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Stephen R. Covey

Der 8. Weg

Mit Effektivität zu wahrer Größe

Aus dem Englischen von Ingrid Proß-Gill

11., überarbeitete Auflage

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Die amerikanische Originalausgabe »The 8th Habit« erschien 2004 bei Free Press, New York, USA.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Informationen sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-895-5

Lektorat: Claudia Franz | www.info@text-it.org

11., überarbeitete Auflage 2018

Copyright © der Originalausgabe 2004 by FranklinCovey Company

www.gabal-verlag.de

Inhalt

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Dank

1Der Schmerz

2Das Problem

3Die Lösung

Teil 1Finden Sie Ihre innere Stimme

4Entdecken Sie Ihre innere Stimme – unsere ungeöffneten Geburts-Geschenke

5Bringen Sie Ihre innere Stimme zum Ausdruck: Vision, Disziplin, Leidenschaft und Gewissen

Teil 2Inspirieren Sie andere dazu, ihre innere Stimme zu finden

6Inspirieren Sie andere dazu, ihre innere Stimme zu finden: Die Herausforderung der Führung

FOKUS – VORBILD UND VISIONÄR SEIN

7Die Stimme des Einflusses: Ein Trimmruder sein

8Die Stimme der Vertrauenswürdigkeit: Als Vorbild Charakterstärke und Kompetenz vorleben

9Die Stimme und Schnelligkeit des Vertrauens

10Verschmelzung der inneren Stimmen: Die Suche nach der dritten Alternative

11Mit einer Stimme: Als Visionär gemeinsame Vision, Werte und Strategie entwickeln

UMSETZUNG – KOORDINATOR UND COACH SEIN

12Die Stimme und Disziplin der Umsetzung: Als Koordinator Ziele und Systeme auf Ergebnisse ausrichten

13Die Stimme der Befähigung: Als Coach Leidenschaft und Talent freisetzen

DAS ZEITALTER DER WEISHEIT

14Der 8. Weg und der ideale Punkt

15Weise Nutzung unserer inneren Stimmen, um anderen zu dienen

16Fragen, die mir besonders oft gestellt werden

Anhänge

1Literaturübersicht zu Führungstheorien

2Repräsentative Aussagen zu Führung und Management

3Praktische Anwendung der 4 Disziplinen erfolgreicher Umsetzung

4xQ-Ergebnisse

5Das Modell von FranklinCovey

Anmerkungen

Über FranklinCovey

Über FranklinCovey im deutschsprachigen Raum

Über den Autor

Die Herausforderung des 8. Weges

Leserstimmen

Vorwort zur deutschen Ausgabe

In unserer Gesellschaft werden Sinnhaftigkeit, Leidenschaft, Vision und Gewissen immer wichtiger, wenn man langfristig erfolgreich und zufrieden sein möchte. Es geht dabei um Leadership, um persönliche und berufliche Sinnhaftigkeit in verantwortungsvollen Positionen. Dr. Stephen R. Covey zeigt uns in diesem Buch, dass Führung immer eine Frage der Wahl ist, nicht der Position. Und er vermittelt, wie man die persönliche Ausrichtung immer wieder überdenkt, neue sinnhafte Ziele entdeckt und die Verantwortung für den Weg zu wahrer Größe übernimmt. Dabei ist es wichtig, alle Ebenen des Menschseins – Körper, Geist, Verstand und Emotionen – zu betrachten sowie die eigene innere Stimme zu entdecken und einzusetzen, um so auch andere zu inspirieren.

Wer neue Wege gehen möchte, braucht Visionen und Werte, Geduld und Disziplin. Dabei will Ihnen dieses Buch helfen. Viel Freude beim Lesen und Umsetzen dieses zeitlosen Prinzips.

Behalten Sie dabei das Ziel im Auge, und denken Sie daran: Veränderungen passieren nicht von heute auf morgen. Wenn wir Sie dabei unterstützen können, lassen Sie es uns wissen.

Hans-Dieter Lochmann

President und CEO

FranklinCovey Leadership Institut GmbH, Grünwald

Deutschland | Schweiz | Österreich

info@franklincovey.de

www.franklincovey.de

www.franklincovey.at

www.franklincovey.ch

Für jene Bescheidenen, Mutigen, »Großen« unter uns, die beispielhaft vorleben, dass Führung eine Frage der Wahl ist, nicht der Position.

Dank

Wenn man einen neuen Beitrag leisten möchte, braucht man eine ganz neue Vorbereitung. Das gehört zu den wichtigsten Dingen, die ich je gelernt habe. Jedes wichtige Schreibprojekt, mit dem ich mich befasst habe, hat dieses Prinzip untermauert. Dennoch vergisst man das nur allzu leicht. Als ich vor fünf Jahren mit der Arbeit an diesem Buch begann, war ich guter Dinge.

Ich dachte, ich könnte mich dabei auf meine Studien, meine Lehrtätigkeit und meine Arbeit als Berater im Bereich der Führung stützen. Schließlich hatte ich mein ganzes Berufsleben damit verbracht. Deshalb war ich überzeugt, der Text würde mir in ein paar Monaten »aus der Feder fließen«. Nachdem mein Team und ich die Inhalte für dieses Buch über ein Jahr lang gelehrt und niedergeschrieben hatten, lag ein erster Entwurf vor. Wir waren überglücklich und dachten, wir hätten es endlich geschafft. Doch dann erlebten wir das, was Bergsteiger nur zu gut kennen: Wir waren noch lange nicht auf dem Gipfel, sondern wir hatten gerade mal den ersten Anstieg geschafft. Von diesem neuen Aussichtspunkt hart verdienter Erkenntnisse konnten wir Dinge sehen, die uns bis dahin verborgen geblieben waren. Also richteten wir unseren Blick auf den »wirklichen« Gipfel und begannen mit der nächsten Etappe.

So ging es uns noch unzählige Male: Immer wieder glaubten wir, den Gipfel erreicht zu haben. Wir waren überzeugt, dass das Buch nun »fertig« sei. Doch jedes Mal mussten wir feststellen, dass wir lediglich auf eine weitere entscheidende Ebene der Erkenntnis gelangt waren und noch ein weiterer steiler Anstieg auf uns wartete.

Ein Blick in die Geschichte zeigt: Die größten und inspirierendsten Leistungen bei der Bezwingung von Bergen sind nicht das Werk Einzelner. Sie sind das Ergebnis echter Teamarbeit. Sie beruhen auf der außergewöhnlichen Stärke kooperativer, hochtalentierter, gut vorbereiteter Teams, deren Mitglieder einander und der gemeinsamen Vision bis zum Ende loyal verbunden blieben. Die meisten Gruppen, die den Mount Everest besteigen wollten, scheiterten. Den Gipfel haben nur ganz wenige erreicht. Fast alle brechen ihr Vorhaben ab, wenn sie durch die extremen Bedingungen an ihre Grenzen getrieben werden. Bei unserem fünf Jahre währenden Aufstieg zur Vollendung dieses Buchs sah es nicht anders aus. Ohne die Entschlossenheit und die feste innere Verpflichtung, Geduld, Ermutigung und die synergetischen Beiträge des bemerkenswerten Teams, das mir zur Seite stand, wäre das Buch niemals so geworden, wie es ist. Mehr noch: Dieses Buch wäre nie vollendet worden!

Daher gilt den folgenden Personen mein tief empfundener Dank für ihre Beiträge zu diesem Buch:

imageZehntausenden von Menschen auf der ganzen Welt, denen das Projekt wichtig genug war, um uns ehrliches Feedback zu geben. Sie haben uns bereitwillig ihre Zeit geschenkt und uns von ihren wahren Problemen, Schmerzen und Hoffnungen erzählt. Mit ihrer Hilfe konnte ich allmählich eine »Bergkette« des Lernens erklimmen. Dieser Aufstieg führte mich zu immer neuen Erkenntnissen und stellte die Geduld meines Teams immer wieder auf die Probe.

imageBoyd Craig, der sich fünf Jahre lang mit Leib und Seele in den Dienst dieser Sache stellte. Ich danke ihm für seine Leidenschaft und Hingabe beim Redigieren; dafür, dass er alle Bereiche dieses so umfangreichen Teamprojekts managte; für seine Führung und seine synergetische Partnerschaft mit unserem Verleger, unserer Agentin und innerhalb unserer Firma; und ganz besonders für seine Spiritualität, Urteilskraft, Flexibilität, Geduld und Fachkenntnis. Auch seiner Frau, Michelle Daines Craig, möchte ich für ihre wundervolle positive Einstellung, ihre nie endende Unterstützung und all die Opfer, die den »Gipfelmarathon« erst möglich machten, von ganzem Herzen danken.

imageDen Leuten in meinem Büro und dem ganzen Assistenzteam: Patti Pallat, Julie Judd Gillman, Darla Salin, Julie McAllister, Nancy Aldridge, Kara Foster Holmes, Luci Ainsworth, Diane Thompson und Christie Brzezinski. Ihnen danke ich für ihren wirklich außergewöhnlichen Einsatz, ihre Loyalität, ihre unermüdliche Unterstützung bei der Verwirklichung des Projekts und ihre erstklassige Professionalität.

imageMeinen engagierten Partnern bei FranklinCovey, allen voran Bob Whitman und meinem Sohn Sean, für die aufmerksame, tief schürfende Durchsicht des endgültigen Manuskripts und das wertvolle Feedback.

imageEdward H. Powley, der mir bei der Sichtung der Literatur zum Thema Führung unschätzbare Dienste leistete.

imageRichard Garcia und Mike Robins, die mich bei meinen Forschungen unermüdlich unterstützten.

imageTessa Meyer Santiago für ihre redaktionelle Hilfe bei den frühen Fassungen des Buchs.

imageSherrie Hall Everett für ihre unermüdliche Arbeit bei der immer wieder neuen Gestaltung der Abbildungen.

imageBrad Anderson, Bruce Neibaur, Micah Merrill und vielen anderen talentierten Kolleginnen und Kollegen, die im Laufe der Jahre die treibenden kreativen Kräfte hinter den preisgekrönten Filmen auf der beiliegenden DVD waren.

imageGreg Link für seine visionäre Genialität bei der Vermarktung und seine fortwährende innere Verpflichtung auf unser Leitbild und dieses Projekt.

imageMeinem Sohn Stephen, von dem ich so viel über Vertrauen gelernt habe – durch sein eigenes Beispiel und durch die Erforschung der theoretischen und praktischen Grundlagen.

imageMeiner wundervollen Literaturagentin Jan Miller und ihrer Partnerin Shannon Miser-Marven für ihren jahrelangen Einsatz und ihre Fürsprache.

imageBob Asahina, meinem zuverlässigen langjährigen Redakteur, der mich immer wieder daran erinnerte, dass ich aus meinem eigenen Kopf herauskommen und immer dort anfangen muss, wo der Leser steht.

imageUnseren geschätzten Partnern beim Verlag Simon & Schuster – besonders Carolyn Reidy, Martha Levin, Suzanne Donahue und Dominick Anfuso. Danke, dass ihr mich bei dem langwierigen Aufstieg trotz einer Reihe von Irrwegen nicht im Stich gelassen habt.

imageMeiner geliebten Frau Sandra sowie meinen Kindern und Enkeln. Sie wurden durch dieses beinahe endlose Buchprojekt an den Rand der Verzweiflung getrieben. Doch sie haben sich dafür entschieden, zu lächeln und mich zu ermutigen, anstatt mir den Hals umzudrehen. Außerdem danke ich meinem geliebten Großvater Stephen L. Richards und meinen verehrten Eltern, Stephen G. und Louise Richards Covey. Dank gebührt auch meinen lieben Geschwistern Irene, Helen Jean, Marilyn und John, die seit meiner Kindheit großen Einfluss darauf hatten, wer ich geworden bin.

imageGott, unserem Vater, für seinen Plan, der Glück für alle seine Kinder vorsieht.

KAPITEL 1

Der Schmerz

Stimmen wie diese hören wir immer wieder:

»Ich habe gar kein Privatleben mehr. Ich fühle mich total ausgebrannt und leer.«

»Niemand schätzt mich wirklich. Mein Chef hat nicht die leiseste Ahnung von meinen Fähigkeiten.«

»Ich habe nicht das Gefühl, gebraucht zu werden – nicht bei der Arbeit und auch nicht von meinen Kindern, meinen Nachbarn, der Gemeinde oder meiner Frau. Die braucht mich höchstens, um die Rechnungen zu bezahlen.«

»Ich stecke im Hamsterrad des Alltags fest. Es ist immer der gleiche Trott.«

»Ich bin frustriert und mutlos.«

»Ich verdiene einfach nicht genug. Es reicht kaum zum Leben. Irgendwie komme ich überhaupt nicht voran.«

»Vielleicht bin ich einfach nicht gut genug.«

»Nichts von dem, was ich mache, ist wirklich wichtig.«

»Ich fühle mich innerlich leer. Mein Leben hat keinen Sinn. Irgendwie fehlt was.«

»Ich bin wütend. Und ich habe Angst! Ich kann es mir absolut nicht leisten, meinen Job zu verlieren.«

»Ich bin einsam und allein.«

»Alles ist immer nur dringend. Ich halte diesen Stress nicht mehr aus!«

»Nur Mikromanagement. Ständig kontrolliert mich mein Chef – ich ersticke einfach!«

»Der ganze sinnlose Kleinkrieg – das macht mich richtig krank.«

»Ich langweile mich, vertreibe mir bloß die Zeit. Die Arbeit macht mir einfach keinen Spaß.«

»Ständig diese Hetze, die Jagd nach Erfolg. Dieser ungeheure Druck, die gewünschten Resultate zu liefern. Ich habe einfach nicht genug Zeit und Ressourcen, um das alles zu schaffen.«

»Meine Frau versteht mich nicht, die Kinder hören mir nicht zu und machen einfach nur, was sie wollen. Zu Hause bin ich kein bisschen besser dran als bei der Arbeit.«

»Ach, ich kann ja doch nichts ändern …«

Ob im Privatleben oder im Beruf: Das sind die Worte von Millionen von Menschen – von Eltern, Arbeitern, Dienstleistern, Managern, Experten und Führungskräften auf der ganzen Welt. Sie alle kämpfen darum, in der neuen Realität des Wissenszeitalters nicht unterzugehen. Der Schmerz ist persönlich – und sitzt tief. Vielleicht sprechen Ihnen viele dieser Menschen aus der Seele? Carl Rogers hat recht, wenn er sagt: »Gerade das Persönlichste ist das Allgemeinste.«1

Natürlich gibt es durchaus Menschen, die sehr viel Kraft in ihre Arbeit stecken, wichtige Beiträge leisten und dadurch auch wieder Kraft gewinnen. Es sind aber viel zu wenige! Ich stelle meinen Zuhörern oft die Frage: »Wie viele von Ihnen denken, dass die große Mehrheit der Leute in Ihrem Unternehmen über weitaus mehr Talent, Intelligenz, Fähigkeiten und Kreativität verfügt, als ihr derzeitiger Job erfordert oder auch nur zulässt?« Die überwältigende Mehrheit hebt die Hand – und zwar überall auf der Welt. Die meisten bestätigen auch, dass sie unter einem enormen Druck stehen, mehr für weniger produzieren zu müssen. Ist das nicht unglaublich? In einer ungeheuer komplexen Welt sollen die Leute immer mehr für immer weniger produzieren. Aber man erlaubt ihnen einfach nicht, ihre Talente und ihre Intelligenz einzusetzen.

In Unternehmen und Organisationen zeigt dieser Schmerz sich am deutlichsten in der Unfähigkeit, sich auf Prioritäten zu konzentrieren und sie umzusetzen. Harris Interactive, die Begründer der Harris Poll, haben das in einer Studie bestätigt. Für ihre Studie befragten sie 23 000 Einwohner der USA, die Vollzeitstellen in Schlüsselbranchen2 und Schlüsselbereichen3 hatten. Dazu nutzten sie den so genannten xQ-Fragebogen. xQ steht für Execution Quotient, also für »Umsetzungsquotient«.*

Die Ergebnisse der Studie waren wirklich erstaunlich:

imageNur 37 Prozent der Befragten gaben an, genau zu wissen, welche Ziele ihr Unternehmen erreichen will und weshalb.

imageNur 20 Prozent waren von den Zielen ihres Teams und ihres Unternehmens überzeugt.

imageNur 20 Prozent der Mitarbeiter sagten, ihre eigenen Aufgaben seien klar auf die Ziele ihres Teams und ihres Unternehmens ausgerichtet.

imageNur 50 Prozent waren am Ende der Woche mit der von ihnen geleisteten Arbeit zufrieden.

imageNur 15 Prozent meinten, dass ihr Unternehmen sie rückhaltlos dabei unterstützt, Schlüsselziele zu erreichen.

imageNur 15 Prozent hatten das Gefühl, dass in ihrem Unternehmen viel Vertrauen herrscht.

imageNur 17 Prozent glaubten, dass ihr Unternehmen eine offene Kommunikation fördert, bei der auch abweichende Meinungen geschätzt werden, sodass neue, bessere Ideen entstehen.

imageNur zehn Prozent waren der Ansicht, dass ihr Unternehmen die Mitarbeiter für ihre Ergebnisse verantwortlich macht.

imageNur 20 Prozent hatten uneingeschränktes Vertrauen zu der Organisation, für die sie arbeiteten.

imageNur 13 Prozent hatten wirklich kooperative, von großem Vertrauen geprägte Arbeitsbeziehungen zu anderen Teams oder Abteilungen.

Übertragen auf eine Fußballmannschaft hieße das: Bloß vier der elf Spieler wüssten, welches Tor ihr eigenes ist. Nur zweien der elf Spieler wäre das überhaupt wichtig. Lediglich zwei würden ihre Position kennen und genau verstehen, was sie tun sollen. Aber neun der elf Spieler würden auf die eine oder andere Weise gegen ihre Mannschaftskameraden antreten – und nicht gegen das gegnerische Team.

Diese Zahlen machen einen wirklich nachdenklich. Sie stimmen mit meinen Erfahrungen mit den verschiedensten Organisationen und Unternehmen auf der ganzen Welt überein. Trotz des technischen Fortschritts, der vielen Produktinnovationen und der globalen Märkte verkümmern die meisten von uns in ihrem Job. Sie sind weder erfüllt noch begeistert von ihrer Arbeit. Im Gegenteil: Sie sind frustriert. Ihnen ist nicht klar, wie die Ziele ihres Unternehmens und ihre obersten Prioritäten aussehen. Sie haben das Gefühl, in einer Sackgasse zu stecken. Und das Schlimmste ist: Sie glauben nicht, dass sie viel an dieser Situation ändern können. Können Sie sich vorstellen, wie viel Geld verschwendet wird, weil man die Leidenschaft, das Talent und die Intelligenz der Mitarbeiter nicht richtig ausschöpft? Die Kosten sind gigantisch. Sie übersteigen die Summe aller Steuern, Zinszahlungen und Arbeitskosten bei Weitem!

Weshalb ein 8. Weg?

Seit dem Erscheinen von Die 7 Wege zur Effektivität im Jahr 1989 hat sich die Welt radikal verändert. Ob in unserem persönlichen Leben, in unseren Beziehungen, in unseren Familien oder im Beruf und in den Unternehmen: Heute sind die Herausforderungen sehr viel größer und komplexer.

1989 war ein ganz besonderes Jahr: Einerseits fiel damals die Berliner Mauer. Andererseits betrachten viele 1989 als Beginn des Informationszeitalters – als Geburtsstunde einer völlig anderen Wirklichkeit, als wahre Zeitenwende … als Anfang einer ganz neuen Ära.

Ich bin oft gefragt worden, ob die 7 Wege in der neuen Realität unserer Zeit überhaupt noch von Bedeutung sind. Meine Antwort war immer die gleiche: Je größer die Veränderungen und je schwieriger die Herausforderungen, desto wichtiger werden die 7 Wege! Denn hier geht es nicht nur um hohe Effektivität, sondern auch um ein vollständiges Gefüge universeller, zeitloser Charakter- und Effektivitätsprinzipien.

Heute steht es dem Einzelnen und den Unternehmen nicht mehr frei, sich für Effektivität zu entscheiden. Sie haben keine Wahl. Sie müssen effektiv sein. Doch wenn wir in dieser neuen Wirklichkeit überleben wollen, wenn wir in ihr wachsen, uns weiterentwickeln und eine Führungsrolle übernehmen wollen, reicht Effektivität allein nicht aus. Die neue Ära verlangt Größe, sie ruft nach Erfüllung, einer leidenschaftlichen Umsetzung und bedeutsamen Beiträgen. Diese Faktoren gehören zu einer anderen Ebene, einer anderen Dimension. Sie sind von völlig anderer Art. Nehmen wir beispielsweise die Bedeutsamkeit. Sie unterscheidet sich vom Wesen her, nicht aber im Ausmaß vom Erfolg. Wer die höheren Bereiche der menschlichen Kreativität und der Motivation erschließen, wer die innere Stimme entdecken will, der braucht neue Denkweisen und Einstellungen, neue Fähigkeiten und Techniken, neues Werkzeug – kurz gesagt: einen neuen Weg.

Der 8. Weg ist also keine Ergänzung der 7 Wege. Er ist kein weiterer Weg, der bisher vergessen wurde. Vielmehr geht es darum, den 7 Wegen die Kraft einer dritten Dimension zu verleihen, ohne die wir die zentralen Herausforderungen des neuen Zeitalters der Wissensarbeit nicht meistern können. Der 8. Weg wird Ihnen dabei helfen, Ihre innere Stimme zu finden. Und: Er wird es ihnen ermöglichen, auch andere dazu zu inspirieren, ihre innere Stimme zu erkennen.

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Abb. 1.1

Der 8. Weg führt uns zu einer wirklich vielversprechenden Seite unserer heutigen Realität. Sie steht in scharfem Kontrast zu dem Schmerz und der Frustration, von denen gerade die Rede war. Es ist eine zeitlose Realität: die Stimme der menschlichen Seele – voller Hoffnung und Intelligenz, von Natur aus widerstandsfähig und grenzenlos in ihrem Potenzial, dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen. Diese innere Stimme existiert auch in den Organisationen und Unternehmen, die überleben und wachsen und die Zukunft der Welt maßgeblich beeinflussen werden.

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Abb. 1.2

Innere Stimme? Was heißt das genau? Mit der inneren Stimme ist die einzigartige persönliche Bedeutung eines Menschen gemeint. Diese Bedeutung zeigt sich immer dann, wenn wir vor großen Herausforderungen stehen. Sie hilft uns dabei, diese Herausforderungen zu meistern.

Wie Abbildung 1.2 zeigt, liegt unsere innere Stimme genau in der Schnittmenge von Talent, Leidenschaft, Bedürfnissen und Gewissen. Mit Talent sind unsere natürlichen Gaben und Stärken gemeint; Leidenschaft bezieht sich auf die Dinge, die uns Kraft geben, die uns begeistern, motivieren und inspirieren; zu den Bedürfnissen gehören nicht nur unsere eigenen, sondern auch die, die von außen an uns herangetragen werden; und das Gewissen ist jene leise Stimme in uns, die uns sagt, was richtig ist, und uns dazu bewegt, entsprechend zu handeln. Wenn wir eine Aufgabe übernehmen, die unser Talent zur Entfaltung bringt und unsere Leidenschaft weckt, eine Aufgabe, die aus einem großen Bedürfnis in der Welt erwächst und zu deren Erfüllung unser Gewissen uns drängt, dann liegt genau darin unsere innere Stimme, unsere Berufung, der Code unserer Seele.

In jedem von uns schlummert eine tiefe, ursprüngliche Sehnsucht, seine innere Stimme zu finden. Das zeigt sich ganz besonders in der exponentiellen, revolutionären Ausbreitung des Internets. Man kann das Internet als perfektes Symbol für die neue Welt betrachten, für die Wirtschaft im Zeitalter der Informationen und der Wissensarbeit und für die dramatischen Veränderungen, die stattgefunden haben. In ihrem 2000 erschienenen Buch Das Cluetrain Manifest schreiben die Autoren Levine, Locke, Searls und Weinberger:

Wir alle finden unsere eigene Identität wieder. Wir lernen, wieder miteinander zu reden … Innerhalb und außerhalb der Unternehmen ist inzwischen eine Form der Konversation zu beobachten, die noch vor fünf Jahren gar nicht stattfand und die seit der industriellen Revolution kaum in Erscheinung getreten war. Nun, da diese Form des Miteinandersprechens, die via Internet und World Wide Web den gesamten Planeten umspannt, so gewaltig und facettenreich ist, ist es geradezu müßig, herausfinden zu wollen, worum es geht. Denn es geht um seit Milliarden von Jahren aufgestaute Hoffnungen und Ängste und Träume, verschlüsselt in verdrillten DNA-Strängen. Es ist das kollektive Déjà-vu unserer kaum zu begreifenden und verblüffenden Spezies. Es ist etwas Altertümliches, Elementares, Heiliges und eine ziemlich lustige und witzige Angelegenheit, was da in den Strippen, Drähten und Kabelkanälen des 20. Jahrhunderts losgetreten wurde. Es existieren Millionen »roter Fäden« oder Threads. Doch am Anfang und am Ende eines solchen Thread steht immer ein Mensch. … Ein so leidenschaftliches Verlangen nach dem Web zeugt von einer sehr intensiven Sehnsucht, die nur noch spirituell begründet werden kann. Sehnsucht ist ein Indiz dafür, dass es unserem Leben an etwas mangelt. Wir vermissen den Klang der menschlichen Stimme. Die spirituelle Verlockung des Web ist die Aussicht darauf, diese Stimme wiederzufinden.4

Statt die innere Stimme jetzt noch genauer zu beschreiben, möchte ich sie lieber durch die wahre Geschichte eines Mannes veranschaulichen. Dieser Mann ist Muhammad Yunus, der Gründer der Grameen Bank. Die Grameen Bank ist eine einzigartige Organisation, deren einziger Daseinszweck die Vergabe von Kleinstkrediten an die Ärmsten der Armen in Bangladesch ist. Als ich Muhammad Yunus kennenlernte, fragte ich ihn, wann und wie seine Vision entstanden ist. Da meinte er, dass es zunächst gar keine Vision gab. Er hätte schlichtweg einen Menschen mit einem Bedürfnis gesehen. Also hätte er einfach versucht, dieses Bedürfnis zu erfüllen. Erst dann hätte sich die Vision allmählich entwickelt. Seine Vision von einer Welt ohne Armut entstand durch eine Begebenheit auf den Straßen von Bangladesch. Bei einem Interview für meine Kolumne zum Thema Führung5 erzählte er mir die folgende Geschichte:

Der Beginn liegt 25 Jahre zurück. Damals war ich an einer Universität in Bangladesch Dozent für Volkswirtschaft. Das Land litt unter einer furchtbaren Hungersnot und ich fühlte mich schrecklich. Im Hörsaal trug ich, mit der Begeisterung eines frisch gebackenen Doktors aus den USA, all die tollen Wirtschaftstheorien vor. Doch draußen sah ich überall bis auf die Knochen abgemagerte Menschen – Menschen, die auf ihren Tod warteten.

Alles, was ich gelernt hatte und lehrte, war offenbar nur schöner Schein. Es hatte keinerlei Bedeutung für das Leben der Menschen. Daher fing ich an zu recherchieren, wie die Leute in dem Dorf lebten, das unmittelbar an das Universitätsgelände angrenzte. Ich wollte herausfinden, ob ich irgendetwas tun konnte, um den Tod hinauszuzögern oder zu verhindern. Es hätte mir schon gereicht, nur das Leben eines einzigen Menschen zu retten. Ich gab die Vogelperspektive auf, aus der wir die Dinge von oben sehen – vom Himmel herab. Stattdessen wechselte ich in die Froschperspektive, sodass ich alles aus der Nähe sah, es riechen und berühren konnte, um eventuell helfen zu können.

Dann hatte ich ein Erlebnis, das alles veränderte: Ich begegnete einer Frau, die Stühle aus Bambus anfertigte. Ich sprach lange mit ihr und erfuhr, dass sie nur zwei US-amerikanische Cent am Tag verdiente. Das konnte ich nicht fassen! Wie war es möglich, dass jemand, der so hart arbeitete und so schöne Bambusstühle herstellte, nur einen so winzigen Gewinn machte? Die Frau erklärte mir, dass sie kein Geld hätte, um den Bambus zu kaufen. Deshalb musste sich den Bambus von dem Händler leihen. Er verlangte, dass sie ihre Stühle ausschließlich an ihn verkaufte – und zwar zu einem Preis, den er bestimmte.

Deshalb verdiente sie nur zwei Cent am Tag. Sie war praktisch die Leibeigene des Händlers! Und wie viel kostete der Bambus? Sie sagte: »Oh, ungefähr 20 Cent. Besonders guter 25 Cent.« Ich dachte: »Die Leute leiden wegen 20 Cent und man kann nichts dagegen tun?« Erst wollte ich ihr 20 Cent geben, doch dann fiel mir etwas Besseres ein: Ich würde eine Liste aller Leute machen, die Beträge in dieser Größenordnung brauchten. Also zog ich mit einem meiner Studenten tagelang durchs Dorf. Schließlich enthielt unsere Liste 42 Namen. Als ich die Beträge addierte, bekam ich den größten Schock meines Lebens: Die Summe belief sich auf ganze 27 Dollar! Ich schämte mich, weil ich zu einer Gesellschaft gehörte, die 42 hart arbeitenden, geschickten Menschen nicht einmal 27 Dollar zur Verfügung stellen konnte.

Um der Scham zu entkommen, nahm ich das Geld aus meinem Portemonnaie und gab es dem Studenten: »Bringen Sie dieses Geld den 42 Leuten, mit denen wir gesprochen haben. Sagen Sie ihnen, dass es sich um ein Darlehen handelt. Sie müssen es mir aber erst zurückzahlen, wenn ihnen das möglich ist. Inzwischen können sie ihre Produkte überall verkaufen, wo sie einen guten Preis dafür bekommen.«

Damit das Böse triumphieren kann, ist nur eins nötig: dass gute Menschen nichts tun.6

EDMUND BURKE

Als die 42 Leute das Geld in den Händen hielten, waren sie überglücklich. Und ich dachte: »Was kann ich noch tun?« Mir fiel die Bankfiliale auf dem Universitätsgelände ein. Ich vereinbarte einen Termin mit dem Zweigstellenleiter und erzählte ihm von den armen Leuten, die ich im Dorf kennengelernt hatte. Dann schlug ich ihm vor, ihnen Geld zu leihen. Das verschlug ihm fast die Sprache.

»Sie sind ja verrückt! Das ist völlig unmöglich! Armen können wir kein Geld leihen, sie sind nicht kreditwürdig!« Ich verlegte mich aufs Bitten: »Versuchen Sie es doch wenigstens. Es sind doch nur kleine Beträge!« Er blieb hart: »Nein. Das wäre gegen unsere Regeln. Die Leute können keine Sicherheiten bieten. Außerdem lohnt sich das Verleihen so kleiner Summen nicht.« Schließlich empfahl er mir, mich an die hohen Tiere in den Banken in Bangladesch zu wenden.

Das machte ich dann auch. Ich ging zu den Leuten, die im Bankgeschäft etwas zu sagen hatten. Doch überall bekam ich ein striktes Nein zu hören. Nachdem ich mir tagelang die Füße wund gelaufen hatte, bot ich mich schließlich als Bürge an: »Ich stehe für das Darlehen gerade. Ich werde alles unterschreiben, was Sie wollen. Dann können Sie mir das Geld auszahlen und ich gebe es den Leuten, die ich unterstützen will.«

So fing es also an. Die Bankleute warnten mich immer wieder. Sie sagten, dass die Armen das Geld niemals zurückzahlen würden. Ich meinte nur: »Okay, dann lasse ich es eben darauf ankommen!« Und dann kam die große Überraschung: Sie zahlten mir tatsächlich jeden Cent zurück! Also ging ich wieder zum Zweigstellenleiter und sagte: »Sehen Sie nur, sie zahlen das Geld doch zurück. Es gibt kein Problem!« Er aber erwiderte: »Oh nein, sie machen Ihnen nur etwas vor. Bald werden sie mehr Geld nehmen – und das sehen Sie dann nie wieder!« Also gab ich ihnen mehr Geld. Auch das zahlten sie wieder zurück. Als ich das dem Zweigstellenleiter erzählte, zuckte er nur die Schultern:

»Na ja, in einem einzigen Dorf mag das vielleicht funktionieren … Aber in zwei Dörfern ganz bestimmt nicht!« Daraufhin versuchte ich es in einem anderen kleinen Ort – und auch hier klappte es.

Die Sache wurde gewissermaßen zu einem Wettstreit zwischen mir, dem Zweigstellenleiter und anderen hochrangigen Bankleuten. Sie behaupteten, eine größere Zahl von Dörfern würde zeigen, dass sie Recht hätten. Also verlieh ich Geld in fünf Dörfern – und wieder zahlten alle es zurück. Doch die Bankleute gaben sich nicht geschlagen. Sie sagten: »Zehn Dörfer. 50 Dörfer. 100 Dörfer!« Zwischen uns entwickelte sich ein regelrechter Wettkampf. Ich präsentierte ihnen Ergebnisse, die sie nicht abstreiten konnten. Denn ich arbeitete ja mit ihrem Geld. Sie wollten diese Ergebnisse jedoch nicht akzeptieren. Denn während ihrer Ausbildung hatte man ihnen beigebracht, dass arme Leute nicht zuverlässig sind. Ich war zum Glück nicht so ausgebildet worden. Deshalb konnte ich das glauben, was ich mit meinen eigenen Augen sah. Die die Bankleute aber waren blind – blind durch ihr Wissen.

Schließlich kam ich auf die richtige Idee: Warum versuchte ich eigentlich ständig, sie zu überzeugen? Ich war doch felsenfest davon überzeugt, dass Arme sich Geld leihen und es auch zurückzahlen können. Warum sollte ich also keine eigene Bank gründen? Die Idee begeisterte mich! Ich schrieb mein Konzept auf und beantragte eine Genehmigung bei den Behörden. Nach zwei langen Jahren bekam ich sie endlich.

Am 2. Oktober 1983 wurden wir eine Bank – eine offizielle, unabhängige Bank! Nun konnten wir nach Belieben expandieren. Genau das taten wir auch!

Wenn wir durch ein großes Ziel inspiriert werden, durch ein außergewöhnliches Projekt, sprengen unsere Gedanken alle Grenzen. Unser Verstand erhebt sich über alle Schranken, unser Bewusstsein dehnt sich in alle Richtungen aus – und wir finden uns in einer neuen, großartigen, wundervollen Welt wieder.

AUS DEM JOGASUTRA VON PATANJALI

Heute hat die Grameen Bank in Bangladesch 1267 Filialen mit über 12 000 Angestellten und ist in mehr als 46 000 Dörfern tätig. Sie hat über 4,5 Milliarden US-Dollar als Darlehen vergeben. Sogar Bettler bekommen Geld, damit sie sich eine Existenz aufbauen können. Die Darlehensbeträge belaufen sich im Durchschnitt auf 12 bis 15 Dollar. Ein Hausbaukredit liegt bei 300 Dollar. Im Bankwesen sind das natürlich kleine Summen. Doch für den Einzelnen bewirken sie unendlich viel.

Die Grameen Bank gewährt jedes Jahr Darlehen im Wert von insgesamt etwa einer halben Milliarde Dollar. Hinter dieser Zahl steckt eine wichtige Botschaft: Diese Summe bedeutet, dass 3,7 Millionen Menschen den Entschluss gefasst haben, ihr eigenes Leben und das ihrer Familien zu verändern; 3,7 Millionen Menschen haben erkannt, dass sie Veränderungen herbeiführen konnten; 3,7 Millionen Menschen erlebten eine schlaflose Nacht und standen am nächsten Morgen zitternd, aber fest entschlossen in einer Filiale der Grameen Bank.

96 Prozent der Darlehen der Grameen Bank gehen an Frauen. Sie haben sich dafür entschieden, selbstständige, unabhängige Unternehmerinnen zu werden. Die Kredite helfen ihnen, Waren zu produzieren, um wirtschaftlich überlebensfähig und erfolgreich zu werden. Sie alle haben ihre innere Stimme gefunden!

Ich habe mich mit einigen großen Visionären und Führungspersönlichkeiten auf der ganzen Welt beschäftigt und auch selbst mit ihnen gesprochen. Dabei fiel mir auf, dass Visionen meist dann entstehen, wenn Menschen ein Bedürfnis erkennen, auf ihr Gewissen reagieren und alles daransetzen, es zu erfüllen. Wenn ihnen das gelungen ist, sehen sie ein weiteres Bedürfnis, das sie ebenfalls erfüllen, und das geht dann immer so weiter. Irgendwann fangen sie dann an, darüber nachzudenken, wie sie ihre Bemühungen institutionalisieren können, um sie nachhaltig zu machen.

Muhammad Yunus ist ein gutes Beispiel für diese Vorgehensweise. Er spürte die Bedürfnisse anderer Menschen. Dann folgte er seinem Gewissen und setzte sein Talent und seine Leidenschaft ein, um diese Bedürfnisse zu erfüllen. Nachdem er tragfähige Lösungen gefunden hatte, folgte der nächste Schritt: Er institutionalisierte die Fähigkeit, die Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen, und gründete die Grameen Bank. Muhammad Yunus fand seine eigene innere Stimme, indem er andere dazu inspirierte, ebenfalls ihre innere Stimme zu finden. Heute breitet sich die Kleinstkredit-Bewegung über die ganze Welt aus.

Nur wenige von uns können Großes tun. Doch wir alle können mit großer Liebe kleine Dinge tun.

MUTTER TERESA

Der Schmerz – das Problem – die Lösung

Ob in Unternehmen und Organisationen jeder Art, in Familien oder in Gemeinden: Am Anfang dieses Buches habe ich den Schmerz beschrieben, den unzählige Menschen heute empfinden.

Mit dem 8. Weg möchte ich Ihnen eine Landkarte an die Hand geben. Eine Landkarte, die Sie von Ihrem Schmerz und der damit verbundenen Frustration zu wahrer Erfüllung, Relevanz, Bedeutung und wichtigen Beiträgen in der neuen Landschaft unserer Zeit führen wird. Kurz gesagt: Mithilfe dieser Landkarte werden Sie Ihre innere Stimme finden – nicht nur bei der Arbeit und in Ihrem Unternehmen, sondern in Ihrem ganzen Leben. Wenn Sie mögen, wird der 8. Weg Sie auch dazu befähigen, Ihren Einfluss unabhängig von Ihrer Position erheblich zu erweitern. Wie das geht? Ganz einfach: Indem Sie die Menschen, die Ihnen wichtig sind, Ihr Team und Ihr Unternehmen dazu inspirieren, ebenfalls ihre innere Stimme zu finden und ihre Effektivität, ihr Wachstum und ihre Wirkung um ein Vielfaches zu erhöhen. Sie werden entdecken, dass diese Art von Einfluss und Führung aus Ihrer eigenen Entscheidung erwächst, nicht aus der Position oder dem Rang.

Aber wie kann man den Schmerz bewältigen und eine dauerhafte Lösung erreichen? Die beste und oft auch einzige Möglichkeit, liegt darin, zunächst das Grundproblem zu verstehen, das den Schmerz verursacht. In unserem Fall resultiert das Problem vor allem aus einem Verhalten, das auf einem unvollständigen oder stark verzerrten Paradigma beruht. Dieses Paradigma höhlt das Wertgefühl der Menschen aus und erstickt ihre Talente und ihr Potenzial.

Die Lösung für dieses Problem kann – wie die meisten großen Durchbrüche in der Geschichte der Menschheit – nur aus einer fundamentalen Abkehr von alten Denkweisen erwachsen. Das Versprechen dieses Buches ist: Sie werden dieses Problem lösen! Dazu ist es wichtig, dass Sie Geduld aufbringen und sich bemühen, es an der Wurzel zu verstehen. Das ist der Schlüssel, damit Sie Ihr Leben dann an den zeitlosen, universellen Prinzipien ausrichten können, auf denen die hier dargestellte Lösung beruht. Dann wird Ihr Einfluss stetig von innen nach außen wachsen. Sie werden Ihre innere Stimme finden. Zudem werden Sie Ihr Team und Ihr Unternehmen dazu inspirieren, in unserer dramatisch veränderten Welt ebenfalls ihre innere Stimme zu finden.

Der 8. Weg hilft Ihnen, vom Schmerz über das Problem zur Lösung zu kommen. Kapitel 1 skizziert kurz den erschreckenden Status quo unserer Wirklichkeit.

Das nächste Kapitel wird das Kernproblem identifizieren. Ob im persönlichen Bereich, in der Familie oder am Arbeitsplatz, an dem wir den größten Teil unseres Lebens verbringen: Wenn wir dieses tief verwurzelte Problem verstehen, können wir die Herausforderungen, denen wir uns heute gegenübersehen, viel besser meistern. Das geht allerdings nicht ohne geistige Anstrengung! Aber die Investition, sich mit der menschlichen Seite dessen zu befassen, was im letzten Jahrhundert in den Organisationen passiert ist, wird sich für Sie auszahlen. Denn sie gibt Ihnen das Schlüsselparadigma für das ganze Buch an die Hand. Schritt für Schritt werden Sie Weisheit, Orientierung und Kraft für den Umgang mit den wichtigsten Herausforderungen und Chancen im persönlichen Bereich und in Ihren Beziehungen erlangen. Also: Halten Sie durch. Es lohnt sich!

Kapitel 3 gibt einen Überblick über den 8. Weg und die Lösung, die dann im Rest des Buches besprochen wird. Zudem finden Sie in diesem Kapitel einige Tipps und Hinweise dazu, wie Sie den größten Nutzen aus dem Buch ziehen können.

*Die Ergebnisse der Studie von Harris Interactive, bei der 23 000 Angestellte, Manager und Führungskräfte den xQ-Fragebogen ausfüllten, werden in Anhang 4 eingehend erläutert.

KAPITEL 2

Das Problem

Wenn die Infrastruktur sich verschiebt, ächzt und knarrt alles.1

STAN DAVIS

Wir erleben gerade eine der einschneidendsten Verschiebungen in der Geschichte der Menschheit. Peter F. Drucker, einer unserer anerkanntesten Managementexperten, formuliert das so:

In einigen Jahrhunderten, wenn die Geschichte unserer Zeit aus einer langfristigen Perspektive heraus betrachtet wird, werden die Historiker wahrscheinlich weder die Technologie noch das Internet oder den E-Commerce als wichtigstes Ereignis sehen, sondern die großen Veränderungen der Lebenssituation. Zum ersten Mal hat eine große, schnell wachsende Zahl von Menschen die Freiheit, zu wählen. Zum ersten Mal müssen sie sich selbst managen. Und darauf ist unsere Gesellschaft in keiner Weise vorbereitet.2

Wenn wir das Kernproblem und die tief greifenden Auswirkungen von Druckers Prophezeiung verstehen wollen, müssen wir uns zunächst den geschichtlichen Kontext näher ansehen. Dabei sind insbesondere die fünf Zeitalter der Zivilisation wichtig: das Zeitalter der Jäger und Sammler; das Zeitalter der Landwirtschaft; das Industriezeitalter; das Zeitalter der Informationen und der Wissensarbeit; und schließlich das heraufziehende Zeitalter der Weisheit.

Stellen Sie sich bitte kurz vor, dass Sie im Zeitalter der Jäger und Sammler leben. Jeden Tag ziehen Sie mit Pfeil und Bogen oder Steinen los, um Nahrung für Ihre Familie zu beschaffen. Bisher konnten Sie Ihr Überleben nur auf diese Weise sichern. Nun versucht jemand, Sie zu überreden, ein »Bauer« zu werden. Wie würden Sie wohl reagieren?

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Abb. 2.1

Sie sehen, wie der Landwirt den Boden aufritzt und kleine Samen in die Furchen wirft – aber es tut sich nichts! Sie sehen, dass er den Boden bewässert und Unkraut zupft – und es tut sich immer noch nichts! Doch dann sehen Sie, dass er eine große Ernte einfährt. Sie erkennen, dass sein Ertrag als Landwirt 50-mal so hoch ist wie Ihrer als Jäger und Sammler. Und dabei gelten Sie als einer der besten Jäger und Sammler von allen! Was würden Sie tun? Wahrscheinlich würden Sie sich sagen: »Selbst wenn ich das machen wollte, könnte ich es gar nicht. Ich habe weder die nötigen Fähigkeiten noch das entsprechende Werkzeug!« Sie wissen einfach nicht, wie man als Landwirt arbeitet.

Inzwischen ist der Bauer so produktiv, dass er genug Geld verdient, um seine Kinder zur Schule schicken und ihnen tolle Zukunftschancen zu ermöglichen. Da entschließen Sie sich, auch Ihr Glück als Landwirt zu versuchen. Nach und nach durchlaufen Sie den intensiven Lernprozess des »Bauer-Werdens«. Zudem bringen Sie Ihren Kindern und Enkeln alles bei, was ein Landwirt wissen muss. Genau das passierte in unserer Frühgeschichte. Die Zahl der Jäger und Sammler ging um mehr als 90 Prozent zurück. Man könnte auch sagen: Alle diese Menschen verloren ihre Jobs und mussten sich eine neue Arbeit suchen.

Mehrere Generationen später kommt das Industriezeitalter. Die Menschen bauen Fabriken und lernen, sich zu spezialisieren, zu delegieren und Größenvorteile zu nutzen. Sie bauen Fließbänder und verarbeiten Rohstoffe mit immer größerer Effizienz. Die Produktivität ist jetzt 50-mal so hoch wie bei den Bauern mit den Familienhöfen. Stellen Sie sich jetzt vor, Sie sind ein Bauer und produzieren 50-mal so viel wie die Jäger und Sammler. Doch plötzlich sehen Sie, dass eine Fabrik gebaut wird und 50-mal so viel produziert wie Ihr Hof. Was würden Sie dann machen? Wahrscheinlich wären Sie neidisch, vielleicht würden Sie sich sogar in Ihrer Existenz bedroht fühlen. Aber was würden Sie brauchen, um selbst von den Errungenschaften des Industriezeitalters zu profitieren? Sie benötigen völlig neue Techniken und Werkzeuge, vor allem aber neue Denkweisen, eine neue Mentalität. Da die Fabriken des Industriezeitalters über 50-mal so produktiv waren wie die von den Familien bewirtschafteten Bauernhöfe, sank die Zahl der Bauern um 90 Prozent. Jene, die nicht untergingen, übertrugen die Konzepte des Industriezeitalters auf die Landwirtschaft: Sie entwickelten den industrialisierten Bauernhof. Heute sind nur noch drei Prozent der US-Amerikaner Bauern. Trotz der geringen Anzahl, produzieren sie einen Großteil der Nahrungsmittel für das gesamte Land und die weltweiten Märkte.

Denken Sie, dass die Produktivität im Zeitalter der Informations-und Wissensarbeiter, in das wir jetzt eintreten, erneut um das 50-Fache steigen wird? Ich glaube das. Nathan Myhrvold, der frühere technische Leiter bei Microsoft, drückt das so aus: »Die Spitzenentwickler von Software sind produktiver als die durchschnittlichen Software-Entwickler – nicht um den Faktor 10, 100 oder 1000, sondern um den Faktor 10 000.«

Gute Wissensarbeit ist so wertvoll, dass die Freisetzung ihres Potenzials den Unternehmen außergewöhnliche Chancen zur Wertschöpfung bietet. Deshalb ist die Erschließung des Potenzials Ihrer Kinder von ungeheurem Wert. Wissensarbeit erhöht die Wirksamkeit aller bisherigen Investitionen von Unternehmen, Organisationen und Familien. Mehr noch: Die Wissensarbeiter bilden die Verbindung zu allen anderen Investitionen. Sie sorgen für den nötigen Fokus, enorm große Kreativität und einen wirksamen Hebeleffekt bei der Nutzung dieser Investitionen. So können die Unternehmensziele wesentlich schneller und besser erreicht werden.

Denken Sie, dass das Zeitalter der Wissensarbeit eine Reduzierung der Arbeitskräfte des Industriezeitalters um bis zu 90 Prozent mit sich bringen wird? Ich glaube auch das. Die aktuellen Trends zum Outsourcing und zum Stellenabbau sind nur die Spitze des Eisbergs. Diese Trends sind Gegenstand erbitterter politischer Debatten. Tatsächlich ist der Abbau der im Industriezeitalter vorhandenen Stellen aber nur in geringem Maße durch die Politik und die Freihandelsabkommen bedingt. Er ist in erster Linie auf die dramatische Verschiebung zurückzuführen, die der Weg ins Zeitalter der Wissensarbeit mit sich bringt.

Glauben Sie, dass es für die Berufstätigen von heute eine Bedrohung sein wird, die neuen Denkweisen, Fähigkeiten und Werkzeuge dieses neuen Zeitalters zu erlernen? Und wenn ja? Was würde das für Sie bedeuten, um in diesem neuen Zeitalter überleben zu können! Und für Ihr Unternehmen …

Peter F. Drucker vergleicht das Industriezeitalter und das Zeitalter der Wissensarbeit wie folgt:

Der wichtigste und tatsächlich einzigartige Beitrag des Managements im zwanzigsten Jahrhundert war die fünfzigfache Steigerung der Produktivität der INDUSTRIEARBEITER.

Die Produktivität der WISSENSARBEIT und der WISSENSARBEITER auf ähnliche Weise zu steigern, dürfte sich als der Beitrag erweisen, den das Management im Laufe des 21. Jahrhunderts leisten muss.

Das wertvollste Kapital eines Unternehmens im 20. Jahrhundert waren seine Produktionsmittel. Das wertvollste Kapital eines Unternehmens im 21. Jahrhundert, egal ob privatwirtschaftlich oder gemeinnützig, werden seine Wissensarbeiter und deren Produktivität sein.3

Dem großen Historiker Arnold Toynbee zufolge kann man die Geschichte der Gesellschaft und ihrer Institutionen sehr gut mit sechs Worten zusammenfassen: Nichts scheitert so wie der Erfolg. Anders ausgedrückt: Wenn wir vor einer Herausforderung stehen, richtig darauf reagieren und sie meistern, nennen wir das Erfolg. Sobald wir aber vor einer neuen Herausforderung stehen, funktioniert die alte Reaktion nicht mehr. Deshalb wird sie als Scheitern bezeichnet. Wir leben zwar im Zeitalter der Wissensarbeiter, aber unsere Unternehmen setzen noch immer auf das Kontrollmodell des Industriezeitalters. Doch dieses Modell unterdrückt die Erschließung des menschlichen Potenzials völlig. Die innere Stimme spielt keine Rolle. Das ist höchst erstaunlich. Denn die Denkweisen des Industriezeitalters, die die heutige Arbeitswelt immer noch bestimmen, werden im Zeitalter der Wissensarbeiter und der New Economy nicht mehr funktionieren. Und Tatsache ist auch: Wir haben diese Kontrollmentalität auch mit nach Hause in unsere Familien genommen. Sie beherrscht den Umgang und die Kommunikation mit unseren Ehepartnern und die Art und Weise, wie wir versuchen, unsere Kinder zu managen, zu motivieren und zu disziplinieren.

Die Denkweise des Industriezeitalters: Fokussierung auf die Dinge

Im Industriezeitalter waren die wichtigsten Wertschöpfungsfaktoren und die Haupttreiber des wirtschaftlichen Wohlstands die Maschinen und das Kapital. Hier standen also Dinge im Mittelpunkt. Natürlich ging es nicht ohne Menschen. Doch sie waren ersetzbar. Denn das Angebot überstieg die Nachfrage. Man konnte die Industriearbeiter fast nach Belieben kontrollieren und »verbrauchen«. Die Menschen waren wie Dinge, die so effizient wie nur möglich eigesetzt wurden. Und wenn sie das nicht aushielten, besorgte man sich einfach bessere Körper, die sich den strengen Verfahrensweisen unterwarfen. Man wollte nur den Körper. Nicht aber den Verstand, das Herz oder den Geist eines Menschen. Denn alle drei behinderten die Abläufe und Prozesse des Maschinenzeitalters. Doch wenn man nur den Körper einer Person will, setzt man sie zu einem Ding herab.

Viel zu viele unserer modernen Managementmethoden stammen noch aus dem Industriezeitalter:

imageDie Überzeugung, dass man die Leute kontrollieren und managen muss.

imageDie Ansicht, dass die Menschen ein Kostenfaktor sind, die Maschinen dagegen Wertschöpfungsfaktoren. Wie absurd! Die Maschinen erscheinen in der Bilanz als Investition, die Leute aber werden den Ausgaben zugerechnet.

imageUnsere Philosophie der Motivation durch Zuckerbrot und Peitsche. Die Eselstechnik, bei der man durch ein vorgehaltenes Zuckerbrot, durch eine Belohnung motiviert und von hinten mit der Peitsche, mit Angst und Bestrafung antreibt.

imageDie zentralisierte Budgetierung, bei der man aktuelle Trends in die Zukunft hochrechnet. Dann wird alles getan, dass die projektierten Zahlen erreicht werden und das Geld auch komplett ausgegeben wird. Denn sonst erfolgen im nächsten Jahr Budgetkürzungen. Ein überholter, reaktiver Prozess, bei dem es vor allem darum geht, der eigenen Abteilung den Rücken zu stärken.

managen sie ihre Leute wie Dinge