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Anke van Beekhuis

Wettbewerbsvorteil
Gender Balance

Wie Unternehmen
durch Geschlechterausgewogenheit
erfolgreicher wirtschaften

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-901-3

ISBN epub: 978-3-95623-832-1

Lektorat: Christiane Martin, Köln | www.wortfuchs.de

Umschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.de

Umschlagfoto: dibrova / shutterstock

Autorinnenfoto: Wolfgang Hirt

Satz und Layout: Das Herstellungsbüro, Hamburg | www.buch-herstellungsbuero.de

Copyright © 2019 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Das E-Book basiert auf dem 2019 erschienenen Buchtitel "Wettbewerbsvorteil Gender Balance" von Anke van Beekhuis, ©2019 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

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Inhalt

Geleitwort

Ganz oder gar nicht – Gedanken zu einem Thema, bei dem man keine halben Sachen macht

I.Antiquierte Vorstellungen und überholte Strukturen

Sexismus und Stereotype – tief eingeprägt und einfach nicht loszuwerden

Klar mögen wir Frauen – aber Helden sind uns lieber

Wie Mama und Papa – die Macht der Sozialisierung

II.Der Weg zur echten Balance

Change the people – change the culture

Gender Communication – miteinander reden schafft Verständnis

Vorhandene Potenziale nutzen – intern vor extern

Geld regiert die Welt – Gleichbehandlung beginnt beim Gehalt

Heldinnen an die Macht – Kraftstoff für das Unternehmen

Be flexible – neue, attraktive Arbeitswelten gestalten

III.Cashflow durch HELDINNEN und HELDEN

Der Weg zum Jackpot – langfristige Konzepte zur Gewinnsteigerung

Auf die Mischung kommt es an – mehr Erfolg mit dem richtigen Team

Multiplikationsfaktoren erkennen – und der Motor läuft besser

Jetzt geht es in die Tiefe – Role Models nutzen

Scherben bringen Glück – dass etwas zu Bruch geht, ist normal

Warum an Grashalmen ziehen nichts bringt – beim Gendern ist Geduld gefragt

Der Blick aufs Wesentliche – es lebe die Evaluierung

IV.Neue Vorstellungen und moderne Strukturen – ab jetzt nur noch so

Zieleinlauf – wir haben es geschafft

Willkommen neue Unternehmenskultur – wir lieben sie

Der Rest der Welt kann es schon – wir nun auch

Anhang

Danksagung. Ein Buch und viele Menschen

Quellenverzeichnis

Die Autorin

Register

Geleitwort

Ganz oder gar nicht – Gedanken zu einem Thema, bei dem man keine halben Sachen macht

Wenn sich BeraterInnen daranmachen, ein Buch zu schreiben, ist das in den meisten Fällen ein zweischneidiges Schwert: Einerseits steigert es unbestreitbar den eigenen Marktwert, aber wer gibt andererseits schon so mir nichts dir nichts sein mühsam, in Jahren erarbeitetes Praxiswissen komplett aus der Hand? Daher bleiben viele BeraterInnen in ihren Publikationen gerne an der Oberfläche und führen LeserInnen auf vielen lesenswerten und gefälligen Pfaden zu der Erkenntnis, dass sie jetzt zwar eine ungefähre Ahnung haben, wie komplex ein Thema ist, aber ohne tatsächliches Engagement von Beratern (idealerweise der Autorin bzw. des Autors selbst) hoffnungslos verloren sind.

Ich bin selbst Berater und kann diesen Kunstgriff rein menschlich (und monetär) gut nachvollziehen. Dennoch bleibt dabei auch in mir eine gewisse Leere zurück, wenn ich so manches Buch zu klar abgegrenzten Themen lese und mir nur deren Komplexität vor Augen geführt werden. Ich möchte – und damit stehe ich sicherlich nicht alleine da – Antworten, Lösungen, Ansätze, Ideen und vor allem die Aussicht, dass ich ein Thema (mit wessen Hilfe auch immer) erfolgreich verstehen und in der Praxis umsetzen kann. Aus diesem Grund schätze ich die Bücher meiner Branchenkollegin Anke van Beekhuis sehr, da sie nicht nur Wissen bzw. eine schier unglaubliche Anzahl von Praxiserfahrungen teilt und dabei keine Tabus scheut, sondern weil ihre Hauptbotschaft positiv und konstruktiv ist: »Lernen Sie zu verstehen und treffen Sie dann die richtigen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt!« Gerade bei einem Thema wie Gender Balance, bei dem in der öffentlichen Wahrnehmung Fakten auf Halbwissen und leider Gottes auf sehr viel puren Unsinn treffen, ist es wichtig, authentisch aufzutreten und die Dinge beim Namen zu nennen. Schließlich geht es hier um Menschen, um Emotionen und vor allem um Befindlichkeiten. Wir reden hier über Fairness und gewachsene Ungleichgewichte. Und glauben Sie mir: Obwohl dies nicht eines meiner Fachgebiete ist, kann ich Ihnen sagen, dass es schon eine Herausforderung ist, dieses Thema in einer Runde überhaupt anzusprechen. Denn hier treffen augenblicklich und sprichwörtlich Welten aufeinander. Anke van Beekhuis will mit ihrem Buch diese Welten zusammenführen. Das tut sie auf eine derart kluge und einfühlsame Weise, dass sich vielleicht auch hartnäckige Vorurteile und Haltungen im Licht dieser Erkenntnisse auflösen lassen. Und sie macht vor allem in Ihren Ausführungen vor nichts halt. Das bedeutet: Ganz mutige Vorstände, Führungskräfte und Firmenchefs könnten – so wage ich, hier zu behaupten – nur anhand dieses Buches damit beginnen, ihr Unternehmen in ein neues Zeitalter zu führen. Ganz ohne Geld für BeraterInnen auszugeben. Unerhört eigentlich!

Dieses Buch kommt ohne Schuldige, Buhmänner und Schwarz-Weiß-Muster aus. Auch das betrachte ich bei diesem Thema als großartige Leistung. Es holt alle Beteiligten (und das sind so gut wie alle) dort ab, wo sie stehen, und bietet eine gemeinsame Entwicklung an. Auch das ist unerhört – eigentlich!

Und was für mich als Berater sehr wichtig ist: Anke van Beekhuis verspricht keine Patentlösungen, sondern sie animiert zu achtsamem, bewusstem Selbstdenken und vor allem zu einer grundlegenden Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber. In Zeiten von Fake News, Brustgeklopfe und dem schönen Schein eigentlich am unerhörtesten von allen genannten Aspekten! Aber genau darum authentisch, glaubwürdig und immens wichtig! Denn Gender Balance funktioniert nur ehrlich … oder gar nicht.

Ich freue mich, dass mit diesem Buch nun endlich eine Publikation vorliegt, die mit Fakten, Zahlen und tatsächlichen Erfahrungen arbeitet. Denn ExpertInnen zu diesem Thema, die diese Bezeichnung auch nachweislich verdienen, sind in Mitteleuropa rar gesät. Und ich kann Ihnen ganz im Vertrauen und in bester BeraterInnen-Tradition noch verraten, dass dieses Thema ganz schön komplex ist. Aber ich verspreche Ihnen auch, dass Sie am Ende dieses Buches nicht nur die Welt, sondern auch Ihr Unternehmen in einem ganz anderen Licht sehen werden.

Matthias Kolbusa

Management-Experte, Denker, Redner, Autor und Unternehmer

I.Antiquierte Vorstellungen und überholte Strukturen

Sexismus und Stereotype – tief eingeprägt und einfach nicht loszuwerden

Salzburg, Sommer 1999. Ich bin Baustellenleiterin im Heizungs-, Sanitär- und Lüftungsbereich und auf dem Weg zu einer Baustelle. Vor Ort treffe ich einen Kollegen. Wir steigen gemeinsam die Stufen in den ersten Stock hinauf. Wo wir auch hinkommen – es »grüßen« mich Kollegen und Arbeiter. Als Frau bin ich eine »Exotin« auf der Baustelle, aber auch lange genug im Geschäft, um keine Unbekannte mehr zu sein. Dennoch ist es kein Spaziergang. Hier treibe eine Frau ihr Unwesen, höre ich hinter meinem Rücken. Ich habe mich an das Gerede gewöhnt, mein Kollege hingegen hat es bisher meist belächelt und nicht geglaubt, dass ich einen schweren Stand in der »Männerwelt Baustelle« habe. Er schätzt mich – so wie die anderen Kollegen im Büro – als erfahrene Technikerin. Dort ist das Mann-Frau-Verhältnis kein Thema. Dort verliere ich normalerweise auch keine großen Worte darüber, was mir bei meinen regelmäßigen Baustellenbesuchen so alles unterkommt. Schließlich will ich nicht als Weichei gelten.

Nun erlebt mein Kollege zum ersten Mal hautnah, was einer Frau auf einer Baustelle widerfährt: wenig Originelles, viele Klischees von anzüglichen Bemerkungen über Blicke bis zu Pfiffen. Und dies trotz baustellenüblichem Outfit, das alles andere als weibliche Reize zur Geltung bringt. Selbst als wir mit einem Architekten sprechen, kommen aus dem Hintergrund sexistische Bemerkungen – unverhohlen, laut, dumm. Mein Kollege schaut mich erwartungsvoll an, auch der Architekt ist irritiert. »Wollen Sie nichts sagen?«, fragt er. Ich antworte ruhig und gelassen: »Glauben Sie wirklich, das würde irgendetwas ändern?« Er überlegt kurz: »Wahrscheinlich nicht.«

Wir setzen die Begehung der Baustelle fort – vorbei an vollgekritzelten und beschmierten Baustellenwänden. Immer wieder zu sehen: Genitalien und nackte Frauenkörper. Neben einer Kritzelei steht mein Name. Die beiden Männer sind irritiert und flüchten sich in eine überbetont normale Fortsetzung unserer technischen Gespräche.

Wir kommen im Treppenhaus zum Stehen und diskutieren angeregt. Plötzlich zucken wir alle zusammen, als ein Schraubendreher Millimeter von mir entfernt auf dem Estrich aufschlägt. Wir blicken nach oben. Aus dem zweiten Stock schiebt sich ein Kopf über das Geländer. Dann eine Hand. Ein Arbeiter zeigt mir grinsend den Mittelfinger. Das verstört nun auch meine beiden Begleiter nachhaltig. Plötzlich wird die Mann-Frau-Problematik zum brennenden Thema der Unterhaltung. Es geht so weit, dass mein Kollege mir rät, die Baustelle nicht mehr allein zu besuchen. Der Architekt pflichtet ihm bei. Auch als wir zurück ins Büro kommen, ist das Thema noch heiß. Die anderen Kollegen wundern sich vor allem über meine Ruhe und Gelassenheit – noch mehr, als ich von weiteren Vorfällen aus der Vergangenheit erzähle, die noch eindeutiger und unangenehmer sind. Die Tatsache, dass ich gelernt habe, damit zu leben, und nicht versuche, etwas zu ändern, das offensichtlich nicht zu ändern ist, verwirrt und beeindruckt die anderen. Auch, wenn das für meine Kollegen etwas Neues ist: Ich bin seit jungen Jahren beinahe täglich damit konfrontiert.

Von irgendwelchen Regeln oder Verboten will ich nichts hören. Ich möchte anspruchsvolle Projekte betreuen. Dafür habe ich gekämpft, nun will ich mir das nicht streitig machen lassen – schon gar nicht aus Fürsorge oder Rücksichtnahme. Stolz? Mut? Dummheit? Ich weiß es nicht. Aber der beschriebene Tag verändert auch für mich vieles. Ich beschließe, anderen einfach nicht mehr zu erzählen, wann ich bei einer Überprüfung der Lüftungsanlage alleine im vierten Untergeschoss auf der Baustelle unterwegs bin. Und das, obwohl mir klar ist, dass ich – wenn mir ein Mann in solchen Momenten zu nahekommen sollte – alleine auf mich gestellt wahrscheinlich körperlich unterlegen bin.

Selbstredend muss sich keiner meiner männlichen Kollegen jemals Gedanken machen, wenn er mit Arbeitern alleine ist. Bei der Begegnung unter Männern gibt es keine Respektlosigkeiten und keine Übergriffe. Und auch, wenn ich gelernt habe, diesen Unterschied zu akzeptieren, so trifft mich die Erkenntnis, wie verschieden die Gegebenheiten sind. Ich muss jederzeit damit rechnen, dass die Grenzen nicht eingehalten werden und der eine oder andere eine Handlung ausführt, die im günstigsten Fall nicht korrekt und im ungünstigsten Fall wirklich gefährlich ist.

Eine große Rolle spielt in diesem Zusammenhang natürlich auch das Thema »Alkohol«: Egal ob bei Weihnachtsfeiern oder Dachgleichen: Zu viel Alkohol kann die Stimmung kippen und manche Hemmungen fallen lassen. Gleichzeitig ist es aber wichtig, mit den Kollegen zu feiern, um – nun ja – dazuzugehören. Trotzdem trinke ich niemals mit – und muss dennoch den Schein wahren. Ab und zu lasse ich mich von den Arbeitern in ein Lokal einladen. Meistens bestelle ich hier Bacardi-Orange oder Cola-Rum und bitte an der Bar darum, nur die Säfte einzuschenken und den Alkohol wegzulassen. So habe ich mir den Ruf erworben, trinkfest zu sein. Tarnen und täuschen – ich bin nicht stolz darauf, aber es funktioniert. Und irgendwie ist es auch Selbstschutz: Hätte ich mitgetrunken, hätte ich womöglich die Kontrolle verloren.

Diese Gedanken und Erlebnisse aus meiner Zeit als Technikerin hatte ich auch im Hinterkopf, als ich mich zum ersten Mal damit beschäftigte, warum es in unserer Gesellschaft so schwierig ist, Geschlechterausgewogenheit im Management von Unternehmen anzustreben.

Ich gehe gedanklich noch weiter zurück ins Jahr 1990: Steinzeit? Ich bin eine von drei Schülerinnen unter 600 Schülern einer Technischen Schule. Wenn ich auf die Toilette muss, steht mir im gesamten Schulgebäude genau eine Damentoilette zur Verfügung. Wenn wir Unterricht in der Werkstatt im Nebengebäude haben, begleitet mich ein Lehrer zur Herrentoilette, um sicherzustellen, dass ich dort ungestört bin. Der Weg zur Damentoilette im Hauptgebäude würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Zugegeben, das alles war vor einer Ewigkeit. Heute, im Jahr 2019, ist doch sicherlich alles ganz anders, oder? Nun, zumindest, was die Anzahl der Damentoiletten betrifft …

Heute bin ich längst keine Technikerin mehr. Es hatte mich zunächst ins Marketing verschlagen, dann ins Consulting. Seit mehr als zwölf Jahren arbeite ich nun als Organisationsberaterin und habe mein eigenes Unternehmen. Neben der wirtschaftlich orientierten Beratung von mittelständischen Unternehmen wurde der Bereich »Geschlechterausgewogenes Management« mein Spezialgebiet. Ich arbeite mit Konzernen und Betrieben und erstelle »Unternehmenskulturanalysen«, um Hindernisse für Gender Balance und die damit verbundene Vielfalt an Führungsstilen auszumachen. Ein Teil der angestrebten Vielfalt ist »Female Empowerment« – also eine Unterstützung der weiblichen Belegschaft beim Ansteuern höherer Karriereziele.

Anstatt von Arbeitern bin ich nun also von Führungskräften und Vorstandsmitgliedern umgeben. Es sind Männer in Anzügen statt im Blaumann. Männer mit hoher Bildung und mit manikürten Fingernägeln. Und dennoch finde ich mich in Situationen wieder, die jenen von vor 20 Jahren stark ähneln. Selbstverständlich findet alles an anderen Schauplätzen und vor einem anderen Horizont statt, aber im Grunde ist die Problematik die gleiche geblieben: Frauen sind immer noch regelmäßig Sexismus und verbalen Übergriffen ausgesetzt. Ich entdecke mich nicht mehr selbst als Kritzelei auf Baustellenwänden, aber ich begegne vielen Frauen, die mir davon berichten, dass sie in gewisser Form immer noch als »die anderen« gelten und sich »ungleich« behandelt wissen. Viele dieser Geschichten werde ich in diesem Buch erzählen.

Raus aus den Klischeefallen

Eines möchte ich gleich zu Beginn klarstellen und damit jenen den Wind aus den Segeln nehmen, die zur einfachsten aller Ausreden tendieren, um sich diesem Thema zu entziehen: Ich bin keine Klischee-Emanze auf einem Kreuzzug gegen das männliche Geschlecht! Mein Motiv ist nicht Rache für all die Ungerechtigkeiten, die mir selbst als junge Frau widerfahren sind. Kurz gesagt: Es geht mir nicht darum, Frauen aufs Podest zu heben und Männer schlechtzumachen! Es geht mir um Balance – Geschlechterausgewogenheit. Sie ist für mich ein Schlüssel zu höheren Umsätzen von Unternehmen, weil sie Lösungen, Dienstleistungen und Produkte ermöglicht, die Kunden erreichen. Wie Unternehmen mit diesem Fokus erfolgreicher werden und diese Balance für einen größeren wirtschaftlichen Erfolg nutzen können, beschreibe ich ausführlich in den nächsten Kapiteln. Ich bin auch davon überzeugt, dass Gesellschaften, die Männer und Frauen gleichbehandeln, von dieser Ausgewogenheit profitieren und die Entwicklung von innovativeren und familientauglicheren Unternehmenskulturen begünstigen. Solche Modelle sind allerdings heute noch rar, weil wir noch immer in alten Denkmustern feststecken.

Gesellschaften, die Frauen und Männer gleichbehandeln, profitieren von dieser Ausgewogenheit.

Ein aktuelles Beispiel: Im französischen Fernsehen schob kürzlich ein männlicher Gast einer Talkshow den Rock einer neben ihm sitzenden Frau nach oben, um »mehr Quote« zu erreichen. Alle Anwesenden flüchteten sich in Gelächter und in die einhellige Auffassung, dass das wohl eine Art »freches Kompliment« gewesen sei. Nüchtern betrachtet, nahm sich der Mann – übrigens ein national bekannter Entertainer – etwas Unerhörtes heraus und tat das, was noch immer als ein Kavaliersdelikt gewertet wird: Er reduzierte die Frau – ebenfalls eine bekannte Künstlerin – auf ihr Äußeres. Oder denken Sie daran, wie oft Sie schon beobachtet haben, dass Männer bei Fotoshootings ganz selbstverständlich die Hand um die Taille einer Frau legen. Haben Sie das jemals umgekehrt gesehen? Oder haben Sie jemals zwei Männer gesehen, die sich die Hand um die Taille legen? Wenn Sie jetzt denken, das seien Kleinigkeiten, dann sind Sie im Zentrum der alten Denkmuster angekommen. Derartige Übergriffe sind keine Kleinigkeiten, sondern werden nur durch Gewohnheit als solche betrachtet. Es sind Grenzüberschreitungen, die in den Augen vieler keiner Kontrolle bedürfen, weil sie ja »nicht böse« gemeint sind.

Ich habe damals auch mit niemandem darüber gesprochen, was ich auf den Baustellen über mich ergehen lassen musste. Ich hatte diese Vorgehensweise für mich gewählt, weil ich nicht infrage stellen wollte, was anscheinend von jedem akzeptiert wird. Erst viel später wurde mir klar, dass genau das der Grund ist, warum sich eine Gesellschaft, ein System oder ein Unternehmen nicht weiterentwickelt.

Gender Balance entsteht durch ein alltägliches neues Verhalten von Männern und Frauen – durch Unterlassen und Ändern jener Kleinigkeiten, die früher »nicht der Rede wert waren«. Erst, wenn ihnen eine bestimmte Wertigkeit zugestanden wird, ist bleibende Veränderung möglich.

Zur Klarstellung: Es sind nicht nur »schreckliche Männer«, die für Starrheit im System sorgen. Es steckt auch nicht immer böse Absicht dahinter. Viel fataler ist, dass Fehlverhalten unbewusst passiert und den Beteiligten völlig normal erscheint. Auch Frauen überschreiten unbewusst Grenzen: Kleidung, die körperliche Reize preisgibt oder überbetont, irritiert Männer zwangsläufig. Kleidung spielt eine wichtige Rolle in der Vorbeugung von Sexismus. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich Frauen wie Männer kleiden sollten! Worum es wirklich geht: Wenn Äußeres zu sehr von Inhalten ablenkt, wird irgendwann nur mehr die »Hülle« beachtet.

Mir ist durchaus bewusst: Sexismus wird nie völlig abgestellt werden können. Dazu geschieht auf zu vielen Ebenen zu viel Zwischenmenschliches. Aber: Männer und Frauen können vorsichtiger und bewusster damit umgehen.

Was ist Sexismus und wo ist der Ausweg?

Der Begriff »Sexismus« umfasst Geschlechterstereotype, Affekte und Verhaltensweisen, die einen ungleichen sozialen Status von Frauen und Männern zur Folge haben oder darauf hinwirken. Im Klartext: Sexismus ist Gift für Gender Balance. Sexismus ist mittlerweile in vielen westlichen Ländern Gegenstand von Gesetzgebung und Sozialforschung – insbesondere der Gender Studies und der Vorurteilsforschung. Manches hat sich inzwischen verändert – jedoch noch lange nicht genug.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, dessen Verhalten und Wahrnehmungen von Erfahrungen geprägt sind. Wir müssen nur an unsere Kindheit zurückdenken und uns daran erinnern, wie unsere Väter mit unseren Müttern umgegangen sind. Oder wie Großväter sich gegenüber Großmüttern verhalten haben. Wir nehmen unbewusst dieses Verhalten an. All diese Erinnerungen haben wir im Gepäck und wir sind uns oft nicht einmal bewusst, wie sehr diese uns noch immer prägen.

Sprung ins Jahr 2016: Ich bin als Vortragende in eine Konzernzentrale eingeladen. Meine Auftraggeberin ist – so wie ich – groß und blond. Gemeinsam mit einem Assistenten empfängt sie mich in der Lobby und wir fahren mit dem Aufzug in die Vorstandsetage. Als wir dort den Korridor entlanggehen, begegnen wir einer männlichen Führungskraft, die den Assistenten anblickt und zwinkernd sagt: »Eh klar, unser hübscher und gescheiter Kollege darf sich wieder mit den schönsten Frauen umgeben. Das hat er sich aber auch verdient!«

Da sind wir wieder – in einer dieser Situationen, die viele in erster Linie als »nicht sehr guten Witz« oder als »blöde Bemerkung« abtun und vergessen würden. Mir war schon bewusst, dass hier ein Kompliment auf sehr unglückliche und plumpe Art und Weise ausgesprochen wurde. Aber Tatsache ist, dass die Formulierung den Mann als »Sieger« herausstrich. Die alternative Formulierung »In Begleitung von zwei so hübschen Frauen? Du kannst dich glücklich schätzen, dass du mit ihnen unterwegs bist« wäre noch immer sexistisch gewesen, aber zumindest hätte der »Schein« des Kompliments auf uns Frauen abgezielt. Die tatsächliche Aussage bewirkte bewusst oder unbewusst – wir wissen das in diesem Fall nicht so genau – eine Diskriminierung der Frauen.

Es sind Sprache, und bestimmte Verhaltensweisen, die das Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen in Unternehmen erst sichtbar machen. Wenn eine männliche Führungskraft Aussagen dieser Art dermaßen locker tätigt, kann man sich ausrechnen, dass sich dieser Stil durch das gesamte Unternehmen zieht. Und tatsächlich konnte ich genau das im Laufe der Zeit in diesem Unternehmen beobachten.

Nun fragen Sie sich vielleicht: Wie soll dieses Ungleichgewicht, das mit leichten Schwankungen seit Generationen besteht, überhaupt jemals in Balance gebracht werden? Schauen wir uns dazu zunächst einmal an, was die Wissenschaft zur althergebrachten Ansicht, dass Männer und Frauen grundsätzlich wie Tag und Nacht seien, sagt.

Der Soziologe und Psychologe Tomas Chamorro-Premuzic führte dazu eine Untersuchung mit rund 1000 ManagerInnen aus 40 Ländern durch. Er wollte wissen, wie sich Männer und Frauen anhand ihrer vorherrschenden Persönlichkeitsmerkmale unterscheiden. Das Ergebnis: Frauen bestechen vorrangig durch Bescheidenheit, emotionale Intelligenz und Teamfähigkeit. Männer hingegen weisen sehr oft aggressive, selbstbezogene und narzisstische Tendenzen auf. Sie denken jetzt vielleicht, dass die Männer bei dieser Untersuchung nicht gut wegkommen. Das ist ein Irrglaube, denn die erwähnten männlichaggressiven Tendenzen decken sich exakt mit den Erwartungen, die in unserer Wirtschaftsgesellschaft an eine sogenannte »Führungspersönlichkeit« gestellt werden. Sie werden also als wünschenswertes Verhalten betrachtet – und das, obwohl dies einer Organisation nachweislich nicht dient!

Jeder muss sich bewegen, damit sich etwas bewegt! Das schließt auch die kleinste Zelle der Gesellschaft ein – die Familie.

Wie viele Korruptionsfälle kennen Sie, in denen Frauen eine maßgebliche Rolle spielen? Natürlich könnte man argumentieren, es liegt daran, dass weitaus mehr Männer in Führungspositionen sind als Frauen. Doch die Analysen sehen eher die unterschiedlichen Eigenschaften der Geschlechter als Ursache. »Fake it ’til you make it« – so tun als ob – wird eher Männern zugeschrieben. Doch wie ist es möglich, dass dies als wünschenswert betrachtet wird? Ein in der »Harvard Business Review« publizierter Artikel zu oben erwähnter Studie schlussfolgert, dass unsere Gesellschaft »unfähig ist, zwischen Selbstüberzeugung und tatsächlichem Können zu unterscheiden«. Und da liegt die Wurzel einer Tendenz, die im Grunde ihres Wesens widersinnig und selbstzerstörerisch ist und leider sehr erfolgreich ein Ungleichgewicht aufrechterhält: Jene Werte und Verhaltensweisen, die in unserer Gesellschaft geschätzt, angestrebt und hochgehalten werden, decken sich nicht mit jenen, die für eine gesellschaftliche Weiterentwicklung notwendig wären.

In Zusammenhang mit dem Gender-Balance-Gedanken drängt sich zudem die Frage auf, ob eine solche Weiterentwicklung überhaupt erreichbar ist, solange Frauen sexuelle Diskriminierung akzeptieren. Ich denke, es braucht Zeit und einige Mechanismen, um dieses Verhalten und Denken zu durchbrechen und neue Wege zu gehen. Genau mit diesem Thema beschäftige ich mich seit rund zehn Jahren. Meine Erkenntnis: Ähnlich dem Henne-Ei-Problem befindet sich das Thema »Gender Balance« in einer Endlosschleife, da konservative Unternehmenskulturen auf gesellschaftlich akzeptierten Werten basieren. Im Klartext bedeutet das: Eine Frau hat in einem Umfeld, das typisch männliche Verhaltensweisen pflegt, keine echte Chance, sich mit ihrer Denk- und Arbeitsweise zu profilieren. Ändert sich hier nichts, so ändern sich weder die Unternehmenskultur noch die Gesellschaft. Im Gegenteil: Die Eckpfeiler der Macht bestätigen und verhärten sich immer wieder aufs Neue.

Weitere fatale Einflussfaktoren für den Nichtwandel sind darüber hinaus die folgenden: Geschäftsführer sind sehr oft der Meinung, dass ihr eigenes Verhalten keinerlei Einfluss auf die Gesellschaft hat und es ausschließlich Sache der Politik ist, Dinge zu verändern. Gleichzeitig meinen Frauen oft, Unternehmen müssten umdenken. Die Politik fordert wiederum von Unternehmen, sich zu entwickeln oder zu ändern. Die simple Wahrheit ist natürlich: Jeder muss sich bewegen, damit sich etwas bewegt! Das schließt auch die kleinste Zelle der Gesellschaft ein – die Familie.

Frauen, die voraussetzen, dass der Mann das Geld nach Hause zu bringen hat, begeben sich in eine Abhängigkeit. Erst wenn Frauen lernen, die Klischeerolle der perfekten, allbeschützenden, omnipräsenten »Nesthüterin« zu hinterfragen, und anerkennen, dass Familie und Job möglich sind, kann sich die Sonne der Gleichbehandlung über den geistigen Horizont schieben. Aber aufgegangen ist sie deshalb noch lange nicht. Erst wenn Männer verstehen, dass Haushalt, Kinder und Erziehung nicht alleinige Frauensache sind, sondern jeder Elternteil einen Beitrag leisten kann, fällt ein anderes Licht auf ein Thema, das ansonsten gerne achselzuckend im Dunkeln gehalten wird. Der Gedanke »Das war schon immer so« ist dabei der größte Hemmschuh für Veränderung – also auch für Gender Balance. Dabei wäre der geistige Knoten so leicht zu lösen: Jede und jeder kann all das: Geld verdienen, Karriere machen, putzen, einkaufen, kochen, bügeln, mit Kindern malen und sie versorgen. Es ist nur eine Frage der Einstellung, nicht des Könnens. Es gibt kein Gen, das einen Menschen zum talentierten Bügelgroßmeister macht. Niemandem wurde die Kochkunst als Gottesgeschenk in die Wiege gelegt. Alle können einen Nagel in die Wand schlagen. Nun ja, zumindest jene, die sich dazu entschließen, einen Hammer in die Hand zu nehmen. Aber genau an diesem Punkt scheitert vieles: am bremsenden Gedanken, der die entwicklungsbegünstigende Tat verhindert.

Die Entwicklung unserer Gesellschaft aber haben wir in der Hand. Sie betrifft unser Leben, unseren Alltag, unsere Partnerinnen und Partner, unsere Kinder, unser Zuhause. Wenn meine Tochter mich fragt, warum ich arbeite und warum stattdessen das ein oder andere Mal Papa am Nachmittag zu Hause ist, erkläre ich ihr, dass wir beide unseren Beitrag für die Familie leisten. Ich erzähle ihr auch, dass es uns wichtig ist, dass jeder von uns einen finanziellen Beitrag zum gemeinsamen Leben beisteuert.

Blick in den Rückspiegel

Wir leben im 21. Jahrhundert, in dem es für Frauen in unserer westlichen Welt selbstverständlich ist, arbeiten gehen zu dürfen. Das war nicht immer so. Natürlich hatten und haben Politik und Gesetzgebung Einfluss auf unsere Rollenbilder. Schauen wir nur ein paar Jahrzehnte zurück. Vieles erscheint uns heute völlig weltfremd.

Der Anteil der für Lohn arbeitenden Frauen stieg in der Zeit der Industrialisierung an und machte dadurch das Thema erstmals zu einer großen sozialen Frage. Vor allem die Arbeitsbedingungen, der Arbeitsschutz und die Frage einer gerechten Entlohnung für Frauen standen dabei im Blickpunkt. Frauen, die sich mit dem Thema auseinandersetzten, initiierten mit ihren Ideen, Worten und Schriften die Frauenbewegung. Diese sorgte letztendlich dafür, dass wir heute ein wesentlich ausgeglicheneres Verhältnis haben als damals. Ein paar Zahlen dazu: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die tägliche Arbeitszeit in Frankreich auf elf Stunden beschränkt – darunter fiel auch Frauen- und Kinderarbeit. Der »Berufszählung« von 1907 zufolge waren im Deutschen Reich 28 Prozent der erwachsenen Frauen außerhalb des Privathaushalts berufstätig. Drei Millionen Frauen arbeiteten zusätzlich in anderen Haushalten, 400 000 in Industrie und Gewerbe. Von diesen 400 000 waren 43 953 »Heimarbeiterinnen«, 34 000 Wäscherund Plätterinnen, 37 000 Schneiderinnen und 22 000 Näherinnen.

Die Welt hat also prinzipiell schon länger kein Problem mehr damit, dass Frauen arbeiten. Es geht jedoch darum, als was sie arbeiten. Solange es – überspitzt formuliert – nur um »niedere Dienste« ging, wurde der Zuwachs an Arbeitskraft begrüßt – schließlich diente das zu diesem Zeitpunkt ja auch den Männern, die durch körperliche Verausgabung oder Kriegsverwundungen auf das zusätzliche Einkommen ihrer Frauen angewiesen waren.

1958 erfolgte der nächste große Schritt in Deutschland: Ab nun durften Frauen ohne Zustimmung des Ehemanns einer Arbeit nachgehen. Das entsprechende Gesetz lautete: »Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.« Selbstverständlich? Heute vielleicht. In Deutschland durften Frauen bis 1957 ohne Zustimmung ihres Ehemanns nicht einmal ein eigenes Bankkonto eröffnen. Eine weitere Reform erfolgte in den 1960er- und 70er-Jahren. In Deutschland wurde festgelegt, dass die Ehepartner ihre Verbindung so gestalten, »dass die Frau ihre berufliche und gesellschaftliche Tätigkeit mit der Mutterschaft vereinbaren kann«. In Österreich wurden durch die Familienrechtsreform im Jahre 1975 Mann und Frau sogar weitgehend gleichgestellt, und es wurde versucht, geschlechtsspezifische Zuweisungen abzubauen. Im Jahr 1976 wurde in Deutschland dann per Gesetz das »paritätische Ehemodell« beschlossen: »Die Ehegatten regeln die Haushaltsführung in gegenseitigem Einvernehmen. […] Beide Ehegatten sind berechtigt, erwerbstätig zu sein.« Seitdem sind 40 Jahre ins Land gezogen, und wir beschäftigen uns noch immer mit Sexismus. Wer hat »Schuld«, dass die Entwicklung wieder ins Stocken geraten ist? Die Antwort ist einfach: Wir alle! Wir alle sind als Teil von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft dafür verantwortlich, dass diese alten Stereotype noch immer existieren und gelebt werden.

Aussagen wie »Die Mutter gehört zum Kind und das Kind zur Mutter« sind auch heute noch allgegenwärtig – ausgesprochen und unausgesprochen. Die Politik nutzt dies gerne, um sich von der Verantwortung zu befreien, zusätzliche Kinderbetreuungsplätze zu schaffen und aufzuklären, wie wichtig die frühe Sozialisierung von Kindern unter Gleichaltrigen ist. Warum gehen denn Kinder in Frankreich, Dänemark, Norwegen, Schweden oder Holland schon sehr früh in den Kindergarten? Die Einstellung unterscheidet sich gravierend: In diesen Ländern gehen Mütter bereits drei bis sechs Monate nach der Geburt ihrer Kinder wieder arbeiten. Wie stehen diese Länder wirtschaftlich da? Sehr gut. Und: Sie weisen keine höhere Kriminalitätsrate auf als andere Nationen. Kinder, die täglich ein paar Stunden in Kindergruppen verbringen, enden also nicht als Schwerverbrecher oder Sozialhilfeempfänger. Ganz im Gegenteil: Sie erlangen durch die Gemeinschaft der Gruppe wichtige Sozialkompetenz. In diesen Ländern wird auf eine Qualität der Kinderbetreuungsplätze geachtet, die die Entwicklung der Kleinen von Anfang an unterstützt und sie zu selbstständigen Menschen heranwachsen lässt.

Diese Sichtweise ist bei uns jedoch noch nicht überall angekommen. Dabei ist es Tatsache, dass zwei berufstätige Elternteile einen multiplizierten Beitrag für die Gemeinschaft und Gesellschaft leisten – da zwei Menschen Sozialbeiträge und Pensionsvorsorgen einzahlen.

So viel zum kleinen Gender-Balance-Utopia. Wie stark wir sozial geprägt sind, wusste ich vor meiner Schwangerschaft nur aus Büchern. Danach erlebte ich es hautnah und unverblümt: Bei mir war körperlich lange nichts davon zu sehen, dass ich schwanger war, weil ich viele der typischen Symptome nicht hatte und ich auch bis einige Tage vor der Geburt voll am Arbeitsleben teilnahm. Als Selbstständige ist es fast unmöglich, sich eine Auszeit zu gönnen. Ich nahm auch davon Abstand, meinen KundInnen von meiner Schwangerschaft zu erzählen, da mir das eine befreundete Unternehmerin empfohlen hatte. Sie hatte mir keine expliziten Gründe für diese Empfehlung genannt. Aber ich sollte bald sehr gut verstehen. Sprung ins Jahr 2013 – von Frau zu Frau:

Ich lege die Hand auf meinen bereits sichtbaren Babybauch, als ich mich mit einer Auftraggeberin bei einem Großgruppenworkshop mit Frauen treffe. Als sie mich sieht, legt sie ihre Stirn in Falten, und ich höre ein erstauntes »Was ist denn da passiert?!«. Ich blicke gespielt überrascht an mir hinunter: »Oh! Ich glaube, da wächst etwas!« Sie schaut mich an und begreift, wie unpassend ihre Aussage war. Dennoch ist sie noch immer sichtlich irritiert und meint: »Warum hast du mir nichts gesagt? Wann ist es denn so weit?« Ich antworte: »Nun, es steht ja nicht im Vertrag, dass ich eine Schwangerschaft ankündigen muss. Der Geburtstermin ist in einem Monat.« Darauf sie: »Aber, was ist, wenn du nicht mehr arbeiten kannst, oder wenn du krank wirst?« Ihre unübersehbare Irritation nervt und belustigt mich zugleich. Jetzt will ich es wissen: »Hättest du mich für dieses große Projekt beauftragt, wenn du das vorher gewusst hättest?« Sie sieht mich an und sagt ohne Zögern: »Sicher nicht!«

Aussagen wie »Die Mutter gehört zum Kind und das Kind zur Mutter« sind auch heute noch allgegenwärtig.

Ich kann es nicht fassen! Diese Frau ist selbst zweifache Mutter und Gender-Beauftragte eines Unternehmens. Wenn sie so denkt, hat dann Gleichbehandlung überhaupt eine Chance? Kurz darauf – ich bin immer noch schwanger – halte ich einen Workshop. Eine Teilnehmerin kommt nach dem Ende der Veranstaltung auf mich zu und gratuliert mir herzlich. Sie ist alleinerziehende Mutter, und wir kommen über unsere vielen Herausforderungen ins Gespräch. Ich sage ihr, dass ich Mütter aufrichtig bewundere, die so vieles alleine organisieren und bewältigen. Sie fragt mich sehr wohlwollend, was das denn jetzt für mich bedeutet, und wie ich beruflich mit der Rolle als Mutter umgehen werde. Ich erzähle ihr von meinem Plan, nach dem Mutterschutz weiterzuarbeiten, da mein Mann einen Teil der Betreuung übernehmen wird. Plötzlich kippt die Stimmung – der Frau steht das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. In abfälligem Ton hält sie mir plötzlich einen Vortrag darüber, was für ein schlechter Mensch ich sei und dass mein Kind ein Recht darauf habe, dass ich rund um die Uhr meinen Pflichten als Mutter nachkomme. Ihre Tirade endet mit dem Satz: »Ihnen ist hoffentlich klar, dass Ihr Kind emotional verwahrlosen wird!«

Woher kommt dieses Klischee? Es begegnete mir auch danach bei einer Reihe weiterer Veranstaltungen als fixe Idee in der geistigen Welt von Frauen und Männern. Ich erinnere mich an eine Diskussionsrunde mit berufstätigen Müttern, in der ein Sozialarbeiter zum Besten gab: »Wenn beide Elternteile arbeiten, tragen sie dazu bei, dass ihre Kinder in einer Wohlstandsverwahrlosung enden. Drogen, Vernachlässigung der Sozialkompetenz …« Er stellte die berufstätige Frau an den Pranger und hing ihr die Schuld für die vermeintliche Verwahrlosung der Kinder um. Ich hinterfragte das natürlich und entdeckte, dass hier Äpfel mit Birnen verglichen wurden. Die Tatsachen, dass er in seiner Tätigkeit mit mehr verwahrlosten Jugendlichen konfrontiert ist und es mehr berufstätige Frauen gibt, wurden kurzerhand verkettet – ohne jeglichen wissenschaftlichen Hintergrund. Er konnte keine Zahlen nennen, sondern verwies immer wieder auf Einzelfälle von Familien, in denen Eltern sich nicht um ihre Kinder kümmerten. Ob die Mütter in all diesen Fällen berufstätig waren, wusste er gar nicht.

Es ist mir bis heute ein Rätsel, warum diese Fixierung auf die Mutter als »Bewahrerin der Kinder« sich so lange hält. Es braucht nur etwas gesunden Menschenverstand, um dies aufzulösen: Eine Bergbäuerin verbrachte die meiste Zeit auf dem Feld, ohne dass ihre Kinder verwahrlosten. Ich kenne auch eine Vielzahl von alleinerziehenden Müttern und Vätern, deren Kinder sehr früh lernen mussten, selbstständig zu denken und zu handeln – eindeutig nicht zu ihrem Nachteil. Zudem stellt sich mir die Frage: Warum wird der Mann meist auf die Rolle des Geldboten reduziert? Wir leben in einer Gesellschaft, die immer noch von dem Gedanken geprägt ist, dass Erziehung und Sozialisierung nur von der Mutter weitergegeben werden kann, und ich rede hier nicht davon, was die Soziologie sagt und meint, sondern von dem, was tatsächlich gelebt wird.

Mütter und Väter sind wichtig für die Erziehung, sagt die Wissenschaft. Gelebt wird in den meisten Familien aber immer noch etwas anderes. Was ist mit dem Ansatz von Mehrgenerationenhaushalten? Welchen Anteil hat die Gesellschaft an der Erziehung unserer Kinder? Wie funktioniert es, dass afrikanische Stämme Kinder gemeinsam im Familienverbund großziehen und Frauen auch einmal ein »fremdes« Kind an ihrer Brust saugen lassen? Wo gemeinsames Leben zur Tagesordnung gehört und nicht jeder Einzelne in seiner Wohnung lebt und von anderen nichts wissen will? Erziehung geschieht dort in der Gemeinschaft. Entsprechend weit ist der soziale Horizont dieser Menschen.

Der Einfluss von Kultur und Glaube

Für mich persönlich sind die geistigen Grenzen zwischen den verschiedenen Teilen Europas immer schon eine Herausforderung gewesen. Ich lebte und arbeitete lange Zeit als Österreicherin in Holland und durfte damals schon erfahren, wie es ist, wenn Frauen und Männer einander auf Augenhöhe begegnen, die Gesellschaft Kinder als Segen und nicht als Bürde erlebt und es selbstverständlich ist, dass Frau und Mann arbeiten gehen. Mein Nachname stammt übrigens nicht aus dieser Zeit. Meine Urgroßeltern haben ihn in die Familie gebracht. Leider habe ich sie nie kennengelernt, aber einige dieser typisch holländischen Verhaltensweisen dürften irgendwie in mir stecken. Während meiner Zeit in Amsterdam habe ich das Thema »Mann / Frau« oder auch Ansichten über die gleichgeschlechtliche Ehe sehr oft mit Holländern diskutiert. Immer wenn ich vom österreichischen Meinungsbild berichtete, waren sie sichtlich irritiert über diese geschilderte Engstirnigkeit, die zeigt: Immer noch leben Millionen von Menschen nicht nur in Österreich, sondern in vielen europäischen Ländern übrig gebliebene Ansätze eines jahrhundertealten Patriarchats.

Eine große Rolle spielt natürlich auch das Frauenbild in den Religionen. Egal ob Christentum, Islam oder Buddhismus – fast alle Glaubensgemeinschaften haben einen Mann als »Oberhaupt«. Der Glaube prägt genauso unser Bild der Gesellschaft und füttert Stereotype. Dass Frauen sich wie im Islam verschleiern müssen und ihre Sexualität vor der Ehe nicht frei leben sollen, stellt für manche Menschen eine Art von Unterdrückung dar. Wenn Priester nicht heiraten, Männer nicht Männer lieben dürfen und die Ehe der einzig legitime Weg des Zusammenlebens ist, stellt das aber genauso eine Einschränkung für den einen oder anderen dar.

Übrigens: Auch der Glaube und die dazugehörigen Richtlinien verändern sich laufend. Nicht immer mussten sich Frauen im Islam verhüllen. Nicht immer war es ihnen verboten, ein Auto zu lenken. Religion ist einfach ein probates Instrument, um Macht über andere auszuüben. Und da an diesen Schalthebeln hauptsächlich Männer sitzen, ist auch die Form der Machtausübung männlich geprägt.

Aber so einflussreich Religionen auch in den letzten Jahrhunderten waren und vielleicht zum Teil heute noch sind: Es sind nicht mehr allein Gottesgebote, die in erster Linie unsere Stereotype bestimmen. Diese sind vielmehr davon abhängig, welches Verhalten wir selbst als »typisch männlich« oder »typisch weiblich« einschätzen bzw. wie wir diese Verhaltensweisen wahrnehmen und bewerten. Politik, Gesellschaft, Erziehung und Sozialisierung sind dabei die wichtigsten Einflussfaktoren.

Schauen wir uns ein paar Beispiele an:

Der »typische Mann« hat seine Emotionen unter Kontrolle, ist zielstrebig, ehrgeizig und durchsetzungsstark.

Die »typische Frau« gilt als emotional, sozial orientiert, sicherheitsbedürftig und intuitiv.

Wenn Menschen in fixen Denkmustern verhaftet sind, kann es leicht passieren, dass Begriffe wie »Draufgänger« oder »Schlampe« fallen, weil dann gleiches Verhalten von Mann und Frau unterschiedlich aufgefasst, beurteilt oder auch verurteilt wird.

Ein Mann, der auf seinem Recht besteht, gilt als »hartnäckig«. Eine Frau mit dem gleichen Verhalten würden viele als »penetrant« bezeichnen. Er »setzt sich vehement durch«, sie wird »hysterisch«. Oder umgekehrt: Sie ist »sensibel«, er ist »nicht belastbar«.

Unsere Schubladen dienen dazu, eine Person zu »etikettieren«, um den Aufwand für jedes weitere Denken, Beobachten und Analysieren möglichst gering zu halten. Wir pauschalisieren und werden den individuellen Eigenschaften eines anderen Menschen nicht gerecht. Diese »Typisch-Mann / typisch-Frau«-Attitüde verändert sich jedoch. Frauen haben auf jeden Fall mehr Spielraum als früher und nutzen diesen auch. Sie treten selbstbewusster auf und geben neben der Familie dem Beruf einen größeren Raum als die Generationen davor.

Ich persönlich finde es ein bisschen schade, dass sich die Rolle der Männer im Vergleich dazu wenig verändert hat. Männer sind zwar als Väter präsenter als früher, aber ansonsten dominiert eher die Verunsicherung darüber, wie sich denn ein »typischer Mann« nun korrekt zu verhalten hat. Geht die Entwicklung in Richtung mehr Einfühlungsvermögen und Sanftmut oder zu einer Überbetonung der »alten« männlichen Paradeeigenschaften? Gender Balance heißt ja nicht nur, dass Frauen sich mehr emanzipieren, sondern auch die andere Seite: nämlich, dass Männer mit der neuen Balance eine Entspanntheit bekommen und ebenfalls neue Rollen einnehmen können. Auf den ersten Blick weist die momentane Situation eher Tendenzen auf, sich zu einer »vermännlichten Gesellschaft« zu entwickeln: Auf der einen Seite starke Frauen, die scheinbar ihren Mann stehen und alles unter einen Hut bekommen. Auf der anderen Seite Männer, die in ihrer Rolle verharren und ihre Pfründe nicht abgeben wollen.