und Prozessen in der Ausbildung beschleunigt. Daraus ergeben sich die Erarbeitung eines neuen Ausbildungskonzeptes und eine neue Herangehensweise bzw. Betrachtungsweise des Themas Ausbildung im Unternehmen.

In diesem Buch werden daher alle Bereiche der Ausbildung von der Ausbildungsplanung bis zur Übernahme der Azubis betrachtet. Zunächst werden die Begrifflichkeiten rund um Ausbildung 4.0 definiert und das Bild einer neuen Ausbildung wird dargestellt (s. Kapitel 1: Warum Ausbildung 4.0?).

Dazu werden die Rollen und Aufgaben der verschiedenen Akteure wie das Ausbildungspersonal, Auszubildende, Zuständige Stelle, Berufsschullehrer und Eltern in der Berufsbildung beleuchtet (s. Kapitel 2: Akteure in der Berufsausbildung 4.0). Zu Beginn der praktischen Umsetzung eines Ausbildungskonzeptes stehen die Entwicklung einer Strategie, die Ausbildungsplanung und das Ausbildungscontrolling (s. Kapitel 3: Ausbildungsstrategie, -planung und -controlling). Das nächste Kapitel widmet sich dem zentralen Thema Ausbildungsmarketing, bei dem insbesondere die strategische Herangehensweise als auch der Einsatz von Social Media betrachtet werden (s. Kapitel 4: Ausbildungsmarketing).

Nach dem Gewinnen von Bewerbern gilt es, sie sinnvoll auszuwählen, womit sich das Kapitel 5, Azubi-Auswahl beschäftigt. Ausbildungsabbrüche und verschiedene Zielgruppen in der Ausbildung erhöhen den Betreuungsaufwand und bringen Besonderheiten mit sich (s. Kapitel 6: Ausbildungsbetreuung).

Die Vermittlung neuer Lerninhalte und Kompetenzen sowie die Möglichkeiten neuer Methoden und Tools wie Mobile Learning, Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) stellen die Ausbildung auf den Kopf. Inhalte und Methoden werden kritisch nach den Anforderungen an Kompetenzen hinterfragt. Die notwendige Qualifizierung des Ausbildungspersonals gerät zunehmend in den Fokus (s. Kapitel 7: Ausbildungsinhalte und -methoden). Den Abschluss des Buches bilden der Blick auf die nächsten Schritte hin zur Ausbildung 4.1 und Fragestellungen, die sich Ausbildungsverantwortliche je nach Reifegrad der eigenen Organisation stellen müssen (s. Kapitel 8: Ausbildung 4.1).

Dieses Buch stellt einfache, umsetzbare Tipps für die Optimierung der Berufsausbildung zur Verfügung. Mithilfe von Checklisten und Leitfragen lassen sich konkrete Handlungsmaßnahmen ableiten. Zudem klärt es auf, wie neue Medien gezielt zur Verbesserung aller Ausbildungsbereiche eingesetzt werden können, ohne bewährte Methoden über Bord zu werfen oder Ausbilder und Auszubildende zu überfordern. Im Glossar am Ende des Buches können Sie unklare Begriffe nachschlagen.

1Warum Ausbildung 4.0?

Zu Recht fragen Sie sich, was das 4.0 hinter dem Begriff Ausbildung nun wieder bedeutet. Vorweg: Es hat seine durchdachte Berechtigung in der Industrie, die nun mal Vorreiter für andere Branchen ist, und kann für die anderen Branchen als ganzheitliche Weiterentwicklung der Ausbildung verstanden werden.

Einflüsse auf die duale Berufsausbildung

Im Vergleich zu vor zehn Jahren haben sich viele Aspekte in der Berufsausbildung verändert. Eine Herausforderung macht sich bei den meisten Unternehmen und Institutionen besonders bemerkbar: passende Auszubildende in ausreichender Anzahl zu finden und diese fit für den Fachbereich zu machen. Dies hat mit verschiedenen Einflüssen zu tun, die auf die duale Berufsausbildung einwirken.

Zunächst hat der gesellschaftliche Wandel hin zur Akademisierung eine immense Auswirkung auf die Einstellung von Schülerinnen und Schülern wie auch auf die Dauer und die Anforderungen, die an Bewerber gestellt werden. Akademisierung bezeichnet den Trend, dass Schülerinnen und Schüler sich eher für ein Studium oder ein duales Studium entscheiden als für eine Ausbildung. In der Grafik auf folgender Seite ist zu sehen, wie stark dieser Trend ist, auch wenn er sich nun wieder etwas beruhigt hat.

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Quelle: BMBF 2017: 43, basierend audf Daten des StBA, iABE 2015 und Schnellmeldung iABE 2016

Abbildung 1: Anstieg der Studierenden

Hinter der Akademisierung steckt auch das Vorurteil gegenüber der Ausbildung, das Eltern und Lehrkräfte den Schülern bei der Berufsberatung oft mitgeben. Vermeintlich werden Akademiker besser bezahlt und bekommen leichter einen Job. Was die Bezahlung betrifft, stimmt dies etwa im Vergleich von einem Facharbeiter zu einem studierten Ingenieur. Aber aktuell hat ein Meister oder Techniker auf dem Arbeitsmarkt deutlich bessere Chancen als ein studierter Kunstwissenschaftler. In diesem konkreten Fall verdient er auch sein Leben lang mehr Geld.

Dennoch ist das Bild von Ausbildung landläufig: schlechteres Einkommen, anstrengende (teils) körperliche Arbeit, Schichtarbeit und anspruchslose Routineaufgaben. Unterstützt wird der Trend auch dadurch, dass Abiturienten und Fachabiturienten eine Ausbildung häufig nur als Basis für ein späteres Studium begreifen. Die Auswirkungen für die duale Berufsausbildung sind: weniger qualifizierte Bewerber, kürzere Verweildauer der Auszubildenden und eine stärkere Mischung aus verschiedenen Milieus, die unterschiedlich angesprochen werden müssen.

Überqualifizierte, ehrgeizige Auszubildende, die kaum im Betrieb zu halten sind, treffen auf schlechter Qualifizierte, die zum einen im sozialen Umgang mit Kunden und Kollegen Unterstützung benötigen, zum anderen Schwierigkeiten haben, sich die fachlichen Inhalte anzueignen.

Im gleichen Zuge wird der Fachkräftemangel genannt. Insbesondere in gewerblich-technischen sowie Pflegeberufen macht sich der Fachkräftemangel auch in der Ausbildung bemerkbar. Die Bewerberzahl nimmt aufgrund der Akademisierung wie aufgrund der Tatsache, dass es aktuell weniger Schülerinnen und Schüler gibt, die sich überhaupt bewerben könnten, ab. Laut Statistischem Bundesamt nimmt die Geburtenzahl in den letzten Jahren zwar zu, die Geburtenjahrgänge waren vor 15 Jahren jedoch sehr niedrig. Dies sind die Geburtenjahrgänge der derzeitigen potenziellen Auszubildenden.

In der Grafik ist deutlich zu erkennen, dass wir das Tal noch vor uns haben:

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Statistisches Bundesamt (Destatis), 2020

Abbildung 2: Anzahl der Geburten in Deutschland von 1991 bis 2018

Faktisch gibt es kaum Mangel an arbeitssuchenden Personen und offenen Stellen. Im Jahr 2018 wurden bundesweit insgesamt rund 589.100 duale Ausbildungsplatzangebote registriert (BIBB, 2019, S. 7).

Dem stehen 610.000 Ausbildungsplatznachfragen gegenüber. Jedoch blieben 2018 57.700 Ausbildungsstellen unbesetzt, was der höchste Wert seit 1994 ist.

Es liegt ein Passungsproblem vor: Die Anforderungen der Unternehmen passen nicht zu den Vorstellungen bzw. Fähigkeiten der Bewerber. Beispielsweise gibt es offene Stellen im Allgäu für Personen, die in Niedersachsen leben und dort keinen Ausbildungsplatz im ländlichen Raum finden. Andersherum suchen Unternehmen bei Auszubildenden immer noch nach Abiturienten, die nach der Ausbildung Sach- und Facharbeiterstellen übernehmen sollen. Hier gehen die Vorstellungen der gut Qualifizierten und die des potenziellen Ausbildungsbetriebes stark auseinander. Zum Teil sind die in der Schule vermittelten Kenntnisse nicht mit den neuen Anforderungen in der Wirtschaft mitgewachsen. Früher reichte ein Haupt- oder Realschulabschluss für die meisten Berufsbilder aus. Heute benötigen viele Mitarbeiter in technischen Berufen erweiterte Kenntnisse in Mathematik, um die Inhalte der Ausbildung zu verstehen und später anwenden zu können.

Zusätzlich hat die Vielzahl an nun möglichen Ausbildungsberufen (2019: 326, Statista 2019) mit einer noch höheren Anzahl von Schwerpunkten und Spezialisierungen sowie an Studiengängen (2019: 20.029, Statista 2019) und unzähligen Möglichkeiten an dualen Studiengängen (2016: 1.592, Statista 2019) auch dazu geführt, dass unter den Bewerbern falsche Vorstellungen von den Berufen bestehen. Beispielsweise ist noch nachvollziehbar, was ein Kfz-Mechatroniker macht. Aber wie der Arbeitsalltag eines Verfahrensmechanikers aussieht?

Ein Einfluss, der auf der Hand liegt, aber auf den ersten Blick weit weg vom allseits gelobten deutschen Erfolgsmodell »duale Berufsausbildung« ist, ist die Globalisierung. Fabriken und Firmenstandorte sind ins Ausland verlagert worden und haben damit insbesondere deutsche Facharbeiter ihren Job gekostet. Darüber hinaus arbeiten Monteure häufiger im Ausland, um dort Anlagen oder andere Standorte zu betreuen. Routinierte Aufgaben wie z. B. Sekretariatsaufgaben, telefonische Gesprächsannahme sowie Teile der Verwaltung können mittlerweile aus Unternehmen ausgelagert werden. Damit ist die Ausbildung in kaufmännischen Berufen für Unternehmen immer weniger attraktiv, da Sachbearbeiter für einzelne Aufgaben zu teuer sind. Kaufmännische Mitarbeiter spezialisieren sich darum umso mehr und müssen immer komplexere Aufgaben übernehmen. Die Spezialisierung von Ausbildungsberufen nimmt von daher zu und insbesondere »neue« Berufe wie der Fachinformatiker werden in vielen auch Nicht-IT-Unternehmen ausgebildet.

Neben all diesen Faktoren ist jedoch insbesondere ein Trend zu nennen, der ganze Industrien revolutioniert und auch vor dem Thema Ausbildung nicht Halt macht: Digitalisierung – ein Begriff, der aus keiner Tageszeitung, Fachkonferenz oder Diskussion wegzudenken ist. Auch dieser Buchtitel gibt einen Hinweis darauf, dass es um die Verbindung von Ausbildung und Digitalisierung gehen mag. Digitalisierung in der Ausbildung verändert vieles: Berufsbilder, die Rolle des Ausbilders, Lernmöglichkeiten, Prozessdokumentation, Attraktivität des Ausbildungsbetriebs, Notwendigkeit von neuen Kompetenzen, Umgang mit komplexen Problemen und Veränderungen usw.

IT-gestütztes Arbeiten macht vor keinem Unternehmen und keiner Institution Halt. Roboter, die in der Produktion unterstützen, sind mittlerweile alltäglich. Für kaufmännische Angestellte ist der PC zum hauptsächlichen Arbeitsgerät geworden. Dies wird insbesondere dann bewusst, wenn beispielsweise der Computer nicht funktioniert – eine Vielzahl an Arbeitnehmern kann so nicht arbeiten. Darüber hinaus werden Prozessoren immer besser und schneller. Beispielsweise kann ein Smartphone heute deutlich mehr als ein leistungsfähiger PC vor zehn Jahren. Hardware wird immer leistungsfähiger und Software immer einfacher, sodass diese vielfach unterstützen können. Künstliche Intelligenz und cyberphysische Systeme können massive Datenmengen auswerten. Daten können etwa zur Optimierung der Auslastung von Maschinen und Logistik genutzt werden. Beispiele, wie digitale Methoden und Werkzeuge beim Ausbildungsmarketing oder auch in der Ausbildung selbst unterstützen können, werden in diesem Buch betrachtet.

Sachbearbeiter und Facharbeiterinnen werden zukünftig ganz andere Aufgaben wahrnehmen und daher müssen Auszubildende bereits in der Ausbildung auf die veränderten Berufsbilder und Geschäftsfelder vorbereitet werden. Neben den Potenzialen, die sich für die Vermittlung von Lerninhalten in der Ausbildung bieten, bedarf es insbesondere auch der Vermittlung digitaler Kompetenzen, damit sich Auszubildende neue Technologien aneignen können. Zudem spielt die Digitalisierung eine Rolle bei der Berufswahl: Für viele Bewerber und deren Eltern ist es wichtig, dass der Beruf zukunftsträchtig ist und nicht von Technologien oder Robotern ersetzt wird.

2020 wurden auch die Bedeutung und der Einfluss von globalen Krisen durch COVID-19 deutlich. Von heute auf morgen sorgte die ausgelöste Pandemie für geschlossene Ausbildungszentren, Ausbildung im Split-System, Azubis im Home-Office, digitale und nicht digitale Berufsschulen und eine große Überforderung der dualen Berufsausbildung mit digitalem Lernen und Lehren wurde deutlich. Schnelle Lösungen mussten her und haben die Ausbildung in vielen Teilen stark verändert. Noch ist diese Krise nicht ausgestanden und weitere globale Krisen werden folgen, auf die sich auch die duale Berufsausbildung vorbereiten muss.

Begriffsdefinition: Ausbildung 4.0 und Industrie 4.0

Was bedeutet nun Ausbildung 4.0? Dazu gibt es verschiedene Definitionen. Es geht zum einen um eine moderne Ausbildung, die konkrete Antworten auf Herausforderungen wie Fachkräftemangel, demografischer Wandel, Globalisierung, Krisen und Digitalisierung gibt. Diese Herausforderungen sind bereits aktuell vorhanden und liegen nicht in allzu ferner Zukunft. Die Ausbildung sorgt für den Nachwuchs von Fachkräften im Unternehmen, um dieses für die Zukunft zu sichern. Diese moderne Ausbildung bringt eine Vielzahl neuer Herangehensweisen und Methoden mit sich.

Ausbildung 4.0 leitet sich zudem vom Begriff »Industrie 4.0« ab und beschreibt somit die Ausbildung im Rahmen der Industrie 4.0. Mit Industrie 4.0 wird die vierte industrielle Revolution bezeichnet. Häufig wird diese industrielle Revolution auch als digitale Revolution definiert. Die Bezeichnung 4.0 erinnert an Versionsnummern von Software oder Betriebssystemen. In Abgrenzung zur dritten industriellen Revolution, die, wie in der Grafik auf Seite 19 oben zu erkennen, auch bereits digitale Aspekte umfasst, beschreibt die vierte industrielle Revolution nicht nur IT, sondern vernetzte Maschinen, die selbstständig miteinander kommunizieren können.

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Abbildung 3: Die vier industriellen Revolutionen

Ausbildung 4.0 ist somit die Antwort der Ausbildung auf die neuen Aspekte von vernetzten Maschinen. Dies ist insbesondere im Maschinenbau und in der Elektroindustrie relevant (M+E-Industrie). Es betrifft auf den ersten Blick nur Auszubildende aus der Industrie, aber die Vernetzung ändert mit all ihren Einflüssen sämtliche Berufsfelder grundlegend und unumstößlich, sodass auch die Aufgabenfelder von kaufmännischen Auszubildenden, von handwerklichen Auszubildenden wie auch von Pflegekräften massiv beeinflusst werden. Genauer bestimmt die Ausbildung 4.0 folgende Bereiche, auf die in den einzelnen Kapiteln noch tiefer eingegangen wird:

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Zinn, 2015; http://www.journal-of-technical-education.de/index.php/joted/article/view/56/68

Abbildung 4: Angelehnt an Bedingungsvariablen der Ausbildung 4.0

Diese vier Bereiche betreffen zunächst die strategische, also mittel- bis langfristige Ausrichtung der Ausbildung im Unternehmen. Sie haben darüber hinaus Auswirkungen auf die Art und Weise der Ausbildung in Form von Methoden und genutzten Technologien. Digitale Hilfsmittel bieten Möglichkeiten in der Ausbildung in Bezug auf Ausbildungsplanung, Controlling, Ausbildungsmarketing, Recruiting und Auswahl, Ausbildungsmethoden, Betreuung und Onboarding bzw. Offboarding.

Alles digitalisieren, und fertig ist die moderne Berufsausbildung? Wenn Ausbildungsverantwortliche über das Thema Ausbildung 4.0 sprechen, dann geht es meist darum, möglichst schnell digitale Einzelmaßnahmen umzusetzen. Da werden Tablets für die Azubis angeschafft und eine teure E-Learning-Plattform installiert. So richtig weiß keiner, was man damit anfangen soll. Häufig müssen Tablets zunächst einmal aufgesetzt und mit einer sicheren Internetverbindung ans interne Netzwerk angeschlossen werden. Die E-Learning-Plattform muss dann Stück für Stück mit Inhalten gefüllt werden. Wie das geht und was da genau abgebildet werden soll, weiß auch keiner so genau. Kurzum: Die Tablets liegen irgendwann in der Ecke und die Plattform verwaist.

Eine moderne, innovative Berufsausbildung ist nicht durch kleine Maßnahmen und die Anschaffung von Hard- und Software zu schaffen; sie ist ein ganzheitliches Konzept, das mit vielen kleineren Maßnahmen beginnen sollte, aber grundsätzlich eine Strategie verfolgt (s. Kapitel 3: Ausbildungsstrategie, -planung und -controlling).

Stellen Sie sich als Ausbildungsverantwortlicher die folgende Frage:

Wie betreffen diese Bereiche meinen Ausbildungsbetrieb und damit auch einzelne Bereiche der Ausbildung?

Ausbildung als Dienstleistung: Vom Finden bis zur Übernahme

Berufsausbildung hatte bis vor wenigen Jahren das Ziel, Nachwuchs selbst auszubilden und sich gesellschaftlich zu engagieren. Eine strategische Bedarfsplanung, die verschiedene Bedarfsanalysen voraussetzt, taucht erst seit Kurzem als Thema in der Ausbildung auf. Da Fachkräfte auf dem externen Arbeitsmarkt immer schwieriger zu finden sind, gewinnt die betriebliche Ausbildung an Bedeutung. Die (inner-) betriebliche Berufsausbildung tritt als Dienstleistung für die Fachbereiche nun stärker in den Vordergrund.

imageDer Fachbereich ist der interne Kunde der betrieblichen Berufsausbildung.

Neben dem Vermitteln von Inhalten der Ausbildungsordnung gilt es nun, Auszubildende passgenau auf den Fachbereich vorzubereiten, damit dieser den Ausgelernten möglichst schnell als Sachbearbeiter oder Facharbeiterin einsetzen kann. Spezielle fachliche und soziale Kompetenzen mit Bezug zum Fachbereich, digitale Kompetenzen und gegebenenfalls Inhalte für weiterführende Karriereschritte müssen nun zusätzlich in der Ausbildung vermittelt werden.

Nicht selten sind notgedrungen Meisterstellen für Auszubildende bereits ein Jahr nach Ausbildungsende vorgesehen. Diese können sie aber nur mit entsprechender Vorbereitung einnehmen. Wie Auszubildende, die zu Beginn der Ausbildung nicht immer die geeigneten Voraussetzungen mitbringen, sich nun zusätzliche Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten aneignen sollen, muss die duale Berufsausbildung lösen. Hier kommen die digitalen Hilfsmittel sowie eine ganzheitliche Strategie als Schlüssel ins Spiel. Es ist ein holistischer Kreislauf, beginnend mit dem Finden der Ausbildungsinteressierten bis zur Übernahme und auch darüber hinaus.

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Checkliste:
Vorüberlegungen zu Ausbildung 4.0

Veränderte ökonomische Interessen / Modelle

imageWie ist unsere Organisation aktuell aufgestellt?

imageWelche Herausforderungen hat die Organisation gerade zu bewältigen?

imageWie lautet das Geschäftsmodell?

imageWie lautet die Unternehmensstrategie?

imageWelche Konsequenzen ergeben sich aus den ökonomischen Interessen und Modellen für die duale Berufsausbildung?

imageWie stark trifft eine globale Krise das Unternehmen? Wie sehr ist es vorbereitet?

Arbeits- und berufssoziologischer Diskurs

imageWelche Anforderungen und Qualifikationen benötigen Fachkräfte heute und in Zukunft?

imageWie werden diese im Ausbildungsbetrieb abgedeckt und entwickelt?

imageWie decken die berufsschulischen Curricula die aktuellen und zukünftigen Anforderungen im Betrieb ab?

imageWelches Ausbildungssystem ist dafür notwendig?

Verändertes Lehren und Lernen

imageWie erleben Sie das Lernverhalten der jungen Generation?

imageWie bilden und entwickeln sich Ausbilder und Ausbildungsbeauftragte weiter?

imageWelche neuen Lernumgebungen ergeben sich daraus?

imageWie verändern sich die Rollen des Ausbildungspersonals?

Veränderte Technologien und Prozesse

imageWelche Technologien verändern die Arbeitsweisen und die Kommunikation?

imageWo und wie spielt Datensicherheit eine Rolle?

imageWo werden Daten generiert und genutzt?

imageWelche neuen intelligenten Maschinen, welche Hardware und Software gibt es in Ihrer Branche?

Diese Vorüberlegungen sind hilfreich für die Übertragung der Buchinhalte auf Ihren Ausbildungsbetrieb. Sie werden in den folgenden Kapiteln konkreter behandelt.

2Akteure in der Berufsausbildung 4.0

In der Berufsausbildung treffen verschiedene Personen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Zielsetzung und unterschiedlichen Anspruchs aufeinander. Im Folgenden betrachten wir diese Akteure genauer und untersuchen, welche Erwartungen und Auswirkungen die veränderten Rahmenbedingungen auf sie haben.

Auszubildende – »war früher alles besser?«

Die wichtigste Gruppe in der Berufsausbildung ist unbestreitbar die der Auszubildenden. Gefühlt wurde noch nie so viel über junge Generationen geredet. Ältere Generationen haben aus unterschiedlichen Gründen wenig Verständnis für das Auftreten und die Bedürfnisse der Jungen. Ist dies nur der normale Generationenkonflikt? Und hat man früher nicht auch schon »die Jugend von heute« gesagt?

Zunächst unterscheiden wir in der Arbeitswelt vier Generationen, die dort miteinander – und leider manchmal auch gegeneinander – arbeiten: Babyboomer, Generation X, Generation Y und Generation Z. Auszubildende sind Repräsentanten der Generationen Y und Z – je nach Geburtsjahr.

Die Generationen unterscheiden sich nicht nur durch das Geburtsjahr, sondern durch ein unterschiedliches Wertesystem. Man geht davon aus, dass sich das Weltbild mit zugehörigem Wertesystem im Jugendalter zwischen 11 und 15 Jahren entwickelt. Alle Erfahrungen und Eindrücke, die ein Jugendlicher in diesem Zeitabschnitt sammelt, beeinflussen, wie er über die Welt denkt, was er von Arbeit und somit auch von Ausbildung erwartet. Daher darf man nur die Jugend eines