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ULRIKE KNAUER

Wahres Interesse
verkauft

Warum Kunden lieber selbst entscheiden
als etwas verkauft zu bekommen

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-902-0

ISBN epub: 978-3-95623-834-5

Lektorat: Dr. Michael Madel, Ruppichteroth

Umschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.de

Grafiken: Eva Egginger

Satz und Layout: Das Herstellungsbüro, Hamburg | www.buch-herstellungsbuero.de

© 2019 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Das E-Book basiert auf dem 2019 erschienenen Buchtitel "Wahres Interesse verkauft" von Ulrike Knauer, ©2019 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

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Inhalt

Alles selbst erlebt

TEIL I: Wahres Interesse – was ist das?

1. Neustart: Aha! Verkaufen funktioniert hier anders

2. Die richtige Vorauswahl: Nein, es wird nicht jeder angerufen

3. Kaltakquise leicht gemacht: So entsteht der Interesse erzeugende Elevator Pitch

4. Welcher Kunde lohnt sich? Wenn Kunden sich selbst disqualifizieren

5. Man muss nicht überall verkaufen: Profitable Marktnischen identifizieren

TEIL II: Wahres Interesse – Kunden selbst entscheiden lassen

6. Erste Telefonate mit der neuen Philosophie: Kunden wollen lieber selbst entscheiden

7. Der Sprung ins kalte Akquisewasser: Erste Besuche mit der neuen Philosophie

8. Mit »WBI« überzeugen: Die Wahre Beziehungs- und Interessensregel

9. Nein, wir wollen nicht jeden Kunden: Das Konzept »Nicht mit jedem«

TEIL III: Mit wahrem Interesse von Verkaufserfolg zu Verkaufserfolg

10. Keine Pflicht, sondern Kür: Verhandeln, bis beide Seiten zufrieden sind

11. Feedback vom Kunden einholen und dadurch immer besser werden

12. Im Vertrieb Perfektion erreichen und leben

13. Wie Verkäufer von der Digitalisierung profitieren

14. Die Königsdisziplin: Verhandeln auf höchstem Niveau

Angekommen im wahren Interesse

Checklisten

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Die Autorin

Genderklausel

Hinweis im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes: Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung für beide Geschlechter.

Alles selbst erlebt

Ich verkaufe seit über 30 Jahren. Mit 21 Jahren bereits startete ich meine Karriere im Vertrieb. Und sehr schnell war mir klar: Das wird ein harter, langer und herausfordernder Weg, um im Verkauf an die Spitze zu kommen. Ich habe mir auf diesem Weg nichts erspart und so ziemlich alle Fehler gemacht, die man im Vertrieb nur begehen kann. Aber ich habe aus jedem einzelnen gelernt, und glauben Sie mir, es war eine harte Schule!

Ich wage heute zu behaupten, dass ich an der Spitze angekommen bin. Ich wage weiter zu behaupten, dass es kaum eine Situation im Rahmen eines Verkaufsprozesses oder einer Verhandlung gibt, die mich noch verblüffen oder überraschen kann oder für die ich keine passende Lösung finden könnte. Nach so langer Zeit im Spitzenverkauf hat man eines Tages so ziemlich jede Facette kennengelernt und erlebt. Es kommt der Moment, in dem man als Verkäufer einfach alles erfahren hat. Jedes gnadenlose Preisargument der Einkäufer, jeden harten Einwand, jede Hürde, ja sogar jede Falle, manche Verhandlungspartner brauchen das einfach: Es war alles schon einmal da. Dafür bin ich dankbar, kann ich dadurch doch aus einem verlässlichen Erfahrungsschatz schöpfen und gelassen in jede Verhandlungssituation gehen.

Das war jedoch nicht immer so. Natürlich habe ich über die Jahre unzählige Bücher über die verschiedensten Varianten des Verkaufs gelesen und zahlreiche Trainings besucht. Dadurch konnte ich mein Wissen zu den verschiedenen Vertriebsstrategien und dem gesamten Verkaufsprozess stetig ausweiten. Ich konnte bald selbst endlos über den Verkauf und seine Dynamiken referieren. In der Praxis unterstützten mich diese meist sehr faktenorientierten Verkaufswerke aber nur wenig. Denn sie gaben mir in der Regel keine Auskunft darüber, wie ich draußen – direkt an der »Front«, da, wo der kalte Verkaufswind weht – vor einem dominanten Einkäufer, der auf Preiskampf aus war, reagieren sollte, um mitten in der Verhandlung das Verkaufsruder doch noch herumzureißen. Ich erfuhr auch nicht wirklich, wie ich den auf mich einprasselnden Einwänden strategisch geschickt begegnen konnte, um sie sofort im Keim zu ersticken. Keines der vielen Bücher bereitete mich ausreichend auf die perfiden Machtspielchen vor, die die Einkäufer großer Unternehmen noch immer so gerne veranstalten. Die Liste der Taktiken und Techniken, die mir für die Praxis damals fehlten, ist endlos. Mit einem Wort, ich kannte die Fachliteratur in- und auswendig, aber in der Verkaufspraxis war ich damals in sehr vielen Situationen irritiert und meinen Verhandlungs- und Gesprächspartnern teilweise ratlos ausgeliefert.

Wie oft flog ich im Rahmen meiner Kaltakquiseaktivitäten unelegant aus der Leitung, oft sogar noch, bevor ich meinen Namen nennen konnte. Mir ist keine Variante der Zurückweisung fremd und auch nicht das bittere Gefühl, das eine solche meist auslöst. Ich habe wichtige Preisverhandlungen kläglich in den Sand gesetzt und massive Ablehnungen meiner Person und auch der von mir angebotenen Produkte erfahren. Ich habe über den Preis verkauft, ich habe über Produkte verkauft. Ich habe alles probiert und bin sehr oft gescheitert. Aber ich habe nicht aufgegeben, und wenn etwas nicht funktionierte, es einfach einmal ganz anders gemacht. Ich beschloss, zu experimentieren und diese Experimente in der Tiefe zu analysieren. In gewissen schwierigen Situationen in einem Verkaufsgespräch reagierte ich bewusst auf unterschiedliche Art und Weise und notierte, was gut funktionierte und was überhaupt nicht. Erfolgversprechende Strategien und Vorgehensweisen, die zu Abschlüssen führten, perfektionierte ich. Was nicht funktionierte, warf ich radikal aus meinem Verkaufsrepertoire, um schließlich einen neuen Ansatz zu versuchen.

Und ich studierte mein Umfeld, sprich die vielen Kollegen und Mitstreiter im Verkauf, die ich über die Jahre kennenlernte. Ich stellte fest, dass viele meiner Verkaufskollegen ihre Kunden mit Monologen über ihr Unternehmen und dessen Gesamtportfolio langweilten und sie mit Kommunikationslawinen überschütteten, in denen sie wortreich die Vorteile ihrer Produkte beschrieben. Das schon von Weitem sichtbare Dollarzeichen in den Augen dieser Umsatzjäger fällt Kunden mit hoher Wahrscheinlichkeit sofort negativ auf – und das ist kontraproduktiv. Dieser Verkaufszugang war mir schon immer suspekt. »Ich will ja selbst nicht auf diese Weise angesprochen werden, wenn ich eine Anschaffung tätige. Ich möchte doch selbst entscheiden. Ich wünsche mir, dass man sich für mich als Kundin interessiert«, fiel es mir eines Tages wie Schuppen von den Augen. Damit hatte ich meinen verkäuferischen Ansatz gefunden, den ich nun bereits seit Jahren perfektioniere! Mein Konzept des wahren Interesses im Verkauf war geboren, und ich begann von diesem Tag an, meine Gesprächspartner anders wahrzunehmen.

In diesem Buch beschreibe ich, wie es möglich ist, mit wahrem Interesse von Verkaufserfolg zu Verkaufserfolg zu eilen. Das Prinzip des wahren Interesses funktioniert dabei natürlich nicht als sofortiges Verkaufserfolgs- »Sesam, öffne Dich«, es muss intensiv geübt und immer wieder perfektioniert werden.

Die Fehler, die mein Protagonist, der Verkäufer Peter Hohenbrunner, in diesem Buch macht, sind meine eigenen Fehler. Ich habe den Elevator Pitch genauso oft geübt wie er, teilweise genauso unwillig und ungläubig. Die Fragen, die Peter im Buch stellt, sind meine damaligen Fragen, die mir jedoch niemand beantwortet hat. Ich habe alle Zweifel, alle schwierigen Situationen, denen Peter ausgesetzt ist, selbst erlebt. Wie er habe ich erst nach langer Zeit im Verkauf verstanden, dass nur dann, wenn wir dem Kunden wahres Interesse entgegenbringen, von diesem auch wahres Interesse an unseren Produkten und Dienstleistungen zurückkommt. Und dann passiert etwas Wunderschönes, fast Magisches: Verkaufen wird plötzlich einfach. Es macht Freude und passiert mit Leichtigkeit und in gegenseitiger Wertschätzung.

Verkauf ist so unglaublich weniger komplex, wenn man sich als Verkäufer auch für den Menschen und nicht nur für den Kunden interessiert, diesem nicht nur zuhört, sondern auch hinhört und in der Tiefe versteht, was sein Bedürfnis ist. Und überdies wahrnimmt, wie dieser Mensch unterbewusst und mit allen Sinnen reagiert – auch wenn er es nicht direkt ausspricht. Wer sich auf seine Kunden auf diese intensive Weise einlässt, der vermittelt ihnen das angenehme Gefühl, selbst zu entscheiden und nicht etwas verkauft zu bekommen. Und genau diese Haltung macht im erfolgreichen Verkauf den Unterschied.

Die Essenz aus meinem Wissen und meinen persönlichen Erfahrungswerten im Verkauf finden Sie in diesem Buch. Begleiten Sie Peter nun vertrauensvoll auf seiner Reise in das Universum des wahren Interesses im Verkauf.

Ihre

Ulrike Knauer

Teil I

Wahres Interesse – was ist das?

Sie erfahren, was mit dem Konzept des »wahren Interesses« gemeint ist und welche konkreten Auswirkungen dies auf Unternehmen und Verkäufer hat. Entscheidend ist, dabei die folgende Frage zu beantworten: »Wofür stehen wir und warum soll der Kunde gerade bei uns kaufen? Was hat er davon?« Wer im Sinne des wahren Interesses verkauft, interessiert sich wahrhaft für den Kunden, seine Situation und dafür, was er wirklich braucht. Das Konzept bedeutet zudem, dass Sie nicht jeden als Kunden gewinnen wollen, sondern diejenigen, denen Sie tatsächlich einen Nutzen stiften können. Ihr Vorteil: Das Konzept zahlt sich für Ihr Unternehmen in Deckungsbeitrag und Gewinn aus.

1. Neustart: Aha! Verkaufen funktioniert hier anders

Sandra gießt gerade frisches Wasser in die Kaffeemaschine, als Peter in die Küche tritt. »Na, wie sehe ich aus?« Peter steht vor dem Esstisch. Eine Hand steckt lässig in der Hosentasche, in der anderen hält er seine Aktentasche. Sie duftet nach teurem Leder und fühlt sich widerspenstig an. »Hast du Hardy geweckt?«, fragt Sandra ungeduldig. Inzwischen gilt ihre Aufmerksamkeit dem Kühlschrank, in dem sie Gläser und diverse Lebensmittel von einem Regal ins andere schiebt und schichtet.

»… äähh, mach ich gleich«, sagt Peter, während seine Mundwinkel Richtung Hemdkragen zu rutschen beginnen. »Du hast wieder die Butter vergessen!«

Irgendetwas ist im Kühlschrank zu Bruch gegangen. Peter hört Glas zersplittern, als Sandra die mit Flaschen und Milchtüten gefüllte Tür zuknallt. Endlich sieht sie ihn an, bis jetzt hat sie ihm nur den Rücken zugewandt. Er hebt beschwichtigend die freie Hand und bohrt die Finger der anderen in das Leder der neuen Aktentasche. »Sandra, du weißt, wie wichtig dieser Tag heute für mich ist. Es ist mein erster Arbeitstag bei RV! Ich muss einen guten Start hinlegen.«

»Wie könnte ich das vergessen! Seit Wochen redest du von nichts anderem. Während du unsere gesamten Ersparnisse in Verkaufstrainings und Seminare investiert hast, habe ich nicht vergessen, deine Blutdrucktabletten aus der Apotheke zu holen, das Auto zum Service zu bringen und die Heizung warten zu lassen.« Energisch drängt sie sich an ihm vorbei und stapft den Flur entlang zu Hardys Zimmer. »Aufstehen, Hardy, der Schulbus wartet nicht!«, ruft sie, während sie das Licht im Zimmer ihres Sohnes anmacht. Ohne eine Antwort abzuwarten, dreht sie auf dem Absatz um und marschiert zurück in die Küche.

Peter hat sich inzwischen eine Tasse Kaffee eingeschenkt und stellt fest, dass die Milch alle ist. »Auch das habe ich wieder einmal vergessen, es war an mir, den Wocheneinkauf zu erledigen«, geht es ihm durch den Kopf. In Sandras Blick liegt eine Mischung aus Traurigkeit und Enttäuschung, als sie in die Küche zurückkommt. Wut wäre Peter lieber gewesen. Mit ihrem Zorn kann er umgehen, aber die Distanziertheit, die er in letzter Zeit an ihr beobachtet hat, verwirrt ihn.

»Liebes, ich mache das alles doch nur für dich und Hardy. Ich musste alle diese Ausbildungen unbedingt machen. Sonst hätte ich doch nicht die geringste Chance bei einer derart erfolgreichen Firma bekommen. Die fahren jährlich sechsstellige Gewinne ein und machen mit viel weniger Verkäufern ein Drittel mehr Umsatz als alle anderen vergleichbaren IT-Dienstleister.«

Sandra schließt genervt die Augen und schüttelt stumm resignierend den Kopf. »Das kann nur bedeuten, dass du wieder 16-Stunden-Tage haben wirst und innerhalb kürzester Zeit wieder vergessen wirst, wie man das Wort Wochenende schreibt.« Das Gespräch geht in eine Richtung, die Peter gar nicht gefällt; nämlich hin zu seinem Kündigungsgrund bei seinem letzten Arbeitgeber, bei dem er zeitlich vollkommen überlastet war. »Also, ich muss jetzt gleich los. Nun sag schon, wie sehe ich denn aus?«, fragt er rasch, um das Thema zu wechseln.

»Mit dieser Krawatte aus der Vorkriegszeit würde ich nicht aus dem Haus gehen.« Sohn Hardy, 13 Jahre alt und definitiv nicht auf den Mund gefallen, hat es auch schon aus dem Bett geschafft. Nun lehnt er mit vor der Brust verschränkten Armen in der Küchentür. Die verkehrt aufgesetzte Baseballmütze und sein Grinsen sind der Inbegriff einer Provokation, wie sie nur pubertierende Teenager zustande bringen. Blitzschnell registriert Peter, dass sich die Hand, die nicht damit beschäftigt ist, die neue sündteure Aktentasche zu halten, zur Faust ballt. »Guten Morgen, Hardy. Es wäre zur Abwechslung auch mal ganz nett, wenn du deinem Vater viel Glück zu seinem neuen Job wünschst, statt ihn mit blöden Aussagen zu nerven.«

Um jeglichem weiteren lästigen Kommentar seines Sohnes zuvorzukommen, verlässt Peter schnell die Küche. Als er sich in der Garderobe die Schuhe bindet, geraten zwei rosafarbene Pantoffeln in sein Blickfeld. »Du siehst toll aus in deinem neuen Anzug und die Krawatte passt perfekt«, sagt Sandra leise. Sie lächelt, als er zu ihr aufsieht.

Sandra küsst ihn flüchtig auf die Wange. »Danke! Ich freue mich so auf diese Aufgabe und mache mir überhaupt keine Sorgen«, sagt Peter. »Ich habe schließlich fünf Jahre intensive Erfahrung im Verkauf und noch dazu all diese intensiven Trainings absolviert – da kann nichts schiefgehen.« Er zwinkert ihr zu und lässt die Haustür hinter sich ins Schloss fallen. Kalte Morgenluft schlägt ihm entgegen. Der noch dunkle, aber klare Himmel prophezeit einen sonnigen Sommertag. »Ein strahlender Tag für einen neuen, strahlenden Beginn«, denkt Peter aufgeregt.

Peter ist Verkäufer aus Leidenschaft. Er ist überzeugt, dass er einem Eskimo Eiswürfel verkaufen könnte. Selbstverständlich ist da ein gewisses angeborenes verkäuferisches Talent vorhanden. Das hatte er schon als kleiner Junge erkannt, als er seinen Schulkollegen mit dem Verkauf von alten Spielsachen das Taschengeld abgeluchst hat. Im Laufe der Jahre haben ihm zahlreiche Rhetorikseminare, Verkaufstrainings und das Studium von wissenschaftlich erprobten Verhandlungstechniken den letzten Schliff gegeben. Und wenn alle Stricke reißen, dann zieht er eben sein persönliches Ass aus dem Ärmel – sein charmantes Lächeln, das er jahrelang täglich beim Rasieren vor dem Spiegel geübt hat. Peter ist großgewachsen, schlank und sportlich trainiert. Sein dunkles, leicht gelocktes Haar trägt er etwas länger, eine attraktive Strähne fällt ihm wieder über seine strahlend blauen Augen. Wenn er sich diese Strähne mit einer sehr bewussten, lange einstudierten Geste aus dem Gesicht streicht, strahlt er Charisma pur aus. Peter ist sich seines guten Aussehens und seines Rufs als Sonnyboy unter den Verkäufern seit vielen Jahren bewusst. In der alten Firma sagten die Kollegen über ihn: »Da kommt unser Starverkäufer, der heute wieder mal nur mit seinem Charme einen Auftrag eingefahren hat.«

Der »Starverkäufer« fädelt jetzt seinen silbernen SUV routiniert in den Morgenverkehr ein. Die vergessene Milch und Hardys Unverschämtheit in Bezug auf seine Krawatte verlieren mit jedem Kilometer an Bedeutung. Er weiß es einfach: Vor ihm liegt der Beginn einer neuen, großartigen Karriere als Verkäufer in einem der erfolgreichsten Unternehmen der IT-Branche. Die Erwartungen an ihn sind hoch, dessen ist er sich durchaus bewusst. Das ist ihm seit seinem Vorstellungsgespräch bei Roland Vermaalen, seinem zukünftigen Chef und Inhaber von RV Training & IT Consulting GmbH, klar. Bereits zum vierten Mal lenkt er seinen SUV auf den von einer Thujenhecke umgebenen Parkplatz von RV. Das erste Mal war er – aus reiner Neugierde – an einem trüben Dienstagnachmittag im Herbst des vergangenen Jahres vor Ort gewesen. Bereits damals hatte er mit dem Gedanken gespielt, sich beruflich zu verändern. Sandras Worte fallen ihm ein: »Was du aussendest, ziehst du an.« Ihre Gedankengänge kann er manchmal nicht nachvollziehen, aber in diesem Punkt schien sie tatsächlich recht zu haben. Kaum hatte er innerlich den Entschluss gefasst, seinen Arbeitgeber zu wechseln, las er im Wartezimmer seines Zahnarztes das Stelleninserat von RV Training & IT Consulting. Nachdem er die üblichen Floskeln wie »… wir suchen Verstärkung für unser Team …« überflogen hatte, blieb seine Aufmerksamkeit beim Anforderungsprofil hängen: »Wahres Interesse verkauft!« Punkt. Nur dieser eine Satz. Keine Ausbildungskriterien, keine zusätzlichen Voraussetzungen, keine weiteren Anforderungen.

Noch während er auf die monotone Stimme aus dem Lautsprecher wartete, die ihn ebenso höflich wie gefühllos dazu auffordern würde, sich zum Ordinationsraum Nummer drei zu begeben, googelte er das Unternehmen. Die Suchergebnisse skizzierten ein Privatunternehmen, im Besitz eines gewissen Roland Vermaalen aus Rotterdam, mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Eckdaten. Peter spürte sofort einen Sog hin zu diesem Unternehmen, sein Jagdinstinkt war geweckt und veranlasste ihn, auf seinem Heimweg vom Zahnarzt einen Umweg in Kauf zu nehmen und am Firmensitz von RV vorbeizufahren. Er entdeckte ein schlichtes weißes Gebäude mit einem aluminiumfarbenen Firmenschild mit dem Schriftzug »RV Training & IT Consulting GmbH«. Peter stand längere Zeit nachdenklich davor und beschloss spontan, sich hier zu bewerben.

Es folgten zwei Vorstellungstermine, bei denen er mit gemischten Gefühlen und einer gewissen aufgeregten Antizipation an der Thujenhecke geparkt hatte. Doch heute, an diesem klaren Morgen im Sommer, stellt er den Wagen erstmals nicht als Besucher, sondern als neuer Mitarbeiter von RV ab. Der Weg über den Parkplatz und dann weiter in den zweiten Stock zu Rolands Büro ist ihm inzwischen vertraut. Die Menschen, die ihm im Treppenhaus und auf den Fluren begegnen, begrüßen ihn mit einem freundlichen »Guten Morgen, Peter, hallo, Peter, willkommen, Peter …«. Er ist viel zu aufgeregt, um sich darüber zu wundern, dass ihn völlig fremde Menschen ganz selbstverständlich mit Vornamen ansprechen.

Vor dem Büro seines neuen Chefs angelangt, hält er kurz inne und schmunzelt zum wiederholten Male wegen des Namensschildes an der Tür: »Roland Vermaalen – Ich interessiere mich für Dich«. Er hofft insgeheim, dass sich irgendwann die Gelegenheit ergeben wird, Herrn Vermaalen zu fragen, warum hier nicht wie sonst üblich »Inhaber«, »CEO« oder ein anderer wohlklingender Begriff für ein simples »Chef« steht. Nach einem tiefen Atemzug klopft er an die Tür. Er wartet nicht bescheiden auf ein »Herein«, denn er weiß, dass er erwartet wird, und tritt selbstbewusst ins Büro. Roland, ein imposanter Mann mit kupferfarbenem Haar, blickt hinter seinem Bildschirm hervor. Mit einer schwungvollen Bewegung erhebt er sich aus seinem Ledersessel und streckt Peter eine große, mit Sommersprossen übersäte Hand entgegen. »Guten Morgen, Peter, willkommen bei RV.«

Während des herzlichen Händedrucks beobachtet Peter fasziniert, wie sich auf Rolands jugendlichem Gesicht ein ganzes Universum von Lachfältchen ausbreitet. Innerlich zählt er die Sekunden. So und so viele, um die Höflichkeitsfloskeln hinter sich zu bringen, dann noch ein paar weitere, um warm zu werden, anschließend kommen dann sicher alle Details zum ersten Auftrag. Peter brennt darauf, seine perfekt einstudierte und in kostspieligen Seminaren erlernte Überzeugungstaktik für RV in der Praxis zur Anwendung zu bringen. Er weiß, er wird das wie immer virtuos hinbekommen und einen super Abschluss bringen. Er denkt schon jetzt, während Roland weiterspricht, an die erste Provision … Abrupt schreckt er aus seinen Fantasien hoch, als Roland sagt: »Nun musst du lernen, wie man verkauft.«

Für kurze Zeit herrscht vollkommene Stille. Peter starrt Roland verständnislos an. Dann stammelt er: »Herr Vermaalen, ich verstehe nicht …« »Roland! Einfach nur Roland, lieber Peter, hier duzen wir uns alle. Selbstverständlich gibt es auch in unserem Unternehmen Hierarchien, und unser Kunde steht an ihrer Spitze. Intern sind wir aber alle Zahnräder, die ineinandergreifen. Ein kleines Rädchen dreht sich rasch und flink, ein großes Rad langsam und bedächtig. Und das eine dreht das andere.«

»Also gut, ja, gerne, hmm … Roland«, sagt Peter und hat Mühe, seinen aufkeimenden Ärger zu unterdrücken. Wieso soll er jetzt plötzlich verkaufen lernen müssen? Das kann er doch schon! Er zwingt sich zur Ruhe und sagt: »Ich gehe davon aus, dass du meine Bewerbungsunterlagen kennst. Sonst würde ich ja wohl kaum hier sein. Du weißt also, dass ich aufgrund meiner beruflichen Erfahrung und Ausbildung dazu in der Lage bin, Seminare, Coachings und Beratungsaufträge intern kostengünstig und höchstmöglich gewinnbringend an den Mann zu bringen. Ich muss nicht erst ›verkaufen lernen‹, Roland! Ich bin Vollblutverkäufer, seit ich ein Schüler war. Gib mir einen Computer, ein Telefon und Produkte, und ich werde dich innerhalb des ersten Monats überzeugen.«

Roland betrachtet gelassen seine über den Knien gefalteten Hände, und für einen absurden Augenblick glaubt Peter, dass er gleich in ein Nickerchen versinken wird. »Du willst also eine Aufgabe, du willst richtig was bewegen?«, bricht Roland nach einer gefühlten Ewigkeit das Schweigen. »Ja! Selbstverständlich, Roland. Ich bin motiviert und voller Tatendrang. Wirf mich ins kalte Wasser des Verkaufs, der Akquise, und ich kann und werde schwimmen.« Das Lachfältchenuniversum umkräuselt wieder Rolands Augen.

»Wenn jemand ein Seminar besucht, dann hat er das Ziel, etwas zu lernen, ist das richtig?« »Ja, klar!«, erwidert Peter. »Wenn ein Mensch – ich sage ganz bewusst Mensch und nicht Kunde – etwas lernen will, warum sollte er das ausgerechnet bei RV tun? Unternehmen, die IT-Trainings anbieten, gibt es wie Sand am Meer. Wie siehst du das, Peter?« Roland breitet die Hände aus, legt den Kopf ein wenig schief und wartet auf Peters Reaktion. Dieser räuspert sich verlegen. »Ich verstehe die Frage nicht ganz.« Rolands Nicken entnimmt Peter, dass Roland diese Reaktion erwartet hat. »Nun, du hast recht, Peter. Eigentlich war das ja auch nicht als Frage gemeint, sondern als dein erster Auftrag. Finde heraus, warum ein Kunde, dem du ein Angebot machst, ausgerechnet deines wählen soll. Wie gesagt können wir davon ausgehen, dass dein Angebot nicht das einzige ist, das dem Kunden vorliegt.« Peters Augenbrauen schnellen in die Höhe, und er denkt: »Ach, so meint der das. Nun, wenn Roland zum Einstand Beweihräucherung braucht, dann kann er sie haben.« Ein kleines Grinsen umspielt seinen Mund, als er antwortet. »Das ist ganz einfach: Kunden kaufen bei uns aus einem simplen Grund: weil unsere Consultants die besten sind.«

»Ja, das ist natürlich vollkommen richtig. Allerdings gibt es da einen Haken«, sagt Roland, verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich erwartungsvoll zurück. Peter hebt fragend die Schultern, doch sein neuer Chef macht keinerlei Anstalten, einen weiteren Input zu geben. Somit bleibt ihm nichts übrig, als die unausgesprochene Frage zu stellen. Er kommt sich dabei ein wenig dumm vor. »Und, was ist der Haken?« Roland erhebt sich und stellt damit klar, dass die Unterhaltung beendet ist. Peter kann ebenfalls nur aufstehen. Dabei versucht er, mit einem charmanten Lächeln seine steigende Ratlosigkeit zu kaschieren.

Während Roland ihn zur Tür begleitet, sagt er: »Peter, genau das sagen all unsere Mitbewerber auch. DAS ist der Haken. Trotzdem sind wir wesentlich erfolgreicher als sie. Finde als ersten Schritt heraus, warum das so ist!« »Okay«, antwortet Peter zögerlich und fragt sich, wo er da hingeraten ist. Gleichzeitig überlegt er bereits fieberhaft, wie er vorgehen kann. »Gut, dann wünsche ich dir einen erfolgreichen ersten Arbeitstag. Falls du Hilfe brauchst, wende dich einfach an das Team. Alle werden sich darüber freuen, dir zur Seite zu stehen. Zuerst solltest du dich aber bei Anja melden. Du findest sie im Erdgeschoss. Sie wird dir dein Büro zeigen und dich mit allem vertraut machen.« Damit ist Peters seltsame erste Audienz bei Roland beendet. Als er die Bürotür seines Chefs schließt, dreht er sich noch einmal um und betrachtet die Inschrift »Ich interessiere mich für Dich«. Nachdenklich legt er den Zeigefinger an seine Nase. »Da steckt etwas dahinter …« Mit diesem Gedanken macht er sich auf den Weg, um Anja zu suchen.

Verkaufen lernen – zurück auf null?

Für Peter, das versierte Verkaufstalent, hat sich das erste Treffen mit seinem neuen Vorgesetzten ganz anders gestaltet, als er sich das ausgemalt hatte. Hoch motiviert wollte er mit einem spezifischen Verkaufsauftrag Rolands Büro verlassen, sich in die Arbeit stürzen und nach kürzester Zeit wie in der Vergangenheit mit einem fulminanten Ergebnis punkten. Stattdessen fühlt er sich verunsichert und wie im Nebel, was sein weiteres Vorgehen betrifft. Alles, was er bisher gelernt und getan hat, scheint in der neuen Umgebung von RV der völlig falsche Ansatz zu sein. Statt seine Talente und sein in vielen Jahren entwickeltes Verkaufsrepertoire sofort zur Anwendung bringen zu können, soll er jetzt wie ein Spürhund an seinem ersten Tag im Unternehmen erkunden, warum Kunden bei RV kaufen? Er hat keine Idee, wen er da fragen soll!

Er hat sich diese Frage bisher auch noch nie gestellt. Seine bisherige Verkaufsstrategie war diese: Kunden so lange rhetorisch gewandt und mitunter auch psychologisch trickreich vermitteln, dass sie genau dieses Produkt in dieser Menge unbedingt brauchen würden. Das hat nicht immer funktioniert, aber doch oft genug, um in seinen bisherigen Unternehmen als recht erfolgreicher Verkäufer angesehen zu werden. Peter hat seine Kunden bisher nicht als Feinde angesehen, das zu behaupten wäre übertrieben. Aber er hat sich und die Kunden doch immer auf zwei verschiedenen Seiten eines imaginären breiten, reißenden Flusses gesehen, den es verkaufstechnisch geschickt zu überqueren und zu überlisten galt. Wer dabei die besseren Argumente oder auch mal Tricks auf Lager hatte, erreichte schneller und erfolgreicher das andere Ufer und damit den Kunden.

Einander gegenüberstehen, in einer Art Konfrontationsstellung, das war bis dato Peters verkäuferisches inneres Bild. Mit seiner Überredungskunst konnte er so manchen Kundeneinwand raffiniert hinwegfegen, sein Ziel war, zu verkaufen, und zwar zu seinen Bedingungen, zum Vorteil seines Unternehmens und schlussendlich zu seinem eigenen Vorteil – Stichwort Provision! WARUM die Partei »auf der anderen Seite des Flusses« sich schlussendlich für sein Angebot entschieden hatte, war Peter im Grunde ziemlich egal. Alles, was zählte, war, den Auftrag in trockene Tücher gebracht zu haben. Was Wunder, dass ihm Rolands Ansinnen, als erste Aktion bei RV den Grund, warum Kunden dort kaufen sollten, herauszufinden, sinnentleert, bizarr und wenig motivierend vorkommt.

Genau das hat Roland beabsichtigt. Er will Peter, dessen großes Talent im Verkauf er erkannt hat, zurück auf Platz null der Verkaufsarena zwingen, ihn herausfordern, völlig neu, verbindlicher, kundenorientierter und völlig anders als bisher zu denken und zu handeln. Roland weiß, dass sein Verkaufsansatz, das von ihm entwickelte Konzept »Wahres Interesse verkauft«, die Basis der außergewöhnlichen Erfolge seines Unternehmens ist. Dieses Konzept und seine eigene Kompromisslosigkeit, nur Verkäufer in seiner Firma zu dulden, die das Konzept vollinhaltlich, mit jeder Pore ihres Seins verinnerlicht haben und täglich mit Passion und Überzeugung anwenden. Jedem, der bei RV beginnt, wird genau jene Aufgabe übertragen, die auch Peter erhalten hat. Wer sich diesem Ansinnen arrogant verweigert, darf sofort wieder gehen. Auch diejenigen Verkäufer, die es zwar versuchen, aber trotzdem nicht imstande sind, diese erste Hürde mit Grandezza zu nehmen, oder sie nur oberflächlich und zum Schein lösen, werden bei RV rasch zur (Verkaufs-)Persona non grata und dürfen sich ebenfalls aus dem Unternehmen zurückziehen. Aber diejenigen, die zwar zunächst einmal tief verwirrt sind angesichts dieser ihnen abstrus erscheinenden Aufgabe, sich dann jedoch dadurch angestachelt fühlen und beweisen wollen, was für ein Mordsverkäuferkerl in ihnen steckt – die können weit kommen!

Nachdem Peter sein Büro verlassen hat, denkt Roland kurz nach. »Ja, dieser hier könnte zur zweiten Kategorie gehören. Es wird spannend, das näher zu beobachten«, sinniert er, bevor er sich seiner nächsten Aufgabe zuwendet.

Die Frage aller Fragen

Es gibt, das haben Psychologen herausgefunden, insgesamt 64 verschiedene Gründe, die Menschen dazu bewegen, etwas zu kaufen. Das mag wissenschaftlich betrachtet sehr interessant sein, im Verkaufsalltag allerdings ist es irrelevant. Denn kein Verkäufer der Welt hat – in einem »üblichen« Verkaufsumfeld nach den Regeln des klassischen Verkaufs – die Zeit, einen Kunden derart genau zu analysieren, um feststellen zu können, welcher dieser Gründe in diesem individuellen Fall zutrifft. Wie Peter schon am ersten Tag erleben durfte, scheint RV da einen etwas anderen Ansatz zu verfolgen.

Für jeden überdurchschnittlich erfolgreichen Verkäufer ist eine der wesentlichen Fragen: »Wann und warum soll der Kunde kaufen?« Wahrscheinlich ist dies sogar die wesentlichste Frage, die er sich stellen muss, bevor er an ein Verkaufsgespräch auch nur denken sollte. Und entscheidend ist dabei die Sicht des Kunden, nicht die des Verkäufers! Letzteres ist der falsche Ansatz, an dem so viele Abschlüsse scheitern. Verkäufer definieren die Gründe zum Kauf aus ihrer eigenen engen Vertriebs- und internen Firmensicht und beten diese Gründe ihren Kunden mantraartig vor und wollen sie ihnen überstülpen. Dabei tragen fast alle Verkäufer ihren Kunden papageienhaft dieselben angeblichen Überzeugungselemente vor: »Wir bieten beste Qualität, exzellenten Service und natürlich einen unschlagbaren Preis.« Nein, im Spitzenverkauf geht es um so viel mehr. Nämlich darum, im ersten Schritt erst einmal festzustellen, was die Bedürfnisse dieses speziellen Kunden sind. Die Antwort auf die Frage, wann und warum der Kunde kauft, ist dabei immer dieselbe: Kunden kaufen nur dann, wenn sie etwas davon haben!

Dabei sind unbedingt zwei verschiedene Interessenlagen zu unterscheiden: Erstens, was der Käufer als Person davon hat, und zweitens, was das momentane Unternehmensinteresse ist. Diese beiden können durchaus divergieren. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben des Verkäufers, im Vorfeld herauszufinden, welches Interesse auf welcher Ebene besteht. Wenn er mit seinem Angebot nicht zumindest eine Interessenlage – aber besser noch beide – befriedigt, wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Abschluss erzielen können. Zu viele Verkäufer liefern ihrem Kunden nur die reinen Fakten eines Produktes oder einer Dienstleistung als Kaufmotive, nicht jedoch den tatsächlichen und direkten Nutzen für diesen spezifischen Kunden und sein Unternehmen. Kaum jemand schafft es, im Kundendialog die Frage »Was hat dieser Kunde davon, was hat das Unternehmen davon, wenn es bei mir kauft?« zufriedenstellend zu beantworten.

Da sich heute Produkte und Dienstleistungen mehr und mehr ähneln, greift der gewiefte Kunde dann logischerweise nach der einzigen Vergleichsmöglichkeit, die er hat, und beginnt eine intensive Preisdiskussion. Wer als Verkäufer sein Verkaufsgespräch derartig aus dem Ruder laufen lässt, kommt aus dieser Nummer nur mühsam wieder heraus und muss sich auf massive Preisdiskussionen einstellen – dazu in einem späteren Kapitel mehr. An dieser Stelle sei dazu nur dies erwähnt: Wer nach dem Prinzip des »wahren Interesses« verkauft, wird weniger oft in die enge Einbahnstraße der Preisdiskussion oder anderer Einwände einbiegen müssen.

Die Gründe, warum Kunden kaufen – oder nicht

Aber zuerst einmal zurück zu den Gründen, warum Kunden kaufen. Gehen Sie doch einmal von sich selbst aus: Wann kaufen Sie eine Dienstleistung oder ein Produkt? Doch nur dann, wenn Sie etwas davon haben! Und je nachdem, was für ein Menschentyp im Verkaufsgespräch vor Ihnen sitzt, ist dessen Kaufmotiv immer auf die Firma, aber auch auf die individuelle Person bezogen. Natürlich ist das Kaufmotiv auch abhängig davon, welche Bedürfnisse befriedigt werden sollen. Die Bedürfnisse der Menschen reichen von den Grundbedürfnissen bis hin zur Selbstverwirklichung. Menschen kaufen zum Beispiel, weil sie das Bedürfnis nach Innovationen, Kosteneinsparungen, Selbstbestätigungen oder nach Sicherheit haben.

Entscheidend sind immer die folgenden Hauptmotive:

Lustgewinn

Schmerzvermeidung

Wir kaufen zum einen, weil ein Produkt uns schlicht und ergreifend Spaß macht, Prestige verspricht und Anerkennung mit sich bringt. Zum anderen, weil wir Unangenehmes vermeiden oder es durch diesen Gegenstand oder diese Dienstleistung zumindest abmildern wollen. Beim Autokauf drückt sich das zum Beispiel so aus: Den Sportwagen erstehen wir aus Freude am Fahren, den Familienkombi, weil wir es leid sind, uns beim Verladen des Kinderwagens das Kreuz zu verbiegen. Oder nehmen wir das Beispiel Red Bull. Wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis umhöre, dann schmeckt dieses Getränk wohl kaum jemandem wirklich so richtig gut. Da es jedoch Kultstatus erlangt hat, glauben die Konsumenten, gemeinsam mit der Flügel verleihenden Flüssigkeit auch einen entsprechend coolen Lifestyle, Spaß und ein dynamisch-energievolles Leben zu erhalten. Der Nutzen einer klar definierten Gruppenzugehörigkeit ist für alle Zielgruppen eindeutig erkennbar, und darum trinken, trinken und trinken sie. Dasselbe gilt für die sehr stylisch und elegant realisierten Werbespots von Nespresso mit George Clooney als Testimonial. Sie zeigen eine Welt auf, zu der viele Konsumenten gerne gehören wollen. Sie glauben, durch den Genuss von Nespresso Zugang zu dieser Welt zu erhalten.

Oder stellen Sie sich vor, dass in Ihrem Unternehmen alle dem Abschluss nachfolgenden Prozesse für Ihre Geschäftspartner extrem kompliziert sind. Hat sich dies erst einmal herumgesprochen, werden Sie große Mühe haben, überhaupt zum Abschluss zu kommen. Ihre Kunden agieren dann sehr pragmatisch nach dem Prinzip der Schmerzvermeidung – sprich Verhinderung lähmender Bürokratie – und werden anderswo handelseinig werden. Nämlich dort, wo sie selbst die geringsten Aufwände oder Umstände haben. Da können Ihre eigenen Produkte noch so exzellent sein – dieser Faktor spielt dann in der endgültigen Entscheidungsfindung keine Rolle mehr. Das Problem dabei ist, dass Verkäufer nach dem Abschluss rasch zurück an die »Front« wollen, um noch mehr zu verkaufen, und nicht ihre Zeit mit lästiger Administration vergeuden möchten. Aus all diesen Gründen müssen erfolgreiche Verkäufer so rasch wie möglich herausfinden, was die wahren Gründe sind, warum ein bestimmter Kunde zu einem bestimmten Moment ein bestimmtes Produkt von einem bestimmen Unternehmen und von einem bestimmten Verkäufer kaufen würde – nämlich von Ihnen!

Drückt ein Kunde zum Beispiel aggressiv auf den Preis, kann sich dahinter die Tatsache verbergen, dass sich das Unternehmen, das er vertritt, in einer massiven Krise befindet und bereits mit dem Rücken zur Wand steht. Oder der Grund dieser Preisschlacht kann schlicht und ergreifend die Freude am Besiegen des »Gegners« und die pure Lust am Preiskampf sein. Im zweiten Fall ist von einem Geschäftspartner mit derartigen Praktiken auf lange Sicht besser abzusehen. Dieser Kunde hat sich dann durch sein Verhalten bereits selbst disqualifiziert.

Ja, auch diese Erkenntnis zu gewinnen und entsprechend zu agieren, ist ein wichtiger Teil der Philosophie des »wahren Interesses im Verkauf«. Im ersteren Fall, des Unternehmens in der Krise, kann man sich als Verkäufer zusammen mit seinem Unternehmen eventuell dafür entscheiden, in diesem Fall auf die Preisvorstellungen des schlingernden Unternehmens einzugehen, etwa, um es so vor dem Konkurs zu retten und sich der ewigen Dankbarkeit der Geschäftsführung sicher zu sein, zukünftige Großaufträge inklusive. Ob ein Unternehmen dies dann wirklich tut, sei einmal dahingestellt. Wichtig ist jedoch, alle diese Details zu kennen, um ein klares Bild zu haben und auf der Basis dieser Klarheit für sein Unternehmen die momentan passende Entscheidung zu treffen.

Für einen Verkäufer ist es also entscheidend, so schnell wie möglich herauszufinden, zu welcher Gruppe ein Kunde gehört. In manchen Branchen ist das einfach: So schließt beispielsweise niemand aus Spaß an der Freud eine Lebens- oder Hausratversicherung ab. Für den Autohändler ist die Sache schon nicht mehr so simpel. Wenn es dann um Dienstleistungen oder Investitionsgüter geht, wird die Frage nach dem Kaufmotiv zur ganz speziellen Herausforderung: Will der Kunde expandieren oder was sonst ist seine Motivation zum Kauf? Hohe Menschenkenntnis, eine exzellente Wahrnehmungsfähigkeit und eine schnelle Auffassungsgabe sowie die Fähigkeit, den Kunden zu lesen, entscheiden hier über Abschluss oder Misserfolg. Denn das Kaufmotiv bestimmt die Verkaufsstrategie! Wer sich bei dieser Einschätzung irrt und nicht erkennt, ob es sich um einen Lust- oder Frustkunden handelt, hat den Auftrag bereits verloren, noch bevor er den ersten Satz gesagt hat.

Das eigene Unternehmen kennen wie seine Westentasche

Um wirklich zu verstehen, wo der tiefe Schmerz des Kunden sitzt und was sein individuelles Problem ist, sollte sich der Verkäufer in die Welt des Kunden begeben. Davor jedoch hat ein noch viel wichtigerer Schritt zu erfolgen: das eigene Unternehmen akribisch genau kennenzulernen. Und genau diese Aufgabe hat Roland Peter an seinem ersten Arbeitstag übertragen. Mit dem Kennenlernen eines Unternehmens ist nicht die genaue Kenntnis der Produktpalette bis in letzte Detail gemeint. Das kann sogar eher hinderlich sein. Denn dann fokussieren sich Verkäufer zu sehr auf die Eigenschaften eines Produktes oder einer Dienstleistung und versäumen es, ihren potenziellen Kunden den Nutzen des Produktes oder der Dienstleistung darzulegen.