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Carmen Schön • Karin Midwer

Die Feelgood-Methode für Frauen

Mehr Ausgeglichenheit in Beruf und Privatleben

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Externe Links wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches geprüft. Auf etwaige Änderungen zu einem späteren Zeitpunkt hat der Verlag keinen Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-95623-715-7

Lektorat: Eva Gößwein, Berlin | www.textstudio-goesswein.de

Umschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.de

Titelfoto: Jacob Lund | Fotolia

Titelfoto: Antonioguillem | Fotolia

Autorinnenfoto Carmen Schön: Ann Christine Krings

Autorinnenfoto Karin Midwer: Ansgar Pudenz

Satz und Layout: Lohse Design, Heppenheim | www.lohse-design.de

© 2018 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

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Inhalt

Einführung: Die Protagonistinnen

Karriere oder Privatleben – eine Standortbestimmung

In welchem Lebenshaus fühlen Sie sich wohl?

Sind Sie ruhig oder gestresst?

Dem eigenen Leben einen Sinn geben

Was ist Ihnen in Ihrem Leben wichtig?

Wie können Sie Resilienz entwickeln?

Den passenden Job finden – und den Motor am Laufen halten

Wie sieht Ihr Traumjob aus?

Wie sorgen Sie für ausreichend Energie?

Die Wohlfühlbalance zwischen Anpacken und Loslassen

Setzen Sie Ihre Karrierewünsche in die Tat um?

Können Sie auch abschalten?

Was hindert Sie daran, Ihre Ziele zu erreichen?

Wohlfühlen im Job – Was heißt das heute?

Literatur

Die Autorinnen

Einführung: Die Protagonistinnen

Wie zufrieden bin ich mit meinem Leben? Habe ich einen Job, der mir Freude macht und Kraft gibt? Lebe ich alle Werte, die mir wichtig sind? Und was macht meine Gesundheit? Diese und weitere Fragen stellen wir, die Autorinnen Carmen Schön und Karin Midwer, uns selbst und wir fragen uns, ob auch andere Frauen sich mit diesen Themen beschäftigen.

Nachdem wir mit einigen Frauen ins Gespräch gekommen waren, stellte sich heraus, dass auch für viele andere diese Fragen im Leben essenziell sind. So ist die Idee geboren, eine kleine Gruppe von Frauen unterschiedlichen Alters, mit verschiedenen Berufen und in unterschiedlichen Lebenssituationen zu bilden und diese über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg zu begleiten. Insgesamt fand an vier Terminen ein jeweils sechsstündiges Coaching-Programm mit den Teilnehmerinnen statt. Dieses Buch gibt einen Einblick in den Ablauf dieser Sitzungen. Die Leserin kann so in gewisser Weise selbst den Sitzungen beiwohnen und von den Erfahrungen der Teilnehmerinnen lernen.

Unser Ziel ist es, einen Raum zu bieten, in dem jede Teilnehmerin – und jede Leserin – ihr persönliches Wohlfühlen im Leben reflektieren und definieren kann. An dieser Stelle möchten wir erwähnen, dass sich auch Männer die oben genannten Fragen stellen und (fast) alles in diesem Buch ebenfalls auf sie anwendbar ist. Wir, Carmen Schön und Karin Midwer, bringen als Gruppenleiterinnen unsere fachliche Expertise mit ein. Carmen Schön arbeitet seit zwölf Jahren als Managementberaterin, Karriere- und Erfolgs-Coach. Karin Midwer ist eine gefragte Kommunikationsexpertin, Stressmanagement- und Qigongtrainerin. Uns ist es wichtig, das Thema „sich wohlfühlen“ bzw. Feelgood ganzheitlich zu betrachten und sowohl den beruflichen als auch den privaten Kontext miteinzubeziehen.

Diesen Prozess möchten wir gerne mit Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, in diesem Buch teilen. Gleichzeitig bieten wir Ihnen an, bei den einzelnen Coaching-Einheiten selbst mitzumachen. Daher werden wir in jedem Kapitel einige Übungen vorstellen, die Sie einfach selbst durchführen können.

Die Protagonistinnen

Bevor wir mit den Coaching-Sitzungen starten, möchten wir Ihnen gerne unsere Teilnehmerinnen bzw. Protagonistinnen vorstellen. Es handelt sich dabei um fiktive Figuren, die aber stark von unseren Erfahrungen aus einem Gruppen-Coaching inspiriert sind, das tatsächlich stattgefunden hat.

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Julia

Julia ist 29 Jahre alt und hat von dem Coaching-Programm durch ihre beste Freundin Sylvia erfahren, mit der sie einmal in der Woche abends einen Yogakurs in Hamburg-Winterhude besucht. Sport war Julia schon immer wichtig. Früher ging sie mindestens drei- bis viermal in der Woche ins Fitnessstudio. Seit einem Jahr, seit ihre kleine Tochter Lara auf der Welt ist, hat sich ihr Leben stark verändert. Neben der Arbeit – Julia ist nach sechs Monaten wieder in den Job eingestiegen – und dem Kind bleibt kaum noch Zeit für etwas anderes. Julia hat sich ein Kind sehr stark gewünscht, wenn auch nicht unbedingt zum jetzigen Zeitpunkt. Aber wann ist schon der passende Moment? Mit ihrem Ehemann Philipp, 35 Jahre, lebt sie in dem Hamburger Stadtteil Eppendorf in einer Drei-Zimmer-Altbauwohnung und die Schwiegereltern springen jederzeit ein, wenn Julia Unterstützung benötigt.

Julia ist eine attraktive Frau, die offensichtlich auf ihr Erscheinungsbild achtet: Sie ist groß und schlank, hat blondes, gut gefärbtes Haar und einen akkuraten Pagenschnitt. Beim ersten Termin trägt sie einen dunkelblauen, gut sitzenden Hosenanzug. Sie macht den Eindruck, als wäre Geld für sie kein Thema. Es scheint genug davon da zu sein. Ihr Auftreten lässt sich als bestimmt und selbstbewusst beschreiben. Ihre Körperhaltung und ihr Schritt sind klar und zielgerichtet. Einzig ihre Stimme verrät, dass möglicherweise etwas nicht ganz im Lot ist.

Julia spricht mit einer sehr hohen und schrillen Mädchenstimme. Es fällt einem etwas schwer, ihr zuzuhören, da die hohen Töne die Ohren strapazieren. Irgendwie klingt das auch nicht gesund. Es muss sie eine Menge Kraft und Anstrengung kosten, so zu sprechen. Auf die Frage, was sie beruflich macht, erzählt sie, dass sie nach einem dualen Wirtschaftsstudium in einer großen Versicherung angefangen hat. Sie war immer schon sehr ehrgeizig und konnte sich schnell beruflich hocharbeiten. Nach nur vier Jahren Betriebszugehörigkeit hat man ihr dann die Leitung des Gesundheitsmanagements angeboten. Das war für sie der erste große Erfolg. 12-Stunden-Tage waren bei ihr keine Seltenheit.

Modell Kind und Karriere

Dann lernte sie ihren jetzigen Mann Philipp im gleichen Unternehmen kennen. Philipp arbeitet im Vertrieb. Beiden war schnell klar, dass sie zusammengehören und irgendwann auch eine Familie gründen möchten. Julia hat sofort deutlich gemacht, dass für sie nur das Modell Karriere und Kind denkbar ist. Philipp ist gleich darauf eingegangen und empfand es als selbstverständlich, dass auch er sich bei der Kinderbetreuung mit einbringt.

Nach zwei Jahren Beziehung wurde Julia schwanger. Mit ihrem Chef sprach sie daraufhin ab, dass sie nur sechs Monate Babypause nehmen wolle und danach zurückkommen werde. Ihr Chef hielt ihr tatsächlich ihren Leitungsposten frei und Julia konnte nach nur sechs Monaten ihren Vollzeitjob wieder übernehmen. Welch ein Glück! Allerdings hat sie sich das Ganze etwas einfacher vorgestellt. Sie arbeitet zwar statt der zwölf jetzt nur noch acht bis neun Stunden täglich, zu Hause wartet dann aber ihre kleine Tochter, die sie zumindest abends noch eine Stunde sehen möchte. Aktuell hat Julia das Gefühl, sich total zu zerreißen. Und leider unterstützt sie Philipp dabei auch nicht so, wie er es ihr ursprünglich zugesagt hatte. Wenn die Schwiegereltern sie nicht so tatkräftig unterstützen würden, wäre der Alltag der Familie in dieser Form gar nicht möglich.

Erste Anzeichen von Erschöpfung

Julia hat eigentlich für ein Coaching-Programm gar keine Zeit. Sie merkt aber, dass sie dringend etwas in ihrem Leben verändern muss. So kann es auf Dauer nicht weitergehen. Sie zeigt mittlerweile schon erste Anzeichen von Erschöpfung, dabei ist sie doch erst 29. Auch die Stimmung zu Hause hat sich durch den andauernden Stress deutlich verschlechtert. Julia möchte in dem Coaching für sich herausfinden, wie sie mit weniger Arbeitsstunden auskommen kann, entweder in ihrem jetzigen Job oder in einem anderen. Außerdem hat sie das Gefühl, dass ihre Arbeitsleistung nicht ausreichend wertgeschätzt wird. Sie stellt sich die Frage, wie sie sichtbarer werden kann, sodass auch von Kollegen gesehen wird, was sie alles für die Firma tut.

Nach dem Vorgespräch folgt zunächst eine Diskussion mit ihrem Ehemann. Drei Tage später sagt sie zu, an dem Programm regelmäßig teilzunehmen. Philipp wird während der Coaching-Sitzungen die Betreuung der kleinen Lara übernehmen.

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Evgenia

Evgenia ist die Erste, die sich für das Coaching bewirbt. Nachts um 23.30 Uhr kommt eine E-Mail, in der sie kurz ihren Lebenslauf schildert und gleich darauf drängt, möglichst schnell mit dem Coaching-Prozess zu beginnen. Man fühlt sich von ihr schnell unter Druck gesetzt. Das wird sich später auch in der Gruppe immer wieder zeigen.

Keine Probleme, sich durchzuboxen

Zum Vorgespräch kommt sie 30 Minuten zu spät, da sie keinen Parkplatz für ihren Sportflitzer finden konnte. Das scheint ihr aber kaum unangenehm zu sein. Insgesamt vermittelt sie den Eindruck, dass sie erwartet, dass die Welt sich nach ihren Regeln dreht. Evgenia ist 35 Jahre alt, trägt kurze schwarze Haare, Jeans und eine sportlich-elegante Bluse. Sie scheint es gewohnt zu sein, im Mittelpunkt zu stehen. Ihr Schritt ist klar und dynamisch, sie wirkt überaus präsent. Probleme, sich karrieremäßig durchzuboxen, scheint diese Frau nicht zu haben, denkt man sofort. Irgendwie hat sie auch etwas sehr Kumpelhaftes an sich. Mit ihrem Charisma und ihrer Energie kann sie sicher schnell Menschen in ihren Bann ziehen.

Evgenia erzählt, dass sich ihre Partnerin vor fünf Jahren von ihr getrennt hat und sie seitdem Single ist. Sie lebt in München-Schwabing in einer Eigentumswohnung, die sie sich vor zwei Jahren gekauft hat. Eigentlich ist sie mit ihrem Leben ganz zufrieden, wenn da nicht immer wieder die typischen Männerspiele im Unternehmen wären, die es ihr fast unmöglich machen, in eine höhere Position aufzusteigen. Ursprünglich hat sie BWL studiert und kommt aus einer Unternehmerfamilie. Geld und Status sind ihr wichtig und sie möchte ihren hohen Lebensstandard weiterhin halten. Direkt nach ihrem Studium startete sie ihre Karriere bei einem renommierten Automobilkonzern in der Controlling-Abteilung. Da sie nicht aus München wegziehen wollte, pendelt sie. Sie glaubt, dass das einer der Gründe war, warum ihre Partnerin sich von ihr getrennt hat. Es blieb einfach zu wenig Zeit, um sich miteinander zu beschäftigen, zumal Evgenia an den Wochenenden nicht auf dem Sofa sitzt, sondern als Extremsportlerin in den Bergen klettert oder mit dem Mountainbike unterwegs ist. Eine Partnerschaft wäre für sie durchaus wieder erstrebenswert, aber deswegen kommt sie nicht zum Coaching.

Zuhören liegt ihr nicht

Evgenia ist vielmehr beruflich etwas frustriert. Sie hat sich in den letzten Jahren neben dem Job in vielen Bereichen weiterentwickelt, unter anderem hat sie am High-Potential-Programm ihrer Firma teilgenommen. Ihren Chef konnte sie auch überreden, ihr einen einjährigen Managementlehrgang in St. Gallen zu finanzieren. Man kann sagen, Evgenia ist bestens ausgebildet. Im Gespräch wird aber deutlich, dass sie eines nicht so gut kann: zuhören und den Gesprächspartner aussprechen lassen. Es ist kaum möglich, einen Satz zu beenden, ohne dass sie unterbricht. Das macht die Unterhaltung mit ihr sehr anstrengend, was sie aber wenig zu stören scheint.

Auf die Frage, welches Ziel sie im Coaching verfolgt, gibt sie die folgende Antwort: „Ich habe jetzt einige Jahre sehr gute Ergebnisse in meinem Bereich erzielt. Mir wird immer wieder gesagt, dass ich das Zeug dazu habe, richtig Karriere zu machen. Aber irgendwie passiert einfach nichts. Nun habe ich auch einige Managementkurse absolviert. Aber auch das scheint nichts zu ändern. Mein Ziel ist ganz klar, mehr Geld zu verdienen und eine höhere Position bei meinem Arbeitgeber zu erhalten. Ich selbst habe gerade keine Idee, was ich noch machen kann, um das zu erreichen, und brauche Anregungen von außen. Das ist meine Erwartung an das Coaching.“

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Gaby

Mit Coachings, Trainings und Therapien kennt Gaby sich bestens aus. Die 43-jährige Mutter einer Teenager-Tochter investiert viel Geld in immer neue Hilfsangebote und lässt ihre ganze Umgebung an der jeweiligen Unterstützungsmaßnahme teilhaben. Gaby kann gut erzählen und nicht selten enden solche Freundinnen-Abende mit viel Prosecco und Gelächter – und einem furchtbaren Kater am nächsten Morgen. Manchmal kann Gaby dann nicht zur Arbeit gehen oder hält Termine nicht ein.

Hangelt sich (nach-)lässig durchs Leben

Das ist typisch für Gaby: Einerseits wünscht sie sich Hilfe, andererseits schafft sie es nicht, einen Weg konsequent zu verfolgen. Zu oft schon hat sie Hilfsangebote abgebrochen, ist einfach nicht mehr hingegangen. Irgendetwas scheint sie immer wieder davon abzuhalten, sich wirklich um sich selbst zu kümmern. Dabei ist sie mit so einigem in ihrem Leben unzufrieden. Wenn sie ehrlich ist, schämt sie sich für ihre Körperfülle, und sie würde so gern endlich ankommen – beruflich wie privat. Ihre letzte Beziehung ist schon lange her, und in den vergangenen Jahren hat sich kaum ein Mann für sie interessiert. Gaby bedauert das, doch andererseits fragt sie sich, ob sie überhaupt noch beziehungsfähig ist. Vielleicht ist es besser ohne Mann, denkt sie manchmal. Wenn nur nicht immer diese finanziellen Sorgen wären. Denn eigentlich genießt Gaby gern das Leben und begeistert sich für viele Dinge. Tochter Amelie ist genervt von der Unstrukturiertheit ihrer Mutter. Sie hasst die (Nach-)Lässigkeit, mit der Gaby sich durchs Leben hangelt. „Wie du wieder aussiehst! Schmink dich doch mal. Und deine Haare müssen auch nachgefärbt werden“, klagt die Jugendliche des Öfteren.

Ihre Mutter ist ihr peinlich, das wird schnell deutlich. Während Amelie stets wie aus dem Ei gepellt wirkt, scheint sich Gaby an löcherigen Socken, herausgerissenen Säumen und schlabberigen Pullis überhaupt nicht zu stören. Darauf angesprochen, wird Gaby ein bisschen rot, fegt das Thema aber schnell vom Tisch. Sie habe halt nicht so viel Geld, und außerdem, für wen soll sie sich aufbrezeln? Ja, das liebe Geld: Dieses Thema begleitet Gaby, solange sie denken kann. Schon früh hat sie sich verschuldet, um ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin bezahlen zu können. Später kamen weitere Lehrgänge hinzu. Denn nach wenigen Jahren im Beruf merkte sie, dass sie die körperliche Belastung kaum mehr schaffte. Sie machte dann Weiterbildungen im Wellness- und Esoterikbereich, bis sie schließlich Reiki für sich entdeckte.

Als selbstständige Reiki-Therapeutin ist ihr Einkommen sehr unregelmäßig. Die Arbeit macht ihr Spaß, und ihre Kunden lieben die unkonventionelle und fröhliche Art der Reiki-Meisterin. Um das Geschäft jedoch auf eine solide Basis zu stellen, würde sie deutlich mehr Klienten benötigen. Doch schon jetzt ist sie überfordert: Termine vereinbaren, zu den Kunden fahren, Rechnungen schreiben, dann die ganze Buchhaltung. Neulich ist auch noch der Computer kaputtgegangen, und sie müsste sich eigentlich dringend einen neuen besorgen. Aber dafür fehlt das Geld. So leiht sie sich den Laptop ihrer Tochter aus, die nur mit den Augen rollt und ihrer Volljährigkeit entgegenfiebert, um dem Chaos zu Hause zu entkommen. Manchmal bittet Gaby Freunde, ihr finanziell auszuhelfen. Und immer wieder nimmt sie Gelegenheitsjobs an: Sie backt Kuchen für ein Ökocafé, strickt für ein kleines Berliner Mode-Label und manchmal geht sie sogar putzen.

Tochter schenkt ihr ein Coaching

Als sie an ihrem 43. Geburtstag nach einem schlecht bezahlten nächtlichen Putzjob morgens in ihrer Wohnung ankommt, hat Amelie bereits den Frühstückstisch gedeckt. Auf ihrem Teller liegen ein Schmink-Set und ein Gutschein. Darauf steht: „Mama, so geht es nicht mehr weiter. Du musst dein Leben in den Griff kriegen.“ Gaby ist überrascht und gerührt: Ihre Tochter hat ihr ein Coaching geschenkt! Von dem Geld, das sie mit Nachhilfestunden verdient. Verkehrte Welt. „Aber wirklich durchhalten diesmal, Mama!“ Gaby verspricht es. Als Amelie das Haus verlassen hat, stellt sie sich vor den Badezimmerspiegel. Eine blasse, etwas schwammige, überanstrengte Frau blickt ihr entgegen. Gaby erschrickt: Wo ist die fröhliche, mitreißende Person geblieben, als die sie sich immer sah? Plötzlich fühlt sie sich ganz schön alt. Und ihr wird klar: Wenn sie wirklich etwas ändern will in ihrem Leben, dann ist es höchste Zeit, die Kurve zu kriegen. Sie greift zum Telefon und meldet sich zum Coaching an.

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Marion

Marion erkundigt sich zunächst telefonisch über das Coaching-Programm. Am Telefon ist es schwierig, sie zu verstehen. Ihre Stimme klingt etwas belegt und sie spricht sehr leise und verschluckt den ein oder anderen Buchstaben. Man hat gleich das Gefühl, dass es ihr sehr unangenehm ist, sich zu zeigen.

Sie erzählt, dass sie etwas außerhalb der Stadt wohnt und daher schauen muss, ob sie es zeitlich einrichten kann, am Coaching teilzunehmen. Nach dem Telefonat erklärt sie sich aber bereit, erst einmal vorbeizukommen und in einem persönlichen Gespräch alles Weitere zu klären.

Wirkt ziemlich unscheinbar

Zwei Tage später kommt sie vorbei. Dem ersten Eindruck nach wirkt Marion eher unscheinbar. Sie ist mittelgroß, etwas rundlich und scheint ihre Kleidung eher zweckmäßig zusammenzustellen. Einzig ihre rot gefärbten Haare passen nicht ganz zu ihrem Auftritt. Marion erzählt etwas über sich: Sie hat zwei erwachsene Kinder, die beide ausgezogen sind und in anderen Städten leben. Mit ihrem Mann, mit dem sie seit 25 Jahren zusammen ist, lebt sie am Stadtrand in einem gemieteten Reihenhaus. Alles gehe seinen Gang und sie sei nicht wirklich unzufrieden, erklärt sie, aber für sie sei jetzt die Zeit gekommen, für sich noch einmal etwas zu verändern. In den letzten 15 Jahren war sie sehr auf die Familie fixiert und hat alles dafür getan, dass sich ihr Ehemann und auch die Kinder zu Hause wohlfühlen. Damit war sie durchaus glücklich, aber jetzt möchte sie sich selbst mal wieder etwas Gutes tun.

Sie ist noch etwas unsicher, ob sie in das Coaching-Programm passt, da sie die Vorstellung hat, dass alle anderen Teilnehmerinnen ihr überlegen sind. Ihr gehe es keineswegs vorrangig darum, mehr Geld zu verdienen, das macht sie noch einmal deutlich. Finanziell sind ihr Mann und sie abgesichert und stellen an das Leben auch keine sehr großen Ansprüche. Ein Karrierecoaching ist also nicht das, was ihr vorschwebt.

Auf die Frage, was genau denn ihr Ziel sei, antwortet sie: „Ich bin seit 25 Jahren Buchhalterin. Mein Arbeitgeber, mit dem ich mittlerweile auch privat gut befreundet bin, hat seine Firma am Stadtrand und beschäftigt 30 Mitarbeiter. Meine Arbeit hat mir immer Freude gemacht und ich mag es, lange für eine Firma zu arbeiten. Irgendwie ist es wie ein Stück Familie. Fast alle Kollegen sind dort seit 20 Jahren oder länger beschäftigt. Nachdem nun aber die Möchte noch einmal durchstarten

Kinder aus dem Haus sind und ihr eigenes Leben gestalten, merke ich, dass ich noch einmal durchstarten möchte. Irgendwie muss es doch noch mehr geben als das, was ich tue. Ich kann es noch gar nicht so richtig in Worte fassen, da mir selbst noch gar nicht klar ist, was genau ich ändern möchte. Aber ich merke, auch ich habe noch Träume, die gelebt werden wollen. Wie gesagt, ich glaube nicht, dass es bei mir um den großen Karriereschritt geht. Wenn das Coaching nur darauf ausgerichtet ist, dann bin ich hier falsch. Mich interessiert vielmehr, was ich außerhalb des Jobs für mich tun kann. Ich würde zum Beispiel gerne wieder mehr Sport machen, etwas mehr reisen oder mich karitativ einbringen. Irgendwie noch etwas Sinnvolles im Leben tun. Das wäre toll.“

Marion merkt schon beim Sprechen, wie wichtig ihr die eigene Reflexion dieser Themen ist, und sie fängt fast an zu weinen. Es berührt sie sehr, endlich einmal die Zeit und den Raum zu bekommen, über ihre Wünsche und Träume zu sprechen. Man hat fast das Gefühl, dass sie ein wenig auflebt, lebendiger und fröhlicher wird. Ihre Mimik entspannt sich und insgesamt wirkt sie offener.

Nachdem Marion die Rahmenbedingungen des Coachings verstanden hat, sagt sie, dass sie das kurz mit ihrem Ehemann zu Hause besprechen möchte und gleich am nächsten Tag Bescheid geben wird, ob sie teilnimmt. Beschwingt verlässt sie den Raum. Am nächsten Tag kommt dann auch prompt eine Nachricht: Sie möchte gerne teilnehmen und freut sich sehr auf das Coaching.

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Ana

Wenn Ana einen Raum betritt, sind ihr bewundernde, aber auch neidische Blicke sicher. Sie verkörpert in jeder Hinsicht ein Schönheitsideal: Sie ist schlank und hochgewachsen, hat naturblondes, weich fallendes Haar und eine ebenmäßige Haut und wirkt adrett und sehr gepflegt. Dass die gebürtige Ukrainerin bereits 53 Jahre alt ist, darauf würde wohl kaum jemand kommen. Sie hat eine beinahe jugendliche Ausstrahlung. Gern trägt sie Pastelltöne und figurbetonte, mit glänzenden Sternen und Herzen bedruckte Stoffe. Viel Schmuck klimpert an Hals und Handgelenken. Dazu passt ihre glockenhelle Mädchenstimme. Auch nach vielen Jahren in Deutschland ist er immer noch da, der ukrainische Akzent. Ana spricht viel, laut und ohne Punkt und Komma – oft, ohne genau durchdacht zu haben, was sie eigentlich sagen will. Und sie lacht viel, fast jeder Satz endet mit einem kleinen Kiekser. Manche finden das charmant, andere sind genervt von so viel raumgreifender Präsenz.

Eine Schönheit mit raumgreifender Präsenz

Ein gehobener Lebensstil ist Ana wichtig. Diesen zu halten, ist zurzeit ihre größte Sorge. Denn ihr Mann und sie leben in Scheidung. Nach über 20 Jahren Ehe hat er sie verlassen – für eine deutlich jüngere Frau. Mit seiner neuen Freundin will er noch einmal eine Familie gründen. Ana ist verletzt und wütend, aber aus Rücksicht auf ihre beiden Söhne hält sie sich zurück. Und kooperiert. Das große Einfamilienhaus am Stadtrand hat sie verlassen, lebt jetzt in einer kleinen Dreizimmerwohnung. Ein Abstieg in jeder Hinsicht – so empfindet sie es. Während sie mit ihrem Mann um Geld und Besitz streitet, macht sie sich Gedanken um ihre Zukunft: Was soll sie nur tun? Für ihre Familie hat Ana ihren Job sausen lassen, rund 20 Jahre hat sie nicht gearbeitet, sondern ihrem Mann den Rücken freigehalten und die Kinder großgezogen. In den alten Job zurück – das kommt für Ana nicht infrage.

Doch sie will auch auf keinen Fall etwas an ihrem Lebensstil ändern, und dazu gehört ein gut gefülltes Bankkonto. Damals, in ihren Zwanzigern, hat sie als Hostess gejobbt. Und sie hat es geliebt: internationales Flair, Partys, Pomp, die große Freiheit. Ihr Ziel hatte sie immer vor Augen: um jeden Preis raus aus den beengten Verhältnissen, in die sie hineingeboren wurde. Ihr Traum wurde wahr. Am Rande eines internationalen Kongresses in Kiew sprach ihr späterer Mann Helmut sie an. Ana wusste: Das ist meine Chance. Sie umgarnte ihn, war für ihn da und ließ ihn nicht mehr los. Denn er konnte ihr bieten, wovon sie, wovon alle ihre Freundinnen träumten: Geld, Status, Familie, ein sorgenfreies, luxuriöses Leben. Als er sie wenige Monate später nach Deutschland holte und heiratete, war ihr Glück vollkommen. Endlich Prinzessin!

Kassensturz nach der Scheidung

Aus der Traum: Jetzt ist erst mal Kassensturz angesagt, in jeder Hinsicht. Auf der Habenseite: Zu ihren Söhnen Nikias und Leander hat Ana eine gute Beziehung. Nikias wohnt noch im Elternhaus, Leander studiert in Heidelberg. Ana hofft, dass Nikias vielleicht doch zu ihr zieht. In ihrer Dreizimmerwohnung hat sie das größte Zimmer für ihn reserviert, als Gästezimmer hergerichtet. Jetzt, wo ihr Leben ihr entglitten ist, greift sie nach jedem Strohhalm. Doch das Nesthäkchen findet es ganz bequem bei seinem Vater und der neuen Frau, die kaum älter ist als er. Seine Mutter tut ihm zwar leid, aber er ist seinem Vater nicht böse. Ana findet das ungerecht, aber sie hütet sich, ihm Vorwürfe zu machen. Sie will ihren etwas verwöhnten Jüngsten nicht auch noch verlieren.

Ana hat zwar viele Bekannte durch das geschäftliche Umfeld ihres Noch-Ehemannes, der als Manager in einem Energiekonzern arbeitet, aber keine beste Freundin. Aufgrund ihres stets makellosen Aussehens und ihrer immer etwas überdrehten Art erleben andere Frauen sie oft als Konkurrenz. So empfindet sie es zumindest. Und die Bekannten ihres Mannes solidarisieren sich mit ihm und nicht mit ihr. Da ist ein großer sozialer Rahmen weggebrochen. Verständlicherweise fühlt Ana sich sehr allein.

Glück im Unglück: Gerade hat sich eine alte Bekannte aus früheren Tagen zurückgemeldet. Sie weiß, was es bedeutet, plötzlich allein dazustehen. Lucia ist verwitwet und hat vor einigen Jahren noch einmal ganz von vorn angefangen. Heute betreibt sie recht erfolgreich ein Kosmetikstudio. Sie spricht Ana Mut zu und will ihr unter die Arme greifen. Als Geschäftsfrau weiß sie, dass Ana in ihrem Alter und mit ihrem gepflegten Aussehen ein Aushängeschild für ihren Salon wäre. „Was meinst du, kannst du dir vorstellen, mir ein, zwei Tage die Woche im Studio zu assistieren?“, fragt sie sie. Viel bezahlen kann Lucia nicht, aber es wäre ein Anfang. Und Ana käme unter Leute. Spontan sagt sie zu.