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Erin Falconer

How to Get Shit Done

Wie wir Frauen lernen, weniger zu tun,
um mehr zu erreichen

Aus dem Amerikanischen
von Nikolas Bertheau

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Die amerikanische Originalausgabe »How to Get Sh*t Done« erschien 2018 bei North Star Way, New York / USA, einem Imprint von Simon & Schuster.

Das E-Book basiert auf dem 2020 erschienenen Buchtitel »How to get shit done« von Erin Falconer, ©2020 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Externe Links wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches geprüft.

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Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-972-3

ISBN epub: 978-3-95623-930-4

Umschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.de

Titelillustration: Isabel Große Holtforth, Maisach

Autorenfoto: Revolution Pix

Satz und Layout: Das Herstellungsbüro, Hamburg | www.buch-herstellungsbuero.de

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Für Jocelyn und London,
die Vergangenheit und die Zukunft

Inhalt

Einführung: Wer bin ich und was will ich?

Teil I – Sein: Die Macht von POP

1. Kapitel – POP (Persönlichkeit, Ort, Produktivität)

2. Kapitel – Das einzige Okay, das Sie brauchen, ist Ihr eigenes

3. Kapitel – Sie und Ihre kluge Sprache

4. Kapitel – Wie das Internet uns Frauen in die Hände spielt

Teil II – Machen: Wie Sie Ihre Produktivität steigern

5. Kapitel – Fokussieren Sie sich auf drei Dinge

6. Kapitel – Erledigen Sie nicht alles selbst

7. Kapitel – Wie Sie Ihre Zeit besser nutzen

8. Kapitel – Ihre POP-Truppe

9. Kapitel – Ihr persönlicher POP-Plan

10. Kapitel – Wie Sie ein Burn-out vermeiden

Epilog: Und jetzt?

Danksagung

Referenzen

Die Autorin

Einführung: Wer bin ich und was will ich?

Zwölf Jahre lang (von meiner Einschulung als Fünfjährige bis zu meinem Schulabschluss) besuchte ich »Balmoral Hall«, die beste Privatschule für Mädchen in Winnipeg in der kanadischen Provinz Manitoba. Als ich in der neunten Klasse war, öffnete die bis dato beste Privatschule für Jungen ihre Pforten für Mädchen und ich verlor ein Drittel meiner Klassenkameradinnen, denn natürlich galt die Jungenschule als die bessere Schule. Na toll.

Ich wurde zur Schulsprecherin gewählt. Ich war Kapitänin der Debattiermannschaft. Ich hielt die Schülerinnenrede auf der Schulentlassungsfeier. Ich erhielt ein Vollstipendium für einen Sommerkurs an der »Oxford University«. Ich spielte Saxophon.

In meinem letzten Frühjahr an der Schule begann ich mich mit Stand-up-Comedy zu beschäftigen.

Mein Schock wurde nur noch von meiner Wut übertroffen, als mich Harvard auf die Warteliste (!) setzte – hätte ich also doch zu dieser bescheuerten Jungenschule wechseln sollen?

Und noch einmal wurde mein Schock nur von meiner Wut übertroffen, als die »McGill University« mir zu verstehen gab, wie egal ihr meine Anwesenheit war – oder warum verpasste sie mir im ersten Studienjahr Noten mit einem Schnitt von B–?

Ich legte mich nur noch mehr ins Zeug. Lernte, Gauloises zu rauchen. Hatte nacheinander einen asiatischen, einen israelischen und einen arabischen Freund (bitte nicht lachen!). Man könnte sagen, ich wurde Kosmopolitin – über Nacht. Zum ersten Mal verliebte ich mich in eine Stadt und in Poutine (eine Lokalspezialität). Ich machte meinen Abschluss mit Auszeichnung. Ich schüttelte meine »Law School Admission Tests« aus dem Ärmel und war auf dem besten Weg zum Jurastudium, als ich mich auf einmal fragte: Warum den einfachen Weg gehen?

Und so zog ich nach Toronto, um Schriftstellerin zu werden.

Sich der Tatsache wohl bewusst, dass jedes Testergebnis von unter 90 Prozent – und sei es nur ein Augentest – ihrer Tochter eine schlaflose Woche bescheren würde, signalisierten meine Eltern verhaltene Unterstützung und trösteten sich mit dem Gedanken, dass dieser Ausbruch von Lebensfreude ein kreatives, erfüllendes Experiment bedeutete, das doch gewisslich mit meiner Zulassung zur »Osgoode Hall Law School« ein Jahr später sein glückliches Ende finden würde.

Fünf Jahre später saß ich, übernächtigt von vielen kellnernd verbrachten Abenden, in einem Café in Toronto – »Eggspectation« – meinen Eltern gegenüber. Sie hatten sich ins Flugzeug gesetzt, um mir auf freundliche, kanadische Art die Meinung zu sagen. Ich sehe meinen Vater noch vor mir, wie er mit besorgtem Gesichtsausdruck verkündete: »Du hast das hier jetzt lange genug gemacht.«

»Das finde ich auch!«, sagte ich mit aller Bestimmtheit. Ein erleichtertes Lächeln (wussten wir doch, dass du früher oder später zur Vernunft kommen würdest!) erhellte die Gesichter meiner Eltern. »Und deshalb habe ich beschlossen, dass ich, wenn ich diesem Traum eine echte Chance geben will, nach Los Angeles gehen muss«, verkündete ich stolz.

Kaffee regnete über den Tisch.

Drei Tage nach 9/11 flog ich nach Winnipeg zurück, sprang in den alten Toyota Camry meiner Eltern und fuhr geradewegs über die Grenze bis hinunter nach L.A.

Ich hatte kein Geld – 700 kanadische Dollar, um genau zu sein. Ich hatte keine Papiere. Und keinen Plan.

Die nächsten zehn Jahre waren die totale Achterbahnfahrt. Ich schlug mich mit diversen Gelegenheitsjobs durch. Aufgrund des besonderen Status, den mir meine Ausbildung verschaffte (Kanadas Harvard sei Dank!), erhielt ich schließlich mein Arbeitsvisum, und meine Eltern erwähnten meine Juristenkarriere immer seltener. Alles sah vielversprechend aus. Ich schrieb fünf Drehbücher, drehte zwei Kurzfilme, die Festivalnominierungen erhielten, bewegte mich auf Inlineskates, lebte in Venice Beach, verliebte mich bis über die Ohren und wurde Ehrenbürgerin von Los Angeles.

Alles war perfekt. Bis …

Nach fünf Jahren in L.A. ereilte mich eine persönliche Tragödie (die Stoff genug für ein eigenes Buch böte). Ein Jahr später – 2008 – crashte die Wirtschaft. Mein Partner und ich verloren alles.

Wir trennten uns.

Ich blieb ohne Auto.

Mein Haus wurde gepfändet.

Mein Visum lief aus.

Ich war ruiniert.

Die Worte meines Vaters schossen mir wieder und wieder durch den Kopf: Du hast das hier lange genug gemacht. DU HAST DAS HIER LANGE GENUG GEMACHT! Ich hatte es komplett vermasselt. Wenn es einen Weg gab, den ich hätte einschlagen sollen, hatte ich den Hinweis dazu übersehen. Oder ich hatte ihn bekommen, aber ignoriert. Mein ganzes Leben lang war ich der kleinen Stimme in meinem Kopf gefolgt, die mir sagte, wo es langgeht. Als ich den Brief meiner Hypothekenbank mit der Aufforderung in der Hand hielt, mein Haus »binnen 90 Tagen zu räumen«, war mir, als hätte mich diese Stimme zum ersten Mal im Stich gelassen.

Ich hatte der Welt jene Person zeigen wollen, von der ich wusste, dass sie in mir steckte – jenes ehrgeizige Mädchen, das es mit der Welt aufnehmen konnte. Stattdessen bekam ich nichts, aber auch gar nichts auf die Reihe. Schlimmer noch, ich konnte meine Puzzleteile kaum finden, geschweige denn zusammensetzen. Ich wusste schlicht nicht mehr, wer ich war. Mit Sicherheit aber war ich nicht das Tausendsassa-Mädchen, für das ich mich immer gehalten hatte.

Ich gab also auf, kapitulierte und plante meinen reumütigen Rückzug in das elterliche Haus in Kanada – mit »Ihr wusstet es schon immer«-Tattoo auf der Stirn. Ich musste mich damit abfinden, dass ich nicht dafür bestimmt war, L.A. zu erobern. Ich konnte kaum meine Miete bezahlen, geschweige denn mich als Schriftstellerin über Wasser halten. Schluchzend begann ich, mein Leben einzupacken und mich für den Umzug bereit zu machen.

Und an diesem seinem tiefsten Punkt begann sich mein Leben zu drehen.

Und eines kann ich Ihnen sagen: Wenn Sie Gott zum Lachen bringen wollen, brauchen Sie ihm nur Ihre Pläne zu erzählen.

In einem letzten verzweifelten Anlauf hatte ich mich für einen Job als Texterin beworben, den ich auf Craigslist gesehen hatte – und bekam ihn. Es war eine mit 15 Dollar in der Stunde bezahlte regelmäßige Schreibtätigkeit für ein kleines Persönlichkeitsentwicklungs-Start-up. Anfangs erschien mir das wie ein gewaltiger Dämpfer für mein Ego. Das waren nicht gerade die Art Texte, die zu schreiben ich mir vorgestellt hatte, als ich nach L.A. zog. Damals hatte ich mir vorgestellt, wie George Clooney mir meinen Oskar und seine Telefonnummer überreichen würde. Dieser Job war weder berauschend noch heldenhaft, aber ich befand mich nun einmal in einer Notlage und musste mir irgendwie Zeit erkaufen.

Ich stürzte mich mit Haut und Haaren in den Job und war in der Tat ziemlich gut darin. Ja, sogar mehr als das. Ich leistete gute Arbeit, knüpfte Kontakte und lernte viel über das Internet. Ich übernahm die Leitung eines kleinen Blogs namens »Pick the Brain« und mit dem Blog wuchs mein Selbstvertrauen. Binnen zweier Jahre wuchs PTB zu einer der erfolgreichsten Persönlichkeitsentwicklungs-Adressen im Netz heran und ich war die Chefredakteurin und Miteigentümerin. Irgendwann wurde mir klar: Ich lebte meinen Traum: Ich bezahlte meine Miete von meinen eigenen Worten! Was ich nicht erwartet hatte, war, wie viel ich am Ende von den Hunderten von Persönlichkeitsentwicklungs-Autoren lernte, die ich redigierte und betreute. Wie hätte ich, als ich anfing, wissen können, dass wir am Ende anderen Menschen helfen würden, genau die beschissenen Entscheidungen nicht zu treffen, die ich getroffen hatte. Es fühlte sich richtig, richtig, richtig gut an, anderen zu helfen, ihren eigenen Weg zu finden.

Mit den Jahren setzte noch eine andere Wandlung ein. Ich begann mich an das Tausendsassa-Mädchen zu erinnern, das ich gewesen war, bevor mir das Leben ins Gesicht trat. Ich verbrachte große Teile meiner Arbeitstage damit, Persönlichkeitsentwicklungs-Texte von Menschen zu lesen, die so viel klüger waren als ich, und verdammt, es funktionierte. »Pick the Brain« half mir, die Puzzlestücke meines Lebens wieder zusammenzufügen und mich wieder in die Verfassung zu bringen, die ich brauchte, um jenes sich in einem fort entschuldigende, immer ängstliche und zimperliche Wesen abzuschütteln, das ich mit Anfang 20 geworden war. Hier nun lernte ich, mein Ding zu machen und mich einen Sch* darum zu kümmern, was andere von mir erwarteten.

Zwei Jahre später sammelten meine Partnerin Geri Hirsch und ich eine Million US-Dollar ein, um unser eigenes Lifestyle-Start-up namens LEAFtv zu starten – die erste In-Video-Shopping-Site im Netz. Ich hatte mehr als 300 Autoren aus aller Welt, die für »Pick the Brain« schrieben. Das Wirtschaftsmagazin Forbes listete den Blog 2013 unter den »100 einflussreichsten Websites für Frauen«.

Wieder zwei Jahre später wurde LEAF vom börsennotierten Unternehmen Demand Media – der heutigen Leaf Group – übernommen. Geri und ich wurden ebenfalls für zwei Jahre »übernommen«.

Ich hatte es geschafft!

Wirklich …?

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Vor etwa drei Jahren jonglierte ich also mit zwei erfolgreichen Unternehmen in einer Branche, die niemals schläft, als eine abgefahrene New Yorker Literaturagentin bei mir anklopfte und mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, ein Buch zu schreiben.

Ob ich ein Buch schreiben wollte?????

Also … MEIN GOTT, HALLO, ICH BIN’S, MARGARET!*

Dies und nichts anderes war der ganze Grund gewesen, warum ich überhaupt nach Los Angeles gekommen war.

Aber wie in aller Welt sollte ich das anstellen? Und was das absolut Absurdeste war: Sie wollten, dass ich ein Buch über Produktivität schreibe! Aber wie es aussah, hatte ich keine Wahl.

Ich musste irgendwie die Zeit dazu finden.

Wir unterzeichneten die Papiere, und 13 Jahre nach meinem Umzug nach L.A. war ich offiziell eine Autorin unter Vertrag. Ich konnte es kaum fassen.

Sieben lange Monate gingen ins Land, und ich hatte kein einziges Wort geschrieben. Kein. Einziges. Wort.

Zu meiner Überraschung ließ die Begeisterung von der New Yorker Seite nicht nach – wenn überhaupt, nahm sie noch zu. Man ließ mich nicht vom Haken. Ich machte mir Vorwürfe. Wie konnte ich mir diese Chance entgehen lassen? Wie konnte ich einfach nichts tun? Ich!?

Einen Monat später war ich nahe daran, das Handtuch zu werfen. Auf meinem Plan stand ein Telefongespräch mit meiner Agentin, um ihr von meinen letzten bescheidenen Überlegungen zum Produktivitätsbuch zu berichten, mit dem ich einfach nicht weiterkam. Guter Scherz. In Wahrheit wollte ich ihr sagen, dass der Augenblick nicht der richtige wäre und ich passen müsste.

Und das hätte ich getan, hätte ich nicht kurz vor dem Anruf eine ganz bestimmte E-Mail gelesen.

Als ehemalige Schülerin der besten Mädchenschule Winnipegs bekomme ich monatlich einen Newsletter mit der Betreffzeile »Calling All Crestlines«, was frei übersetzt bedeutet: »Schreib uns und berichte uns über deine Erfolge im Leben.« Drei oder vier Jahre lang hatte ich regelmäßig diese E-Mails bekommen. Und jedes Mal hatte ich sie geöffnet und mir all die tollen Errungenschaften der Ehemaligen angeschaut:

»Mary Joe Clairmont, geb. Smith, Jg. 96, hat soeben ihren ersten Nachwuchs Max zur Welt gebracht«; »Barbara Goldberg, geb. Rosen, Jg. 99, wurde an der Dalhousie University zum Masterstudium der Ingenieurswissenschaften zugelassen«; »Ginnie Rotthousen, geb. Flugaelsteen, Jg. 57, hat ihren neuen Golden Retriever erfolgreich stubenrein gemacht«.

Und seit drei oder vier Jahren sagte ich mir jeden Monat: Ich kann es gar nicht erwarten, selbst einmal etwas vermelden zu können. Vielleicht im nächsten Monat!

Kurz bevor ich mich zum Gespräch mit meiner Agentin einwählte, poppte also der monatliche Calling-All-Crestlines-Newsletter auf meinem Bildschirm auf, und ich scrollte mechanisch durch die Meldungen und wollte schon innerlich sagen: Ich kann es gar nicht erwarten, selbst einmal etwas vermelden zu können, als ich mir selbst ins Wort fiel.

»Willst du mich verarschen?«, sagte ich laut.

Du wünschst, du hättest etwas zu vermelden???

Wie wäre es mit … nun ja, vielleicht damit:

Du betreibst einen der meistbeachteten Persönlichkeitsentwicklungs-Blogs der Welt, hast dein Start-up nach nur zwei Jahren an ein börsennotiertes Unternehmen verkauft, stehst auf einer Forbes-Top-100-Liste, wurdest als eine der Top-Influencer in Los Angeles bezeichnet, hast heute 400 Leute, die für dich schreiben, wurdest zweimal eingeladen, einen TEDx-Talk zu halten, und hast in den sozialen Netzwerken mehr als EINE MILLION Follower …

Und als ich all das aufzählte – und echt stolz auf mich hätte sein können! – wurde mir stattdessen bewusst, wie müde und vergleichsweise unglücklich ich war. Ich rechnete mir all das Erreichte nicht an. Und vielleicht zählte das alles in meinen Augen einfach nicht. Ich schaute in keinem Augenblick zurück – ich hetzte nur immer weiter zum Nächsten … und zum Übernächsten! Mit anderen Worten: Ich war produktiv wie nur was, aber nicht nach meinen eigenen Maßstäben.

Und das war der Augenblick, als es mir zu dämmern begann!

Ich musste noch einmal von vorn beginnen. Wieder einmal. Ich musste herausfinden, was für mich selbst zählte und wie ich etwas schaffen und dabei meinen eigenen Werten und Zielen als Mensch und als Frau treu bleiben konnte. Ich wusste, dass das Zeit brauchen würde, aber ich wusste auch, dass ich da etwas Wichtigem auf der Spur war. Und weil ich, wenn eines, dann ehrgeizig bin, sagte mir mein Gefühl, dass ich einen Pfad zur Produktivität finden würde, den auch andere Frauen würden nutzen können.

Ich rief also meine Agentin an, und meine Stimme zitterte vor Aufregung.

Ja, ich werde dieses Buch schreiben!

Und ja, es wird darin um Produktivität gehen!

»Calling All Crestlines«:

»Erin Falconer, geb. Falconer, Jg. 92, wird ein Buch schreiben, in dem sie Produktivität von Frauen im 21. Jahrhundert neu definiert. Lest alles darüber. Sofern ihr die Zeit dafür erübrigen könnt …«

* Anspielung auf den 1970 erschienenen Jugendroman der US-amerikanischen Schriftstellerin und Pädagogin Judy Blume »Are You There God? It’s Me, Margaret«

Teil I

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Sein

Die Macht von POP

1. Kapitel – POP (Persönlichkeit, Ort, Produktivität)

Freud fragte einst: »Was wollen Frauen?«

Verdammt. Gute. Frage.

Was ich daran am interessantesten finde, ist, dass Männer, wie es scheint, sich diese Frage regelmäßig stellen, Frauen aber so gut wie nie. Oder wenn, dann beladen mit Schuldgefühlen. (Ich kann mich nicht mit solchen Fragen abgeben, wenn ich in derselben Zeit anderes erledigen könnte oder sollte.) Frauen sind im klassischen Sinn des Wortes der Inbegriff von Produktivität. Mir fällt (außer der Blattschneiderameise) keine Spezies ein, die mehr auf die Reihe kriegt – angefangen mit der Erzeugung und dem Überleben der Gattung Mensch. Und doch wurden wir Frauen bis vor sehr Kurzem irgendwie – irgendwie – und ganz besonders durch unsere eigene Brille immer als zweitklassig wahrgenommen. Wir haben ständig das Bedürfnis, unseren Wert unter Beweis zu stellen, wo dieser doch jedem Wesen oder Ding im Umkreis von einhundert Meilen rund um den Planeten offensichtlich sein sollte.

Wir leisten eine ganze Menge, nicht wahr? Jeden Tag ein bisschen mehr – mit jeder neuen App und jedem neuen Tool. Nur dass diese modernen Tools (die besonders Frauen zugutekommen – ich werde darauf noch zurückkommen) doch eigentlich dazu genutzt werden sollten, um Zeit freizumachen, um – nun ja – leben zu können. Aber wie Frauen nun einmal so sind: Wie werden diese Tools genutzt? Richtig: um Zeit zu sparen. Und um in dieser Zeit dann noch mehr zu leisten.

Studien belegen, dass Frauen täglich im Schnitt ein bis drei Stunden länger arbeiten als Männer, wenn wir die unbezahlte Arbeit zu Hause mit einrechnen. Richtig: Nach einem vollen Arbeitstag im bezahlten Job (in dem Sie freilich nur vier Fünftel dessen bezahlt bekommen, was Ihr männlicher Kollege für dieselbe Arbeit erhält) eilen Sie nach Hause, um sich noch ein paar Stunden um die Kinder, das Abendessen und die Wäsche zu kümmern. Und scheint es uns nicht, als wären wir, je mehr wir leisten, nur umso unzufriedener, manischer und gestresster? Anfänglich fühlt sich das gut an, so über den Tag alles auf die Reihe zu kriegen. Aber das ist wie eine Droge. Das Hochgefühl verfliegt, und am Ende des Tages sind wir erschöpft – mit schmerzendem Rücken von all der Plackerei.

Es ist absurd.

Aber warum ist das so? Wie kommt es, dass wir fleißiger sind denn je, aber dennoch nicht das Gefühl haben, irgendwo anzukommen? Was ich denke, ist dies: Viele von uns wissen gar nicht, was uns glücklich und zufrieden machen würde. Oder dass wir ein Gefühl des Glücks und der Zufriedenheit verdienen. Überdies nehmen wir uns nicht die Zeit zu analysieren, was wir tun müssten, um unsere besten Seiten zum Vorschein zu bringen. Klar, vielleicht haben wir eine vage Vorstellung davon, was uns gefällt und woran wir Spaß haben (Freitagabende mit Pizza, Wein und Freundinnen oder zuschauen, wie meine Kinder die Welt entdecken), aber wir nehmen uns nicht die Zeit, uns klar zu machen, was uns wirklich glücklich und zufrieden macht und uns Energie schenkt, statt sie zu rauben, und was aus dieser Erkenntnis für unser zukünftiges Verhalten folgen sollte. Ohne dieses Gefühl der Erfüllung – und der tieferen Zweckhaftigkeit unseres Tuns – wird wahre »Produktivität« für immer unerreichbar bleiben.

Also das müsste es sein: Wir werden im Leben nach dem beurteilt, was wir leisten. Und an Frauen werden regelmäßig strengere Maßstäbe angelegt. Eine Studie der New York University kommt zu dem Ergebnis, dass Frauen im Job sehr viel mehr leisten müssen als Männer, um als ebenso produktiv wahrgenommen zu werden. Wir frönen also weiter dem Trott. »Wie es mir geht? Bestens. Ich habe heute so viel geschafft!« Wir wünschen uns ein tadellos aufgeräumtes Zuhause, gesunde und wohlschmeckende Mahlzeiten, eine steile berufliche Karriere, artige Kinder, spirituelle Erfüllung, vorbildliches gesellschaftliches Engagement, heißen Sex und zu allem auch noch Zeit zum Ausspannen. Aber hier ist der Knackpunkt: Wenn wir Frauen weiter um der Produktivität willen produktiv sind, ernten wir damit am Ende das Gegenteil von Zufriedenheit.

Vielleicht kommen Sie sich wie der produktivste Mensch auf Erden vor, aber ohne ein Ziel sind Sie bestenfalls fleißig.

Die Vorgeschichte

Ich denke, es ist wichtig, dass wir uns diese Geschichte kurz anschauen – wie es dazu gekommen ist und wie unsere Beziehung zu Produktivität, Erfolg und Glück aussieht. In einer 140-Zeichen-Welt geht besagte Geschichte ungefähr so:

Alte – also wirklich alte – Produktivität bedeutete für uns Frauen: ein Kind gebären. Wenn wir das geleistet hatten, konnten wir getrost mit ca. 45 sterben – in dem Bewusstsein, dass wir superproduktiv waren und alles geleistet hatten, was von uns erwartet wurde. Fertig.

Nur dass nach einer Weile Fragen aus dem Unterbewusstsein durchzusickern begannen: Wenn wir lediglich einem biologischen Imperativ folgen, wo bleibt da unser individueller Wert? Und dann hörten die Fragen nicht mehr auf.

Cut in die Gegenwart: Seit Generationen versuchen wir nun schon zu zeigen, dass wir nicht nur einem biologischen Imperativ folgen, sondern weit mehr wert sind als die Summe unserer körperlichen Kräfte und mentalen Fähigkeiten. Besser. Intelligenter. Schneller. Weil Frauen dazu in der Lage sind. Wir sind nicht bloß Gebärmaschinen.

Und dann kam das Internet. Und hier schließt sich der Kreis.

Warum?

Weil sich die Mittel der Macht zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit zugunsten der Frauen verschieben.

Eine Kurzvorstellung der MDM (Mittel der Macht)

Das ursprüngliche Mittel der Macht (MDM) war die Körperkraft. 1:0 für die Männer. Es folgte die Kraft des Verstandes (etwas, das den Frauen lange Zeit abgesprochen wurde). 2:0 für die Männer. Aber jetzt ist das neue Mittel der Macht und der ultimative Powerfaktor (gleich nach der Erhaltung der menschlichen Gattung natürlich): Informationen. Und, ja, das könnte der Überraschungssieg für die Annalen werden. Der Zugang zu Informationen und die Möglichkeit, sie zu teilen, nehmen mit Lichtgeschwindigkeit zu. WWW – drei Buchstaben, die nicht nur die Welt, sondern mit ihr die Spielregeln verändern. Der Besitz von Informationen, die Mittel der Kommunikation und die Möglichkeit, Ideen ohne die traditionellen hierarchischen Strukturen zu teilen, die Frauen ehemals benachteiligten, bedeuten ganz neue berufliche Möglichkeiten. Weil Berufswege nicht länger an traditionelle Rollen gebunden sind, herrscht nun Chancengleichheit. Und wir machen Fortschritte. Große Fortschritte. Heute sehe ich rund um mich herum erfolgreiche, produktive, inspirierte und sehr einflussreiche Frauen. Und doch hängt da immer noch ein Schleier über uns.

Warum?

Ich sehe das so: Viele von uns Frauen sind verzweifelt bemüht, Trophäen zu sammeln oder aber irgendwie durch den Tag zu kommen. Weder das eine noch das andere macht glücklich. Unsere Welt, unsere Bücherregale und Twitter-Feeds sind überladen mit viel zu vielen Analysen, wie wir noch mehr schaffen können, und viel zu wenigen Analysen, was nötig wäre, damit wir Frauen Glück und Erfüllung finden. Das meine ich jetzt nicht im Sinne so eines Selbstoptimierungsgeschwafels.

Und ich sollte es wissen. Ich verbringe viel Zeit mit meinem Blog, wo ich anderen darüber Reden halte, wie sie sich von ihren Ergebnissen lösen können, und sie ermuntere, sich – integer und maßvoll – kreativ auszuleben, um einfach zu sein und zu machen. Aber wenn ich es mir überlege: Was will ich meinen Leserinnen denn mit diesem Buch sagen? »Sei einfach«? Das klingt, wenn ich ehrlich bin, ein bisschen arg »New-Age«-mäßig. Das Gegenteil aber klingt noch weniger verlockend: eine endlose und nicht zu bewältigende Liste von zu erledigenden Aufgaben.

Aber was ist die glückliche Mitte zwischen Sein und Machen?

Da Sie schon dieses Buch lesen, darf ich annehmen, dass Sie bereits gut beschäftigt sind. Und so muss ich Ihnen sicherlich nicht sagen, wie Sie noch mehr in Ihren Tag quetschen können. Und das ist wunderbar, denn ich habe genau das Gegenteil vor. Ich werde Sie sogar auffordern, die meisten Ihrer Vorstellungen von Fleiß und Erfolg über Bord zu werfen. Denn nur so haben Sie am Ende die Chance, »Ihr Ding zu machen«.

Mit diesem Buch verbinde ich ein Ziel, das ziemlich hoch gesteckt erscheinen mag: eine veränderte Sicht von uns Frauen auf uns selbst im beruflichen und häuslichen Kontext. Das ist eine große Sache. Es ist die komplette Revision einer modernen hochkomplexen Psychologiegeschichte, in der wir Frauen viel zu lang durch das definiert wurden, was erstens andere dachten, das wir es sein sollten, und zweitens wir auf verquere Weise selbst dachten, das wir es sein sollten. Endlich haben wir nun eine Position erreicht, von der aus die Erlösung nicht mehr weit ist: Wir haben die Stärke und wir haben die Tools – wir müssen nur noch lernen, sie richtig einzusetzen. Mit geht es hier nicht allein um eine Modifikation der Regeln. Ich sage: Wir müssen die Regeln verstehen und anschließend in den Mülleimer schmeißen. Ich möchte, dass wir uns aus den Fesseln vorgefasster Annahmen, wer wir wären und was wir zu tun (und zu lassen) hätten, befreien und in einem bewussten Zustand leben, in dem einzig die Antwort auf folgende absolut fundamentale Frage zählt:

Was wollen wir Frauen?

Und zwar die von Frauen gegebene Antwort … von Ihnen, meine Leserinnen.

Wie wäre es zum Einstieg mit einer neuen Definition von Produktivität?

Ich weiß, dass eine Neukonzeption dessen, was weibliche Produktivität sein soll, absolut notwendig ist, wenn dabei am Ende ein lebenswertes Leben herauskommen soll.

Aber von vorn: Wie ist es möglich, Glück und Erfüllung in dem Sinne zu finden, dass wir in unserem Leben wahrhaft produktiv sind, solange wir uns selbst noch nicht einmal die fundamentalste aller Fragen gestellt haben?

Wer bin ich? Was gibt mir Kraft – also echte Kraft? In wessen Gegenwart geht es mir gut? Und natürlich: Was will ich wirklich?

Diese Fragen haben es in sich – nicht nur oberflächlich, sondern in ihrer Tiefe. Uns Frauen fällt ihre Beantwortung aufgrund unserer langen Geschichte der (äußeren wie inneren) Unterdrückung besonders schwer.

Ohne eine gründliche Analyse, wer wir sind und was wir wollen, werden uns selbst die mächtigsten Tools nicht vor dem Burn-out bewahren. Und genau das ist es, was ich zunehmend um mich herum beobachte.

Dieses drohende Burn-out – das ich nur zu gut aus eigener Erfahrung kenne – führte mich zu den Prinzipien, die das Zeug haben, wahre Produktivität zu ermöglichen. Drei Grundbegriffe kristallisierten sich für mich heraus: Persönlichkeit, Ort und Produktivität … und siehe, der POP-Effekt war geboren.

Was ist POP?

POP kombiniert Ihre Persönlichkeit (P) – wer Sie sind – mit dem Punkt, an dem Sie sich als Frau im Leben und in der Welt befinden – Ihrem Ort (O) –, und erzeugt daraus Ihre ganz eigene Definition von Produktivität (P). In der Vergangenheit versäumten es die (meist männlichen) Produktivitätsgurus, P und O in die Rechnung einzubeziehen, wenn sie uns drängten, immer mehr und noch mehr zu leisten. Aber mit POP werden Sie ganz neu definieren, was produktiv zu sein für Sie persönlich in Ihrer spezifischen Situation bedeutet. Am Ende sieht Ihr Produktivitätsbegriff möglicherweise ganz anders aus als meiner. Und das ist der Punkt. Anstatt weiter einem Produktivitätsbegriff aufzusitzen, der lediglich nur immer mehr in Ihren Tag zu pressen versucht, werden wir viele konkrete, scheinbar wichtige (aber letztlich nur störende) Dinge in Ihrem Leben vereinfachen oder gleich ganz entfernen, um Platz zu schaffen für die viel wichtigeren, immateriellen, geheimnisvollen und höchst wirkungsvollen Dinge, die Ihrem Leben Klarheit und Leichtigkeit verleihen und Ihnen ein echtes Gefühl von Erfüllung und Sinnhaftigkeit vermitteln.

Hier sind ein paar Dinge, denen wir in Zukunft keine Beachtung schenken wollen (und das wird sich verdammt gut anfühlen):

Traditionelle Definitionen von Produktivität: Sie bilden ein starres System, das für Sie ohnehin niemals hätte funktionieren können.

Ihre gegenwärtigen Vorstellungen, wie ein produktiver Tag aussehen müsste. Dieser vollgestopfte Kalender ist nicht Ihr Freund.

Bei anderen Eindruck schinden, um das Gefühl zu haben, etwas wert zu sein.

Tun, was andere von Ihnen erwarten. Sie wissen doch, dass man sagt, dass man sich als Erstes die eigene Sauerstoffmaske anziehen soll. Das ist es!

Wir werden in diesem Buch alle Schritte des POP-Systems und die Philosophien dahinter gründlich untersuchen und erklären. Zuerst aber will ich die Konzepte kurz vorstellen.

Wer sind Sie? (P für Persönlichkeit)

Wenn wir die Absicht haben, eine Vorstellung von Produktivität zu entwickeln, die auf Sie persönlich zugeschnitten ist, sollten wir zuerst einmal herausfinden, wer Sie sind. Oberflächliche Nabelschau reicht da nicht aus; bevor wir einen Handlungsplan entwickeln können, müssen wir uns selbst bis in die Tiefen kennen. Wenn wir diesen Schritt auslassen, wie es so viele von uns tun, sind wir am Ende nur permanent fleißig, ohne dass sich unser Leben wie unser eigenes anfühlt.

Ich werde Ihnen Übungen präsentieren, anhand derer Sie sich auf Ihre Träume und Sehnsüchte fokussieren können. Und das alles wird sich auf der Grundlage einer Praxis abspielen, die Ihnen vielleicht neu ist: Selbstreflexion. Diese neue Gewohnheit, von der wir hier Gebrauch machen wollen, ist zum Teil reine Beobachtung. Aber Sie werden bald sehen, wie sie einige unserer Verhaltensweisen verändern kann – insbesondere jene, die uns keine guten Dienste leisten.

Um zu verstehen, wie dieser Prozess funktioniert, sprach ich mit Dr. Anita Chakrabarti, Psychiaterin mit Schwerpunkt Selbstentwicklung. Sie ist zufällig meine Stiefmutter, zu der ich ein sehr nahes Verhältnis habe und mit der ich mich wunderbar geistig austauschen kann. Anitas Lebensaufgabe ist es, anderen zu helfen, sich selbst besser zu verstehen, und so war sie natürlich meine erste Anlaufadresse.

Anita beschreibt den Weg zur Selbsterkenntnis als alles andere als eine gerade Linie.

1. Wir sind wild. Vielleicht versuchen wir ein Leben lang, uns zu zivilisieren, aber in unserem Kern steckt etwas Urtümliches und Ungezähmtes. »Als Erstes müssen wir uns bewusst machen, dass wir Triebe und Instinkte haben. Das müssen wir akzeptieren. Zumindest müssen wir es gebührend bedenken und berücksichtigen. Denn wenn wir immer nur aus dem Unbewussten heraus handeln, fällt es uns schwer, Entscheidungen – geschweige denn gute Entscheidungen – zu treffen.«

2. Beobachten. »Im nächsten Schritt müssen wir versuchen, unser Tun zu beobachten. Für mich ist das der wichtigste Teil des gesamten Prozesses«, sagt Anita. Dabei geht es nicht darum zu bewerten, sondern lediglich die eigenen Gedanken und Gefühle zu registrieren. »In der dynamischen Praxis sagen wir dazu ›mit dem dritten Ohr hören‹. Es ist der Teil des Geistes, der zurücktreten und objektiv und neutral fragen kann: ›Was tue ich da? Was denke ich da? Was sagen meine Gefühle?‹« Es mag Zeiten in unserem Leben geben, in denen wir dies aktiver tun und uns vielleicht sogar von einer Therapeutin helfen lassen, und es gibt Zeiten, in denen uns diese Fragen weniger beschäftigen. Es handelt sich jedoch nicht um eine Einmalübung, sondern um etwas, das wir unser Leben lang praktizieren sollten.

3. Reflektieren. Sobald wir anfangen, uns selbst zu beobachten, sollten wir mit diesen Informationen auch etwas machen. Wir können nach Mustern in unserem Leben und in der Welt suchen – beispielsweise in Form von familiären oder kulturellen Erwartungen. »Wir können die Dinge immer weiter verkomplizieren«, sagt Anita. Wenn wir beispielsweise irgendwelchen Erwartungen nicht gerecht werden, können wir diese »Schuld« wie einen schmerzhaften Stachel empfinden und uns davon lähmen lassen und in alte Gewohnheiten der Unterwürfigkeit und Verbitterung zurückfallen. »Eine andere Möglichkeit aber ist, dass wir sagen: ›Ja, ich habe Schuldgefühle. Und Ähnliches habe ich schon öfter beobachtet. Oh ja, das ist wirklich interessant. Ich werde die Augen offenhalten, in welchen Situationen ich Ähnliches beobachten kann.‹« Sobald wir in unseren Gefühlen und Verhaltensweisen Muster erkennen, können wir beginnen, uns zu fragen, woher diese Muster kommen.

4. Komplexität akzeptieren. Zu diesem Prozess gehört auch, dass wir erkennen, wie komplex wir sind. »Wir stellen uns selbst ein paar harte Fragen, und das schärft unser Bewusstsein für uns selbst. Und da fällt uns auf, wie orientierungslos wir sind.« Und das ist okay!

5. Werte. Wir sollten nicht nur versuchen, Expertinnen für unser eigenes Gefühlsleben zu werden, sondern wir sollten auch ein Bewusstsein für unsere Werte entwickeln. Und das heißt im Prinzip nichts anderes, als dass wir uns klarmachen, was uns wichtig ist. Die Fähigkeit, uns selbst, unsere Werte und unser Streben miteinander in Einklang zu bringen, ist das wahre Geheimnis der Produktivität. »Wenn Sie einen Marathon laufen wollen, können Sie sagen: ›Es wird schmerzhaft und ungemütlich werden und einige Zeit brauchen, aber ich habe einen Entschluss gefasst und werde ihn durchziehen.‹ Und solange Sie eine Entscheidung treffen und sich daran halten, gibt es damit keine Probleme. Aber sobald Ihr Verhalten im Widerspruch zu Ihren Werten steht, ist das, wie wenn Sie mitten im Marathon auf einmal sagen: ›Ich mag nicht laufen, und ich weiß überhaupt nicht, was mich hierhergebracht hat.‹«

Wo befinden Sie sich? (O für Ort)

Ort ist hier im Sinne von Situation und Lage gemeint. Ich spreche hier von der geschichtlichen Realität der Frauen, verbunden mit einer gehörigen Prise Optimismus in Bezug auf unsere Zukunft. Wir können es auch so sehen: Persönlichkeit steht für das, was Sie wirklich sind, und Ort ist, wo Sie sich als Frau in diesem Augenblick in der Welt befinden.

Wir werden gleich darüber sprechen, wo Sie sich gegenwärtig befinden. Und wenn ich von »Ihnen« rede, meine ich »Sie«, liebe individuelle Leserin. Aber ebenso meine ich Sie als Frau in dieser Kultur. Damit wir Frauen vom Leben das bekommen, was wir wollen, müssen wir zuerst die gesellschaftlichen Barrieren erkennen, die uns daran hindern, und sehen, woher diese Barrieren kommen. Anders ausgedrückt: Ich will über die wichtigen Hürden sprechen, mit denen wir es in der Vergangenheit und in der Gegenwart zu tun hatten und haben, und über die Chancen, die sich uns in der Gegenwart und darüber hinaus bieten. Und bevor Sie jetzt sagen: »Ich bin keine Feministin; ich bin für die Gleichheit aller …«, gestatten Sie mir, dass ich Sie unterbreche. Kein Wort!

Lassen Sie mich ein paar Fakten nennen:

Ähnlich wie Farbige, Vertreter der LGTBQ-Community und Menschen mit Behinderungen haben generell wir Frauen in unserer Kultur weniger Entfaltungsmöglichkeiten als Männer. Nur dem konsequenten Druck seitens der Feministen (Männern ebenso wie Frauen) ist es zu verdanken, dass sich unsere Kultur ein wenig in Richtung Gleichberechtigung bewegt.

Der US-amerikanische 19. Verfassungszusatz, der den Frauen das Wahlrecht garantiert, wurde erst 1920 ratifiziert – nach 70 Jahren erbitterten Kampfes.

Und auch wenn wir schon vieles erreicht haben, bleibt immer noch Fakt, worüber wir Anfang des Kapitels sprachen: US-amerikanische Frauen verdienen nur 80 Prozent dessen, was ihre männlichen Kollegen für die gleiche Arbeit bekommen. Und je höher wir die Leiter klettern, desto größer wird dieser Abstand.

Nicht nur bekommen Frauen für ihre Arbeit 20 Prozent weniger Geld; sie müssen auch für ihre berufliche Anerkennung mehr leisten und anschließend zu Hause noch weitere Stunden unbezahlter Arbeit verrichten.

In der Vergangenheit (und wenn ich Vergangenheit sage, meine ich keineswegs die ferne Vergangenheit) war der Wert einer Frau untrennbar mit ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau verknüpft. Unser ganzer Lebenssinn bestand in der Sorge für die Familie. Jede Abweichung davon bedeutete, als Frau nichts wert zu sein. Die Möglichkeiten der Geburtenkontrolle änderten das bis zu einem gewissen Grad. Selbst entscheiden zu können, wann wir Kinder haben wollen und wann nicht, gab uns Frauen ein mächtiges Tool an die Hand – ein mühsam errungener Erfolg. Erst 1965 erklärte der Supreme Court das letzte Gesetz in einem Bundesstaat für ungültig, das verheirateten Paaren den Zugang zur Geburtenkontrolle verwehrte. Und erst 1972 wurden dieselben Rechte Unverheirateten zugestanden. Diese gesetzlichen Änderungen und die Änderungen in den Herzen und Köpfen waren maßgeblich daran beteiligt, dass wir Frauen uns von der Beschränkung auf unsere biologische Rolle als Mutter emanzipieren konnten. Die Macht, entscheiden zu können, wann wir Kinder haben wollen, gibt uns die Chance, andere Formen des Frau-Seins in der Welt in Betracht zu ziehen.

Wenn Sie immer noch nicht von der historischen Bedeutung des Feminismus überzeugt sind und davon, wie sehr wir ihn noch heute brauchen, werfen Sie nur einen Blick auf Twitter. Schauen Sie, was mit bekennenden Feministinnen wie Lindy West oder Jamilah Lemieux passiert, wenn sie über Frauenrechte twittern. Der Frauenhass, der ihnen entgegenschlägt, reicht von »Mädchen, entspann dich« bis zu Vergewaltigungs- und Morddrohungen.

Diese Liste soll Sie nicht deprimieren, sondern daran erinnern, dass hinter den Schwierigkeiten, denen wir im Leben begegnen, häufig historische und politische Realitäten stehen, die zu ignorieren niemandem weiterhilft. Wir können das Spiel nicht gewinnen, solange wir die Regeln nicht kennen, und das ist ein wichtiger Teil von O.

Straßensperren, Hindernisse und offene Straßen

Eine gute Möglichkeit, um weiterzukommen, besteht darin, dass Sie sich klarmachen, was Sie zurückhält. Sie können im Zustand bester Gesundheit aus Leibeskräften schwimmen, aber solange Sie sich gegen die Strömung bewegen, können Sie nur verlieren. Diese Selbsterfahrung und die Schlüsse, die Sie daraus ziehen, sind ausschlaggebend für Ihr Verständnis von dem »Ort«, an dem Sie sich befinden.

Schauen wir uns also Ihre Lage an. Welche – guten, schlechten und hässlichen – Realitäten haben Einfluss auf Ihr Leben? Wie können wir aus unserer Kenntnis der eigenen Geschichte und unserem Gefühl für unseren Platz in der Welt von heute Nutzen ziehen? So sehr ich mir wünschen würde, dass alles möglich wäre, interessiert mich hier in erster Linie, was für Sie möglich ist und was Sie sich wünschen. Der ganze Sinn dieses Buches besteht darin, Ihnen zu helfen, Ihre Bemühungen zu optimieren, damit Sie echte Fortschritte machen, anstatt sich nur abzurackern.

Straßensperren

Natürlich gibt es im Leben jeder Frau viele Faktoren, die sie nicht unter Kontrolle hat. Sie träumen vom Aufstieg an die Spitze Ihres Unternehmens, aber die Tochter des Chefs hat ein Auge auf dasselbe Eckbüro geworfen? Dann haben Sie nicht die besten Karten. Wenn Sie alleinerziehende Mutter sind, haben Sie eher nicht die Option, Ihren Job zu kündigen, noch einmal ganztägig die Schulbank zu drücken und Anwältin zu werden. Vermutlich müssen Sie Miete zahlen oder ein Hypothekendarlehen abstottern, und Sie haben familiäre Verpflichtungen wie Kinder oder Eltern, für die Sie sorgen müssen. Da können Sie es sich nicht zum Vorwurf machen, wenn Sie diese Schwierigkeiten nicht mit größter Souveränität meistern. Und wenn Sie dann auf etwas stoßen, was sich wie eine Straßensperre anfühlt, tun Sie gut daran, es einmal genauer in Augenschein zu nehmen. Befinden Sie sich in einer Situation, in der es für Sie nichts zu gewinnen gibt? Zwingen Sie sich, etwas zu leisten, was Ihnen eigentlich widerstrebt? Jagen Sie vielleicht einem Ziel hinterher, das Ihre Eltern sich für Sie ausgedacht haben? Ist es ein Job, der auf dem Papier gut klingt, Sie in der Praxis aber nicht wirklich anspricht? So eine Straßensperre ist manchmal eine schwer zu schluckende Pille, aber manchmal auch ein unerwartetes Geschenk. Sobald Ihnen bewusst wird, dass Sie etwas, von dem Sie immer dachten, dass Sie es wollen, in Wahrheit doch nicht wollen, sind Sie frei, Ihre Energie stattdessen in Ihre wahren Ziele zu investieren.

Hindernisse

Im Gegensatz zu einer Straßensperre lässt sich ein Hindernis in der Regel umfahren. Mangelndes Selbstvertrauen kann sich genauso hinderlich anfühlen wie der Nichtbesitz eines Hochschulabschlusses, aber immerhin können Sie daran arbeiten (und dabei in viel weniger Zeit Fortschritte machen, als Sie für ein Bachelorstudium bräuchten). Es fällt uns schwer, den Job zu wechseln, nachdem wir uns in einer Tätigkeit eingerichtet haben, selbst wenn unsere besonderen Stärken nicht wirklich zur Geltung kommen.

Offene Straßen